Rede:
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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß wir uns hier nach Mittag noch im trauten Familienkreis befinden, macht es mir leichter, zu sagen, daß der Bundeskanzler in einer insgesamt durchaus debattierbaren Rede einen sehr schlechten Start hatte. Ich weiß nicht, warum er nun seit Jahren nicht von seiner Verelendungstheorie, vom Sozialismus, vom Neid usw. wegkommt. Erstens ist es falsch, und zweitens ist es abgedroschen. Herr Vizekanzler — ich weiß nicht, wo der Herr Bundeskanzler ist — , vielleicht könnten Sie ihm ausrichten, daß ich zu seiner geistigen Weite den Rat beitragen will, seine Reden einmal mit seinem eigenen Weltbild zu beginnen. Denn es ist nicht so, daß wir meinen, die Bundesrepublik sei verelendet. Wir sind stolz drauf, daß sie ein reicher Staat ist, wir sind stolz darauf, Herr Vizekanzler, daß wir dazu so viel beigetragen haben,
    und wir sind stolz darauf, daß wir in einem Land mit Preisstabilität leben. Das war schon immer so: Das war schon unter Willy Brandt so, das war unter Helmut Schmidt so.

    (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Oh!)

    — Relativ — das ist ja etwas, was die ganze Welt betrifft — , wir lagen immer auf Platz 1, gnädige Frau.
    — Der Bundeskanzler hat nur eins vergessen, nämlich zu sagen, daß wir in sozialdemokratischen Zeiten in Sachen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die ja auch weltweit existiert Nummer 1 in der Welt waren und heute in der unteren Hälfte liegen.

    (Ronneburger [FDP]: Aber doch nicht mehr zum Schluß!)

    — Am Schluß lagen wir nie, Herr Ronneburger. Eine der großen Leistungen von Helmut Schmidt bestand darin, daß wir am besten mit der Krise fertig geworden sind. Diese Regierung aber ist ins zweite Drittel abgerutscht.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß der Bundeskanzler das nicht erwähnt, liegt an seinem Weltbild: Es ist das Weltbild der oberen Zehntausend. Das überrascht nicht, weil es auch eine Regierung der oberen Zehntausend ist. Ein Kanzler, der sagt, es sei in der Bundesrepublik noch nie so schön gewesen wie heute, trotz der drei Millionen Arbeitslosen und der ständig wachsenden Zahl von Sozialhilfeempfängern — inzwischen auch über zwei Millionen —, ein solcher Kanzler ist völlig realitätsblind.

    (Beifall bei der SPD)

    Das geht nach dem Motto: Und du siehst nur die im Lichte, die im Dunkeln siehst du nicht.
    Das gleiche gilt übrigens auch für die ökologischen Probleme. Ich freue mich über das, was der Kanzler hier heute zur Ozonschicht, zur Nord- und Ostsee, zur Verseuchung des Rheins etc. Wahres gesagt hat; ein großes Problem wird noch die Verseuchung unserer Böden werden. Nur hat die Regierung leider nichts auf diesen Gebieten getan.
    Wenn ich das Werk dieser Regierung, auch des Vizekanzlers Genscher, zusammenfasse, komme ich zu dem Ergebnis: Fortschreitende Umweltzerstörung und steigende soziale Armut bei wachsendem wirtschaftlichen Reichtum, das ist das Markenzeichen dieser Regierung.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn man dann noch die Ungerechtigkeiten gegenüber der Dritten Welt hinzunimmt, dann sollte jedenfalls der sich christdemokratisch nennende Teil der Koalition — Herr Rühe — vielleicht einmal an das Wort des Heiligen Augustin denken, daß Staaten ohne Gerechtigkeit Räuberbanden ähneln.

    (Beifall bei der SPD)

    Der zweite Punkt, den der Kanzler gegenüber der SPD so herausstreicht, ist die geistig politische Führung. Wir hatten — ich lasse einmal die ganzen Bonner Affären weg — den Offenbarungseid der Stoltenberg-CDU in Schleswig-Holstein. Und ich bin nicht so



    Dr. Ehmke (Bonn)

    sicher, daß der Offenbarungseid von Herrn Albrecht am Ende wesentlich anders aussehen wird, wie die Dinge in Niedersachsen heute liegen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Gesagte gilt aber nicht nur für die CDU „draußen im Lande". Auch der Beitrag des Bundeskanzlers zum Thema Geiseldrama war z. B. so, wie sich der ganze geistig-moralische Beitrag der Union zum deutschen Staatsleben darstellt: eine Mischung zwischen beschämend und bestürzend. Der Kanzler sollte hier nicht große Worte reden, wenn er, wie er das vor kurzem beispielsweise im Zusammenhang mit dem Geiseldrama getan hat, bei anderer Gelegenheit in eine erbrämliche parteipolitische Keilerei abgleitet.
    Der dritte Punkt betrifft die Finanzen. Der Finanzminister ist bei der Haushaltsdebatte auch nicht da; Klasse-Kabinett. Zu ihm will ich nur folgendes sagen: Hans Apel und Helmut Wieczorek haben mehrfach vorgeführt, daß das, was für Herrn Stoltenberg Finanzplanung ist, im Grunde auf ein Lotteriespiel hinausläuft. Ich kann es dem Kollegen Stoltenberg, der so schwere Monate und Wochen hinter sich hat, natürlich durchaus nachfühlen, daß er sich heute wie ein Lottokönig fühlt, weil auf Grund des steigenden Dollarkurses auch die Bundesbankgewinne steigen. Ich schätze die Bundesbankgewinne, die ihn erwarten, auf etwa das Doppelte der Summe ein, die er jetzt nennt. Er will dann wohl auch noch die zweite Hälfte als seine Leistung darstellen.
    Ich will Herrn Stoltenberg eines sagen: Der schwankende Kurs des Dollars ist keine solide Grundlage für die Führung des Schicksalsbuchs der Nation.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Dollarkurs kommt Ihnen jetzt zugute; beim nächsten Mal wird er wieder schaden. Das zum Boden einer Finanzplanung zu machen grenzt ans Unverantwortliche.
    Wir haben die Bundesregierung für ihre Präsidentschaft im Europäischen Rat mehrfach gelobt; das wiederhole ich heute, Herr Außenminister. Ich bin der Meinung, Sie sollten das Bild abrunden, indem Sie mit etwas mehr Mut auch die Frage einer gemeinsamen europäischen Währung angehen. Ich füge hinzu, daß ich meinem alten Freund Karl Otto Pöhl und seinen Mannen in der Bundesbank das gleiche rate; denn es wird ein entscheidender Punkt sein, ob wir die gemeinsame europäische Währung bekommen und uns damit unabhängiger vom Dollar machen können.
    Die Gesellschafts- und Finanzpolitik, die der Bundeskanzler heute hier wieder mit so großen Worten gelobt hat, hat auch folgende Wirkungen, die wir nicht übersehen dürfen. Ich wundere mich — nicht so sehr bei FDP und SPD; wir sind ja von Hause aus, wenn ich von unseren bayerischen Freunden absehen darf, Jochen Vogel, eher unitarisch gesonnene Parteien — , daß eine so förderalistisch gesonnene Partei wie die CDU es sich leistet, nicht nur eine große Ungleichheit zwischen den Menschen in unserem Lande zu schaffen, sondern auch eine große Ungleichheit zwischen den Ländern. Denn vor einer Gleichheit der Lebensbedingungen, wie das Grundgesetz sie vorschreibt, kann ja bei dieser Finanzpolitik immer weniger die Rede sein.
    Gleichzeitig drehten Sie den Gemeinden finanziell den Hahn so zu, daß auch die Selbstverwaltung der Gemeinden in Schwierigkeiten kommt. Das ist wirklich etwas — das muß ich auch dem CDU-Vorsitzenden sagen — , was eigentlich gegen die Tradition der Union geht und was staats- wie wirtschaftspolitisch auf der Negativseite der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung zu verbuchen ist.
    Ich bin der Meinung: Statt der vielen großen Worte, die wir heute vom Bundeskanzler wieder gehört haben, wäre es vielleicht besser, er ginge etwas von seinem Weltbild der oberen Zehntausend ab und würde mehr auf die Nöte schauen, die es gibt.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — Ich sehe, 3 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Sozialhilfeempfänger sind für den Bundeskanzler offensichtlich etwas zum Lachen; für uns nicht. Das ist der eigentliche Unterschied.
    Wir streiten nicht darüber, Herr Kanzler — Sie kommen ein bißchen spät; darum wiederhole ich es —, daß dies ein reiches Land ist. Wir haben viel dazu beigetragen. Aber die Tatsache, daß es in diesem reichen Land 3 Millionen Arbeitslose, eine wachsende Zahl von Dauerarbeitslosen, eine ständig wachsende Zahl von Sozialhilfempfängern und soziale Armut gibt — das, Herr Bundeskanzler, ist für uns — im Gegensatz zu Ihnen — kein Schönheitsfehler, sondern ein Skandal.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Herr Bundeskanzler hat bei der Außenpolitik
    — das möchte ich besonders unterstreichen — heute sehr viel ruhigere Töne angeschlagen, als wir das manchmal bei ihm gewohnt sind. Ich will mich jetzt gleich revanchieren. Herr Bundeskanzler, wir sagen keineswegs — das könnten wir schon gar nicht wegen unseres Kollegen Genscher, mit dem wir auch unsere guten Erfahrungen gemacht haben —, daß in der deutschen Außenpolitik alles falsch sei. Darum sage ich ausdrücklich, wir finden es z. B. richtig,

    (Zurufe)

    — nach der Krankheit muß ich Herrn Genscher doch ein bißchen loben; er muß ja wieder aufgebaut werden —

    (Heiterkeit)

    was die Regierung im pazifischen Raum macht. Ich glaube, der Außenminister wird mir bestätigen, daß die deutschen Sozialdemokraten, gerade was die Beziehungen zu China betrifft, das ihrige dazu tun. Ich sage Ihnen auch: Wir sind froh darüber, daß sich in bezug auf die DDR, auf Ungarn und auch auf Jugoslawien — ich möchte das ausdrücklich hervorheben —, die Regierung bewegt. Wir haben sehr gedrängt, in Sachen Jugoslawien besonders. Wir finden das alles gut. Ich sage nur, die Fortschritte in diesem Bereich der Ostpolitik sind eigentlich daran zu messen, in welchem Umfang sich diese Koalition auf den Boden der sozialliberalen Außenpolitik stellt. Wir haben da gar keine Neidkomplexe. Am besten wäre es, Sie übernähmen sie ganz, dann hätten wir außenpoli-



    Dr. Ehmke (Bonn)

    tische Gemeinsamkeit. Das wäre für unser Land das Beste.
    Zum Schluß, Herr Bundeskanzler, bevor ich mit den eher kritischen Betrachtungen anfange, möchte ich Ihnen nicht nur zustimmen, ich möchten Ihnen für die Sozialdemokraten sogar danken, für die Worte, die Sie nicht erst heute zur Frage der deutschen Aussiedler gefunden haben. Das ist keineswegs überall populär, und ich sage Ihnen, das war in Ordnung, und Sie haben an unserem Beifall heute gemerkt, daß wir da mit Ihnen übereinstimmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage dazu aber auch, etwas wenn nicht Kritisches, so doch Nachdenkliches. Wenn man sieht, daß es dabei zum Teil soziale Reibereien gibt, was einen nicht wundern muß: Herr Bundeskanzler, gäbe es nicht sehr viel mehr Gemeinsamkeit, und würde nicht vieles mit den Aussiedlern einfacher sein, wenn Sie sich einmal in Ihren sechs Regierungsjahren entschlossen hätten, einen solchen Aufruf zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung in bezug auf die weit über zwei Millionen Arbeitslosen in unserem Land zu machen? Die hätten das auch verdient.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich mich nun der Außenpolitik zuwende, so habe ich Sie dahin verstanden, daß wir in der Einschätzung übereinstimmen, daß Gorbatschows Politik eine große Chance für uns und für Europa darstellt. Wir stimmen Ihnen auch in der Meinung zu, daß das INF-Abkommen eine historische Wegmarke darstellt. Nur, Herr Bundeskanzler, die Frage ist doch jetzt: Wie geht es weiter? Nicht alle Erwartungen, ja wenige Erwartungen, die sich an das Abkommen knüpften, sind bisher erfüllt worden. Die Wiener KSZE-Folgekonferenz ist nicht vor den Sommerferien abgeschlossen worden, obwohl der Verhandlungsstand einen Abschluß zuließe. Rumänien blockt. Ich glaube, ich spreche hier nicht nur für die SPD, wenn ich sage, wir appellieren an Rumänien, seine Blockierung aufzugeben und an dem Mandat für konventionelle Abrüstung in Europa konstruktiv mitzuwirken.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Rühe [CDU/CSU])

    Wir möchten auch in anderem Zusammenhang Rumänien an die Verpflichtungen erinnern, die es mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte übernommen hat. Sein Vorgehen in der „landwirtschaftlichen Umstrukturierung" läuft, so fürchten wir, auf eine Entwurzelung der ungarischen und der deutschen Minderheiten hinaus.

    (Frau Traupe [SPD]: Das ist noch das Mindeste!)

    Damit verstieße Rumänien gegen elemtare, von der gesamten Völkergemeinschaft anerkannte Rechte. Noch ist es nicht zu spät, dies einzusehen. Richtig, Europa braucht auch Rumänien. Aber Rumänien wird schnell feststellen, daß es selbst auch seine europäischen Nachbarn braucht. Ich verweise hierzu auf den von allen Parteien im Bundestag am 21. Juni angenommenen Antrag zu den Menschenrechten in jenem Land.
    In Genf haben die beiden Großmächte ihre Gespräche über den Abbau der strategischen Potentiale fortgesetzt, ohne daß Ergebnisse greifbar geworden wären. Derweilen wird in der NATO — so jedenfalls macht uns die Bundesregierung und heute auch wieder der Bundeskanzler glauben — weiter emsig und unermüdlich an einem Gesamtkonzept für Verteidigung und Abrüstung gearbeitet, das nun endlich eine glaubwürdige Antwort des Westens auf die weitreichenden Abrüstungsvorschläge des Warschauer Pakts ermöglichen soll. Herr Bundeskanzler, das müssen wir doch hier beide feststellen: Noch liegt eine glaubwürdige Antwort des Westens nicht vor. Es ist eigentlich blamabel, wenn man sich überlegt, daß die Public Relations in Amerika erfunden worden sind, daß sich der Westen wegen politischer Unbeweglichkeit in der öffentlichen Meinung in dieser Weise hat in die Defensive drücken lassen. Das ist ein unbefriedigender Stand der Dinge, Herr Bundeskanzler.
    Warum geht es denn nicht rascher voran? Da muß ich Ihnen nun sagen, Herr Bundeskanzler, trotz aller Ihrer schönen Worte: Man kann nicht behaupten, daß die Bundesregierung in diesen Fragen mit der Energie, Initiative und Zielstrebigkeit, die den deutschen Interessen entsprächen, vorangegangen sei. Vielmehr herrscht wieder einmal ängstliches Taktieren. Man vertröstet uns auf das Gesamtkonzept, was schon beinahe den Charakter einer Beschwörungsformel bekommen hat. Man gibt zu verstehen — wie Sie heute — , daß durch den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eine Art Pause in der westlichen Politik fällig sei. Sind Sie wirklich der Meinung, daß Westeuropa noch immer nicht in der Lage ist, seine eigenen Interessen zu definieren und geltend zu machen?

    (Beifall bei der SPD)

    Darf hier in Europa nichts passieren, weil in Amerika Wahlkampf ist? Von dieser Haltung müssen wir endlich weg, Herr Bundeskanzler.
    Ein Musterbeispiel für diese abwartende Haltung war die Rede, die der Herr Verteidigungsminister Scholz am 25. August in Hamburg gehalten hat. Sie bringt den ganzen bekannten Katalog sicherheitspolitischer Bekenntnisse und Grundüberzeugungen. Ein Konzept dieser Regierung ist nicht sichtbar geworden. Europa, heißt es, müsse mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen, aber der Verbund mit Amerika bleibe unauflöslich. Was die Ost-West-Beziehungen angehe — so führte Herr Scholz mit deutlicher Anspielung auf die von Gorbatschow betriebenen Reformen aus—, solle man nicht auf Personen setzen, zumal sich in der Sowjetunion ohnehin kaum nennenswerte Änderungen abzeichneten.
    Bemerkenswert, was Sie heute über die Änderungen in der Sowjetunion gesagt haben, im Vergleich mit dem was vor 14 Tagen Herr Scholz dazu gesagt hat. Vielleicht könnten Sie das im Kabinett einmal auskegeln.
    Das Fazit von Herrn Scholz war dies: Wir sollten ganz vorsichtig sein bei weiteren Abrüstungsschritten, vor allem im Bereich der nuklearen Waffen; denn gerade diese Waffen — ich zitiere — „müssen eine



    Dr. Ehmke (Bonn)

    glaubwürdige Abschreckung sicherstellen, was ihre Modernisierung einschließt".

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha! Also doch!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn damit die politische Linie der Bundesregierung umrissen wäre, dann stehen die Zeichen auf Sturm.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

Es wäre gut, wenn das, was Sie über die Entwicklung in der Sowjetunion gesagt haben, und das Gegenteilige, was Herr Scholz gesagt hat, auf einen Nenner gebracht werden könnte. Es wäre auch gut, wenn das, was er über Modernisierung sagt, mit dem, was Herr Genscher zuerst in Potsdam in seiner — ich muß fast sagen: berühmten — Rede und neulich in einem interessanten Interview in der „Welt am Sonntag" gesagt hat, in Übereinstimmung gebracht würde. Denn das steht in direktem Widerspruch zueinander. So kann man doch nicht Politik machen. Was soll denn das Ausland davon denken?
Die Regierung verzichtet auf Initiative. Nun muß ich ausnahmsweise meinen Kollege Rühe loben.

(Rühe [CDU/CSU]: Nicht zu doll!)

Er habe schon Angst davor, hat er mir gesagt, ich solle es nicht zu doll machen, das schade ihm bei Ihnen. Ich muß ihn loben, weil auch er offenbar das Gefühl hat, daß die Regierung nicht genug tut, und deshalb fordert, daß die Regierung mehr tut und die NATO zu mehr bewegt. Herr Rühe, das ist völlig richtig. Insofern wünsche ich Ihnen hier — ich komme nachher noch zu einem kritischen Punkt — mehr Durchsetzungskraft. Es ist auch interessant, Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, daß der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion in bezug auf konventionelle Abrüstung einen sehr viel weitergehenden Vorschlag gemacht hat als den, den die Regierung auf den Tisch gelegt hat und der ja bestenfalls für den ersten Verhandlungstag, für die Eröffnung der Veranstaltung von Wert ist.
Wir sind der Meinung, dies muß ausgeräumt werden. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in der Frage der doppelten Null-Lösung erst im letzten Moment durchgerungen, gegen den Widerstand Ihrer „Stahlhelmer" zu entscheiden. Machen Sie es in dieser Frage nicht noch einmal so, daß Sie erst im letzten Moment entscheiden. Klarheit muß bald geschaffen werden, auch unabhängig von den amerikanischen Wahlen.

(Beifall bei bei der SPD)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Richard Stücklen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hamm-Brücher? — Bitte sehr.