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ID1110802300

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    5. Bundeskanzler.: 1
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    Plenarprotokoll 11/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Grunenberg 7415A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989 (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksachen 11/2700, 11/2966, 11/3119) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 11/3204, 11/3231 — Dr. Vogel SPD 7415B, 7453 C Dr. Dregger CDU/CSU 7426 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 7432 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7438 C Dr. Kohl, Bundeskanzler . . . . 7443A, 7454B Jungmann SPD 7454 C Dr. Geißler CDU/CSU 7457 A Frau Wieczorek-Zeul SPD 7461 C Austermann CDU/CSU 7465 B Wüppesahl fraktionslos 7467 A Namentliche Abstimmung 7469 D Ergebnis 7471D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes — Drucksachen 11/3205, 11/3231 — Waltemathe SPD 7470 A Dr. Rose CDU/CSU 7473 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 7475 D Hoppe FDP 7477 D Wischnewski SPD 7479 C Dr. Stercken CDU/CSU 7481 C Verheugen SPD 7484 B Genscher, Bundesminister AA 7486 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksachen 11/3207, 11/3231 — in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksachen 11/3217, 11/3231 — Dr. de With SPD 7490 D von Schmude CDU/CSU 7493 B Häfner GRÜNE 7494 D Kleinert (Hannover) FDP 7496 C Diller SPD 7498 A Engelhard, Bundesminister BMJ 7499 B Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 11/3219, 11/3231 — Esters SPD 7501 B Borchert CDU/CSU 7503 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1988 Frau Eid GRÜNE 7506 A Frau Folz-Steinacker FDP 7507 B Klein, Bundesminister BMZ 7508 D Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 11/3221, 11/3231 — Büchler (Hof) SPD 7511B Dr. Neuling CDU/CSU 7513 D Dr. Knabe GRÜNE 7516A Hoppe FDP 7517 B Hiller (Lübeck) SPD 7518 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . . 7519D Namentliche Abstimmung 7539 D Ergebnis 7540 A Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — Drucksachen 11/3216, 11/3231 — Waltemathe SPD 7523 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 7525 C Frau Garbe GRÜNE 7529 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 7531A Schäfer (Offenburg) SPD 7532 D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 7535C Namentliche Abstimmungen . . 7539B, 7539C Ergebnisse 7540B, C, D Nächste Sitzung 7540 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 7541* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1988 7415 108. Sitzung Bonn, den 22. November 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste 109. Sitzung, Anlage 2 **) Endgültiges Ergebnis und Namensliste 109. Sitzung, Anlage 3 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bahr 22. 11. Dr. Bangemann 25. 11. von Bülow 23. 11. Dr. Dollinger 25. 11. Duve 24. 11. Dr. Ehrenberg 22. 11. Dr. Emmerlich 22. 11. Frau Fischer 24. 11. Francke (Hamburg) 24. 11. Dr. Haack 24. 11. Dr. Hauff 25. 11. Dr. Hornhues 22. 11. Graf Huyn 24. 11. Dr. Jenninger 25. 11. Frau Kelly 25. 11. Dr. Klejdzinski 24. 11. Dr. Köhler 24. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer 24. 11. Lutz 22. 11. Meyer 25. 11. Dr. Müller 25. 11. Frau Pack 25. 11. Pfuhl 24. 11. Dr. Pick 22. 11. Rappe 22. 11. Regenspurger 24. 11. Rühe 22. 11. Dr. Scheer 24. 11. Schmidt (München) 25. 11. Schröer (Mülheim) 22. 11. Spranger 24. 11. Todenhöfer 22. 11. Vosen 23. 11. Dr. von Wartenberg 24. 11. Weirich 22. 11. Weiß (München) 22. 11. Würtz 24. 11. Dr. Zimmermann 23. 11.
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    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In der Tat, Herr Kleinert, wird die Bundesrepublik vor einer nicht leichten Aufgabe stehen, wenn sie im nächsten Jahr darangeht, dieses Jubiläum zu feiern. Schon das müßte man ein wenig in Anführungsstriche setzen. Wir alle wissen das. Wir fragen uns überhaupt, wie kurzlebig unsere Zeit geworden ist, wenn 40 Jahre ein Jubiläumsdatum sind.

    (Walther [SPD]: Richtig!)

    Muß eigentlich jedes Jahresdatum zu einer Feier herhalten? Aber nun gut. Es wird so kommen.
    Es ist sicherlich nicht nur Anlaß zum Jubel. Es ist auch Anlaß zur Sensibilität. Es ist aber auch Anlaß — und das lassen wir uns nicht wegnehmen —, mit einigem Stolz auf das zu sehen, was wir erreicht haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich jedenfalls — und ich denke, das gilt auch für die meisten meiner Freunde — bin unbeschadet aller Schwierigkeiten, Defizite und Probleme, die ich sehe, gern und aus Überzeugung Bürger der Bundesrepublik Deutschland und lebe gern in diesem Land.
    Ich habe keinen Zweifel und will auch nicht wegdiskutiert sehen, daß es bei uns Ausländerfeindlichkeit und auch Antisemitismus gibt. Ich denke und hoffe, es sind Restbestände. Aber wer wollte das übersehen und verschweigen? Es gibt sie. Solche Gefühle, solche Ressentiments oder Sentiments sind überall schlecht. Bei uns, in unserem Lande sind sie vollständig unakzeptabel. Es ist unsere Aufgabe, uns das nicht im Parlament gegenseitig vorzuhalten, sondern draußen dahin zu wirken, daß solche Gefühle und solche Äußerungen unterbleiben und korrigiert werden.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    An eines, Herr Kleinert, glaube ich allerdings nicht: daß man das mit Gesetzen, mit Strafgesetzen regeln kann. Den Geist und das Denken von Menschen mit Strafgesetzen ändern zu wollen,

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

    das ist eine Auffassung, die wir nicht teilen. Strafgesetze helfen hier nicht.
    Aber ansonsten nehme ich das, was hier zum Ausdruck gebracht worden ist, schon ernst, und wir nehmen es ernst.
    Im übrigen, nun etwas weniger ernst: Ich glaube, von Technik, so haben Sie das hier dargetan, verstehen Sie etwas. Von Pyrotechnik verstehen Sie nichts. Knallfrösche zerplatzen und sind weg — und ich bin hier.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




    Dr. Graf Lambsdorff
    Herr Kollege Vogel, die Freie Demokratische Partei bedankt sich bei Ihnen — der Vorsitzende erst recht — für Ihre freundlichen Worte zu meiner Wahl. Wir werden hier noch häufig aneinandergeraten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sicher!)

    Das ist klar. Aber wir müssen uns die Fähigkeit erhalten, in Situationen, in denen es darauf ankommt, miteinander sprechen zu können. Wir haben schon früher erfahren, daß es solche Situationen gibt, die sich keiner wünscht, die aber nicht vermeidbar sind.
    In der Politik wie im privaten und wirtschaftlichen Leben steht man immer wieder einmal vor der Frage: Wie hoch soll ich eigentlich die Meßlatte für die Ziele legen, die ich anzustreben habe? Lege ich sie hoch, so laufe ich das Risiko, es nicht zu schaffen und die selbstgesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen. Lege ich sie niedrig, so bewegt man nicht viel. Diese Regierung und diese Koalition haben die innenpolitische Meßlatte dieser Legislaturperiode wahrlich hoch angesetzt; sehr hoch. Allein die drei Reformwerke: Steuerreform, Gesundheitsreform und Rentenreform! Jedes einzelne reichte eigentlich für eine Legislaturperiode. Es ist festzustellen: Wir sind im Zeitplan. Wir erfüllen unser Pensum. Wir tun das, was wir uns vorgenommen haben. Wir werden nicht allen Erwartungen gerecht. Das können wir überhaupt nicht. Wir werden auch nicht alle selbstgesetzten Ziele erreichen. Auch dafür lag die Meßlatte zu hoch.
    Dennoch, ich halte es für richtig, sie so hoch gelegt zu haben. Die Steuerreform hat ihre Schönheitsfehler; nicht die, die Sie zitieren. Aus unserer Sicht sind schon mit den Stichworten Quellensteuer und gespaltener Spitzensteuersatz solche Schönheitsfehler erwähnt. Aber — Herr Dregger hat recht — es ist über Jahrzehnte nicht gelungen, den linear-progressiven Tarif einzuführen, den Mittelstandsbauch zu beseitigen und, was viel wichtiger als die Spitzensteuersätze ist, die leistungstötende Wirkung der Grenzsteuersätze im mittleren Einkommensbereich auch bei Facharbeitern endlich etwas herunterzufahren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist bei allen Fehlern gute und richtige Steuerpolitik. Es ist Reform. Es ist erst die dritte steuerpolitische Reform in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Einführung der Mehrwertsteuer, das Anrechnungsverfahren bei der Körperschaftsteuer und jetzt die Einführung des linear-progressiven Tarifs. Das ist Reform, die auch jede andere Regierungszusammensetzung überstehen wird, weil sie richtig ist und weil sie gut ist. Freuen Sie sich aber nicht zu früh, Herr Wieczorek, wegen dieser Bemerkung.
    Meine Damen und Herren, die Gesundheitsreform ist ein erster Schritt. Endlich wird einer getan. Er ist doch notwendig. Die Kostenexplosion im öffentlichen Gesundheitswesen kann so nicht ungehindert weitergehen. Die daraus folgende Beitragsexplosion gefährdet weiter Arbeitsplätze, belastet die Arbeitskosten und die Produktivität. Die Einsparungen, die vorgenommen werden, betreffen alle, bildlich gesprochen: vom Geburtshelfer bis zum Bestattungsunternehmer. Es kann nur Ärger geben, auf der ganzen Front. Denn niemand läßt sich gerne etwas wegnehmen. Wir wissen, daß hier auch aus der Sicht der FDP auf alle Fälle noch Defizite gegeben sind. Es muß ein zweiter Schritt folgen, und er wird folgen. Es kann nicht so bleiben, daß der große Anteil, den die Krankenhäuser am öffentlichen Gesundheitswesen kosten, unberücksichtigt bleibt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir stehen in der Rentenreform vor abschließenden Beratungen. Es ist zum erstenmal ein Ansatz gemacht worden — wie ich denke, ein erfolgversprechender und richtiger Ansatz — , die demographische Entwicklung einzufangen. Die sieht für die Bundesrepublik verheerend aus. Das weiß doch jeder. Die Zahlen stehen fest. Wir müssen uns also darum bemühen. Es ist — ich freue mich über die anerkennenden Worte, Herr Kollege Dregger; über Urheberrecht und darüber, wer zuerst darüber nachgedacht hat, will ich gar nicht streiten — ein Stück Gleichberechtigung — im Sinne von Kindererziehungszeiten — von der Koalition vorgeschlagen und in diesen Entwurf aufgenommen worden. Wir begrüßen es, daß die Sozialdemokraten bereit sind, über dieses wichtige Stück deutscher Politik Gespräche zu führen und, wenn es geht, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.
    Aber das Festhalten an einer starren Altersgrenze, Herr Vogel, keine Flexibilität auch für solche aufzunehmen, die länger arbeiten wollen, und für andere, die kürzer — —

    (Zuruf von der SPD)

    — Wenn wir darüber schon reden, sieht es ein bißchen anders aus.

    (Dr. Vogel [SPD]: Massenarbeitslosigkeit! Das gibt nur mehr Arbeitslose!)

    Wenn es am Ende heißt: Die Altersgrenze muß festgeschrieben werden und der Bundeszuschuß — ich übertreibe jetzt etwas — verdreifacht werden, dann waren es etwas platonische Liebeserklärungen, daß wir hier vielleicht doch zueinander kommen könnten. Ich will hoffen, daß es geht.
    Meine Damen und Herren, es geht nicht alles so, wie man manchmal bei Ihnen den Eindruck hat, als könne man solche Reformen ohne jede Einschränkung zustande bringen. Manna vom Himmel regnen lassen können nämlich auch Sie nicht.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das haben wir doch nach 1969 gelernt!)

    In Wahrheit sind einige von Ihnen unterwegs, um die Bürger dieses Landes mit Abgaben und Steuern in einer Weise zu schröpfen, wie wir das früher noch nie gehabt haben. Ich brauche mir nur anzusehen, was der Senator Scherf an steuerpolitischen Vorstellungen kürzlich verkündet hat: kein Grundfreibetrag mehr ab 130 000 DM; die Staatsquote soll — so expressis verbis gesagt — über höhere Steuern heraufgesetzt werden, freie Berufe rein in die Gewerbesteuer, Quellensteuer 25 %, verdreifachte Mehrwertsteuer bei Pkw ab 60 PS, Mineralölsteuer verdreifachen. Das, meine Damen und Herren, kommt aus Ihren Reihen, und es kommt unwidersprochen aus Ihren Reihen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Denken Sie an die normalen Arbeitnehmer!)




    Dr. Graf Lambsdorff Das wundert mich so.
    Bei Herrn Scherf bin ich in Bremen. Herr Vogel, der Bundeskanzler wird sich für die CDU mit Ihnen auseinandersetzen. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber ein Wort will ich Ihnen doch sagen. Bremen sollten Sie schon erwähnen, wenn es um den Zustand von Parteien geht.

    (Dr. Vogel [SPD]: Da ist die CDU noch in Ordnung!)

    Kümmern Sie sich um Bremen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es hat lange gedauert, bis der Innensenator Meyer gegangen ist. Aber immerhin ist er gegangen, und Herr Schnoor ist immer noch da.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Er hat doch gar keinen Grund!)

    Bei Herrn Schnoor hat man den Eindruck,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sie sind noch nie gegangen, obwohl Sie verurteilt wurden!)

    er sei auf seinem Sessel nicht festgeklebt, sondern festgeschraubt und verlötet.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff, wie lange hat es bei Ihnen gedauert?)

    Selbst Herr Penner hat neulich schon ein kleines Anzeichen der Bedenken gegeben.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Penner [SPD])

    — Ich weiß, ich weiß, Herr Penner, Sie sind zur Ordnung gerufen worden, und Disziplin ist alles.
    Was der FDP-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Nordrhein-Westfalen gestern gesagt hat: Die Art und Weise, wie sich Herr Schnoor der Kritik des Parlaments entzieht, indem er die Polizei als Schutzschild mißbraucht, um sich selbst zu schützen, ist undemokratisch, das ist auch die Meinung der FDP-Bundestagsfraktion

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist ungehörig, was Sie hier sagen!)

    und der gesamten Partei.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist ungehörig und falsch!)

    Herr Schnoor braucht uns, meine Damen und Herren, über die Notwendigkeiten der inneren Sicherheit nicht zu belehren, jedenfalls nicht so lange, wie er die Kiefernstraße in Düsseldorf verteidigt. Vielleicht lesen Sie sich dazu einmal durch, was der Fraktionsvorsitzende Farthmann zu diesem Thema gesagt hat.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sie brauchen uns zum Thema Rechtlichkeit überhaupt nicht zu belehren, Graf Lambsdorff, Sie nicht!)

    Fragen der inneren Sicherheit, meine Damen und
    Herren, sind sicherlich von der Materie her schwierig.
    Aber rechtsfreie Räume entstehen lassen, wie das in
    diesem Düsseldorfer Bereich der Fall ist, das kann nicht die Antwort auf solche Entwicklungen sein.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Was macht die FDP alles mit? Sicherheitsgesetze! Artikelgesetze! Sie stützen doch den Zimmermann!)

    Ich sagte, Fragen innerer Sicherheit seien von der Materie her schwierig. FDP und CDU/CSU gehen hier in einigen Bereichen von unterschiedlichen Ausgangspositionen aus.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ist doch nicht wahr! Sie unterstützen alles, was läuft!)

    Wir haben das immer gewußt. Aber wir werden die Sicherheitsgesetze, die sogenannten Sicherheitsgesetze, die im Parlament eingebracht sind, verabschieden.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehen Sie: Jetzt fällt er schon wieder um!)

    — Wir haben das längst beschlossen, und Sie wissen das natürlich auch ganz genau.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber sicher! Große Töne reden Sie nur!)

    Und wir werden die Datenschutzgesetze und die dazugehörigen Gesetze der Dienste mit den Vorbehalten ins Kabinett bringen, die wir nach langer und sorgfältiger Beratung für notwendig halten, für notwendig in dem Sinne, daß in den Fraktionen noch einmal darüber gesprochen wird.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist aber eindrucksvoll!)

    Wir sind der Meinung, daß die Bürger im Lande ein Tätigwerden auf diesem Gebiet von den hier Verantwortlichen erwarten. Wir wissen, daß wir ein volles Durchsetzen unserer liberalen Position nicht erreichen können. Wir werden uns erträglichen und vertretbaren Kompromissen nicht verschließen. Aber auch Kompromißbereitschaft — das sei hinzugefügt — hat ihre Grenzen. Ich denke, wir werden die Grenzen nicht ausloten müssen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erfolgsbilanz der Politik dieser Regierung in der Wirtschaftspolitik ist völlig eindeutig. Ich brauche das hier nur ganz kurz anzuführen: Wachstumsrate von 3,5 in diesem Jahr, Preisstabilität. Herr Vogel hat davon gesprochen, daß das durch die Energiepreise entstanden sei, und gemeint, das sei nur die Auswirkung des internationalen Ölpreismarktes. Sie schreiben unsere eigenen gemeinsamen Bemühungen zu klein, daß wir nämlich 1973 angefangen haben, wirklich Marktwirtschaft zu exerzieren und damit auch auf die ölproduzierenden Länder durch die Entkoppelung von Energieverbrauch und Wachstum, durch Einsparungsbemühungen,

    (Dr. Vogel [SPD]: Das war ja nicht so schlecht!)

    und zwar erfolgreiche, Druck auszuüben. Unsere Außenhandelsbilanz ist so gut in Ordnung, daß es eher
    Ärger im Ausland gibt. Die Investitionen steigen. Der



    Dr. Graf Lambsdorff
    Konsum steigt. Die Aussichten für 1989 werden vom Sachverständigenratsgutachten positiv bewertet.
    Wir haben wirklich nichts zu beklagen, mit der Ausnahme des einen Punktes — und dies bestreite ich überhaupt nicht — : Arbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit, über die man vieles sagen könnte, auch über das Thema Statistik. Aber ich will keine Statistik-Diskussion, solange die Zahlen und die Einzelschicksale eine wichtige Rolle spielen. Aber wir machen wohl darauf aufmerksam, daß seit vielen Jahren die Hauptverantwortung bei den Tarifvertragsparteien liegt, die diese Verantwortung erst in sehr letzter Zeit besser wahrnehmen. Es ist eine Tarifpolitik betrieben worden, die immer nur diejenigen sichert und immer nur denjenigen nutzt, die Arbeit haben, und die sich um die, die vor den Fabriktoren stehen, nicht kümmert. Das ist zu kritisieren. Das geht an die Adresse der Tarifvertragsparteien, ganz besonders dann, wenn man Tarif autonomie will, wie wir es wollen und wie wir sie verteidigen wollen.

    (Reimann [SPD]: „Immer nur" ist falsch!)

    Das Verhältnis zu den Gewerkschaften — Herr Kollege Vogel, Sie haben davon gesprochen — sollte kein feindschaftliches Verhältnis sein. Einverstanden. Auch wir wollen das nicht. Wir wollen eine vernünftige und sachliche Gesprächsbasis mit einer wichtigen, großen Organisation oder: vielen wichtigen, großen Organisationen.
    Trotzdem kann ich nicht übersehen, daß ich hier z. B. ein Flugblatt der IG Metall aus Saarbrücken mit der Überschrift auf dem Tisch habe: „Kriminelle, Gangster und Banditen. Daß Lambsdorff, Bangemann, Kohl, Geißler und Stoiber sich die Zerschlagung des DGB an die Fahne geschrieben haben, ist nichts Neues". Das finde ich nicht besonders unfeindschaftlich, wie Sie zugeben werden.
    Auf der anderen Seite haben wir gestern bei der IGBE in Dortmund eine Diskussion erlebt, die eine vorbildliche demokratische Auseinandersetzung darstellte und in der man in einer Weise miteinander umgegangen ist, wie ich es mir für andere Gespräche, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt — und die gab es in Dortmund natürlich auch — , wünsche.

    (Mischnick [FDP]: Sehr richtig!)

    Es gibt, meine Damen und Herren, auch Defizite in unserer Bilanz. Herr Kleinert hat das Thema Umweltschutz angesprochen. Daß er im übrigen gleich wieder verschwindet, wenn er seine Rede hier abgeschlossen hat — —

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Er hat einen Termin! — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Er muß sich für seine Rede bei der Basis verantworten!)

    — Sie ersetzen ihn vorzüglich, Frau Kollegin Schoppe. Trotzdem möchte man ganz gerne eine Auseinandersetzung fortsetzen können.
    Das Thema Umweltschutz stellt uns nach wie vor vor große Probleme. Viele davon — und da liegt einer der Punkte, warum uns die Ergebnisse nicht so befriedigen, wie wir es gerne hätten — können überhaupt nur europäisch grenzüberschreitend, aber nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten, gelöst werden. Umweltschutz hat heute eine internationale Dimension angenommen, die in ihrer Bedeutung der Friedenspolitik und der Abrüstungspolitik gleichkommt; denn hier geht es um die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für die Menschen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Aber national alleine ist nur Mäßiges zu bewegen. Das ist keine Ausrede, daß Defizite entstehen, wo nichts bewegt worden ist und wo man etwas hätte tun können.
    Wir werden weiter daran arbeiten, und wir werden mit Ihnen, Herr Vogel, und mit Ihren Freunden Gespräche führen müssen, um den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufnehmen zu können. Hier müssen wir uns aufeinander zubewegen, wenn wir eine Zweidrittelmehrheit bekommen wollen, die ja von allen hier in diesem Hause mitgetragen werden muß. Wir sehen es auch hier als wertvoller an, eine Regelung zu bekommen, auf die man sich verständigen kann, als eine ideale Regelung an den Himmel zu hängen, für die es eine Mehrheit nicht geben kann und nicht geben wird. Wir sind für praktische Politik und nicht für Theoriediskussionen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Zu dem, was Herr Kleinert vorhin gesagt hat, ist anzumerken, ob Umweltschutz auf Dauer erfolgreich betrieben werden kann, wenn man eine Regel, eine Verordnung, eine Anweisung, eine Beschränkung auf die andere häuft. Keiner findet sich in dem Dickicht mehr zurecht. Die Verfahrensdauern für Genehmigungsverfahren und Anträge sind ganz unerträglich lang geworden; ich will es hier nicht weiter erörtern. Es gibt Anlaß, darüber zu sprechen.
    Diese Bundesregierung ist außergewöhnlich erfolgreich auf dem Gebiete der europäischen Politik. Es war der Durchbruch unter deutscher Präsidentschaft — Herr Bundeskanzler, Sie und der Außenminister haben sich in dieser Sitzung im Februar in Brüssel große Verdienste erworben — , der überhaupt den Weg zum einheitlichen Markt geöffnet hat. Aber nun haben wir auch eine Bitte an Sie, von der wir wissen, daß sie bei Ihnen und bei dieser Regierung auf offene Ohren trifft: Bitte sorgen Sie dafür, daß daraus wirklich der offene Markt Europa und nicht die Festung Europa wird.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Mehrzahl unserer Partnerländer vertritt diese Auffassung nicht; machen wir uns nichts vor. Es wird harter Arbeit bedürfen, das durchzusetzen.
    In der Deutschlandpolitik hat der Kollege Dregger aufgezählt, was wir im Zustand der deutschen Trennung, den wir alle eines Tages zu überwinden hoffen, an praktischer Erleichterung für die Menschen geschaffen haben: Reiseverkehr, Reiseerleichterungen auch für West-Berliner, Städtepartnerschaften, Universitätspartnerschaften, Umsiedler und Aussiedler.
    Zur Aussiedlerfrage: Die Freie Demokratische Partei hat es immer begrüßt, daß mehr Großzügigkeit auf der Seite der DDR eingetreten ist. Wir sagen ausdrücklich — die Bundesregierung und die Koalition



    Dr. Graf Lambsdorff
    haben es nicht getan; wir wollen es auch nicht — : Wir wollen keine Abwerbung in der DDR. Wir wollen nicht Menschen motivieren, sie bewegen, sie anreizen, ihre Heimat zu verlassen. Wir begrüßen es, daß die Evangelische Kirche in der DDR diese Position einnimmt. Wir sind gespannt, ob es der Vatikan wirklich fertigbringt und veranlassen wird, daß der in Ost-Berlin residierende Kardinal nach Köln ausreist.
    Ein paar Worte zur Außenpolitik: 1987 war das erfolgreichste Abrüstungsjahr seit dem Zweiten Weltkrieg. Es war eigentlich das erste Jahr, in dem wirklich abgerüstet worden ist, in dem eine ganze Waffengattung beseitigt worden ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Das INF-Abkommen ist ein großer Erfolg dieser Bundesregierung, dieser Koalition und ihrer Politik. Ich weiß, daß Sie von der Opposition dem nicht zustimmen, aber diese intellektuelle Einsicht muß eines Tages bei Ihnen aufgebracht werden: Das INF-Abkommen ist eine unmittelbare Folge des hier von der Mehrheit des Hauses unterstützten NATO-Doppelbeschlusses. Es ist nicht eine Folge der Politik der Friedensbewegung, der GRÜNEN und der Sozialdemokraten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Bundesregierung hat erfolgreich die Beziehungen zur UdSSR verbessert — wir haben über den Moskau-Besuch des Bundeskanzlers und des Außenministers gesprochen. Gleichzeitig ist die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten erhalten und ausgebaut worden. Wir legen Wert darauf, daß wir mit diesem wichtigsten Partner im westlichen Bündnis in guten und freundschaftlichen Beziehungen leben. Wir legen Wert darauf, weil das für unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist.
    Wenn Herr Mechtersheimer von den GRÜNEN sagt — ich zitiere das wörtlich — : „Die NATO gehört auf den Misthaufen" : Das, meine Damen und Herren, wäre dann wohl der „Misthaufen", den grüne Politik bereiten würde, wenn sie es denn könnte. Zum Glück können sie das nicht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie sind hier eingezogen, Frau Schoppe — ich habe das ja miterlebt —, unter den lauten Rufen: „Frieden stiften", „Versöhnung", „Harmonie". Verglichen mit der Art, wie Sie miteinander umgehen, sind alle anderen Bundestagsparteien Harmonievereine.

    (Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen bei den GRÜNEN)

    Die grüne Partei — ich unterstreiche dabei das Wort „Partei" — ist zu konstruktiven Politikbeiträgen unfähig. Für einzelne Abgeordnete der GRÜNEN gilt dieses Urteil so nicht.
    Herr Vogel, wir sind mit Ihnen einer Meinung — wir brauchen da auch nicht ermahnt zu werden; ich habe es auch nicht so verstanden — in der Frage der Menschenrechte. Liberale begrüßen selbstverständlich jede freiheitliche Regelung, die sich gegen staatlich verordnete Ruhegebote auflehnt, vor allem wenn diese Ruhegebote nicht demokratisch legitimiert sind.
    Das sehen wir in den baltischen Staaten der Sowjetunion mit der gleichen Sympathie wie in den Kirchengemeinden der DDR, in der Danziger Lenin-Werft wie auf dem Wenzelsplatz in Prag, in Chile wie in Südafrika. Da gibt es keine Unterschiede. Aber über eines wird man ja vielleicht noch streiten dürfen, ohne gleich geziehen zu werden, man wolle die Menschenrechte gar nicht durchsetzen: über die Art und Weise, wie man zur Einhaltung der Menschenrechte in solchen Ländern kommt. Derjenige, der gegen wirtschaftliche Sanktionen Bedenken äußert, ist deswegen kein Verächter der Menschenrechte, um es kurz-zufassen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn ich auch die Fehler und Ungeschicklichkeiten betrachte, die wir begangen haben — wer regiert, macht Fehler, und wer Entscheidungen trifft, macht Fehler, und Ungeschicklichkeiten werden auch begangen; es könnten manchmal ein paar weniger sein; es würde Ihnen leid tun, aber uns würde es freuen — , dann müßten wir ja eigentlich, vor allen Dingen wenn ich Ihre Interpretation dieser Ungeschicklichkeiten höre, ganz mächtig in der Tinte sitzen,

    (Dr. Vogel [SPD]: Tut ihr auch!)

    aber das ist nicht der Fall. — Nein, wir tun es nicht, verehrter Herr Kollege Vogel, weil die Ergebnisse dieser Politik stimmen. Am Ende zählen Ergebnisse.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ergebnisse zählen nicht nur in der Mitte der Legislaturperiode, sondern sie zählen auch am Ende der Legislaturperiode.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das haben Sie in unserer Koalition auch immer gesagt! Das kenne ich schon!)

    — Verehrter Herr Kollege Vogel, ich habe das auch schon zu Adenauers Zeiten erlebt, Sie auch. In der Mitte der Legislaturperiode hieß der nächste Bundeskanzler immer Ollenhauer, am Schluß war es wieder Adenauer. Diesmal wird es auch so sein.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir wollen dazu beitragen, daß diese Ergebnisse noch besser werden. Die Freie Demokratische Partei, Herr Bundeskanzler, wird ihren Beitrag in dieser Koalition leisten.
    Wir würden auch gerne sehen, daß die Präsentation noch mehr überzeugt. Eines, was der Kollege Kleinert hier gesagt hat, geht nun weit an der Wirklichkeit vorbei: Er hat von einem Werbefeldzug der Regierung gesprochen. Hätten wir einen, dann wäre ich ganz vergnügt, dann wäre ich ganz froh, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP)

    Zur Verzagtheit gibt es nicht den geringsten Anlaß. Diese Koalition arbeitet erfolgreich. Sie wird weiter Erfolg haben. Die Freie Demokratische Partei, ihre Bundestagsfraktion stimmt dem Haushalt des Bundeskanzlers zu.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie in jedem Jahr ist die Generalaussprache zum Etat des Bundeskanzleramts Gelegenheit, über die Gesamtpolitik zu sprechen. Es ist ganz selbstverständlich, daß keine Bundesregierung — das war in früheren Zeiten auch nie so — erwarten kann, von der Opposition Lob oder Zuspruch zu erfahren.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: In Bayern ist es im Moment so!)

    — Es mag in Bayern anders sein, Herr Kollege.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Schöfberger hat uns gestern gelobt!)

    — Vielleicht aus dem Grunde, weil die Sozialdemokraten es endgültig aufgegeben haben, die Verhältnisse in Bayern ändern zu wollen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Das dürfen Sie ja dem Kollegen Vogel nicht unterstellen. Das ist ja auch in Ordnung.
    Kritik ist verständlich, und Kritik ist sicherlich auch berechtigt. Das gilt sicherlich auch für die heutige Debatte und für die jetzige Bundesregierung.
    Herr Abgeordneter Dr. Vogel, ich glaube aber, es ist eben wichtig — zu Beginn Ihrer Ausführungen hatte ich eigentlich den Eindruck, das sei auch der Tenor Ihrer Rede —, daß wir uns bei aller Schärfe der Auseinandersetzung die Fähigkeit zu einem vernünftigen Gespräch erhalten. Dies setzt aber doch voraus, daß man auch im Parlament bei aller Härte der Auseinandersetzung fair miteinander umgeht.
    Was Sie heute hier zur CDU Deutschlands gesagt haben — ich fürchte, Sie haben das vorformuliert, was die Sache noch schlimmer macht - , ist schlicht und einfach unerträglich. Sie sprechen von Sorge um diese große Partei, aber in Wirklichkeit ist für jeden erkennbar, der hier dabei war, daß es Ihnen um Diffamierung und Herabsetzung des politischen Gegners ging.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Ich habe doch nur Ihre Leute zitiert!)

    Wahr ist, Herr Abgeordneter Vogel — Sie sind Parteivorsitzender, Theo Waigel ist jetzt Parteivorsitzender, Otto Graf Lambsdorff ist Parteivorsitzender, und ich bin es schon seit einigen Jahren — , daß ein jeder von uns im Leben seiner eigenen Partei immer wieder Situationen erlebt, über die er schlicht und einfach unglücklich ist, die ihn betroffen machen. Aber ich finde, wenn wir darüber reden, sollte das zunächst einmal unter dem Gesichtspunkt geschehen, daß jeder vor seiner eigenen Tür kehrt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Dann kehren Sie mal!)

    Herr Abgeordneter Vogel, Sie sind vor ein paar Tagen in einer Fernsehsendung gefragt worden, ob Sie denn wirklich — das war wörtlich die Frage — in Ihrer Partei alles im Griff haben. Sie haben dann geantwortet — ich zitiere — :
    Erstens mal habe ich gegen dieses Bild, daß man
    immer alles im Griff haben müsse, eine gewisse
    Abneigung ... Aus dem Griff wird dann leicht auch ein erstickender Griff, ein Würgegriff ... Sie haben vollständig recht, natürlich haben auch wir Probleme. Es wäre ja völlig unglaubwürdig, wenn wir das leugnen wollten. In Bremen geht es darum, daß eben Großstadtprobleme, mit denen wir auch anderswo zu tun hatten, natürlich auch an Bremen nicht spurlos vorbeigehen.
    Warum haben Sie nicht in diesem Sinne heute hier gesprochen? Warum haben Sie beispielsweise nicht gesagt, daß die bremische SPD am Ende ist, wie jeder in der Stadt unschwer erkennen kann?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)

    Warum fordern Sie für das benachbarte Niedersachsen Neuwahlen und in Bremen nicht?

    (Zurufe von der SPD)

    Denn angesichts der dortigen Korruptionsfälle ist es doch wirklich überfällig, daß Sie ein Großreinemachen durchführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Angesichts der Verhältnisse in dieser Stadt — Sie können ja Ihren zurückgetretenen Parteivorsitzenden aus der Region zitieren — wissen Sie doch so gut wie ich, daß Sie allen Grund haben, sich mit den Entwicklungen in Ihrer eigenen Partei zu beschäftigen. Früher hatten Sie ja mal etwas mit Bayern zu tun. Soll ich Ihnen alles vorlesen, was Peter Glotz — immerhin ein langjähriger Spitzenmann der deutschen Sozialdemokratie — über die Entwicklung in Bayern gesagt hat? Ich kann die Liste fortsetzen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Na los!)

    Sie waren auf dem SPD-Parteitag in Berlin,

    (Dr. Vogel [SPD]: Was war in Berlin?)

    Sie haben die Auseinandersetzung zwischen zwei führenden Sozialdemokraten dort erlebt. All dieses zeigt Ihnen doch, daß Sie in Wahrheit überhaupt keinen Grund haben, in einer solchen Form hier überheblich aufzutreten.
    Aber ich habe nicht die Absicht, mich jetzt weiter mit Ihnen zu beschäftigen. Ich will ganz offen auch über die Probleme sprechen, die wir in der CDU haben.
    Meine Damen und Herren, wer wie ich über 40 Jahre einem Landesverband angehört, wer in diesen über 40 Jahren — ich spreche jetzt von der CDU in Rheinland-Pfalz — einen Großteil seiner Kraft eingebracht hat, hat natürlich seine eigenen Positionen zu Grundfragen der Politik und auch zu Personen. Dementsprechend habe ich mich natürlicherweise aus meiner persönlichen Überzeugung heraus für meinen langjährigen Freund Bernhard Vogel engagiert. Er ist bei der Abstimmung unterlegen, und ich habe als Demokrat und als Parteivorsitzender dieses Ergebnis zu respektieren, obwohl mich dieses Ergebnis tief betroffen gemacht hat. Auch das gehört zum Leben einer lebendigen Partei. Daraus einen Zusammenbruch der politischen Kultur konstruieren zu wollen ist schlicht Heuchelei.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Dann gibt es ein zweites Beispiel, bei dem man die Absicht sieht, Herr Vogel, und bei dem man deutlich erkennen kann, um was es geht. Das ist Ihre Hetzkampagne gegen Niedersachsen und gegen Ernst Albrecht.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Jetzt reicht es aber! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Denn darüber kann es doch gar keinen Zeifel geben: Ernst Albrecht und Niedersachsen sind Ihnen im Prinzip völlig egal,

    (Dr. Vogel [SPD]: Das haben Sie doch in Kiel auch gesagt! „Weiter so" !)

    Sie wollen die dortige Regierung stürzen, um damit an die Bundesratsmehrheit zu gelangen. Das ist das Ziel Ihrer Politik, nicht mehr und nicht weniger.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jahn [Marburg] [SPD]: Ist das denn verboten?)

    Dabei ist Ihnen jedes Mittel recht. Ich sage noch einmal: Es ist Ihnen jedes Mittel recht. Sie gehen mit der Reputation von Mitbürgern in einer Weise um, die schlicht skandalös ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Bei Barschel haben Sie genau dasselbe gesagt!)

    Sie dürfen glauben: Die Bürger werden das bei der Wahlentscheidung 1990 zu berücksichtigen haben. Sie können auch davon ausgehen, daß die Bürger in Niedersachsen erfahren werden, wie die Vorgänge in dieser Zeit waren, welches Ziel Herr Schröder, von Ihnen unterstützt, in diesen Jahren immer wieder deutlich gemacht hat. Wie heißt es in einem dieser Zeitungsartikel — und die Sprache ist verräterisch — :
    Wir müssen die Brandfackel ins andere Lager werfen.
    Hier war heute soviel von politischer Kultur und politischer Sprache die Rede.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sonthofen!)

    — Wollen Sie sich dazu bekennen, Herr Vogel? Ist das also Ihre Strategie? Heißt dieser Zwischenruf, daß das Ihre Strategie ist?

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie zitieren aus Sonthofen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Nein, nein, nein.
    Ich kann Ihnen nur sagen: Wir wissen ziemlich genau, was Sie beabsichtigen. Ich erwähne nur die unglaubliche Entstellung bei der Schilderung der Frankfurter Vorgänge, die Sie heute hier vorgenommen haben. Meine Damen und Herren, in Frankfurt geht es ja nicht um Verfehlungen des Oberbürgermeisters. Es sind doch Leute Ihrer eigenen Partei, die in Frankfurt dies alles getan haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe nicht die Absicht, mich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen. Ich will abschließend nur sagen: Wie so vieles in Ihren Behauptungen ist auch Ihre Einschätzung zum Presseamt falsch.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ein Propagandaministerium ist das!)

    Ich will zwei Zahlen nennen, die für sich sprechen. In der Zeit von 1969 bis 1975 — Herr Abgeordneter Vogel, das ist die Zeit, die Sie mit zu verantworten haben — betrug die Steigerungsrate 42 %.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    In der Zeit von 1983 bis 1988 beträgt sie 30 %. Ich weiß nicht, was Sie daran auszusetzen haben.

    (Dr. Vogel [SPD]: 16 Jahre und 4 Jahre! Der kann nicht rechnen! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wenn Sie so weitermachen, sind es 100%! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Entschuldigung, von 1969 bis 1975 sind es sechs Jahre. 1983 bis 1988 ist ein vergleichbar großer Zeitraum. Mir scheint in der Tat, daß Sie Schwierigkeiten haben, die einfachsten Gedankengänge noch aufzunehmen, wenn nur ein politischer Gegner spricht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau MatthäusMaier [SPD]: Warum sind Sie so nervös?)

    Abschließend: Ich rate Ihnen — Sie mögen das beherzigen oder nicht — , sich um die Zukunft der CDU keine Sorgen zu machen. Sie haben diese Partei in 40 Jahren oft genug totgesagt. Sie haben ihr oft genug Konzeptionslosigkeit nachgesagt. Dies alles hat uns in der Vergangenheit nicht geschadet. Wir haben eine gute Chance, meine Damen und Herren, in den beiden kommenden Jahren bei den Wahlen in Berlin, bei den Wahlen zum Europaparlament, bei mehreren Wahlen in den Bundesländern und dann bei der Bundestagswahl unsere Kräfte zu messen. Wir sollten diese Zeit geduldig abwarten, und wir sollten das Ergebnis der Wahlen gemeinsam akzeptieren.
    Graf Lambsdorff hat Ihnen eben den richtigen Ratschlag gegeben: Es war immer so, daß in der Zwischenzeit der jeweilige Oppositionsführer glaubte, er sei ganz nah am Ziel, und am Wahlabend sah es anders aus. Es ist Ihr gutes Recht, hier auf eine Veränderung zu drängen, und es ist unser gutes Recht, für unsere Politik zu werben. Bloß sollten wir es unter menschlichen Umständen tun, die erträglich sind, aber nicht in der Form, wie Sie es heute hier getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, angesichts der Tatsache, daß wir seit der Sommerpause, wenn ich mich richtig erinnere, vier oder fünf Debatten zu dem Thema Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Hohen Hause hatten, will ich micht heute zu diesem Thema auf einige Bemerkungen beschränken. Ich möchte noch einmal einen Hinweis auf unsere Grundsätze geben, weil Sie unsere Grundsätze angesprochen haben.
    Ziel unserer Politik ist auch in Zukunft, daß wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern die Freiheit und die Sicherheit unserer Länder gewährleisten. Das heißt für uns eigene Verteidigungsanstrengungen im eigenen Land, auch notwendige Opfer, das heißt für uns die Präsenz amerikanischer Streitkräfte mit ihren nuklearen und konventionellen Waffen in Europa und



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine Grundvoraussetzung für die Erhaltung von Frieden und Freiheit.
    Zweitens. Wir wollen den europäischen Pfeiler des Bündnisses festigen. Anfang der vergangenen Woche hat die Westeuropäische Union Spanien und Portugal als neue Mitglieder aufgenommen. Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Aktivierung der WEU, die wir gemeinsam unterstützen.
    Drittens. Wir wollen auch künftig im Bündnis Aufgaben, Risiken und Verantwortlichkeiten fair teilen. Das ist natürlich auch eine Aussage zu dem Thema Modernisierung. Darüber werden wir in Brüssel mit unseren Freunden und Partnern zu sprechen haben. Dabei müssen sowohl die finanziellen als auch die tatsächlichen Leistungen für die gemeinsame Verteidigung gewürdigt werden. Ich denke hier vor allem an den großartigen Beitrag, den unsere Soldaten in der Bundeswehr leisten, und ich denke auch an die Dichte der Truppenstationierung in unserem Land und die damit verbundenen Belastungen für unsere Bevölkerung.
    Viertens. Wir wollen auch in Zukunft der Aufgabe gerecht werden — als wichtige Voraussetzung der Stärke des Bündnisses und als Grundlage politischer und wirtschaftlicher Stabilität aller Partner — die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf beiden Seiten des Atlantik zu steigern und den Austausch von Gütern in jeder Hinsicht zu erleichtern. Das schließt ein klares und uneingeschränktes Bekenntnis zum freien Welthandel auf der Grundlage stabiler Währungsrelationen, sowie eine entschiedene Absage an jede Art von Protektionismus ein.

    (Beifall bei der FDP)

    Graf Lambsdorff, ich stimme Ihnen zu: Das Problem liegt nicht hier bei uns in der Bundesrepublik; wir haben auch an unsere Freunde in der Gemeinschaft Fragen zu stellen. Ich will ohne jede Umschweife sagen: Für mich wäre eine protektionistische Politik der EG widersinnig. Es kann keinen Sinn machen — ich will es im Bild sagen — , wenn wir das Material, das wir beim Abreißen der Grenzpfähle im Inneren gewinnen, dazu benutzen, um neue Grenzen nach außen aufzurichten.
    Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vom Tag der Einführung der D-Mark und der sozialen Marktwirtschaft bis zum heutigen Tag ist ein Paradebeispiel, zu welchen Erfolgen ein Land im Guten kommen kann, das sich zum freien Welthandel bekennt. Die umgekehrten Beispiele will ich hier nicht nennen; aber sie sind uns geläufig. Dies kann nicht unsere Politik sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben — ich bedanke mich für die freundschaftliche Unterstützung und für das Lob, das wir empfangen haben — in diesem abgelaufenen Jahr in der Europäischen Gemeinschaft einen großen Schritt nach vorn tun können. Es sind jetzt nur noch 48 Monate, die uns vom Datum 31. Dezember 1991 trennen. Es gilt jetzt, auf dem Erreichten aufzubauen. Die vor uns liegenden Präsidentschaften — die der Spanier im ersten Halbjahr und der Franzosen im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres — werden eine weitere ganz wichtige und entscheidende Stufe auf diesem Weg in die Zukunft sein.
    Es gibt keine Alternative zu dieser Politik, auch wenn sie Opfer kostet, auch wenn viele hierzulande noch nicht begriffen haben, daß mit der Europäischen Gemeinschaft eine neue Qualität der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik eintritt. Unsere Freunde sagen ja zu Recht — oft mit einem Unterton des Vorwurfs —: Ihr habt die meisten und die größten Vorteile von dem, was sich da entwickelt.
    Meine Damen und Herren, wir sind auch im abgelaufenen Jahr im Blick auf die Rüstungskontrolle und Abrüstung ein entscheidendes Stück vorangekommen. Alle Zeichen deuten darauf hin, daß sich diese Entwicklung im nächsten Jahr positiv fortsetzen kann. Der neugewählte amerikanische Präsident hat mir vor ein paar Tagen bei unserem Gespräch in Washington noch einmal klar versichert, daß er die START-Verhandlungen zügig fortführen will. Ich kann das nur begrüßen, denn die Festigung der strategischen Stabilität dient nicht nur der Sicherheit der Großmächte, sondern alles, was bei START geschieht, liegt im ureigensten Interesse der Europäer.
    Bei den Genfer Verhandlungen über das weltweite Verbot Chemischer Waffen werden die USA unter George Bush auf der Grundlage des von ihm selbst — 1984 — eingeführten amerikanischen Vertragsentwurfs ihre Anstrengungen verstärken. Die offenen Überprüfungsfragen sind schwierig. Ich weiß dies. Aber ich kann nur sagen: Wir haben jedes Interesse daran, daß die C-Waffen verschwinden. Es gibt aus meiner Sicht kein Argument dafür. Angesichts der Hinweise, daß in bestimmten Ländern in schwierigen Regionen der Welt möglicherweise Produktionen dieser Art stattfinden, ist es um so wichtiger, daß alle Verantwortlichen hier so schnell wie möglich handeln. Wir wollen, daß die C-Waffen verschwinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das vor uns liegende Nahziel ist der Abschluß des Wiener KSZE-Folgetreffens mit einem substantiellen und ausgewogenen Schlußdokument, das ein Verhandlungsmandat über konventionelle Stabilität in ganz Europa einschließt.
    Gemäß den Beschlüssen unseres Bündnisses in Reykjavik vom Sommer 1987 ist es unser Ziel, deutliche und überprüfbare Reduzierungen sowjetischer und amerikanischer Kurzstreckenflugkörper auf gleicher Obergrenze zu erreichen.
    Der Zeitplan, Herr Abgeordneter Vogel, ist völlig eindeutig, er ist mit Rücksicht auf die amerikanischen Wahlen so terminiert worden. Wir werden im Frühsommer, im Mai oder Juni, den 40. NATO-Geburtstag mit einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs begehen — das wird vermutlich in London sein — , und dort wird das Gesamtkonzept zu verabschieden sein. Ich sage klar und deutlich aus meiner Sicht: Es muß ein Gesamtkonzept sein, und es kann nicht irgendwelche Entscheidungen zum Nachteil der Deutschen enthalten.
    Meine Damen und Herren, galt schon in politisch schwierigeren Zeiten der Satz, daß man das West-Ost-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Verhältnis nicht auf die Fragen von Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle verengen darf, so gilt dies heute, in einem Moment, wo mehr Chancen, als früher denkbar war, deutlich geworden sind, erst recht. Es geht darum, den politischen Dialog aller Staaten in Ost und West zu verstärken, es geht darum, die Zusammenarbeit auf allen Gebieten zum gegenseitigen Nutzen auszubauen. Die Bundesregierung stellt sich dieser Verantwortung.
    Der Herr Bundespräsident ist im Augenblick gerade in Bulgarien. Der Bundesaußenminister ist heute von dort zurückgekommen. Die Beziehungen zu Bulgarien haben sich ausgezeichnet entwickelt. Ähnliches gilt für die Beziehungen zu Ungarn, das kann jeder von Ihnen unschwer erkennen. Wir haben aus Gründen, die Sie alle kennen, schwierigere Gespräche mit Rumänien. Wir haben zu Beginn dieses Jahres angefangen, die Beziehungen mit Prag zu vertiefen. Dort ist inzwischen ein Wechsel an der Spitze eingetreten, dessen Konsequenzen noch nicht absehbar sind.
    Herr Abgeordneter Vogel, an mir wird es nicht liegen, die notwendigen Entscheidungen auch im Gespräch mit Polen herbeizuführen. Aber Sie wissen so gut wie ich, daß ein Besuch in Polen gerade in den letzten Monaten ganz gewiß nicht das Gemäße gewesen wäre, sondern daß wir die Entwicklung innerhalb Polens abwarten müssen. Es muß unser Ziel sein — ich glaube, darüber sind wir einer Meinung — , daß das, was mit Polen im Blick auf die Vergangenheit noch zu besprechen ist und was für die Zukunft vorbereitet werden kann, auch getan wird.
    Die zentrale Bedeutung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion habe ich erst vor ein paar Tagen hier deutlich gemacht. Wir haben einen vertieften Dialog begonnen, wir wollen eine der Zukunft zugewandte Zusammenarbeit sowohl mit der Sowjetunion als auch mit allen unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn.
    Meine Damen und Herren, wir wissen, wenn wir diesen Schritt tun, mit wem wir verhandeln; wir gehen ohne jede Illusion an diese Gespräche heran. Bei all diesen Fragen — das gilt vor allem für die Abrüstung — ist entscheidend, wie die Tatsachen aussehen und nicht, wie sich die Reden anhören. Und wenn wir von dieser sicheren Grundlage aus, die immer, wenn Sie so wollen, die geistige Grundlage des Harmel-Berichts war, an diese Fragen herangehen, dann, glaube ich, dürfen wir heute, am Vorabend des Jahres 1989, davon ausgehen, daß das neue Jahr auf dem Felde der Abrüstung und Entspannung Gutes bringen wird.
    Es ist hier von allen Rednern — und ich bin dankbar dafür — das Thema Aussiedler angesprochen worden. Es werden in diesem Jahr an die 200 000 sein, in den nächsten Jahren werden es wohl ähnliche Zahlen sein. Ich sage hier noch einmal: Es gilt der Satz: Aussiedler sind Deutsche. Sie haben ein Recht auf Einreise und Aufnahme. Dieses Recht ist aus gutem Grund durch das Grundgesetz verbürgt. Wir sollten uns davor hüten, daran herumzudeuteln und falsche Vergleiche mit anderen Gruppen anzustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn wir in diesem Sinne für die Aussiedler eintreten, dann ist das keineswegs eine Politik, als ob wir die Menschen, die in anderen Ländern leben, beispielsweise seit zehn bis zwölf Generationen in der Sowjetunion, auffordern würden, zu uns zu kommen. Ich habe in meinem Gespräch mit Generalsekretär Gorbatschow nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es unser Interesse ist, den Menschen, den Deutschen, die Sowjetbürger sind und dort leben, Lebenschancen und mehr Menschenrechte zu verschaffen, damit sie in ihrer alten Heimat bleiben können. Es kann nicht unser Interesse sein, ein Problem in einer Dimension von 2 Millionen Deutschen in der Sowjetunion lösen zu wollen. Aber es gibt andere Länder innerhalb des Warschauer Pakts, wo die Verhältnisse sehr viel schwieriger sind, wo ich das, was ich soeben sagte, so ohne weiteres nicht sagen kann, und wo unser Interesse sein muß, daß von dort möglichst viele hierher zu uns kommen. Wir sollten sie mit offenen Armen aufnehmen.

    (Beifall bei CDU/CSU und der FDP)

    Herr Abgeordneter Vogel, wenn Sie sich so um andere Parteien sorgen, dann rate ich Ihnen dringend, sich im Zusammenhang mit der Frage der Aussiedler den Äußerungen Ihres Stellvertreters, des saarländischen Ministerpräsidenten, anzunehmen. Nicht nur das, was hier im Bundestag gesagt wurde, sondern auch das, was draußen in der Öffentlichkeit von ihm gesagt wird, hat ein Niveau, das weit unter dem, was durchschnittliche deutsche Stammtische auf diesem Gebiet bieten, angesiedelt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist für meine Begriffe schlicht ein Skandal, daß ein Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes und immerhin der stellvertretende Vorsitzende einer so traditionsreichen Partei, die sich zu Recht in ihrer Geschichte zur Solidarität bekannt hat, in dieser Weise über die Deutschen spricht.
    Für uns ist folgendes festzuhalten: Wenn diese Deutschen zu uns kommen, um künftig als Deutsche unter Deutschen leben zu können, wenn sie kommen, weil sie ihren Kindern ihre Identität, ihre Sprache und Kultur sichern wollen, dann haben sie einen rechtlichen und moralischen Anspruch darauf, daß wir ihnen nach Kräften helfen. Das heißt, dies ist eine nationale Aufgabe für alle.
    Herr Abgeordneter Vogel — auch das sei hier einmal klar gesagt — , ich bin überzeugter Föderalist und war lange genug selber Ministerpräsident; aber ein Teil der Argumente, die ich gegenwärtig von der Seite der Gemeinden und von der Seite der Bundesländer in diesem Zusammenhang höre, entspricht nicht meiner Vorstellung von gelebtem Föderalismus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bund hat hier klar die Initiative ergriffen.


    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Er meint Niedersachsen!)

    — Ich habe jetzt kein einziges Land besonders zu erwähnen. Ich habe bewußt alle Länder und auch die Gemeinden angesprochen. Normalerweise hat der Abgeordnete Vogel ja immer einen bestimmten Oberbürgermeister im Sinn, den er gerne zitiert. Den meine



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    ich dabei ausdrücklich mit — damit wir uns nicht mißverstehen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Da sind wir uns ja einmal einig!)

    Ich will dazu noch einmal sagen: Jetzt ist die Zeit zu handeln. Wir haben dies getan mit einem Sonderprogramm zur Eingliederung der Aussiedler, mit der Sprachförderung, mit dem, was die Bundesanstalt für Arbeit jetzt an Verbesserungen bringt, mit dem Garantiefonds für schulische, berufliche und gesellschaftliche Eingliederungsbeihilfen, mit dem, was die Jugendgemeinschaftswerke erhalten, und vieles andere mehr.
    Wir haben vor allem folgende wichtige Maßnahme getroffen: Der Bund stellt den Ländern über 1 Milliarde DM als Finanzhilfen für den Bau von 45 000 Wohnungen in 1989 und 1990 zur Verfügung. Bereits seit Anfang Oktober können die Bundesländer diese Förderungsmittel bewilligen.
    Meine Damen und Herren, ich habe ebenfalls gesagt — das wissen die Herrn Ministerpräsidenten aus dem Gespräch, das wir hatten — , daß die Bundesregierung, wenn sich die Zahlen so entwickeln, wie es möglicherweise geschieht — niemand weiß das genau — , selbstverständlich bereit ist, notwendige Entscheidungen über das jetzt Bewilligte hinaus zu treffen. Dieses Wort steht, und dieses Wort gilt.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Weiß Herr Stoltenberg das auch?)

    Also kommt es jetzt nicht darauf an, zu streiten, wie man möglichst viel Kosten von einer Ebene auf die andere abschiebt, sondern wie man seiner nationalen Verantwortung wirklich nachkommt. Meine Bitte an Sie ist, daß Sie das tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Bei der heutigen Etatrede des Abgeordneten Dr. Vogel war bemerkenswert, wie wenig er über die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik gesprochen hat. Das hat seinen guten Grund, meine Damen und Herren; denn wenn er seine Rede von 1987

    (Seiters [CDU/CSU]: 1986!)

    — oder 1986 — heute noch einmal gehalten hätte, wenn er sie nur gelesen hätte, hätte er zugeben müssen, daß er sich in einer ganz unwahrscheinlichen Weise getäuscht hat.

    (Dr. Vogel [SPD]: Mit Ihnen zusammen!)

    Wenn Sie hier gesagt haben, Herr Abgeordneter Vogel, wir hätten uns ja auch getäuscht, wir hätten ja nur 2,5 % angenommen, dann muß ich Ihnen sagen: Das ist doch ein gewisser Unterschied zu jenem Verelendungsgemälde, das Sie uns vor einem Jahr dargeboten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: So hätte er es gerne gehabt!)

    Meine Damen und Herren, weiterer wirtschaftlicher Aufschwung, Expansion bei Stabilität, das ist kurzgefaßt das Markenzeichen der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, die nun ins siebte Jahr geht. So die
    Einschätzung des Sachverständigenrats, die er durchaus auch mit kritischen Anmerkungen zu unserer Politik ergänzt. Er schreibt: „Die Wirtschaft der Bundesrepublik bleibt auch im kommenden Jahr auf einem Expansionspfad", und er sieht insbesondere „gute Chancen, daß die Beschäftigung weiter steigt". Diese ermutigende wirtschaftliche Bestandsaufnahme steht in einem totalen Gegensatz zu jenem Zweckpessimismus, den Sie seit Jahr und Tag verbreiten.
    1988 — dies sind die Tatsachen — wird in die deutsche Wirtschaftsgeschichte wahrscheinlich als ein Jahr eingehen, in dem Stimmungsbilder und Prognosen zwar im Rekordtempo feilgeboten wurden, aber auch die wohl größte Fehlerquote seit langer, langer Zeit erreicht haben. Selten sind vorschnelle Worte, und zwar aus vielen Bereichen, nicht zuletzt auch aus dem Bereich der Wirtschaft, von den Tatsachen so schnell überholt worden.
    Meine Damen und Herren, zu diesem Rückblick gehört auch die Feststellung, daß die Bundesregierung in der damals psychologisch so schwierigen Situation — die Sie parteipolitisch ja sehr ausgenutzt haben — Maßnahmen getroffen hat, die sich als hilfreich erwiesen. Ich erinnere an die Verstärkung der Steuersenkung 1988 auf 14 Milliarden DM, an die zeitlich befristete Inkaufnahme eines höheren Haushaltsdefizits und an das Investitionsförderungsprogramm. Viele, nicht zuletzt auf Ihrer Seite, haben diese Initiativen aufs heftigste kritisiert. Ihre Kritik ist vom Schicksal der meisten Prognosen ereilt worden: Sie wurde von den Tatsachen widerlegt. Auch dies ist eine Erfahrung des Jahres 1988, die wir den Wählern, meine Damen und Herren, nicht vorenthalten sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Blick auf die Zeit, die vor uns liegt, erscheint es mir wichtig, daß wir sagen können: Wachstum und Beschäftigung stehen auf einer breiten und soliden Grundlage; neben dem privaten Verbrauch sind insbesondere die Investitionen zum Konjunkturmotor geworden. — Wie wichtig dies ist, liegt auf der Hand, denn die Investitionen von heute sichern die Wettbewerbsfähigkeit und damit immer die Arbeitsplätze von morgen.
    Die deutsche Wirtschaft ist auf dem richtigen Weg. Die Unternehmen haben ihre Investitionsplanungen deutlich nach oben revidiert; die Zahlen zeigen dies. In diesem Jahr, meine Damen und Herren, wird der Anteil der realen Investitionen in Maschinen und Anlagen am Bruttosozialprodukt aller Voraussicht nach den höchsten Stand seit dem Jahre 1971, d. h. seit 17 Jahren, erreichen. Dies ist ein Stück Abschlagszahlung auf die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes, und es widerlegt auch das Geschwätz vom Standortnachteil Bundesrepublik Deutschland. Es lohnt sich offenkundig, in der Bundesrepublik Deutschland zu investieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gleichzeitig — Graf Lambsdorff und Alfred Dregger sprachen davon — ist uns etwas gelungen, was Sie draußen fortdauernd unterschlagen, nämlich ein anhaltendes Wachstum mit einem hohen Maße an Preisstabilität zu verbinden. Wo gibt es vergleichbare Zah-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    len noch einmal in Europa? Nimmt man den Zeitraum seit 1986, so beläuft sich der Preisanstieg in diesen drei Jahren auf etwa 1 %. Meine Damen und Herren, wenn Sie hier auf die Geschichte der Bundesrepublik zurückblicken, müssen Sie schon 30 Jahre zurückgehen, um vergleichbare Ergebnisse zu sehen.
    Dieser Erfolg in Sachen Inflationsbekämpfung hat konkrete Folgen. Er hat zusammen mit dem anhaltenden Wirtschaftswachstum dazu geführt — das ist ganz anders, als Sie es hier darstellen wollten, Herr Vogel — , daß die Realeinkommen und damit der Wohlstand breiter Schichten der Bevölkerung spürbar zugenommen haben. In den drei Jahren seit 1986 haben die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte nach Abzug des geringen Preisanstiegs um nicht weniger als 130 Milliarden DM zugenommen. Das ist der stärkste Anstieg seit Beginn der 70er Jahre.
    Diese Entwicklung gilt nicht nur für Einkommensbezieher, sondern auch für die Rentner. Auch ihnen ist die positive Wirtschaftsentwicklung zugute gekommen. Waren die Renten von 1980 bis 1982 real um 3,2 % gesunken, so sind sie in den drei Jahren seit 1986 um 7 % gestiegen. Das ist Sozialpolitik für die breiten Massen unseres Volkes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das dokumentiert einmal mehr die Erfahrung — dies ist, glaube ich, eine der wichtigsten Erfahrungen aus 40 Jahren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland — , daß ein Mehr an sozialer Marktwirtschaft immer auch ein Mehr an Chancen für Einkommen und Renten, für Ersparnisse und Wohlstand eröffnet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Was mir besonders wichtig erscheint: Diese Einkommen sind nicht finanzielle Zuwendungen, die der Staat an Bürger weitergibt, sondern sie sind das Ergebnis der Leistung der einzelnen Bürger. Diese Einkommen bedeuten auch, daß die Abhängigkeit von staatlichen Kassen nicht größer, sondern geringer geworden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es sind Einkommen aus eigener Arbeit. Sie erweitern den Spielraum des einzelnen; sie bedeuten mehr Freiheit. Das ist das Ziel unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Entwicklung der letzten zwölf Monate hat auch auf dem Arbeitsmarkt positive Veränderungen gebracht. Natürlich weiß ich auch, daß hier noch viel zu tun ist und daß das eines der wichtigsten Probleme bleibt. Dabei sollten wir uns, wenn wir über den Arbeitsmarkt reden, nicht nur von der Statistik leiten lassen. Wir sollten vielmehr die Gesichter der Betroffenen und ihre Familien sehen. Tatsache ist, daß wir beides zu berücksichtigen haben: die Erfolge und das, was noch zu tun ist.
    Im September hat die Zahl der im Arbeitsleben Befindlichen erstmals wieder die Grenze von 26,4 Millionen überschritten. Das bedeutet einen Zugewinn von 870 000 gegenüber 1983. Das bedeutet zugleich den höchsten Beschäftigungsstand seit 1980. Die Sachverständigen gehen für Ende nächsten Jahres von einer
    Zahl in der Größenordnung von über 1 Million aus. Und was haben Sie uns hinterlassen, meine Damen und Herren — das soll man nicht vergessen!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wem ist dieser Zuwachs an Arbeit und Beschäftigung zugute gekommen? Zunächst einmal kam er vor allem jenen zugute, die durch Kurzarbeit betroffen waren. Das waren bei uns in der Bundesrepublik im März 1983 eine Million. Es sind jetzt weniger als 100 000.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die anderen sind komplett arbeitslos!)

    Das ist der niedrigste Oktober-Stand seit 1979.
    Der Zuwachs an Arbeit und Beschäftigung kam auch den jungen Leuten zugute. Wir haben durch gemeinsame Anstrengungen — Sie haben die Lehrstelleninitiative damals genug diffamiert — für mehr Lehrstellen gesorgt. Das war ein hervorragendes Ergebnis. Wir haben jetzt die Situation, daß viele Ausbildungsstellen noch offen sind. Wir werden uns in den nächsten Jahren noch mit Wehmut an die hohe Zahl von Lehrstellenbewerbern erinnern.

    (Jungmann [SPD]: Die demographische Entwicklung!)

    — Jetzt muß ich wirklich sagen: Bei der Überzahl von Lehrstellensuchenden haben Sie die Demographie nicht gelten lassen, und heute lassen Sie sie gelten, weil sie Ihnen gerade paßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Natürlich ist es so, daß die Demographie eine Rolle spielt; aber ebenso wahr ist, daß wir das Problem des Lehrstellenmangels gelöst haben, und zwar ohne Gesetze und ohne Abgaben, sondern mit dem guten Willen und der Unterstützung vieler Bürger.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Arbeitslosenquote für junge Arbeitnehmer unter 20 Jahren — das können Sie nicht so einfach auf die Demographie abschieben — lag zuletzt bei 5,3 %. Das sind fast 3 % weniger als die allgemeine Quote.
    Gemessen an internationalen Maßstäben, meine Damen und Herren, registrieren wir mit Blick auf die jugendlichen Arbeitslosen, daß wir innerhalb der EG mit die beste Entwicklung erreicht haben. Das ist kein Grund auszuruhen; aber es ist auch wahr, daß diese Tatsachen immer wieder bekanntgemacht werden müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Arbeitslosenquote insgesamt ist auf 8 % zurückgegangen. Das ist jetzt der niedrigste Wert seit sechs Jahren; das ist jedoch alles andere als ein Wert, mit dem wir zufrieden sein können. Es gehört vieles für die Zukunft noch dazu.
    Dazu zählt beispielsweise auch die Frage, wie weit wir die Statistik etwas durchsichtiger und verständlicher machen.

    (Opel [SPD]: Wieder manipulieren!)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    — Allein die Diskussion über einen Gegenstand ist für Sie eine Manipulation. Das ist bezeichnend für Ihr Demokratieverständnis.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Jeder, der ernsthaft mit führenden Repräsentanten etwa des Deutschen Gewerkschaftsbundes redet, und zwar nicht auf einer Kundgebung, sondern in einem normalen vernünftigen Gespräch,

    (Jungmann [SPD]: Ohne Feindbilder!)

    wird ohne weiteres über die Tatsache sprechen können, daß es selbst in Arbeitsamtsbezirken mit hoher Arbeitslosigkeit Arbeitskräftemangel gibt. Sie können das bei jeder zuständigen Stelle in praktisch jeder Stadt unschwer erfahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Folglich muß doch bei der Darstellung des Problems etwas falsch sein.
    Wir sehen auch, wo die Probleme liegen. Wir sehen, daß wir viele Arbeitslose haben, die Opfer von strukturellen und regionalen Verwerfungen sind, ob das in der Schuhindustrie ist, oder im Bereich der Kohle, ob das im Bereich des Stahls ist oder bei der Werftindustrie. Wir kennen ja die Beispiele. Aber wir sehen auch umgekehrt — das läßt sich nicht leugnen — die Veränderungen. Wir sehen die Tatsache, daß eine größere Zahl von Frauen als früher ins Arbeitsleben strebt, weil sie jetzt eine Chance sehen — die sie vorher überhaupt nicht gesehen haben — , eine Arbeit zu bekommen.
    Wir sehen auch Einstellungen, die ganz und gar töricht sind, etwa im Umgang mit älteren Arbeitnehmern. Selbst in einem Arbeitsamtsbezirk, der nahezu Vollbeschäftigung aufweist wie der mittlere Neckarraum, werden Sie heute die größten Probleme haben, wenn Sie einen 52-, 53jährigen unterbringen wollen. Es ist ein absoluter Unsinn, daß Lebenserfahrungen so gering geachtet werden und die Chancen deswegen entsprechend so schlecht sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich glaube, daß sich alle Beteiligten — das gilt für die Politik genauso wie für die Tarifpartner, für Gewerkschaften und Unternehmen — mehr einfallen lassen müssen auf zwei wichtigen Feldern: der Flexibilisierung und der Qualifizierung. Die Tatsache, daß über 1 Million der Arbeitssuchenden keine berufliche Qualifizierung aufweisen können, zeigt doch das eigentliche Problem, das wir in der Zukunft haben werden. Hier müssen wir ansetzen, und hier müssen wir die notwendigen Entscheidungen herbeiführen.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Darum kürzen Sie auch die Mittel?!)

    Aber hier geht es nicht um Entscheidungen, die primär der Politik übertragen sind. Wenn wir ja sagen zur Tarifautonomie, dann haben die Tarifpartner bei Abschlüssen und bei innerbetrieblichen Vereinbarungen die notwendige Verantwortung wahrzunehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Das andere Stichwort, das ich erwähnen möchte, gehört auch in diesen Bereich. Das ist die Flexibilisierung. Ich will besonders die Frage der Teilzeitarbeit ansprechen. Es ist nicht verständlich — obwohl jetzt bei uns die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind — , daß die Niederlande — das ist ein wirklich vergleichbares Land — 24 % und wir 12 % solcher Arbeitsplätze aufzuweisen haben. Hier herrscht in Personalbüros und, wie ich vermute, gelegentlich auch in Betriebsratsbüros noch sehr viel Denken in althergebrachten Bahnen.
    Die Flexibilisierung ist ja vor allem etwas, was berufstätige Frauen zugute kommt. Wer sich fortlaufend dazu bekennt, daß die Gleichberechtigung der Frau endlich Wirklichkeit werden muß, sollte sich auch darum kümmern, daß wir auf diesem Feld endlich vorankommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich begrüße es — das will ich ausdrücklich sagen —, daß gerade in allerjüngster Zeit auch im Kreis der Tarifpartner die Signale einer neuen Nachdenklichkeit und einer größeren Gesprächsbereitschaft auf diesem Feld deutlich zugenommen haben.
    Mir scheint auch das Verständnis dafür zu wachsen, daß ein Hochlohnland wie die Bundesrepublik Deutschland das erreichte Einkommensniveau nur sichern kann, wenn wir halt in der Lage sind, bei der Organisation der Arbeitszeit den veränderten technologischen und wirtschaftlichen Bedingungen besser Rechnung zu tragen. Wenn ich das sage — ich sage das vorsorglich, weil ich weiß, was ich von Ihrer Seite zu erwarten habe — , bedeutet das selbstverständlich nicht, daß soziale Absicherungen in Sachen Arbeitszeit zur Disposition gestellt werden sollen. Klar ist aber, daß wir insgesamt gesehen beweglicher werden müssen.

    (Zuruf von der SPD: Was heißt das denn?)

    Wenn wir nicht beweglicher werden, werden wir unseren Platz als Exportnation Nummer eins auf die Dauer nicht halten können.
    Vor allem warne ich — da sehe ich bei den Gewerkschaften erfreulicherweise eine gute Entwicklung — vor pauschalen Konzepten. Was für ein kapitalintensives Großunternehmen der Industrie mit einem Mehrschichtbetrieb gut und sinnvoll sein mag, das paßt noch lange nicht für ein Handwerksunternehmen. Die Differenzierung auch im Blick auf die Regionen gibt uns hier, glaube ich, noch eine ganze Menge Chancen.
    Mit einem Satz: Es gibt noch vieles zu tun, nicht nur für die Tarifpartner, auch für die Politik. Wir haben die Aufgabe, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen.
    Aber das werden wir nur tun können, wenn wir eine andere Priorität beachten. Das sind solide Staatsfinanzen. Ich sagte bereits, daß wir im laufenden Jahr auf Grund der besonderen Situation infolge der Turbulenzen an den Finanzmärkten ein höheres Haushaltsdefizit in Kauf genommen haben. Ich habe damals, vor einem Jahr, erklärt: das wird sich nicht wiederholen, das wird ein Ausreißer bleiben. Sie haben uns beschimpft, diffamiert und alles Mögliche nachgesagt. Wenn Sie fair sind, gehen Sie heute an dieses Pult und



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    bekennen, daß alles, was Sie vorhergesagt haben, falsch war.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe damals gesagt — und der Kollege Stoltenberg hat es bei vielen, vielen Gelegenheiten deutlich gemacht —, daß die Nettokreditaufnahme des Bundes im Haushaltsjahr 1989 um mindestens 10 Milliarden DM zurückgeführt werden soll. Heute können wir feststellen, daß der Haushalt, der Ihnen zur Entscheidung vorliegt, dieser Vorgabe entspricht.

    (Zuruf von der SPD: Ach Gott!)

    Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß das Ziel einer wirksamen Ausgabendisziplin und einer Begrenzung der jährlichen Neuverschuldung für uns unverändert Gültigkeit hat. Sie haben mich hier zitiert, Herr Kollege Vogel, mit dem, was ich auf einem Parteitag in Aachen gesagt habe, und ich nehme das gerne auf: Nur wer das eigene Haus in Ordnung hält, kann auch etwa in der Weltpolitik oder in der Europapolitik seinen Beitrag leisten.

    (Zuruf von der SPD: Dann geben Sie sich doch Mühe!)

    Weil dies so ist, halten wir dieses Haus Bundesrepublik Deutschland in Ordnung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Und es ist in Ordnung!)

    Meine Damen und Herren, diesem Ziel dient auch unsere Steuerpolitik. Auch das ist ja eine, wie ich finde, gute Entwicklung — das gilt nicht nur für Sie, sondern das gilt auch für viele in der Koalition — : Wieviel Ratschläge gab es denn, meine Damen und Herren, die Terminplanung hinsichtlich der Steuersenkungen zu verändern? Dieser Tage sagte mir einer von jenen, die es eigentlich wissen müssen: Daß jetzt die nächste Rate zum 1. Januar 1990 kommt, ist wie gemalt; besser hätte man es gar nicht machen können.
    Die Steuerreform 1990 trägt eben der gesamten Entwicklung Rechnung. Die nachhaltige Anhebung des Grundfreibetrags, die Besserstellung der Familien mit Kindern, die Beseitigung des sogenannten Mittelstandsbauchs — das alles sind Inhalte der Reform, die in die Zukunft weisen. Das ist hier von meinen Kollegen aus der Koalition schon deutlich angesprochen worden.
    Meine Damen und Herren, im Blick auf die EG und den europäischen Binnenmarkt in 48 Monaten sind die anderen Reformen unerläßlich. Ich nenne hier die Postreform, von Ihnen heftig bekämpft.

    (Zuruf von der SPD: Ja!)

    Ja, meine Damen und Herren, wenn es so weitergegangen wäre, wie Sie es bei der Post gemacht haben, wäre die Post in ein paar Jahren am Ende gewesen.

    (Lachen und Widerspruch bei der SPD)

    Sie haben den Personalumfang ausgeweitet und
    nichts, aber auch gar nichts für die Zukunftssicherung
    getan. Sie haben die Arbeitsplätze bei der Post gefährdet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Was haben Sie denn an Anpassungen bei den neuen Kommunikationstechnologien angesichts der veränderten Marktbedingungen gemacht?
    Und was haben Sie im Blick auf die Lohnnebenkosten getan, meine Damen und Herren, etwa im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungssystem?

    (Dr. Vogel [SPD]: Die sind doch bei Ihnen gestiegen, höher denn je! — Weiterer Zuruf von der SPD: Sie haben sie erhöht!)

    Nun, Herr Abgeordneter Vogel,

    (Dr. Vogel [SPD]: Herr Abgeordneter Kohl!)

    ziehen Sie durchs Land und machen Volksverhetzung in Sachen Gesundheitsreform.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Unerhört!)

    — Doch, doch, das machen Sie.

    (Weitere anhaltende Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

    Herr Abgeordneter Vogel, wenn Sie die Flugblätter lesen, die Ihre Partei draußen gegen Blüm, gegen mich und andere verteilt, dann müssen Sie erkennen, daß das unerträglich ist, und das muß hier einmal zur Sprache gebracht werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Art der politischen Auseinandersetzung, die Sie treiben, ist völlig unerträglich.

    (Dr. Vogel [SPD]: Mäßigen Sie sich! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Sie haben uns dieses Erbe hinterlassen: Im Jahre 1970 haben wir in der Bundesrepublik — —

    (Erneute anhaltende Zurufe von der SPD)

    — Ja, meine Damen und Herren, ich weiß, Sie sind stark im Austeilen.

    (Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

    — Ich weiß, Sie sind stark im Austeilen, und wir sollen alles einstecken. Es ist unerträglich, was Sie im Zusammenhang mit der Gesundheitskostenreform — ich sage dies noch einmal — draußen im Lande betreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jungmann [SPD]: Aufhören! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Die Art und Weise Ihrer Darstellung hat nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun.

    (Große Unruhe — Erneute Zurufe von der SPD)