Rede von
Dr. h.c.
Gerd
Andres
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir gerade an Beschönigungen in der Rede des Abgeordneten Scharrenbroich gehört haben, ist im gegenwärtig geltenden Betriebsverfassungsgesetz mit der Formulierung geregelt: Der Betriebsrat ist rechtzeitig und umfassend zu informieren. Zu „umfassend" gehört nach der Rechtsprechung, daß ihm alle Planungs- und Beratungsunterlagen vorzulegen sind. So will ich nur festhalten: Das, was hier gefeiert wird, ist nichts anderes als weiße Salbe, ist gegenwärtiger Rechtszustand.
Der Deutsche Bundestag entscheidet über ein Gesetz der Koalitionsfraktionen, das weitreichende Konsequenzen für die Regelung der sozialen Beziehungen in den Betrieben haben wird und mit dem unserer Auffassung nach die über Jahrzehnte hinweg gewachsenen, bewährten Interessenvertretungsstrukturen demontiert bzw. zerschlagen werden. Dabei ist die Regierungskoalition den Weg gegangen, dem Deutschen Bundestag ein Artikelgesetz vorzulegen, und das mit gutem Grund. Bei Einzelberatung der Artikel dieses Gesamtpaketes würde deutlich, daß wichtige Teile des Gesetzentwurfes nur von parlamentarischen Minderheiten in diesem Hause wirklich gewollt und getragen werden. Politische Junktims und nicht die von einer Mehrheit bejahte sachliche Erforderlichkeit sind die eigentlichen Grundlagen dieses Entwurfs.
Schon die Koalitionsvereinbarung aus dem Frühjahr des vergangenen Jahres und die darauf folgenden öffentlichen Debatten haben deutlich gemacht, daß dieser Gesetzentwurf Ausdruck des gegenseitigen Mißtrauens der Koalitionäre ist und nur mit der Drohung des Alles oder Nichts massive Sachdifferenzen überwunden werden konnten.
Die CDU/CSU und bei ihr besonders die Arbeitnehmerschaft schluckt die gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen für leitende Angestellte, die außer von der Union der leitenden Angestellten und der FDP von niemandem gewollt oder gar für notwendig gehalten wird.
Der Bundesarbeitsminister und die Repräsentanten der CDA in diesem Haus können sich zu diesem Teil des Gesetzentwurfes nur herzlich gratulieren.
Die Sicherung der Montanmitbestimmung wird von großen Teilen des Parlamentes als notwendig erachtet. Die Zustimmung der FDP als wesentlichen Teil dieser Regierungskoalition konnte die Union jedoch nur erreichen, weil sie bereit war, die eine oder andere Kröte zu schlucken.
Die Veränderung des Betriebsverfassungsgesetzes mit der völlig unangemessenen Überbetonung von Splittergruppeninteressen, die bei bisherigen Wahlen durch die Entscheidungen vieler Tausender von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine entsprechende Quittung erhielten, ist eine wohl wegen dessen Bedeutungslosigkeit gewollte Stützungsmaßnahme für den Christlichen Gewerkschaftsbund.
Die vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu diesem Gesetzentwurf durchgeführte Anhörung am 28. September 1988 ergab eine seltene Einmütigkeit von Arbeitgebern, Gewerkschaftlern und Wissenschaftlern, die zwar jeweils punktuell Teile dieses Entwurfs für richtig hielten, aber deutlich machten, daß der Gesamtentwurf überflüssig und mißlungen sei.
Dennoch werden Vertreter der Koalition nicht müde — wir haben das durch Herrn Scharrenbroich hier wieder erlebt —, fast schon beschwörend zu schildern, daß gerade dieser Gesetzentwurf ein Beweis für die Zuverlässigkeit und Handlungsfähigkeit der Koalition bzw. der Regierung sei. Das klingt doch verdächtig nach dem Pfeifen im dunklen Wald.
Hier muß festgehalten werden: Dieser Gesetzentwurf ist kein Beweis für Zuverlässigkeit und Handlungsfähigkeit. Mit ihm wird keines der wirklichen Probleme, die besonders in der Betriebsverfassung angepackt werden müßten, gelöst.
Ganz im Gegenteil: Dieses Gesetz wird dazu führen,
daß gut funktionierende und bewährte Regelungen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8161
Andres
der Betriebsverfassung zerschlagen werden, bewährte Vertretungsstrukturen im Betrieb demontiert werden, Minigruppierungen und Richtungsgewerkschaften bevorteilt und damit zu bedeutsamen Größen im Betrieb werden können, die wirkungsvolle Interessenvertretung der Arbeitnehmer beeinträchtigt und damit der soziale Konsens gefährdet wird.
Der von Ihnen formulierte Anspruch, mit diesem Gesetz mehr Demokratie im Betrieb zu realisieren, stimmt nicht. Nicht mehr Demokratie wird das Ergebnis dieses Gesetzes sein, sondern Streit, Auseinandersetzung und Chaos und damit eine weitere Schwächung der Position der Arbeitnehmer. Und genau dieses wollen Sie.
Herr Scharrenbroich und Herr Blüm, nach der Verabschiedung dieser Gesetzesvorlage hier heute abend können Sie bei Herrn Stoiber Vollzugsmeldung machen. Ein Teil der Gewerkschaftsfrage ist gelöst, und ich gratuliere ganz besonders Ihnen beiden dazu, daß Sie ihm das melden können.
Wir unterstützen in dem Artikelgesetz die dringend notwendige Sicherung der Montan-Mitbestimmung. Um diesen Tatbestand zu regeln, wäre unserer Auffassung nach der Rest dieses famosen Gesetzes allerdings nicht notwendig gewesen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit der Drucksache 11/14 sehr früh in dieser Legislaturperiode einen eigenen Gesetzentwurf zur Sicherung der MontanMitbestimmung eingebracht. In den Ausschußberatungen wurde durch uns der Antrag formuliert, das Artikelgesetz aufzulösen und sich vordringlich der Sicherung der Montan-Mitbestimmung zu widmen. Sie haben dies abgelehnt; Sie wissen wahrscheinlich auch warum, nämlich weil das mit diesem Koalitionspartner nicht zu machen gewesen wäre.
Wir werden der Sicherung der Montan-Mitbestimmung zustimmen. Aber wir haben an den vorgesehenen Regelungen des hier vorliegenden Gesetzentwurfs in wichtigen Punkten deutliche Kritik anzumelden: Mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes wollen Sie die Rechte von Minderheiten bei der Betriebsratswahl und in der Betriebsratsarbeit ausweiten. Gestützt auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes senken Sie das notwendige Unterschriftenquorum zur Einreichung von Wahlvorschlägen von bisher einem Zehntel der wahlberechtigten Arbeitnehmer auf ein Zwanzigstel und von bisher mindestens 100 Unterschriften auf 50. Gleichzeitig legen Sie fest, daß Gewerkschaften künftig ohne die notwendigen Stützunterschriften, lediglich durch Unterzeichnung von zwei Beauftragten Wahlvorschläge zur Betriebsratswahl einreichen können.
Ich will in diesem Zusammenhang folgendes festhalten: Eine solche Regelung ist unnötig, schafft ungleiche Rechte und ist aus unserer Sicht verfassungsrechtlich bedenklich.
Weder in der Ausschußberatung, meine Damen und
Herren, noch in der Anhörung konnte die in Ihrer
Koalition immer wieder vorgetragene Begründung,
Minderheiten würden an der Wahrnehmung demokratischer Rechte im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl und der Betriebsratsarbeit behindert, belegt werden.
Im Gegenteil: Belegt wurde, daß häufig Wahlvorschläge deshalb nicht zustande kommen, weil sie nicht die notwendige Zahl der Stützunterschriften bei wahlberechtigten Belegschaftsangehörigen erhielten. Dazu gilt für uns folgendes: Wer noch nicht einmal erreichen kann, daß er durch Belegschaftsangehörige bei seinem Begehren, an Wahlen teilzunehmen, gestützt wird, der sollte an solchen Wahlen auch nicht teilnehmen können.