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    Plenarprotokoll 11/113 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 113. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg Frau Hoffmann (Soltau) 8093 A Erweiterung der Tagesordnung 8093 A Begrüßung des Botschafters der Französischen Republik, Boidevaix sowie des Koordinators für die deutsch-französische Zusammenarbeit, Dr. Barzel 8140 D Tagesordnungspunkt 3: Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland Dr. Kohl, Bundeskanzler 8094 A Dr. Vogel SPD 8100 A Lintner CDU/CSU 8103 D Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 8106D Hoppe FDP 8109 A Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 8110 C Büchler (Hof) SPD 8112 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 8116 C Heimann SPD 8118 D Werner (Ulm) CDU/CSU 8121 C Frau Hensel GRÜNE 8124 A Ronneburger FDP 8126 C Hiller (Lübeck) SPD 8128 C Dr. Czaja CDU/CSU 8130 D Frau Terborg SPD 8133 A Tagesordnungspunkt 4: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (Drucksache 11/3253) b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 40 Titel 681 05 — Haushaltsjahr 1988 (Drucksache 11/3173) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 14 05 Titel 525 21 — Aus- und Fortbildung, Umschulung (Drucksache 11/3193) d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 646 02 — Erstattung der Aufwendungen für die Krankenhilfe an Heimkehrer und durch Gesetz gleichgestellte Personengruppen (Drucksache 11/3268) 8135 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Abgeordneten Carstensen (Nordstrand), Eigen und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Bredehorn, Richter, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes (Drucksache 11/3596) 8135 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen: Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in München, Dachauer Straße, gemäß § 64 Abs. 2 BHO (Drucksache 11/3567) 8135 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Conradi, Müntefering, Erler, Großmann, Menzel, Dr. Niese, Oesinghaus, Reschke, Scherrer, Tietjen, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Weiterentwicklung und Verbesserung der nach 1950 erbauten Großsiedlungen (Drucksache 11/2241) 8135 C Tagesordnungspunkt 5: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen (Drucksachen 11/2553, 11/3559) 8135D Tagesordnungspunkt 6: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. November 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Venezuela zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Unternehmen der Luftfahrt und der Seeschiffahrt (Drucksachen 11/3091, 11/ 3600) 8136A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung eines Vorrechts für Umlagen auf die Erzeugung von Kohle und Stahl (EGKS- UmVG) (Drucksachen 11/353, 11/3197) 8136 A Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fischwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 11/2852, 11/3252) . . . 8136B Zusatztagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/2688, 11/3566) 8136B Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Wahlkreiskommission für die 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz (Drucksachen 11/2870, 11/3170) . 8136B Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 14 02 Titel 698 01 — Abgeltung von Schadensersatzansprüchen Dritter (Drucksachen 11/3051, 11/3296) 8136 C Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 89 zu Petitionen (Drucksache 11/3467) 8136 C Tagesordnungspunkt 11: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 22. Januar 1988 zum Vertrag vom 22. Januar 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit (Drucksachen 11/3258, 11/3265, 11/3410, 11/3610, 11/3611) Dr. Dregger CDU/CSU 8137 D Voigt (Frankfurt) SPD 8140 D Dr. Feldmann FDP 8143 D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 8145 B Genscher, Bundesminister AA 8147 A Dr. Wieczorek SPD 8148 D Lamers CDU/CSU 8150 C Ebermann GRÜNE 8152 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 8152D Dr. Stercken CDU/CSU 8154 A Namentliche Abstimmung 8154 C Ergebnis 8158 D Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung (Drucksachen 11/14, 11/3608) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung (Drucksachen 11/2503, 11/3604, 11/3618, 11/3624) Scharrenbroich CDU/CSU 8155 B Andres SPD 8160 B Heinrich FDP 8164 A Hoss GRÜNE 8166 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 III Dr. Blüm, Bundesminister BMA 8168 C Urbaniak SPD 8172B Dr. Warrikoff CDU/CSU 8173 D Stratmann GRÜNE 8176D Peter (Kassel) SPD 8178A Frau Unruh GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 8179C Dr. Warrikoff CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 8179D Dreßler SPD (Erklärung nach § 31 GO) . 8180A Namentliche Abstimmung 8180 D Ergebnis 8181 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags der Abgeordneten Fuchs (Verl), Dr. Böhme (Unna), Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rücktritt der Bundesrepublik Deutschland von dem Entwicklungsvorhaben „Europäisches Jagdflugzeug/ Jagdflugzeug 90" (Drucksache 11/3018) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus dem Entwicklungsvorhaben Jagdflugzeug 90 (Drucksache 11/3592) Frau Fuchs (Verl) SPD 8183B Francke (Hamburg) CDU/CSU 8186B Frau Schilling GRÜNE 8187D Ronneburger FDP 8189 B Würzbach, Parl. Staatssekretär BMVg . . 8191A Ronneburger FDP (Erklärung nach § 30 GO) 8192 C Horn SPD (Erklärung nach § 30 GO) . . . 8193 A Vizepräsident Westphal 8187D, 8189B Tagesordnungspunkt 13: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 88 zu Petitionen (Drucksache 11/3291) Dr. Emmerlich SPD 8193 C Jung (Limburg) CDU/CSU 8194 A Häfner GRÜNE 8195 A Frau Dr. Segall FDP 8195 D Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wiederkehrerlaubnis für in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsene Ausländer (Drucksache 11/ 1931) b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Bundesausländergesetz (Drucksache 11/2598) Schröer (Mülheim) SPD 8197 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 8198D Frau Olms GRÜNE 8200 A Dr. Hirsch FDP 8201 A Wartenberg (Berlin) SPD 8202 B Dr. Kappes CDU/CSU 8204 A Tagesordnungspunkt 15: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ursachen, Prävention und Behandlung der Unfruchtbarkeit, Entwicklung und Auswirkungen von Fortpflanzungstechniken und Embryonenforschung (Drucksachen 11/747, 11/2238) Frau Schmidt-Bott GRÜNE 8206 A Dr. Voigt (Northeim) CDU/CSU 8207 C Frau Becker-Inglau SPD 8208 C Frau Würfel FDP 8209 D Pfeifer, Parl. Staatssekretär BMA . . . 8211B Tagesordnungspunkt 16: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Weiss (München), Dr. Daniels (Regensburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verhalten der Bundesregierung gegenüber dem österreichischen Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie in bezug auf die geplante atomare Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (Drucksache 11/2873) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Weiss (München), Dr. Daniels (Regensburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Erörterungstermin in Wackersdorf (Drucksache 11/2894) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (Drucksache 11/3597) Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . . 8213 A Dr. Friedrich CDU/CSU 8214 D Schütz SPD 8217 A Frau Dr. Segall FDP 8218 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . . 8220B Tagesordnungspunkt 17: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kuhlwein, Dr. Penner, Odendahl, weiterer Abgeordneter und der IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 Fraktion der SPD: Entwicklungsstand und Perspektiven der Fachhochschulen in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 11/2211, 11/2603) Kuhlwein SPD 8222 B Daweke CDU/CSU 8226 A Wetzel GRÜNE 8228 B Neuhausen FDP 8230 A Möllemann, Bundesminister BMBW . . 8231 A Tagesordnungspunkt 18: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Volkszählung 1987 (Drucksache 11/1762) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Übernahme der Kosten der Volkszählung am 25. Mai 1987 durch den Bund (Drucksache 11/3584) Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . . 8234 B Bohl CDU/CSU (zur GO) 8235 C Gerster (Mainz) CDU/CSU 8236 C Wartenberg (Berlin) SPD 8237 C Lüder FDP 8238 B Frau Schmidt-Bott GRÜNE 8239 A Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 8240 D Nächste Sitzung 8241 D Berichtigungen 8242 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8243* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8093 113. Sitzung Bonn, den 1. Dezember 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    8242 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 Berichtigungen Nachtrag zum Plenarprotokoll 11/111, Seite 8034 D, Nr. 53: Im ersten Absatz der Erklärung der Abg. Frau Folz-Steinacker ist statt „109. Sitzung am 23. November 1988" zu lesen: „110. Sitzung am 24. November 1988". Auf Seite 7938 ist bei Nr. 42, Drucks. 11/3441, einzufügen: „Zweiter Spiegelstrich". Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* * 2. 12. Antretter 1. 12. Bindig * 2. 12. Frau Brahmst-Rock 2. 12. Büchner (Speyer)* * 2. 12. Buschbom 2. 12. Catenhusen 1. 12. Cronenberg (Arnsberg) 2. 12. Dr. Francke 2. 12. Dr. Geißler 1. 12. Dr. Glotz 1. 12. Dr. Hauff 2. 12. Irmer * 1. 12. Dr. Jenninger 2. 12. Frau Krieger 2. 12. Kühbacher 1. 12. Maaß 1. 12. Dr. Mahlo 2. 12. Mitzscherling 1. 12. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Müller 1. 12. Dr. Müller * * 1. 12. Niegel * 2. 12. Frau Pack 1. 12. Dr. Pick 2. 12. Paintner 2. 12. Rappe (Hildesheim) 2. 12. Roth 1. 12. Dr. Scheer 2. 12. Scherrer 1. 12. von Schmude 1. 12. Schulhoff 1. 12. Frau Trenz 2. 12. Tietjen 2. 12. Toetemeyer 2. 12. Vosen 1. 12. Weisskirchen (Wiesloch) 2. 12. Wieczorek 1. 12. Zeitler 2. 12. Zierer* 1. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Lippelt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im nächsten Jahr sollen nach dem Willen der Bundesregierung landauf,
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8107
    Dr. Lippelt (Hannover)

    landab 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland gefeiert werden. Die DDR wird Ähnliches tun. Heute aber debattieren wir über die Lage der Nation. Welcher Nation eigentlich?

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der deutschen!)

    Staatsnation BRD, Staatsnation DDR, Kulturnation Deutschland — man unterscheidet gelegentlich zwischen Staatsnation und Kulturnation — oder jene historische Nation, die 1945 endete?
    Nationen sind keine Naturtatsachen. Sie definieren sich nicht über gemeinsame Sprache, wie Völker es tun. Sie definieren sich über gemeinsame Geschichte. Sie sind auf komplizierte Art und Weise historisch entstanden, und sie können historisch auch wieder verwirkt werden. Was zählt also?
    Die gemeinsame Geschichte endet in zwölf Jahren Faschismus, in der Zerstörung Europas, insbesondere in der Zerstörung jenes gemischt-völkischen Zusammenlebens, das einstmals Osteuropa war. Oder zählen die 40 Jahre paralleler Geschichte, hier als Bundesrepublik, dort als DDR? Über die Lage der Nation zu sprechen heißt deshalb auch, über eine historische Fiktion zu sprechen.
    Und doch sind natürlich die beiden Staaten, die sich jetzt anschicken, je den 40. Geburtstag zu feiern, auf vielfältige Art aufeinander bezogen. Nur, sie haben ihren eigenen Weg gemacht, sie haben ihre eigenen Gesellschaften ausgeformt. Zu debattieren ist deshalb erstens über die Lage der Bundesrepublik, zweitens über die der DDR und drittens über die Beziehungen dieser beiden Staaten zueinander.
    Erstens. Die Lage der Bundesrepublik definiert sich heute weit mehr aus ihren Beziehungen zu den Staaten Westeuropas, insbesondere zu Frankreich, als eben aus den Beziehungen zur DDR. Wir werden in einigen Stunden über den Versuch debattieren, den deutsch-französischen Beziehungen eine neue Qualität zu geben. Bemerkenswert ist es schon, daß gerade diejenigen, die immer so schnell das Wort von der Wiedervereinigung im Munde führen, so gedankenlos die Westintegration betreiben. Wie erklären Sie diesen Widerspruch eigentlich? Stehen Sie damit nicht in derselben Kontinuität des Irrtums, die auf Adenauer zurückgeht, der meinte, über die Westintegration die Frage der Wiedervereinigung lösen zu können?
    Oder ist es nicht vielleicht auch eine Kontinuität der Augenwischerei, weil Sie es im Grunde genauso wissen, wie es damals Adenauer wußte, daß sich beides ausschließt? Es sei denn, Sie setzen auf eine Abenteuerpolitik, auf die Politik, über die Stärke im Westen die Wiedervereinigung erzwingen zu können oder sie jetzt über ökonomische Stärke aus einer eventuellen Konkursmasse herausholen zu können.
    Zweitens. Über die Lage der DDR ist in der Tat im Kontext der Lage in den sogenannten realsozialistischen Staaten zu sprechen. Da erleben wir doch gegenwärtig eine Phase des Aufbruchs in der Sowjetunion. Gorbatschows Politik hat Kräfte freigesetzt, die auf eine ehrliche Bilanz und einen fundamentalen Neubeginn setzen. Trotz aller Skepsis wegen der autoritären Züge von Gorbatschows Reform von oben wünschen wir alle, daß dieses Reformwerk gelingen möge.
    Angesichts der Auseinandersetzungen in der Sowjetunion sind auch die Widersprüche zwischen den Staaten des RGW in Osteuropa und innerhalb dieser Länder schroffer zutage getreten. Während Ungarn sich um tiefgehende Reformpolitik bemüht, die CSSR und Bulgarien sich auf wirtschaftliche Reformen beschränken wollen und alles tun, um Kräfte, die auch auf politische Reformen drängen, zu isolieren, während in Polen Rakowski die anstehende Legalisierung der „Solidarnosc" immer wieder neu zu umgehen versucht, hat sich die DDR mehr und mehr zu einem Kurs der Abschottung von den aus der Sowjetunion kommenden Reformen entschlossen. Da wird die Zeitschrift „Sputnik" genauso verboten wie die Aufführung sowjetischer Filme und die „Budapester Rundschau".
    Die Abschottung von Reformeinflüssen aus dem eigenen Lager geht notwendigerweise mit einer Verschärfung der Kontrolle der Gesellschaft einher: Kirchliche Zeitschriften werden zensiert, da werden — ähnlich wie schon einmal im Februar — Leute, die sich für die Zustände im Lande, das sie als ihre Heimat begreifen, engagieren, gegen ihren Willen in die Bundesrepublik abgeschoben. Da werden Schüler, die sich gegen Militarismus aussprechen, wegen pazifistischer Grundhaltung relegiert.
    Die Politik der Perestroika in der Sowjetunion, in Polen, in Ungarn geht nicht nur um die Fragen der Reorganisation der Wirtschaft, sie geht im Kern um das Rearrangement der gesellschaftlichen Kräfte, sie geht um Verfassungsreformen. Wir haben es längst aufgegeben, unsere Gesellschaft kontrollieren zu wollen, sagte ein polnischer Parteifunktionär. Genau auf diese gesellschaftliche Kontrolle aber meint die Regierung der DDR nicht verzichten zu können. Kräfte politischer Reformen werden innerhalb von Regierung und Partei auch nicht erkennbar. Das ist ähnlich wie in der CSSR.
    In beiden Fällen hat das seine Gründe nicht nur in der Altersstruktur der Führung. Die Tschechoslowakei hat das Trauma des Prager Frühlings aufzuarbeiten, die DDR aber lebt aus der antifaschistischen Gründung. Sie hat — anders als die Bundesrepublik — gemeint, in bewußter und konsequenter Abkehr von einer faschistischen nationalen Vergangenheit neu anzufangen. Deshalb geht die Stalinismus-Diskussion, so wie „Sputnik" sie jetzt zugänglich macht, so sehr an die Wurzeln ihrer staatlichen Legitimation.
    Das ist nichts, worüber wir Schadenfreude empfinden könnten; denn in der Tat: Die Bundesrepublik hat sich nie einer so radikalen Aufarbeitung der Vergangenheit gestellt, wie die sowjetische Gesellschaft es tut.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Aber natürlich muß gesehen werden, daß die DDR und beispielsweise Polen sich genau an dem Punkte unterscheiden, daß in der DDR das Tiefenbewußtsein einer nationalen Geschichte, auf das sich Polen auch in der schwersten wirtschaftlichen Krise immer noch
    8108 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
    Dr. Lippelt (Hannover)

    stützen kann, fehlt. Die Freigabe der Gesellschaft vom Staat, von der Partei, nötig für eine wirksam durchgreifende Perestroika, ist ein Problem, mit dem die Herrschenden nicht fertig werden. Die Tragik ist, daß sie sich gerade gegen jene Kräfte wenden, die sich für eine lebenswertere Perspektive in dieser DDR einsetzen.
    Drittens. Erst hiernach, erst nach einer solchen Analyse, können wir nun über die deutsch-deutschen Beziehungen sprechen. Vordergründig betrachtet kann die Bundesregierung zu Recht auf mehr Besuchsreisen — der Herr Bundeskanzler hat es getan — und auf einen Ausbau der kulturellen Beziehungen hinweisen. Aber die Kernfrage lautet doch: Wie verhält sie sich eigentlich zu der sich zuspitzenden Situation in der DDR und zu den Differenzierungsprozessen in Osteuropa unter dem Reformdruck der Sowjetunion?
    Es war ja richtig, daß sie mit dem Honecker-Besuch die Politik der sozialliberalen Koalition aufgenommen und fortgeführt hat; darauf hat Herr Vogel richtig hingewiesen, und daran gibt es auch nichts zu deuteln. Nur stellt sich natürlich angesichts der dramatischen Vorgänge in Osteuropa die Frage — sie stellt sich dann an beide Seiten — , ob die programmatischen Grundlagen dieser Deutschlandpolitik noch ausreichen oder ob sie die bundesdeutschen Handlungsmöglichkeiten nicht immer weiter einschränken.
    Für die Bundesregierung stellt sich faktisch doch nur folgende Alternative: entweder Beziehungen zu Bedingungen, die faktisch auf eine Stabilisierung der reformfeindlichen Kräfte in der DDR hinauslaufen, oder eine Politik, die langfristig auf den Zusammenbruch der DDR spekuliert und darin eine Chance für die Wiedervereinigung sieht. Die Variante Schäuble unterscheidet sich um keinen Deut von früherer SPD-Politik. So, wie Helmut Schmidt in Güstrow bei Honecker saß, als der Kriegszustand gegen die „ Solidarnosc " ausgerufen wurde, gratulieren sich jetzt Herr Schäuble und Herr Honecker zur Verbesserung der Beziehungen, während gleichzeitig die Schüler von den Schulen geworfen werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Vogel [SPD]: Recht hat er!)

    Die andere Alternative — nennen wir sie einmal die Alternative Hennig oder noch besser die Alternative Maetzke von der „FAZ", die die Regierung in diesem Punkte ja sehr kritisiert — setzt auf Konfrontation. Sie ist aber gefährliches Abenteurertum, das nicht nur die Menschen in der DDR auszubaden hätten, sondern das auch den gesamten KSZE-Prozeß und die außenpolitische Öffnung der Sowjetunion faktisch bedroht. — Ich kann diese Alternative natürlich auch „Variante Lintner" nennen.
    Nun schöpfen aber beide Alternativen ihre Legitimation aus dem Offenhalten der Wiedervereinigungsoption. Das Festhalten an der Wiedervereinigung schafft ein Strukturmuster, das jede Bundesregierung entweder zu Passivität und Reaktivität verdammt oder, wenn es operativ verstanden wird, zum Sprengsatz für den europäischen Entspannungsprozeß wird.
    Genau hier verbindet sich die deutschlandpolitische Diskussion mit der allgemeinen außenpolitischen. Wenn der Bundeskanzler, wenn die Kollegen Lamers und Rühe immer wieder den Zusammenhang zwischen der Schaffung einer europäischen Friedensordnung und der Wiedervereinigung betonen, so müssen sie erklären, wie sie dies ohne Hintergedanken und ohne Spekulationen auf einen Zerfallsprozeß in Osteuropa erreichen wollen.

    (Frau Hensel [GRÜNE]: Das ist genau der Punkt!)

    Ist es nicht ehrlicher, zu akzeptieren, daß 40 Jahre Bundesrepublik, 40 Jahre DDR, 50 Jahre seit dem Kriegsausbruch, seit dem Überfall auf Polen, und die Verwirkung nationaler Einheit zusammengehen? Dann und nur dann sind wir frei zu einer entschlossenen Politik der Verwirklichung einer europäischen Friedensordnung.
    Im Rahmen dieser Politik werden und müssen wir von der DDR genauso wie von den anderen Staaten Osteuropas fordern, daß sie ihre Gesellschaften aus dem Griff von Partei und Staat entlassen. Nur dann sind wir frei, von der DDR-Führung die Aufgabe der Repressionen gegenüber ihrer Gesellschaft zu verlangen, wenn keinerlei Spekulation auf eine Destabilisierung der DDR dahintersteht.
    Da die Bundesregierung aber genau diese Konsequenz des Denkens scheut, stabilisiert sie die reformfeindlichen Kräfte der DDR in ihren jetzigen Herrschaftszuständen. Sie stimmt einer Erhöhung der Transitpauschale zu, sie setzt sich weiter für privilegierte Wirtschaftsbeziehungen ein, ein Punkt, an dem sie mit der Verwirklichung des Binnenmarktes früher oder später in Konflikt mit der Westintegration geraten wird. Sie ermöglicht über diese privilegierenden Wirtschaftsbeziehungen zu einem guten Teil auch, daß die DDR-Führung versuchen kann, sich aus der Reformpolitik ihrer Nachbarstaaten herauszuhalten; denn diese Reformpolitik ist natürlich auch von ökonomischen Notwendigkeiten bedingt, die sich in der DDR in diesem Maße noch nicht zur Geltung bringen.
    Wir GRÜNEN fordern die Aufgabe der Wiedervereinigungspolitik, weil dieser Verzicht uns jetzt für eine notwendige Europapolitik handlungsfähig macht, die über die Verkürzung des Begriffs „Europa" auf „Westeuropa" hinausgeht. Herr Bundeskanzler, Sie haben die Differenz heute sehr deutlich gemacht. Sie haben die alte Formel wieder aufgenommen und wiederholt: Einheit nicht auf Kosten der Freiheit. Die Formel ist sehr alt.

    (Dr. -Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber damit noch nicht falsch!)

    Die Frage ist, ob nicht inzwischen umgekehrt ein Schuh daraus wird: Können Freiheit und offene Systeme nicht auch auf Kosten der Einheit herbeigeführt werden? Denn wenn ehrlich über Europa geredet wird, über eine Friedensordnung eines Europa in Freiheit, dann muß das Europa, das Ihnen vorschwebt, doch ein Europa der Regionen, ein Europa offener Grenzen und ein Europa mit offenen Systemen sein.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8109
    Dr. Lippelt (Hannover)

    Wenn Sie dies erreichen wollen und zwar schnell, wenn Sie handlungsfähig werden wollen, wenn Sie den KSZE-Prozeß zu einem Friedensprozeß machen wollen, dann, Herr Bundeskanzler, werden Sie über diesen Punkt noch einmal sehr gründlich nachdenken müssen. Sie werden auch darüber nachdenken müssen, was es eigentlich kostet, wenn diese illusionäre Wiedervereinigungspolitik aufgegeben wird, und was es politisch an Handlungsfähigkeit bringt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu meinem Vorredner kann ich nur folgendes sagen: Wenn uns die GRÜNEN die Teilung Deutschlands als Beitrag für den Frieden in Europa anpreisen, dann ist das für mich eine Perversion des Denkens.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, zu Beginn der Debatte hörte es sich hoffnungsvoll an, als uns der Kollege Vogel die Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik wieder in Aussicht stellte, weil, wie er sagte, die Regierungserklärung eine Kontinuität dieser Politik erkennen ließ. Aber wenn die Opposition der Regierungserklärung dann doch nicht zustimmen kann, wird es Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sicher nicht wundern, wenn die Freien Demokraten Ihrem mit der SED produzierten Arbeitspapier auch keinen Beifall zollen können.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, die Debatte über den Bericht zur Lage der Nation wird diesmal zu einem Jahresrückblick. Damit wir die Ergebnisse des Kanzlerbesuchs in die Bilanz und die Aussprache einbeziehen konnten, war die durch diese Warteschleife eingetretene Verzögerung für die heutige Aussprache in Kauf zu nehmen.
    Die insgesamt zu registrierende Aufhellung des politischen Koordinatensystems gilt es für die Deutschlandpolitik zu nutzen, aber wir dürfen uns auch nicht blenden lassen. In der vergangenen Haushaltswoche wurden die finanziellen Voraussetzungen für die deutsch-deutschen Vereinbarungen, insbesondere für die Transitpauschale, beschlossen. Die Kollegen aller Fraktionen aus dem Haushaltsausschuß haben allerdings ihr starkes Mißfallen darüber bekundet, daß die Beteiligung des Parlaments und die Abstimmung mit den zuständigen Berichterstattern wahrlich nur unzulänglich waren. Das sollte sich nicht wiederholen!
    Vor einem Jahr hatten wir den Honecker-Besuch als Thema. Jubel, kritische Aufschreie und Fehldeutungen waren aufzuarbeiten. Der signalisierte Aufbruch in die zweite Phase der Deutschlandpolitik zum Wohle der Menschen steckt immer noch in den Anfängen. Die bei dem Besuch nicht beseitigten Schatten der Vergangenheit wirken immer noch fort. Die Erhöhung des Zwangsumtausches im Jahre 1980 war ein „Anschlag auf den Kernbereich der deutsch-deutschen Beziehungen". Die damalige Opposition hat den Vorgang — wie auch die Regierung — hart kritisiert. Bei der Beseitigung dieser „Erblast", die besonders die bis 1980 vom Umtausch befreiten Rentner bitter schmerzt, würde man sich bei den heute Handelnden etwas mehr Sensibilität für diese unverzichtbare „Vergangenheitsbewältigung " wünschen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Dagegen konnte eine Fehlinterpretation korrigiert werden, die damals wahrscheinlich die protokollarische Üppigkeit erzeugt hatte. In der „New York Times" war zu lesen, daß Honeckers Reise die deutsche Teilung befestige, und diese sei ebenso wie die NATO Teil der etablierten, akzeptierten Wirklichkeit geworden. Nun, wie ungerechtfertigt diese Feststellung war, haben die Ereignisse dieses Jahres gezeigt. In beiden Staaten in Deutschland und in ganz Europa ist eine Aufbruchstimmung deutlich zu spüren. Der nationale Stromkreislauf war keineswegs unterbrochen.
    Das jetzt zu Ende gehende Jahr hat durchaus Verbesserungen in den Ost-West-Beziehungen gebracht. Der Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau hat uns in der Überzeugung bestärkt, daß Generalsekretär Gorbatschow eine grundlegende Veränderung der sowjetischen Politik nach außen und innen anstrebt.
    Unser nationales Schicksal ist in das Schicksal Europas eingebettet. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß der Auftrag des Grundgesetzes praktische Wirklichkeit wird, nämlich auf einen Zustand in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Die FDP hat deshalb seit Jahrzehnten eine Politik der Vertrauensbildung zur Sowjetunion und den Staaten des RGW gefordert und zwar nicht zuletzt in der Erwartung, daß sich die deutsche Frage in einer Atmosphäre der Entspannung und Kooperation lösen läßt.
    Die jüngsten Äußerungen von Generalsekretär Gorbatschow werden in dieser Frage deshalb nicht das letzte Wort sein können. Die Teilung Europas und damit Deutschlands ist ein potentieller Konfliktherd und somit letztlich ein Sicherheitsproblem für alle. Die Sowjetunion, die im Zusammenhang mit Deutschland so oft über Realitäten spricht, sollte hierüber und über den unveränderten Willen aller Deutschen zur Einheit nachdenken.
    Vielleicht hat dieser Prozeß bereits begonnen. Der Beitrag von Leonid Potschiwalow in der „Litaraturnaja Gaseta" vom 20. Juli 1988 sieht die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR als Angehörige der gleichen Nation mit einer gemeinsamen Geschichte und mit den „gleichen Mustern des nationalen Denkens". Die ablehnende Haltung des stellvertretenden DDR-Kultusministers zeigt, wie unbequem es der DDR ist, daß in der Sowjetunion über die Deutschen neu nachgedacht wird.
    Meine Damen und Herren, in den praktischen Fragen der deutsch-deutschen Politik sind im ablaufenden Jahr Fortschritte gemacht worden, die uns aber vor dem Hintergrund der fortbestehenden Belastungen nicht zufriedenstellen können. Theo Sommer beschreibt die Haltung des Staatsratsvorsitzenden Honecker in der „Zeit" am 25. November wohl richtig: Er mauert wieder und will nichts von Perestroika wissen. Die Zensur von Veröffentlichungen des „Gro-
    8110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
    Hoppe
    ßen Bruders", von dem es in der Vergangenheit zu lernen galt, zeigt eine starre, weil unsichere DDR-Führung. Hinter einem Vorhang von Friedens- und Abrüstungsbekenntnissen verletzt die DDR in jüngster Zeit zunehmend Menschen- und Bürgerrechte. Die derzeitige DDR-Führung ist offensichtlich unfähig, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

    (Lummer [CDU/CSU]: Das ist es!)

    Sie glaubt, mit Repressionen auf die politischen Veränderungen und Herausforderungen in Ost und West antworten zu können. Wenn die DDR aber meint, Perestroika und Glasnost schon hinter sich zu haben, so verirrt sie sich nicht nur, nein, sie isoliert sich auch. Seinerzeit hat Gorbatschow Rumänien ermahnt, nicht zu einem Schadensfall für den Sozialismus zu werden. Heute müßte er die DDR davor warnen, zu einem Schadensfall für die Entspannung zu werden.
    Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr wird Deutschland 40 Jahre geteilt sein. Das ist kein Grund zur Resignation, sondern eine Herausforderung.

    (Böhm [Melsungen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Die Einheit der Nation werden wir nur mit einer Kombination von Idealismus, Kreativität und Beharrlichkeit wahren. Wenn nach Max Weber die Politik des Bohren von dicken Brettern ist, dann ist Deutschlandpolitik das Bohren von Stahlbeton.

    (Beifall bei FDP und der CDU/CSU)

    In einer Phase von Strukturveränderungen und Reformen müssen wir Deutsche Anwalt eines friedlichen Wandels und Verteidiger der Sache der Freiheit sein. Hier ist gesamteuropäisches, zukunftorientiertes Denken gefordert. Was die beiden Teile Europas näher-bringt, führt auch uns Deutsche zusammen. Die Teilung zu überwinden, ist nicht nur verfassungsrechtliche Pflicht; es ist mehr noch ein Gebot der politischen Moral. Trotz jahrzehntelanger Trennung lebt die Nation im Bewußtsein der Menschen weiter, in der Einheit ihrer Geschichte, ihrer Kultur und in dem Gefühl, trotz Mauer und Stacheldraht zusammenzugehören.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, für Berlin bleibt wichtig, was die Parteivorsitzenden am 19. Juni 1978 gemeinsam erklärt haben:
    Die Berlin-Frage ist untrennbar mit der deutschen Frage verknüpft. Bis zu deren Lösung bleibt Berlin Ausdruck und Sinnbild der als Folge des 2. Weltkrieges entstandenen Trennung der Deutschen und eine Aufforderung an alle politischen Kräfte, die Teilung auf friedlichem Wege zu überwinden.
    In Berlin muß daher endlich eine neue Seite im Buch der Ost-West-Beziehungen aufgeschlagen werden. Dazu gehören die Entwicklung Berlins zu einem internationalen Konferenzzentrum und die Einbindung Berlins in den KSZE-Prozeß. Die Verbesserung des Verkehrs zu Wasser, zu Lande und in der Luft ist überfällig. Berlin ist prädestiniert als Mittler von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur. Nirgendwo anders kann das politische Nebeneinander in Frieden besser praktiziert werden.
    Meine Damen und Herren, die weltpolitische Lage ist seit Reykjavik in Bewegung geraten. Ost und West haben Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander entstehen lassen. Die deutsche Frage braucht nicht an die Geschichte abgegeben zu werden. In einer veränderten Welt können wir Geschichte mitschreiben. Handeln wir alle auch danach!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)