Rede von
Ulrich
Heinrich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Andres, Sie haben ein schwarzes Bild gemalt: Die Republik geht morgen unter, wenn wir heute dieses Gesetz verabschieden. — Es ist geradezu lächerlich, was Sie hier geboten haben.
Das Betriebsverfassungsgesetz ist das Grundgesetz der innerbetrieblichen Demokratie. — Jetzt hören Sie einmal zu. — Es hat sich in vielen Punkten bewährt. Aber es hat sich auch gezeigt, daß es in einigen Punkten unterentwickelt ist und ergänzt werden muß.
Solche Änderungen stoßen bei den Etablierten, bei den Nutznießern des Status quo selbstverständlich auf Kritik. Die großen Schlachtschiffe der Tarifpartner sind aus den unterschiedlichsten Gründen daran interessiert, ihre Bahnen ungestört ziehen zu können. Deshalb ist es verständlich, menschlich nachzuempfinden, daß die Verstärkung der Minderheitenrechte bei der Betriebsratsarbeit und den Betriebsratswahlen bei einigen auf wenig Gegenliebe stößt.
Die FDP hat sich schon seit langem für eine Stärkung des Minderheitenschutzes eingesetzt. Wir halten es für richtig, daß nur möglichst wenig Beschränkungen bei den Wahlen zum Betriebsrat bestehen und daß diejenigen, die nachhaltige Unterstützung in der Belegschaft gefunden haben, in den Betriebsratsausschüssen und bei Freistellungen auch angemessen berücksichtigt werden.
Wir wollen, daß mehr Demokratie im betrieblichen Alltag einkehrt.
— Jetzt kommen kritische Punkte; ich verstehe ja Ihre Nervosität.
Dieses Ziel wird aber nicht erreicht, solange es das geltende Recht z. B. zuläßt, daß die Mehrheit die Minderheit völlig übergehen kann, selbst dann, wenn die Minderheit — theoretisch gesprochen — über 49 T. der Sitze im Betriebsrat verfügt. So sieht die Realität aus.
Bei der Kritik von seiten der Opposition gegen die Einführung eines eigenen Wahlvorschlagsrechts der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ohne Stützungsunterschriften möchte ich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinweisen. Herr Kollege Scharrenbroich hat dies bereits getan; ich wiederhole es, weil es offensichtlich notwendig ist.
Diese Rechtsprechung stellt ganz bestimmte Anforderungen an den Gewerkschaftsbegriff: frei gebildet, unabhängig, insbesondere auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und zum Abschluß von Tarifverträgen fähig. Die Mehrzahl der Länder-Personalvertretungsgesetze kennen ähnliche Regelungen. Dies hat sich dort bewährt.
Warum soll das nicht auch für die Betriebe gelten?
Darüber hinaus hat der DGB dies früher selbst gefordert, nämlich schon in seinen Vorschlägen zum Betriebsverfassungsgesetz 1952.
Wie unterschiedlich die Auffassungen in der betrieblichen Praxis sind, zeigen die bei uns eingehenden Schreiben. Während uns ein Betriebsrat beschwört, möglichst rasch den Entwurf Gesetz werden zu lassen, um Benachteiligungen zu vermeiden, warnt uns ein anderer Betriebsrat desselben Betriebes vor Zersplitterung und Chaotisierung der Betriebsräte.
Ich habe keine Zweifel, daß ebenso wie in der Vergangenheit auch künftig die Betriebsräte in deutschen Landen gut zusammengesetzt sein werden und Krawallmacher keine Chance haben werden. Das, was Sie geboten haben, war nur Schwarzmalerei.
Wenn auch noch argumentiert wird, Splittergruppen hätten ohnedies keine Chancen bei der Belegschaft, dann verstehe ich die ganze Aufregung nicht mehr. Aber die Chance, sich zur Wahl, sich dem Urteil der Belegschaft zu stellen, sollte man möglichst vielen erhalten. Wer sich für mehr Demokratie im Betrieb
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8165
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einsetzt, der sollte doch eigentlich unseren Verbesserungen des Minderheitenschutzes zustimmen können.
Manche, wie z. B. die SPD, GRÜNE und der DGB, haben darüber hinaus zusätzliche Mitbestimmungsrechte in mehr oder weniger großem Umfang gefordert. Schon heute haben wir mehr Mitbestimmungs-
und Mitwirkungsrechte als die meisten anderen Länder in Europa.
Wir haben in diesem Gesetz die Informations- und Beratungsrechte bei der Einführung neuer Techniken verbessert.
— Ich bin einen Schritt weiter, Herr Kollege. Sie müssen aufpassen.
Eine weitere extensive Ausdehnung der Mitbestimmung würde letztlich den Betriebsrat zum Ko-Geschäftsführer und die Einigungsstelle zum Super-Geschäftsführerorgan machen und damit die bewährten Strukturen des Betriebsverfassungsgesetzes in Frage stellen — von den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Problemen einmal ganz abgesehen. Herr Kollege Andres, in Ihrer Sprache würden Sie hier von einer Aushebelung reden.
Auch im Hinblick auf das Zusammenwachsen Europas müssen wir zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen, zusätzliche Hemmnisse vermeiden; dem widersprechen jedoch die Forderungen der SPD.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Liberalen ist heute ein kleiner Feiertag. Zu den „Uralt-Anliegen" liberaler Gesellschaftspolitik zählen die Rolle und die Funktion der leitenden Angestellten in der Betriebsverfassung.
Schon in unseren Freiburger Thesen 1971 haben wir uns dafür ausgesprochen, neben den Faktoren Arbeit und Kapital dem Faktor Disposition — also den leitenden Angestellten in Betrieben und Unternehmen — besonders Rechnung zu tragen.
— Das sind Erfordernisse an eine moderne Industriegesellschaft.
Dort heißt es u. a.: „Die leitenden Angestellten erhalten zur Vertretung ihrer besonderen Belange eine eigene Interessenvertretung. "
Der Gesetzgeber — das war in der sozial-liberalen Koalition; so lange ist das ja noch gar nicht her — hat in dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 die besondere Rolle der leitenden Angestellten auf Unternehmensebene angemessen berücksichtigt. Es ist daher sachgerecht und konsequent, das auch auf betrieblicher Ebene zu verwirklichen. Die leitenden Angestellten bilden eine besondere Gruppe im Betrieb oder Unternehmen. Ich möchte das noch einmal deutlich darstellen. Von der Aufgabenstellung her sind sie der Unternehmensleitung zugeordnet; von der sozialen Stellung her sind sie Arbeitnehmer. Frau Kollegin Weyel, jetzt haben Sie die Antwort auf Ihren Zwischenruf. Warum soll ihnen als einziger Gruppe von Arbeitnehmern das Recht abgesprochen werden, ihre Interessen gemeinschaftlich zu vertreten?
Wenn wir den leitenden Angestellten diese Möglichkeiten zu gemeinsamem Handeln einräumen wollen, realisieren wir jetzt die gesetzliche Absicherung der Sprecherausschüsse.
Wenn immer betont wird, die freiwillig gebildeten Sprecherausschüsse funktionierten doch hervorragend, so daß kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe, dann kann ich darauf nur sagen, es ist etwas ganz anderes, ob ein Sprecherausschuß nur von der Gnade des Unternehmers, möglicherweise auch des Betriebsrates, abhängt oder aus eigenem Recht tätig werden kann. Das ist keine Spaltung der Arbeitnehmerschaft, wie fälschlicherweise oft behauptet wird; denn die leitenden Angestellten könnten nach eigenem Recht nicht von den Betriebsräten vertreten werden; sie wollen es in ihrer Mehrheit auch gar nicht. Wir schaffen damit auch keinen „Edelbetriebsrat" ; denn Sprecherausschüsse haben in erster Linie nur Anhörungs-, Beratungs- und Unterrichtungsrechte. Mitbestimmungsrechte sind nicht vorgesehen. Wir zwingen den leitenden Angestellten auch keinen Sprecherausschuß auf; denn vor der erstmaligen Einrichtung eines Sprecherausschusses muß sich die Mehrheit der leitenden Angestellten dafür aussprechen. Erst dann kann zur Wahl geschritten werden. Bei dieser Wahl und bei der Grundsatzentscheidung
— Sprecherausschuß ja oder nein — haben wir die Möglichkeit einer schriftlichen Stimmabgabe durchgesetzt.
Ein weiterer wichtiger Punkt dieses Gesetzesvorhabens ist eine bessere, präzisere Definition des leitenden Angestellten. Die Schwierigkeiten bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes sind bekannt. Die Auslegung durch die Gerichte ist zunehmend restriktiver und, so meine ich, formalistischer und damit wirklichkeitsfremder geworden, wie das die letzten Prokuristen-Urteile auch zeigen. Dies haben wir jetzt korrigiert. Die Vorschrift soll wie bisher
— vor der Entscheidung des BAG — ausgelegt werden und bildet so ein sinnvolles, typisches und einfaches Abgrenzungskriterium. Mit der Neuformulierung in § 5 Abs. 3 und dem neuen Abs. 4 wirken wir der verengenden Rechtsprechung entgegen und geben zugleich den Wahlvorständen sowie den Gerichten wichtige Anhaltspunkte für eine sachgerechte Auslegung.
Es geht auch nicht darum, den Kreis der leitenden Angestellten exorbitant auszuweiten, Herr Kollege Andres, wie von Ihnen heute wieder behauptet wurde. Das liegt im übrigen auch nicht im Interesse der leitenden Angestellten selber.
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Das vorgesehene Schlichtungsverfahren bei unterschiedlichen Auffassungen über die Zuordnung eines Angestellten wird nach der Anlaufphase eine heilsame Wirkung zur Kooperation im Betrieb entfalten. Daß wir eine andere, einfachere Regelung, nämlich die Selbsteinschätzung der Betroffenen, vorgezogen hätten, ist ja wohl bekannt.
Nur noch ein paar Worte zur Montan-Mitbestimmung. Die Montan-Mitbestimmung gehört sicherlich nicht zu den Lieblingskindern der Liberalen.
Jeder weiß das. Die dauerhafte Absicherung der Montan-Mitbestimmung war für uns, ja, man kann sagen, in gewissem Sinne auch ein Preis für den Fortschritt an anderer Stelle.
— Ach, kommen Sie! Das ist unter Ihrem Niveau, Herr Kollege. — Die Montan-Mitbestimmung ist in unseren Augen kein sozialpolitisches Urgestein, sondern eher so ein im Weg liegender Felsbrocken, der Strukturwandel erschwert und heute mehr Probleme schafft als löst.
Diesen typischen deutschen Sonderweg will die SPD in ihrem Gesetzentwurf verewigen, auch wenn praktisch kein Montanbezug mehr besteht. Einmal montanmitbestimmt — immer montanmitbestimmt! Das ist Ihre Devise.
Daß sie dieses Bleigewicht auch anderen Unternehmern anhängen will, ist kein Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit im EG-Binnenmarkt und zur Sicherung des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland.
Bei der Besetzung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat haben wir nicht nur die Rechte der Belegschaft, sondern auch die Möglichkeiten kleinerer Gewerkschaften bei der Wahl der externen Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat verbessert.
Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, daß trotz unterschiedlicher Interessenlagen zwischen den Koalitionsfraktionen bei vernünftiger, sachbezogener Auseinandersetzung ein alles in allem befriedigender Kompromiß gefunden worden ist.
Der Gesetzgeber hat, meine ich, seine Hausaufgaben zufriedenstellend erledigt.
Jetzt kommt es darauf an, daß die betriebliche Praxis die neuen Vorschriften mit Leben erfüllt und daß nicht engstirnige Gruppeninteressen dominieren.
Zusammenfassend unterstreiche ich: Mit dem Gesetzentwurf werden Fehlentwicklungen korrigiert,
werden Rechte für Minderheiten gestärkt und wird die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller im Betrieb zum Nutzen aller verbessert.
Herzlichen Dank.