Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der gemeinsamen Erklärung begrüßen wir ja die Zielsetzung für den gemeinsamen deutschfranzösischen Wirtschafts- und Finanzrat. Ich halte es für wichtig, daß der klare Hinweis, daß es sich um ein Konsultativorgan handelt, die anfänglichen Bedenken der Bundesbank, aber auch der Öffentlichkeit über die Stellung der Bundesbank zerstreut. Dabei erscheint mir die Aufregung ein bißchen künstlich; allerdings ist sie durch die — ich möchte es höflich ausdrücken — etwas ungewöhnliche Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber der Bundesbank wohl mit verursacht worden.
Die Frage der Autonomie ist sicher eine sehr wichtige. Aus der deutschen Geschichte mit ihren beiden Superinflationen in diesem Jahrhundert ist die Empfindsamkeit verständlich, die darauf zielt, die Zentralbank nicht zu einer abhängigen Institution werden zu lassen, die für die inflationäre Finanzierung von Defiziten mißbraucht werden kann. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß es diese besondere Art von geschichtlicher Erfahrung nicht in allen europäischen Ländern gibt und daß eine andere Rechtsverfassung der Notenbanken nicht per se bedeutet, daß diese Notenbanken Erfüllungsgehilfen ihrer jeweiligen Finanzministerien sind. Das wäre nicht nur eine grobe Verkennung der Tatsachen, sondern wird — im priva-
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Dr. Wieczorek
ten Gespräch gelegentlich auch so geäußert — fast schon als beleidigend empfunden. Notenbankpolitik und Notenbankautonomie sind nämlich nicht nur eine rechts-, sondern vor allen Dingen eine politische und wirtschaftspolitische Aufgabe und Zielsetzung. Die reale Einbettung einer Notenbank in das gesamtpolitische Gefüge ist dabei auf Dauer entscheidend für die Wirksamkeit und Gestaltungsfähigkeit der Notenbankpolitik.
Da wir im Lauf der Geschichte der Bundesrepublik seit wir die Bundesbank haben, in der öffentlichen Diskussion eine gewisse Verengung der Aufgabensetzung der Bundesbank erlebt haben, bis hin zu der Meinung, im Bundesbankgesetz stünde, die Bundesbank sei für die Geldwertstabilität verantwortlich, während in Wirklichkeit darin steht, daß sie für die Währungsstabilität verantwortlich ist, möchte ich mir erlauben, ein etwas umfangreicheres Zitat unserer Vorgänger, nämlich aus der zweiten Legislaturperiode zu § 3 des Bundesbankgesetzes vorzutragen. Ich zitiere ausführlich aus der Begründung; das ist die Bundestags-Drucksache 2/2781. Dort heißt es:
Ich möchte ausdrücklich in Erinnerung rufen, was dort gesagt wurde.
Die Stabilität der Inlandskaufkraft ist — wie hier hervorgehoben werden soll — von überragender Bedeutung, aber trotzdem darf die Stabilität der Auslandskaufkraft angesichts der Abhängigkeit unseres Verarbeitungs- und Ausfuhrlandes von der Weltwirtschaft nicht vernachlässigt,
— wir erinnern uns an die Wechselkurspolitik der Notenbank in den späten 70er und frühen 80er Jahren; da wäre es nützlich gewesen, in diese Drucksache hineinzuschauen —
die Vollbeschäftigung angesichts der politischen
Verhältnisse Deutschlands nicht für unwichtig
angesehen und das stetige Wachstum unserer
Volkswirtschaft angesichts des steigenden Lebensstandards anderer Völker nicht außer Betracht gelassen werden.
Ich finde es spannend, daß hier ausdrücklich das Thema Vollbeschäftigung genannt wird. Es wird immer so getan, als sei das gar nicht Aufgabe der Bundesbank. Das hat der Gesetzgeber, unser Vorgänger, anders gesehen.
Ist also jedes dieser verschiedenen Ziele wichtig, so wird es manchmal nötig sein, unter Würdigung aller Umstände den für das „Gesamtinteresse" oder das „Wohl des Landes" optimalen Kompromiß zu finden. Kann aber die Notenbank unter gegebenen Umständen nur den optimalen Kompromiß zwischen verschiedenen Zielen anstreben und erreichen, so erscheint es bedenklich, ihr durch die Formulierung zwar idealer, aber nicht immer erreichbarer konkreter Einzelziele eine Verantwortung vor der öffentlichen Meinung aufzuerlegen, die sie gar nicht tragen kann.
Es kommt hinzu, daß nicht allein die Notenbank für die Sicherung der Währung verantwortlich ist. Ihre Währungspolitik ist zwar von wesentlicher Bedeutung, aber ihr Erfolg ist letztlich nur garantiert bei einer gleichgerichteten, also die Sicherung der Währung fördernden oder doch jedenfalls nicht gefährdenden Politik der Regierung und aller sonst verantwortlichen Instanzen, insbesondere auf dem Gebiet der Lohn-, Preis-, Handels- und Sozialpolitik, der allgemeinen Wirtschaftspolitik sowie der Finanzpolitik. Deshalb ist eine gute Zusammenarbeit aller verantwortlichen Instanzen unter Einschluß der Notenbank nicht minder wichtig als deren noch besonders zu behandelnde Unabhängigkeit von anderen Instanzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß in dieser inhaltlichen Begründung und Interpretation der Aufgaben einer rechtlich autonomen Zentralbank, wie der Deutsche Bundestag sie 1956 getroffen hat, ein gutes Verständigungspotential für die Weiterentwicklung der europäischen Währungsverhältnisse in Richtung auf eine gemeinsame Währung und eine europäische Zentralbank liegt. Wir sollten das nicht unterschätzen.
Der von uns heute zu beratende Vertrag geht ja auch zu Recht von der Notwendigkeit einer Beratung der gemeinsamen wirtschafts- und finanzpolitischen Zielsetzungen und Maßnahmen aus. Die Auseinandersetzungen Anfang der 80er Jahre haben gerade Frankreich und die Bundesrepublik gelehrt, daß eine gegenläufige Politik für beide wenig Nutzen bringt. Andererseits hat der realwirtschaftliche Integrationsprozeß aber auch die im Europäischen Währungssystem gefundene gemeinsame währungspolitische Basis zu einer durchaus mit Opfern verbundenen gemeinsamen Wirtschaftsentwicklung geführt. Die Volkswirtschaften unserer beiden Länder bewegen sich nicht mehr gegenläufig, sondern streben grundsätzlich gemeinsam ein möglichst inflationsfreies Wachstum an. Dieser Prozeß bedarf mit Sicherheit der intensiven Konsultation, dies um so mehr, wenn die große ungelöste Aufgabe, die Bewältigung der Arbeitslosigkeit, tatsächlich angegangen werden soll.
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Dr. Wieczorek
Zumindest in der Bundesrepublik bleibt noch eine ganze Menge zu tun. Wir sehen wenig Aktion von seiten der Regierung.
Es ist auch die Befürchtung laut geworden — das ist ein weiterer Punkt im Zusammenhang mit den Verträgen —, daß durch die engere deutsch-französische Kooperation innerhalb der EG die Tendenz zu einer EG der verschiedenen Geschwindigkeiten verstärkt werden könnte. Diese Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, aber sie ist als Entwicklung vermutlich unumgänglich. Es ist auffällig, daß die südeuropäischen Länder diese Ansicht zum Teil offen vertreten. Problematisch ist die Situation eher für unsere unmittelbaren Nachbarn, z. B. Holland, die mit uns wirtschaftlich genauso eng verwoben sind wie Frankreich. Hier gilt es aufmerksam zu handeln, damit keine unnötigen Spannungen in den westeuropäischen Einigungsprozeß kommen. Hier haben wir, glaube ich, noch einiges zu tun, auch aus diesem Vertragswerk heraus, das wir heute beraten.
Gerade das Europäische Währungssystem kann hierbei hilfreich sein, denn die gemeinsame Währungspolitik hat sicher ebenso die gemeinsame wirtschaftspolitische Entwicklung mitbedingt, wie diese Entwicklung ihrerseits zur Stabilisierung des Systems beigetragen hat. Gegenüber den europäischen Partnerländern, die noch nicht Mitglied des EWS sind, muß, auch wenn zur Zeit zwei oder mehr Geschwindigkeiten notwendig und deutlich sind — es ist übrigens gerade die Bundesbank, die darauf immer hinweist; sie redet vom harten Kern des Europäischen Währungssystems —, darauf geachtet werden, daß sie ihrem Willen entsprechend vollwertige Teilnehmer werden können. Dies bedeutet aber, will man nicht bei gegebenen Strukturunterschieden über laufende Wechselkursanpassungen diese Unterschiede ausgleichen, daß erhebliche zusätzliche Anstrengungen gemacht werden müssen, die bestehenden Strukturunterschiede zu überwinden. Das heißt, die Verstärkung der europäischen Strukturpolitik muß wesentlicher Teil einer Wirtschafts- und Währungspolitik sein, die einen tatsächlichen gemeinsamen Markt mit einer gemeinsamen Währung zum Inhalt hat.
Kollegé Dregger, Sie haben vorhin gesagt, dieses würde durch die verteidigungspolitische Zusammenarbeit gefördert. Das mag so sein. Ich würde allerdings dafür plädieren, beides nicht zu eng miteinander zu verknüpfen; denn Störungen in dem einen Bereich sollten nicht Fortschritte in dem anderen Bereich behindern. Ich glaube, man muß es auch so sehen; ich könnte in diesem Zusammenhang den alten Ausdruck der Armeslänge verwenden.
Ich habe die Beziehungen zu dritten Ländern innerhalb der EG angesprochen. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eine persönliche Bemerkung anfügen. Die verschiedenen Geschwindigkeiten, auf die ich eben eingegangen bin, sind nicht in allen Fällen strukturell bedingt und damit grundsätzlich bei gleicher Zielsetzung überwindbar. Mir scheint, daß Frau Thatcher zunehmend den Eindruck erweckt, den gemeinsamen Zug in das 21. Jahrhundert mit lenken und mit fahren zu wollen, aber inhaltlich eine Richtung zurück in die nationalstaatlichen und sozialen
Vorstellungen des 19. Jahrhunderts einschlagen will.
Ich glaube — und auch deshalb ist aus meiner persönlichen Sicht dieser Vertrag zu begrüßen — , daß eine mit den anderen Partnern abgestimmte engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Großbritannien dazu anregen kann, seine Haltung zum westeuropäischen Einigungsprozeß zu überdenken.
Zum Abschluß noch eine allgemeine kritische Anmerkung: Der Vertrag zur wirtschafts- und finanzpolitischen Zusammenarbeit hat eine wichtige Fehlstelle. Es fehlt eine Vereinbarung zu Konsultationen zur Entwicklung der Sozialstrukturen.
Diese sind nicht nur mitentscheidend, für die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Verhältnisse, sondern auch für die weitere Akzeptanz in unseren Bevölkerungen für den Einigungsprozeß. Es nutzt nichts, vom Sozialraum zu reden, in konkreten Vereinbarungen diesen Bereich aber außen vor zu lassen. Hier sind in Zukunft Ergänzung und Besserung notwendig.
Ich danke Ihnen.