Rede von
Dr. h.c.
Gerd
Andres
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Mit diesen Regelungen werden Sie eine weitere Negativentwicklung erreichen. Weit über 80 % aller Betriebsratswahlen finden nach dem Prinzip der Mehrheitswahl und damit als Persönlichkeitswahl statt. Dies wird von den Belegschaften so gewollt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen unmittelbar durch Stimmabgabe darauf Einfluß nehmen, wer ihre Interessen im Betriebsrat vertritt.
Sie sorgen mit den jetzigen Regelungen dafür, daß künftig in viel mehr Betrieben keine Persönlichkeitswahl mehr stattfinden wird. Sie ermöglichen, daß künftig Gruppierungen von außen, die nur den Wahlvorschlag formulieren müssen, einen Wahlvorschlag einreichen. Dazu benötigen sie einen betriebsinternen Kandidaten und zwei Unterschriften.
Ich will, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf einen Vorgang hinweisen, den ich in diesem Zusammenhang für bedeutungsvoll halte. Mein Kollege Heinz Westphal hat mir ein Flugblatt gegeben und mich gebeten, in diesem Zusammenhang darauf einzugehen, das folgendes beinhaltet: Die neofaschistische freiheitlich-deutsche Arbeiterpartei ruft in einem Flugblatt zur Gründung einer „nationalen Gewerkschaftsbewegung" am 1. Mai, dem Tag der „nationalen Arbeit" auf.
Nun frage ich Sie: Was passiert bei aller Rechtsprechung, wenn ein solcher Verein jemanden im Betrieb hat, zwei Bevollmächtigte unterschreiben und der Vorschlag wird eingereicht? Was macht der Wahlvorstand?
Welche rechtlichen Auseinandersetzungen wird es da
geben? Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang folgendes: Mit Ihren Regelungen werden Sie dafür sor-
8162 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Andres
gen, daß sowohl linken als auch rechten Splittergruppen in den Betrieben Tür und Tor geöffnet wird.
Dazu gehört Ihre Regelung, den Wahlvorstand zu ergänzen. Da sagen Sie: Auch diejenigen, die nicht dem Wahlvorstand angehören, aber im Betrieb vertreten sind, erhalten künftig einen Vertreter. Dazu sage ich folgendes: Auch hier gilt, daß das Anhörungsverfahren dazu keinerlei Begründungen gebracht hat.
Es ist dargelegt worden, daß beispielsweise bei über 10 000 untersuchten Betriebsratswahlen im Bereich der Metallindustrie nur 18 Wahlanfechtungen stattgefunden haben, und die häufig aus anderen Gründen als die, die unmittelbar mit dem Wahlverfahren zusammenhängen. Auch mit einer solchen Regelung der Entsendung des Beobachters fördern Sie in diesem Bereich zusätzliche Unsicherheit und mögliches Konfliktpotential. Auch dies wollen Sie.
Diese Entwicklung wird durch das Hervorheben des Gruppenprinzips bei der Besetzung von Ausschüssen und bei der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern sowie durch die Festlegung des Verhältniswahlrechtes durch diese Bereiche noch verstärkt.
Entgegen der Entwicklung in unserer Gesellschaft sollen neue Schranken zwischen Arbeitern und Angestellten errichtet werden. Zusätzlich wird die Gruppe der leitenden Angestellten ausgeweitet und institutionalisiert.
Diese Ziele des Gesetzentwurfs werden nicht nur von den Gewerkschaften abgelehnt, sondern auch von den Arbeitgebern. Auch die Arbeitgeber wollen keine Vertreter von Splittergrüppchen, die die Belegschaften nicht repräsentieren, vielleicht nicht einmal deren Interesse als Betriebsräte vertreten.
Auch den Arbeitgebern geht es darum, mit Betriebsräten verhandeln zu können, die für die überwiegende Mehrheit einer Belegschaft sprechen können und diese auch vertreten.
Die von Ihnen gewollte Zerschlagung gewachsener Strukturen der Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft in den Betrieben wollen weder Gewerkschaft noch Arbeitgeber.
Im Gegensatz zu Ihnen wollen sie keine vielfältig zersplitterten Richtungsgewerkschaften.
Besonders die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaftsorganisationen sind schon wegen der starken zentralen, nicht aufgesplitterten Arbeitgeberposition darauf angewiesen, daß der Betriebsrat ein Mindestmaß an Geschlossenheit und Durchsetzungskraft hat. Mir scheint, Ihnen sind solche Betriebsräte am liebsten, die sich weitgehend mit sich selbst beschäftigen.
Da Sie um die negative Wirkung dieser gesetzlichen Regelung wissen, haben Sie in der gestrigen Ausschußberatung dieses Teils des Gesetzes ein Trostpflaster vorgesehen. — Nun hören Sie gut zu, Herr Scharrenbroich! — Künftig wird — dies unterstützen wir ausdrücklich — die Wahlperiode der Betriebsräte von drei auf vier Jahre verlängert. Daß es sich dabei aber lediglich um ein Trostpflaster handelt, mit dem all die negativen und strategisch verhängnisvollen Verschlechterungen dieses Gesetzes versüßt werden sollen, wurde dadurch deutlich, daß Sie neben der Verlängerung der Wahlperiode keine weiteren notwendigen gesetzlichen Veränderungen vornehmen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat erklärt, daß es nicht reicht, lediglich die Amtszeit zu verlängern, sondern daß dazu beispielsweise auch eine entsprechende Regelung der Freistellungsansprüche für Schulung und Bildung gehören müssen. Unserem Antrag, den Bildungsanspruch der Betriebsräte analog zur Amtszeitverlängerung von drei auf vier und bei erstmalig gewählten Betriebsräten von vier auf fünf Wochen zu erhöhen, haben sie durch Ihren Sprecher Heribert Scharrenbroich mit dem billigen Argument abgelehnt, zur Beratung dieses Anliegens sei die Zeit nun nicht ausreichend.
Nicht nur verbesserte Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsregeln der Betriebsräte sind notwendig, sondern auch verbesserte Arbeits-, Bildungs- und Handlungsmöglichkeiten für das Organ Betriebsrat selbst sind dringend gefordert. Wir werden unseren Antrag in der zweiten Lesung auch im Plenum zur Abstimmung stellen.
Leichtfertig und unter Mißachtung simpelster parlamentarischer Regeln verändern sie die Vergütungsregelung für die Einigungsstelle. Wir gestehen sehr wohl zu, daß es dafür in bestimmten Bereichen Handlungsbedarf gibt. Aber ohne dieses Thema in der Anhörung zu behandeln, ohne die Verbände dazu zu hören, haben Sie durch Einführung des § 78 a die Einigungsstelle zum Billigverfahren gemacht. Genau das wollen Sie auch.
Im Zusammenhang mit der Schaffung von gesetzlichen Sprecherausschüssen für leitende Angestellte müssen Ihre Veränderungen des § 5 Abs. 3 und 4 gesehen werden. All Ihre Beteuerungen in diesem Zusammenhang, Sie präzisierten den Begriff der leitenden Angestellten, fruchten nicht. Sie haben vor, mit Ihrer Neufassung dieses Paragraphen die Zahl der leitenden Angestellten kräftig auszuweiten.
Nur dann macht die gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen leitender Angestellter überhaupt einen Sinn.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt nachdrücklich, daß die bisherige Definition der leitenden Angestellten und die in diesem Zusammenhang erfolgte Klarstellung durch die Rechtsprechung keiner
Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8163
Andres
Veränderung bedarf. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung haben an Hand nachvollziehbarer Bewertungskriterien die Gruppe der leitenden Angestellten in ihrem Inhalt und in ihrer Größenordnung so definiert, wie sie der betrieblichen Realität auch entspricht. Mit ihren veränderten Formulierungen in § 5 Abs. 3 und vor allen Dingen mit der Aufnahme des § 5 Abs. 4, in dem Sie Hilfskriterien formulieren, die mit Einkommensgrenzen und ähnlichem operieren, werden Sie mit dafür sorgen, daß Rechtsunsicherheit einkehrt, daß die Zahl der Rechtsauseinandersetzungen um die Definition leitender Angestellter zunehmen wird
und daß der gegenwärtige Zustand, daß an dieser Front in den Betrieben und in der Rechtsprechung Ruhe ist, damit aufgehoben wird.
Wer allerdings Ihre Neudefinition im Zusammenhang mit den Sprecherausschüssen für leitende Angestellte sieht, der weiß, daß sie dann Sinn machen. Indem sich die FDP mit ihrem von Anfang an verfolgten Ziel eines völlig von der betrieblichen Funktion losgelösten Begriffs der leitenden Angestellten und der Verankerung der gesetzlichen Sprecherausschüsse durchgesetzt hat, wird in der Betriebsverfassung eine völlig neue Gruppe geschaffen.
— Im Betrieb wird eine eigene Gruppe geschaffen. — Zwar haben Sie in der gestrigen Ausschußsitzung mit der Streichung des § 33 und mit der Streichung des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit versucht, Ihren mangelhaften Entwurf zu reparieren. Aber ich will Ihnen sagen: Die strategische Folge all dessen, was Sie in diesem Bereich machen, wird sein, daß neue betriebliche Gruppierungen entstehen.
In der Anhörung ist gesagt worden: Wenn die leitenden Angestellten so definiert werden, wie es jetzt vorgesehen ist, dann wird sich eine neue Gruppe der sogenannten leitenden leitenden Angestellten herausbilden, denn es ergibt sich die Frage: Wer informiert denn, wer verhandelt, wer bespricht denn all die Angelegenheiten, die Sie in diesem Gesetz für die leitenden Angestellten vorsehen, mit diesen? Doch wahrscheinlich die tatsächlich leitenden Angestellten.
Denn mit den Begriffen und mit dem Vorgehen werten Sie die Gruppe der leitenden Angestellten in einem bestimmten Sinne ab.
Ich sage Ihnen: Strategisch wird das große Problem sein — da will die FDP auch hin — : Sie installieren jetzt die Sprecherausschüsse. Es wird eine Zeitlang dauern, dann werden wir durch Rechtsauseinandersetzungen eine Ausweitung und Ausdehnung dieser Gruppe bekommen. Dann wird darüber diskutiert werden, daß diese Gruppe stärkere und mehr Rechte erhalten muß. Dann wird es strategisch um die Frage gehen, daß der Sprecherausschuß weite Teile der Angestelltenproblematik behandeln sollte.
Es wird die zusätzliche Gruppe der leitenden leitenden Angestellten entstehen. Strategisch kommt eine völlig neue Interessenvertretungsstruktur in den Betrieben heraus.
Andere Arbeitnehmergruppen werden von Ihnen sicher auch noch entdeckt und mit gesonderten gesetzlichen Regelungen versehen.
Auch hier stimmt das strategische Ziel: Die Gewerkschaftsfrage muß gelöst werden. Durch Auflösung der einheitlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Partikularinteressen, durch Verankerung vielfältiger Gruppen und Sonderregelungen, durch Stärkung derjenigen, die bei dem bisherigen demokratischen Verfahren auch nicht den Hauch einer Legitimation durch die Wahlentscheidung von Arbeitnehmern erhielten, tragen Sie dazu bei, daß die Integration von Arbeitnehmern in notwendige gesellschaftliche, technologische und politische Veränderungsprozesse nicht vorangetrieben, sondern abgeschwächt wird. Das richtet sich gegen den sozialen Konsens, der in den Betrieben und damit in einem wichtigen gesellschaftlichen Bereich zum sozialen Frieden beigetragen hat.
Während Ihr Gesetzentwurf durchgehend eine Verschlechterung der bestehenden Form der Interessenvertretung der Beschäftigten verfolgt, haben wir das Ziel der Weiterentwicklung der Betriebsverfassung. Wir haben dazu den Entwurf einer Gesamtnovelle in den Bundestag eingebracht. Mit ihm soll geregelt werden:
daß die Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung, Anwendung, Änderung und Erweiterung neuer technischer Einrichtungen und Verfahren erhalten, die Mitbestimmungs/Kontrollrechte bei der Personaldatenverarbeitung einschließlich der Erhebung, der Änderung, Übermittlung von Personaldaten ausgebaut werden,
daß die Mitbestimmungsrechte bei der Personalplanung präzisiert werden, die sozialen und personellen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betriebsräte den technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen entsprechend neu beschrieben werden,
daß der Betriebsrat erweiterte Mitbestimmung in wichtigen Feldern des Datenschutzes, des Arbeitsschutzes, der Arbeitssicherheit, der Ausbildung, des Umweltschutzes und der Gleichstellung von Frau und Mann erhält.
All diese Positionen sind genau das Gegenteil dessen, was Sie hier heute mit Mehrheit als Gesetz verabschieden werden. Aber zählen Sie nicht darauf, daß die Hunderttausende von Betriebsrätinnen und Be-
8164 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Andres
triebsräten nicht wüßten, wie hier mit ihren Interessen und Rechten umgegangen wird. Rechnen Sie nicht damit, daß Ihre Politik der Demontage sozialer Rechte von den Arbeitnehmern vergessen wird.
Auch diese gesetzliche Entscheidung, die Sie heute treffen, meine Damen und Herren, wird sich rächen und wird Sie noch einmal einholen.
Ich füge hinzu: Wir lehnen Ihren Entwurf ganz ausdrücklich und entschieden ab.