Rede von
Hans-Günter
Hoppe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu meinem Vorredner kann ich nur folgendes sagen: Wenn uns die GRÜNEN die Teilung Deutschlands als Beitrag für den Frieden in Europa anpreisen, dann ist das für mich eine Perversion des Denkens.
Meine Damen und Herren, zu Beginn der Debatte hörte es sich hoffnungsvoll an, als uns der Kollege Vogel die Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik wieder in Aussicht stellte, weil, wie er sagte, die Regierungserklärung eine Kontinuität dieser Politik erkennen ließ. Aber wenn die Opposition der Regierungserklärung dann doch nicht zustimmen kann, wird es Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sicher nicht wundern, wenn die Freien Demokraten Ihrem mit der SED produzierten Arbeitspapier auch keinen Beifall zollen können.
Meine Damen und Herren, die Debatte über den Bericht zur Lage der Nation wird diesmal zu einem Jahresrückblick. Damit wir die Ergebnisse des Kanzlerbesuchs in die Bilanz und die Aussprache einbeziehen konnten, war die durch diese Warteschleife eingetretene Verzögerung für die heutige Aussprache in Kauf zu nehmen.
Die insgesamt zu registrierende Aufhellung des politischen Koordinatensystems gilt es für die Deutschlandpolitik zu nutzen, aber wir dürfen uns auch nicht blenden lassen. In der vergangenen Haushaltswoche wurden die finanziellen Voraussetzungen für die deutsch-deutschen Vereinbarungen, insbesondere für die Transitpauschale, beschlossen. Die Kollegen aller Fraktionen aus dem Haushaltsausschuß haben allerdings ihr starkes Mißfallen darüber bekundet, daß die Beteiligung des Parlaments und die Abstimmung mit den zuständigen Berichterstattern wahrlich nur unzulänglich waren. Das sollte sich nicht wiederholen!
Vor einem Jahr hatten wir den Honecker-Besuch als Thema. Jubel, kritische Aufschreie und Fehldeutungen waren aufzuarbeiten. Der signalisierte Aufbruch in die zweite Phase der Deutschlandpolitik zum Wohle der Menschen steckt immer noch in den Anfängen. Die bei dem Besuch nicht beseitigten Schatten der Vergangenheit wirken immer noch fort. Die Erhöhung des Zwangsumtausches im Jahre 1980 war ein „Anschlag auf den Kernbereich der deutsch-deutschen Beziehungen". Die damalige Opposition hat den Vorgang — wie auch die Regierung — hart kritisiert. Bei der Beseitigung dieser „Erblast", die besonders die bis 1980 vom Umtausch befreiten Rentner bitter schmerzt, würde man sich bei den heute Handelnden etwas mehr Sensibilität für diese unverzichtbare „Vergangenheitsbewältigung " wünschen.
Dagegen konnte eine Fehlinterpretation korrigiert werden, die damals wahrscheinlich die protokollarische Üppigkeit erzeugt hatte. In der „New York Times" war zu lesen, daß Honeckers Reise die deutsche Teilung befestige, und diese sei ebenso wie die NATO Teil der etablierten, akzeptierten Wirklichkeit geworden. Nun, wie ungerechtfertigt diese Feststellung war, haben die Ereignisse dieses Jahres gezeigt. In beiden Staaten in Deutschland und in ganz Europa ist eine Aufbruchstimmung deutlich zu spüren. Der nationale Stromkreislauf war keineswegs unterbrochen.
Das jetzt zu Ende gehende Jahr hat durchaus Verbesserungen in den Ost-West-Beziehungen gebracht. Der Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau hat uns in der Überzeugung bestärkt, daß Generalsekretär Gorbatschow eine grundlegende Veränderung der sowjetischen Politik nach außen und innen anstrebt.
Unser nationales Schicksal ist in das Schicksal Europas eingebettet. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß der Auftrag des Grundgesetzes praktische Wirklichkeit wird, nämlich auf einen Zustand in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Die FDP hat deshalb seit Jahrzehnten eine Politik der Vertrauensbildung zur Sowjetunion und den Staaten des RGW gefordert und zwar nicht zuletzt in der Erwartung, daß sich die deutsche Frage in einer Atmosphäre der Entspannung und Kooperation lösen läßt.
Die jüngsten Äußerungen von Generalsekretär Gorbatschow werden in dieser Frage deshalb nicht das letzte Wort sein können. Die Teilung Europas und damit Deutschlands ist ein potentieller Konfliktherd und somit letztlich ein Sicherheitsproblem für alle. Die Sowjetunion, die im Zusammenhang mit Deutschland so oft über Realitäten spricht, sollte hierüber und über den unveränderten Willen aller Deutschen zur Einheit nachdenken.
Vielleicht hat dieser Prozeß bereits begonnen. Der Beitrag von Leonid Potschiwalow in der „Litaraturnaja Gaseta" vom 20. Juli 1988 sieht die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR als Angehörige der gleichen Nation mit einer gemeinsamen Geschichte und mit den „gleichen Mustern des nationalen Denkens". Die ablehnende Haltung des stellvertretenden DDR-Kultusministers zeigt, wie unbequem es der DDR ist, daß in der Sowjetunion über die Deutschen neu nachgedacht wird.
Meine Damen und Herren, in den praktischen Fragen der deutsch-deutschen Politik sind im ablaufenden Jahr Fortschritte gemacht worden, die uns aber vor dem Hintergrund der fortbestehenden Belastungen nicht zufriedenstellen können. Theo Sommer beschreibt die Haltung des Staatsratsvorsitzenden Honecker in der „Zeit" am 25. November wohl richtig: Er mauert wieder und will nichts von Perestroika wissen. Die Zensur von Veröffentlichungen des „Gro-
8110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Hoppe
ßen Bruders", von dem es in der Vergangenheit zu lernen galt, zeigt eine starre, weil unsichere DDR-Führung. Hinter einem Vorhang von Friedens- und Abrüstungsbekenntnissen verletzt die DDR in jüngster Zeit zunehmend Menschen- und Bürgerrechte. Die derzeitige DDR-Führung ist offensichtlich unfähig, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Sie glaubt, mit Repressionen auf die politischen Veränderungen und Herausforderungen in Ost und West antworten zu können. Wenn die DDR aber meint, Perestroika und Glasnost schon hinter sich zu haben, so verirrt sie sich nicht nur, nein, sie isoliert sich auch. Seinerzeit hat Gorbatschow Rumänien ermahnt, nicht zu einem Schadensfall für den Sozialismus zu werden. Heute müßte er die DDR davor warnen, zu einem Schadensfall für die Entspannung zu werden.
Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr wird Deutschland 40 Jahre geteilt sein. Das ist kein Grund zur Resignation, sondern eine Herausforderung.
Die Einheit der Nation werden wir nur mit einer Kombination von Idealismus, Kreativität und Beharrlichkeit wahren. Wenn nach Max Weber die Politik des Bohren von dicken Brettern ist, dann ist Deutschlandpolitik das Bohren von Stahlbeton.
In einer Phase von Strukturveränderungen und Reformen müssen wir Deutsche Anwalt eines friedlichen Wandels und Verteidiger der Sache der Freiheit sein. Hier ist gesamteuropäisches, zukunftorientiertes Denken gefordert. Was die beiden Teile Europas näher-bringt, führt auch uns Deutsche zusammen. Die Teilung zu überwinden, ist nicht nur verfassungsrechtliche Pflicht; es ist mehr noch ein Gebot der politischen Moral. Trotz jahrzehntelanger Trennung lebt die Nation im Bewußtsein der Menschen weiter, in der Einheit ihrer Geschichte, ihrer Kultur und in dem Gefühl, trotz Mauer und Stacheldraht zusammenzugehören.
Meine Damen und Herren, für Berlin bleibt wichtig, was die Parteivorsitzenden am 19. Juni 1978 gemeinsam erklärt haben:
Die Berlin-Frage ist untrennbar mit der deutschen Frage verknüpft. Bis zu deren Lösung bleibt Berlin Ausdruck und Sinnbild der als Folge des 2. Weltkrieges entstandenen Trennung der Deutschen und eine Aufforderung an alle politischen Kräfte, die Teilung auf friedlichem Wege zu überwinden.
In Berlin muß daher endlich eine neue Seite im Buch der Ost-West-Beziehungen aufgeschlagen werden. Dazu gehören die Entwicklung Berlins zu einem internationalen Konferenzzentrum und die Einbindung Berlins in den KSZE-Prozeß. Die Verbesserung des Verkehrs zu Wasser, zu Lande und in der Luft ist überfällig. Berlin ist prädestiniert als Mittler von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur. Nirgendwo anders kann das politische Nebeneinander in Frieden besser praktiziert werden.
Meine Damen und Herren, die weltpolitische Lage ist seit Reykjavik in Bewegung geraten. Ost und West haben Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander entstehen lassen. Die deutsche Frage braucht nicht an die Geschichte abgegeben zu werden. In einer veränderten Welt können wir Geschichte mitschreiben. Handeln wir alle auch danach!