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ID1110603000

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    Plenarprotokoll 11/106 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 106. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Czaja 7277 A Erweiterung der Tagesordnung 7277 B Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Ergebnisse der Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR Dr. Kohl, Bundeskanzler 7278A Dr. Vogel SPD 7284 B Rühe CDU/CSU 7287 D Schily GRÜNE 7291 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7294 A Heimann SPD 7296 C Frau Geiger CDU/CSU 7299 C Frau Beer GRÜNE 7301 B Genscher, Bundesminister AA 7302 A Erler SPD 7305 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 7307 D Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (Wohnungsbauänderungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/3160, 11/3264) 7309C b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aufhebung des Visumzwanges gegenüber Ungarn (Drucksache 11/2203) 7309 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Für eine Politik der offenen Grenzen — für ein Recht auf Zuflucht — Flüchtlings- und Asylkonzeption (Drucksache 11/3249) 7309D Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 11/1823, 11/3131) 7310A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Sechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 11/2726, 11/3123) 7310B Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 11/3245) 7310B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 86 zu Petitionen (Drucksache 11/3289) 7310 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 87 zu Petitionen (Drucksache 11/3290) 7310 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung der deutschen Pfandbriefanstalt in eine Aktiengesellschaft (Drucksachen 11/2047, 11/2992) Uldall CDU/CSU 7310 C Dr. Wieczorek SPD 7311D Dr. Solms FDP 7313 C Hüser GRÜNE 7314 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7315 A Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung für die Bemühungen um Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und um Gerechtigkeit für ihre Opfer (Drucksache 11/2985) b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Aufnahme der in Chile mit der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen (Drucksache 11/2986) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung der Oppositionspresse in Chile (Drucksache 11/2987) Volmer GRÜNE 7316B Schreiber CDU/CSU 7317 D Duve SPD 7319 C Irmer FDP 7321 A Schäfer, Staatsminister AA 7322 B Volmer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 7323 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Guernica, Baskenland zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Geste des Friedens und der Freundschaft durch die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der baskischen Stadt Guernica in Spanien (Drucksachen 11/362, 11/483, 11/3180) Frau Kelly GRÜNE 7324 A Dr. Pohlmeier CDU/CSU 7325 A Duve SPD 7325 C Irmer FDP 7326 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrensrechtlicher und ausländerrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/2302, 11/3189) Spranger, Parl. Staatssekretär BMI 7327 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 7328 D Dr. Hirsch FDP 7330 D Frau Olms GRÜNE 7332 A Dr. Olderog CDU/CSU 7332 D Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksachen 11/2065, 11/3279) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Marschewski, Dr. Hüsch, Eylmann, Dr. Langner, Seesing, Geis, Hörster und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert (Hannover), Funke, Irmer und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksachen 11/2991, 11/3279) Dr. Pick SPD 7334 B Helmrich CDU/CSU 7334 D Hüser GRÜNE 7335 A Kleinert (Hannover) FDP 7335 C Engelhard, Bundesminister BMJ 7335 D Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften (Drucksachen 11/920, 11/1978) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 III b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einer Mitteilung der Kommission an den Rat über Maßnahmen im Bereich des Buches (Drucksachen 11/706, 11/2505) Weisskirchen (Wiesloch) SPD 7337 A Frau Pack CDU/CSU 7338 A Hüser GRÜNE 7338 D Neuhausen FDP 7339 B Schulhoff CDU/CSU 7340 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7341A, 7341D Duve SPD 7341 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos): Sitzplatz des Abgeordneten Wüppesahl im Plenarsaal (Drucksache 11/3198) Bohl CDU/CSU (zur GO) 7342 B Wüppesahl fraktionslos 7342 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/2118) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/3295) Verheugen SPD 7344 A Graf Huyn CDU/CSU 7345 B Frau Schilling GRÜNE 7346 B Irmer FDP 7347 B Dr. Scheer SPD 7348 D Schäfer, Staatsminister AA 7349 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen (Drucksache 11/2437) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Das Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan (Drucksache 11/3272) Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 7351 C Dr. Holtz SPD 7352 A Frau Folz-Steinacker FDP 7353 B Frau Olms GRÜNE 7354 C Höffkes CDU/CSU 7355 B Schäfer, Staatsminister AA 7356 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/2742, 11/3293, 11/3297) Regenspurger CDU/CSU 7358 A Lutz SPD 7359 B Dr. Hirsch FDP 7360 B Nächste Sitzung 7361 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 7362* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 7277 106. Sitzung Bonn, den 10. November 1988 Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 11. 11. Amling 11. 11. Antretter 10. 11. Frau Beer 11. 11. Böhm (Melsungen)* 11. 11. Börnsen (Ritterbude) 11. 11. Dr. Bötsch 11. 11. Bühler (Bruchsal)* 10. 11. Dollinger 11. 11. Dr. Dregger 11. 11. Ebermann 11. 11. Frau Eid 11. 11. Dr. von Geldern 10. 11. Dr. Glotz 11. 11. Grüner 10. 11. Frau Dr. Hamm-Brücher 11. 11. Dr. Hauff 11. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hensel 11. 11. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 11. Irmer 10. 11. Dr. Klejdzinski* 10. 11. Dr. Knabe 10. 11. Kolb 10. 11. Leonhart 11. 11. Frau Luuk* 10. 11. Dr. Müller** 11. 11. Müller (Düsseldorf) 10. 11. Frau Nickels 11. 11. Niegel* 10. 11. Paintner 11. 11. Reddemann** 10. 11. Reuschenbach 11. 11. Frau Rock 11. 11. Frau Saibold 10. 11. Dr. Schäuble 10. 11. Scherrer 10. 11. Dr. Schmude 11. 11. Dr. Schneider (Nürnberg) 10. 11. Frau Trenz 11. 11. Voigt (Frankfurt) 11. 11. Frau Wieczorek-Zeul 11. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident, vielleicht erlauben Sie mir, noch wenige Gedanken auszuführen und die rote Farbe hier zu übersehen.

    (Lamers [CDU/CSU]: Das ist immer gut!)

    Ganz gewiß, meine Damen und Herren, könnten Begegnungen der Soldaten von beiden Seiten vertrauensbildend wirken. Unsere verantwortliche Politik der aktiven Friedenssicherung stellt den Friedensdienst unserer Soldaten nicht in Frage. Wohl aber würde die Weigerung, Möglichkeiten von sicherheitsbildender Abrüstung zu nutzen, den sicherheitspolitischen Mindestkonsens in Frage stellen können, der gerade für eine Demokratie mit Wehrpflichtarmee besonders wichtig ist. Deshalb brauchen wir keine Brandmauern gegen neue Abrüstungsbereiche, sondern eine Brandmauer der Vernunft und der Verantwortung gegen einen neuen Rüstungswettlauf.

    (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Einschließlich Modernisierung!)

    Deshalb wollen wir entsprechend den Beschlüssen von Reykjavik unser Abrüstungskonzept erarbeiten. Deshalb halten wir es für dringend geboten, daß, wie bei der NATO-Außenministertagung in Reykjavik im Frühjahr 1987 vorgesehen, die Verhandlungsposition für die nuklearen Kurzstreckenraketen erarbeitet wird. Deshalb unterstützen wir die Bemühungen der Großmächte um eine 50%ige Reduzierung ihrer strategischen Potentiale.

    (Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

    Deshalb halten wir die konventionelle Abrüstung und die Verhandlungen darüber für ein zentrales Ziel. Ich kann nur hoffen, daß die Widerstände, die es derzeit in Wien noch gibt, überwunden werden können.
    Hier ist von verschiedenen Rednern, meine Damen und Herren, auf die Menschenrechtskonferenz in Moskau verwiesen worden. Als die Konferenz in Wien eröffnet wurde, habe ich mich damals im Prinzip positiv geäußert und zum Ausdruck gebracht: Wenn die
    Voraussetzungen dafür gegeben sind, werden wir dafür eintreten. Es wird eine Menschenrechtskonferenz in Paris geben. Es wird eine Menschenrechtskonferenz in Kopenhagen geben. Wenn die in Moskau denselben Standards an Zugang, Berichterstattung und Freiheit folgt, warum denn eigentlich nicht?

    (Beifall des Abg. Schily [GRÜNE])

    Sollte es nicht unser Interesse sein, möglich zu machen, daß in Freiheit und ungehindert gerade in Moskau über Menschenrechte diskutiert wird?

    (Beifall bei allen Fraktionen) Darum geht es.

    In diesem Sinne, meine Damen und Herren, appelliere ich an alle Teilnehmer der Wiener Konferenz, mit uns zusammen zum Abschluß dieser Konferenz zu kommen und den Weg für die Verhandlungen über die konventionelle Abrüstung freizumachen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Gernot Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch am 20. Oktober, nur wenige Tage vor Abreise des Bundeskanzlers und seines umfangreichen Trosses nach Moskau, hat der Generalsekretär der CDU das bevorstehende Ereignis in den historischen Adelsstand erhoben und den geschichtlichen Bogen zu den Moskau-Reisen Adenauers von 1955 und Willy Brandts von 1970 geschlagen. Entsprechend hoch mußte er auch die Meßlatte für den Erfolg der Visite legen. Geißler erwartete „Fortschritte in der Berlin-Politik", „Fortschritte in der Deutschlandpolitik", „Fortschritte in der Abrüstung" und „Fortschritte bei den Menschenrechten".
    Während der Reise wurden dann schon kleinere Brötchen gebacken, und am Ende beklatschten die Regierungsparteien vor allem atmosphärische Verbesserungen im deutsch-sowjetischen Verhältnis und haben das auch heute hier wieder getan. Ernüchterung war allenthalben spürbar, und sie läßt sich auch nicht dadurch überspielen, daß man greifbare Ergebnisse einfach auf den Gegenbesuch Gorbatschows im nächsten Jahr vertagt und behauptet, beide Visiten müsse man schließlich als Einheit betrachten.
    Nun ist Atmosphäre auch etwas, und jeder Mensch in unserem Lande wird es begrüßt haben, daß zwischen Kohl und Gorbatschow endlich Gesprächsfähigkeit hergestellt wurde. Doch jeder konnte auch beobachten, wie schwierig es war, Probleme zu überwinden, die der Kanzler Kohl mit seinem zumindest bisher notorisch gestörten Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn und mit seinen unsäglichen historischen Vergleichen selber im Gepäck mitgebracht hatte.
    Kein Wunder, daß dann kleinste atmosphärische Fortschritte schon enthusiastisch gefeiert wurden. Selbsternannte politische Meteorologen griffen sogar zum Mittel einer fragwürdigen Übersetzung, um aus der Andeutung einer Vorfrühlingsstimmung, die das Gorbatschow-Wort vom „led tronulsja", also dem



    Erler
    „Anrühren des Eises" bezeichnet, flugs ein Brechen des Eises mit frühsommerlichen Begleittemperaturen zu konstruieren.
    Alle ließen sich nicht mitreißen von solcher Euphorie. So nannte Christian Schmidt-Häuer in der „Zeit" das Verhalten des Generalsekretärs gegenüber dem deutschen Gast „eher harsch als huldvoll" .

    (Reddemann [CDU/CSU]: Huldvoll sollte er auch nicht sein!)

    — Das ist eine Formulierung des „Zeit" -Korrespondenten gewesen. — Es ließ sich auch schwer übersehen, daß Gorbatschow in seiner Tischrede gleich vier Opponenten und Konkurrenten des Kanzlers, nämlich Brandt, Genscher, Späth und Rau, namentlich und demonstrativ lobte. Da bot sich der Vergleich zu dem warmherzigen Empfang des italienischen Ministerpräsidenten Ciriaco de Mita in Moskau an, den der sowjetische Generalsekretär zehn Tage vorher auch mit vier Namen geschmückt hatte, als er von der sowjetischen Verehrung für Dante, Petrarca, Mazzini und Garibaldi sprach. Hier liegen noch atmosphärische Welten dazwischen, und der Bundeskanzler muß das wohl auch gespürt haben, wenn er sich etwa bescheiden daran freute, daß — wie er wörtlich erklärt hat — die Gespräche in „europäisch kultivierter Weise " verlaufen seien.
    Nein, auch bei der vielgelobten Atmosphäre läßt sich beim besten Willen nicht mehr feststellen als jener „Startschuß zur Normalität", den die „Stuttgarter Zeitung" nüchtern zu vernehmen meinte.
    Daß die Frage des Endes von Eiszeiten im Echo auf die Reise des Bundeskanzlers eine solch herausragende Rolle gespielt hat, liegt an der Dürftigkeit der tatsächlich greifbaren Ergebnisse. Gewiß, es wurden sechs lange vorbereitete Regierungsabkommen und etwa 30 Wirtschaftsvereinbarungen unterzeichnet. Aber Fortschritte in der Berlin-Politik

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — ich messe das ja an den Worten Ihres eigenen Generalsekretärs; hören Sie doch mal zu —, in der Deutschlandpolitik, bei der Abrüstung, wie sie Heiner Geißler ankündigte, hat es nicht gegeben. Darüber hat auch Hans-Jochen Vogel hier bereits gesprochen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Tragen Sie doch mal vor, was der Herr Bahr gesagt hat!)

    Und selbst da, wo eilig ein Erfolg dieses Besuches reklamiert wurde, nämlich bei der Frage der Menschenrechte, sah hinterher alles etwas anders aus.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie?)

    — Das sage ich ja gerade: Sowjetische Sprecher mußten die frohe Botschaft von der Freilassung aller politischen Häftlinge korrigieren: Erstens sei dies keine neue Zusage — die hatte Schewardnadse nämlich schon vier Wochen vorher gemacht —

    (Uldall [CDU/CSU]: Warum mußten die das korrigieren?)

    und zweitens — jetzt hören Sie mal zu — beziehe sie
    sich auf gerade elf Sowjetbürger, die nach den §§ 70
    und 190 der sowjetischen Strafprozeßordnung wegen
    antisowjetischer Agitation und Propaganda sowie Verleumdung der sowjetischen Staatsordnung inhaftiert seien.
    In der Tat ist ja in den letzten Monaten, was die Bürger- und Freiheitsrechte angeht, unter der Devise von Glasnost, Demokratisierung und Entwicklung einer sozialistischen Rechtsstaatlichkeit in Moskau vieles in Bewegung gekommen. Hätte man da gerade von dem Bundeskanzler und Vorsitzenden der CDU als Vertreter einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, weltweit an vorderster Stelle für Menschenrechte zu streiten, nicht wenigstens erwarten können, daß er sich vorher über den Sachverhalt informiert? Weiß der Bundeskanzler eigentlich, daß amnesty international als Gefangenenhilfsorganisation, die übrigens diese positive Entwicklung in Moskau sehr wohl registriert hat, noch immer 140 gewaltlose politische Gefangene in der Sowjetunion betreut, von denen aber nur einer im Gefängnis sitzt, während elf in Besserungs-Arbeits-Lagern gehalten werden, andere ihr Leben in der Verbannung und in Lagern verbringen müssen — unter ihnen besonders Anhänger religiöser Gemeinschaften und Kriegsdienstverweigerer — und schließlich ein Großteil zu Arbeiten auf Staatsbaustellen verpflichtet ist?
    Gerade weil man hier bei sorgfältigem Umgang mit dieser sensiblen Materie wirklich hilfreich hätte sein können, gerade weil es doch jetzt darauf ankäme, nicht durch spektakuläre und dann wie Seifenblasen platzende Ankündigungen eigene Erfolge zu reklamieren, sondern ohne die Scheinwerfer der Offentlichkeit den hoffnungsreichen Wandlungsprozeß bei den Menschenrechten in Osteuropa zu ermutigen, gerade deshalb überzeugt dieser Teil der Mitbringsel aus Moskau in keiner Weise. Das hindert niemanden und schon gar nicht die Sozialdemokraten daran, es zu begrüßen, daß jetzt die bundesdeutschen Einwände gegen eine Menschenrechtskonferenz in der Folge des KSZE-Prozesses abgeräumt werden.

    (Bundesminister Genscher: 1986 schon!)

    Insgesamt hat es dem Bundeskanzler an Mut gefehlt, die Gunst der Stunde zu nutzen, um in Moskau eigene deutsche Positionen zu vertreten und mit dem sowjetischen Generalsekretär zu beraten. Warum hat er nicht in Moskau einmal deutsche Gedanken zur konventionellen Abrüstung vorgetragen? Warum hat er nicht klargestellt, daß sich die Bundesrepublik an keinerlei technischer Umgehung des INF-Abkommens beteiligen wird? Warum hat er nicht, wie Staatspräsident Mitterrand es kürzlich tat, eigene konstruktive Ideen zu Gorbatschows Vorschlag von einem „europäischen Reykjavik" vorgetragen, statt, wie er es auch heute im Plenum wiederholt hat, auf weitere, so wörtlich, sowjetische Erläuterungen zu warten? Warum hatte er nicht einmal eine deutliche Absage an unnötige Handelsembargos gegenüber der Sowjetunion im Gepäck und keinerlei Vorschläge, wie angesichts des bevorstehenden westeuropäischen Binnenmarktes die wirtschaftlichen Beziehungen zu Osteuropa konkret gestaltet werden können?
    Vielleicht werden Sie und wir in wenigen Wochen noch einmal an diese verpaßten Chancen erinnert, wenn der französische Staatspräsident nach Moskau



    Erler
    fährt und dann Vergleichsmöglichkeiten bestehen werden.

    (Reddemann [CDU/CSU]: Der gibt in Absprache mit dem Bundeskanzler Erklärungen ab! Sie sind sowieso immer dagegen, schon bevor etwas passiert!)

    — Das kann sein. Wir werden ja sehen, was für Ergebnisse dabei herauskommen.
    Es kann sein, daß dem Bundeskanzler auch deshalb dieser Mut gefehlt hat, weil in seiner Partei der Weg zu einem wirklich neuen Kapitel der deutsch-sowjetischen Beziehungen noch nicht geebnet ist. Wie ist es sonst zu erklären, daß Verteidigungsminister Scholz, der in Moskau scharfe Töne vermieden hat, nur wenige Tage später bei einer CDU-Versammlung in Fellbach wieder kräftig vom Leder zog? Da ist so etwas wie ein zoologisches Phänomen passiert: Aus einem freundlichen Teddy ist über Nacht wieder der allbekannte dräuende Grizzly geworden. Da hieß es auf einmal, Gorbatschow strebe mit seinem Werben für ein „gesamteuropäisches Haus", ein Begriff, den der Herr Bundeskanzler in Moskau und auch heute hier wieder durchaus für akzeptabel erklärt hat, die — wörtlich — „Vorherrschaft in Europa" an. Da brachten auf einmal Warnungen, die — so wörtlich — „Gefahr aus dem Osten" nicht zu unterschätzen, Stimmung in den Saal, ebenso wie Absagen an — wörtlich — „vorauseilendes westliches Entgegenkommen" und —ebenfalls wörtlich — „weitere einseitige Vorleistungen "
    Diese Melodie, meine Damen und Herren, besonders von dieser Seite des Hauses, kennen wir, und wir bedauern, daß durch solche Auftritte der Eindruck entstehen kann, daß diese Regierung vor eigenem Publikum nicht zu den Einsichten, Ansichten und Erklärungen steht, die sie auf internationalem Parkett verlautbaren läßt. Hier offenbart sich noch ein großer Bedarf an Nacharbeit für den Bundeskanzler in seiner eigenen Umgebung und in seiner eigenen Partei. Da muß jetzt das anfangen, was er heute hier als Ziel formuliert hat, die Grundsanierung des Ost-West-Verhältnisses. Das muß in der eigenen Umgebung anfangen.
    Selbst die bescheidenen atmosphärischen Fortschritte, die bei der Reise aus Moskau mitgebracht worden sind, und die dürftigen — ich wiederhole es — Ergebnisse in der Sache wird diese Regierung jetzt zu Hause noch durch besondere Anstrengungen absichern müssen. Herr Minister Scholz, Sie haben dazu in Fellbach keinen guten Anfang gemacht.
    Dabei wäre ein Anknüpfungspunkt in der Sache durchaus gegeben. Wir haben mit großem Interesse gelesen, was Sie in Moskau über gegenseitige Sicherheit gesagt haben. Wörtlich haben Sie vor der Malinowski-Militärakademie ausgeführt:
    Für die künftige Gestaltung der Ost-West-Beziehungen kann ich mir ein Konzept gegenseitiger Sicherheit vorstellen. Ein solches Konzept verlangt von jeder Seite die Bereitschaft, sich gegenseitig das gleiche Maß an Sicherheit einzuräumen. Es verlangt den überzeugenden Verzicht, politische Probleme mit militärischen Mitteln lösen zu wollen.
    Sie kommen dann auf weitere Kennzeichen dieses Konzepts, auf ein Gleichgewicht der beiderseitig gesicherten Verteidigungsfähigkeit, auf vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Entspannung und Abrüstung als Voraussetzung. Wir haben gestern ein Gespräch im Verteidigungsausschuß darüber gehabt. Es hat sich gezeigt: In der Tat ist dieses Konzept gegenseitiger Sicherheit nicht so weit von dem sozialdemokratischen Konzept der gemeinsamen Sicherheit entfernt, und das ist nun schon gar nicht weit entfernt von dem, was der Bundesaußenminister hier eben noch einmal — durchaus mit unserer Zustimmung — zu diesem Prinzip der gemeinsamen Sicherheit ausgeführt hat.
    Aber, Herr Minister Scholz, Sie werden, wenn Sie sich auf die Spur eines solchen Konzepts machen, bald sehen, daß das dann eben unvereinbar ist mit dem dogmatischen Festhalten an atomarer Abschreckung, daß das unvereinbar ist mit einer Modernisierung, die in der Sache nichts weiter bringt als neue Waffen, die mit Tricks so ausgebaut werden, daß sie die alte Zielabdeckung gewährleisten, und daß dieses Konzept auch nicht vereinbar ist mit den steten Wiederholungen der Forderung einseitiger Rüstungsreduzierung an unsere östlichen Nachbarn.
    Wir Sozialdemokraten sind bereit, mit Ihnen über diese Konzeption zu reden, zu schauen, wie weit die Gemeinsamkeit da geht, und auch zu schauen, ob es nicht einen gemeinsamen Weg geben kann, eine Art Konvergenz dieser Begriffe „gemeinsame Sicherheit" und „gegenseitige Sicherheit". Von einem Erfolg dabei wäre meines Erachtens die Chance, daß es beim Gegenbesuch von Gorbatschow im nächsten Frühjahr handfestere Ergebnisse gibt, abhängig. Dann haben wir vielleicht die Chance, daß wir nicht wieder politische Wetterberichte über berührtes, schmelzendes oder brechendes Eis als Hauptnachricht bekommen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der SPD)