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ID1108902700

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    Plenarprotokoll 11/89 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 89. Sitzung Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 Inhalt: Gedenkworte für die Opfer des Unglücks bei der Flugschau in Ramstein 6059 A Nachruf auf das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundesminister a. D. Dr. Johann Baptist Gradl 6059 B Nachruf auf das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages Professor Dr. Friedrich Schäfer 6059 D Verzicht der Abg. Dr. Wörner, Sauter (Ichenhausen) und Lemmrich auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 6060 A Eintritt der Abg. Jäger (Wangen), Graf Huyn und Frau Dr. Wegner in den Deutschen Bundestag 6060 B Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Buschfort, Sauter (Epfendorf), Koltzsch, Dr. Stercken und des Vizepräsidenten Stücklen 6060 B Erweiterung der Tagesordnung 6060 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 6060D, 6106B Wieczorek (Duisburg) SPD 6072 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 6080 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 6085 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 6088 C Esters SPD 6093 B Dr. Rose CDU/CSU 6096 C Frau Rust GRÜNE 6100A Dr. Solms FDP 6101 D Frau Will-Feld CDU/CSU 6104 A Walther SPD 6108B Nächste Sitzung 6110 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6111 *A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6059 89. Sitzung Bonn, den 6. September 1988 Beginn: 11.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Mitzscherling 6. 9. Niegel* 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Oostergetelo 9. 9. Pfuhl 6. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Frau Saibold 6. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Vosen 6. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. Würtz 6. 9. Zierer * 6. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Bärbel Rust


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! 52 % der Bevölkerung sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten mehr und mehr dazu übergegangen, offensiv eine drastische Verbesserung ihres Lebens einzufordern. Diese 52 % unterscheiden sich vom Rest durch ihr Geschlecht: sie sind Frauen. Es ist also an der Zeit, die Finanz- und Haushaltspolitik dieser Regierung endlich auch am Anspruch der weiblichen Bevölkerungsmehrheit zu messen. Denn: Immer noch ist die übergroße Mehrheit aller Sozialhilfeempfänger Frauen, immer noch liegen Frauenrenten viel zu oft unter Sozialhilfeniveau, immer noch sind Frauen in Ausbildung und Beruf benachteiligt. Also ein lohnendes Betätigungsfeld für eine tatkräftige Regierung: Einschneidende Maßnahmen sind angesagt, viel Geld ist für eine wirklich schwungvolle Frauenpolitik erforderlich.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nehmen wir uns als Beispiel das Problem der beruflichen Wiedereingliederung vor. Derzeit kehren rund 320 000 Frauen nach Kindererziehungs- oder Pflegephasen auf den Arbeitsmarkt zurück. Ca. 2 Millionen planen ihre Rückkehr in den kommenden fünf Jahren. Die meisten dieser Frauen haben während ihrer Berufspause einen spürbaren Qualifikationsverlust erlitten; nach längerer Unterbrechung ist ihre Berufsausbildung sogar keinen Pfifferling mehr wert. Ergebnis: Sie sind nur weit unter Qualifikation oder überhaupt nicht vermittelbar. Hier wären also massive Qualifikationsmaßnahmen angesagt. Doch einer solchen Forderung ergeht es wie vielen anderen. Es erschallt von allen Seiten sofort der Ruf: „Nicht finanzierbar. " Warum eigentlich?

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Weil sie nicht hinhören! Die kennen das Problem nicht!)

    Gibt es nicht eine männliche Vergleichsgruppe, bei der dergleichen sehr wohl finanzierbar ist? Es gibt sie, nämlich Soldaten, und zwar die, die sich als Zeitsoldaten bei der Bundeswehr verpflichten. Nach Unterbrechung ihres Berufslebens zwischen 2 und 12 Jahren wird ihnen selbstverständlich nicht zugemutet, mit leeren Händen und Qualifikationsverlust auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Sie werden mit Abfindungen verabschiedet, machen Vorbereitungskurse, werden umgeschult und machen Ausbildungen bis hin zur Finanzierung eines Hochschulstudiums; auf Kosten der Steuerzahler, versteht sich. An Klagelieder angesichts der Kosten dieser Wiedereingliederungshilfe kann ich mich nicht erinnern.
    Also will ich einmal mutig sein und fordern: Das will ich für Frauen auch.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD])

    Personen, die wegen Kinderbetreuung oder Krankenpflege befristet aus dem Berufsleben ausscheiden, sollen das Recht haben, den Arbeitsmarkt mit mindestens der gleichen Qualifikation wieder zu betreten, mit der sie ihn verlassen haben. Wohlgemerkt: Personen, nicht Frauen; denn ich will ja die Männer nicht daran hindern, in Zukunft unverdrossen in Kindererziehung und Krankenpflege einzusteigen. Nichts liegt mir ferner.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Realisiert werden könnte ein solches Recht etwa folgendermaßen: Drei Jahre lang Wiedereinstellungsgarantien, bei mehreren zu betreuenden Personen sechs Jahre, bei längerer Unterbrechung der Berufstätigkeit Recht auf Finanzierung einer Berufsausbildung oder eines Studiums z. B. über BAföG-Höchstsatz. Kostenpunkt: ca. 1 Milliarde DM. Traumtänzerei? Bei Zeitsoldaten doch offenbar nicht, warum also bei Frauen?
    Doch nun zum ernüchternden Blick auf die Politik dieser Bundesregierung. Frau Süssmuth kündigt ein Modellprojekt für Berufsrückkehrerinnen an, Volumen 30 Millionen DM. Die Beratung der rückkehrwilligen Frauen ist mit 6 Millionen DM in ihrem Haushaltsplan abgesichert. Darüber hinaus kündigt sie Lohnkostenzuschüsse bei Wiedereintritt ins Berufsleben über eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes an. Bezahlt werden diese Zuschüsse dann von der Bundesanstalt für Arbeit. Gleichzeitig überrascht uns aber Herr Blüm mit der Ankündigung, die Leistungen genau derselben Bundesanstalt für Arbeit um ca. 1,8 Milliarden DM einzuschränken. Damit fallen also auch diese Mittel zur beruflichen Wiedereingliederung einer drastischen Kürzung anheim. Unter dem Strich bleibt für Frau Süssmuths Reform also weniger als vorher. Eine wahrhaft überzeugende Regierungspolitik!
    Wem sollen wir nun glauben, Frau Süssmuth, die ihren guten Willen bekundet, oder Herrn Blüm, der guten Willen und Optimismus herauskehrt, bei gleichzeitiger Radikalamputation der erforderlichen Mittel? Oder scheitert die Frauenpolitik am Finanzminister, und was sagt eigentlich der Kanzler dazu?

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Der ist gar nicht da!)

    Es wird klar, für Sonntagsreden beliebiger Couleur bleibt den einzelnen Regierungsmitgliedern beachtlicher Spielraum, für Frauenpolitik allerdings bleibt Finanzvolumen eine Marginalie.
    Nun sollte „frau" annehmen, daß zumindest für Reformen, die überhaupt kein Geld kosten, ein gewisser Spielraum vorhanden ist. Doch weit gefehlt! Unser kostenneutrales Quotierungsgesetz und die mehr als 30 frauenpolitischen Anträge, die wir zum letzten Haushaltsjahr einbrachten, wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. Ein einziger Antrag kam durch.
    Es wurde im Haushaltsausschuß beschlossen, in die Stellenpläne des Bundes auch die weibliche Amtsbe-



    Frau Rust
    zeichnung aufzunehmen: Statt „Bezüge des Bundesministers" sollte es ab 1989 heißen: „Bezüge des Bundesministers/der Bundesministerin". Doch selbst diese absolut kostenneutrale Änderung droht am Einspruch der Regierung zu scheitern.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Hauptsache, sie kriegen das gleiche Geld!)

    Mit Schreiben vom 30. Juni 1988 läßt der Finanzminister dem Ausschuß mitteilen, der Beschluß werde wegen mannigfaltiger Schwierigkeiten nicht umgesetzt. Die Benennung eines weiblichen Ministers mit der schlichten Formulierung „Ministerin" sei nämlich gar nicht so einfach, wie unbedarfte Parlamentarierinnen in ihrem naiven Gemüt annehmen. Zum Beispiel lasse sich noch nicht absehen — Zitat — , „wie sich die mit Schrägstrichen versehenen männlichen und weiblichen Amtsbezeichnungen auf die Fassung anderer Vorschriften auswirken und deren äußere Gestaltung präjudizieren würden".

    (Heiterkeit bei den GRÜNEN)

    Eine wirklich heimtückische Gefahr, auf die uns die Regierung hier hinweist!

    (Beifall der Abgeordneten Frau MatthäusMaier [SPD])

    Man stelle sich vor, es könnte einfach so Usus werden, überall per männliche/weibliche Amtsbezeichnung zu dokumentieren, daß auch die Besetzung von hochdotierten Posten mit Frauen in den Bereich des Denkbaren gerückt ist, oder aber weibliche Minister würden nicht mehr täglich durch ihren Briefkopf mit der Amtsbezeichnung „Der Bundesminister für ... " daran erinnert, daß sie auf diesem Posten ursprünglich nicht vorgesehen waren und nur die Ausnahme sind, die ja bekanntlich die Regel bestätigt!

    (Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier [SPD])

    Es wäre gar nicht auszudenken, die betreffenden Damen würden nachgerade übermütig. Frau Wilms würde über die Stränge schlagen, von Frau Süssmuth wollen wir gar nicht reden.
    Ganz abgesehen von diesen Problemen gilt es laut Regierung auch noch Formalien zu beachten, denn der Rechtsausschuß meldet „Beteiligungsrechte" an und ist darüber hinaus auch noch „federführend", zwei weitere Ausschüsse sind in die höchst komplizierten Beratungen einzubeziehen, und auch „aus den Reihen der Länder" wird auf die nötige Absprache vor „grundlegenden Änderungen" hingewiesen. Frage an die Bundesregierung: Können wir noch vor der Jahrtausendwende mit ersten Zwischenergebnissen rechnen,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    oder sollen wir jetzt schon unseren Töchtern den Rat geben, sich mit ganz viel Geduld zu wappnen?

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Aber die könnten doch auch so ihr Briefpapier ändern!)

    Weitere Frage: Wie lange soll der weibliche Teil der Bevölkerung diese Erbsenzählerei eigentlich noch ernst nehmen? Es geht um die Durchsetzung von Selbstverständlichkeiten, die hier durch bürokratische Schikanen auf die lange Bank geschoben werden. Ich fordere die Regierung auf: Unterlassen Sie ab sofort Ihre Bremsversuche! Weibliche Amtsbezeichnungen gehören in die Stellenpläne aufgenommen, und zwar sofort und ohne weiteres Lamento.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD])

    Ich fordere einen Haushalt für Frauen, der die Lebensrealität für Frauen verbessert, der Taten statt leerer Versprechungen bietet. Ich fordere Erhöhung der Sozialhilfe um 30 %, Einführung einer Mindestrente von 1 200 DM monatlich, Gewährleistung der Rückkehr von Frauen ins Berufsleben, spürbare Verbesserungen für Alleinerziehende, Gleichberechtigung der Frauen in Ausbildung und Beruf, Quotierung der Erwerbsarbeitsplätze.
    All das bietet dieser Haushalt nicht, all das will diese Regierung auch gar nicht. Wohin der Weg mit dieser Regierung geht, zeigt das Wachstum des Frauenanteils an den Beschäftigten der obersten Bundesbehörden, auf das so gern und stolz verwiesen wird. Ich habe mal nachgerechnet, wie lange es dauern wird, bis auch in den höheren Besoldungsgruppen ein Frauenanteil von 50% erreicht sein wird. Ergebnis: Behält die Regierung ihr atemberaubendes Tempo bei, dann dauert es noch 473 Jahre. 500 Jahre! Dazu kann ich nur sagen: Nein, danke. Ich fordere die Quotierung der Erwerbsarbeitsplätze, und zwar jetzt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist interessant, über welche Themen man im Rahmen der Haushaltsdebatte alles sprechen kann. Wenn man die Quotierung der Arbeitsplätze vornimmt, so gibt es einen Bereich, wo es überhaupt keine Vorbestimmung gibt, nämlich den Bereich der Selbständigen. Wenn sich also die Frauen besonders betätigen wollen, gibt es keinerlei Hinderungsgrund, sich als Selbständige zu betätigen.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Keine Ahnung hat der Junge!)

    Aber ich kann Ihnen sagen: Die SPD ist in Ihrem Sinne auf gutem Wege; denn die SPD-Bundestagsfraktion wird jetzt nur noch, nämlich zu 100 %, von Frauen vertreten. Insgesamt zwei sind anwesend.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das zeigt, daß die Quotenregelung anscheinend noch ernster genommen wird, als sie seinerzeit eigentlich gedacht war.

    (Erneute Heiterkeit — Frau Traupe [SPD]: Hinter Ihnen steht ein männliches Mitglied unserer Fraktion!)

    Meine Damen und Herren, der Pep ist aus dieser Haushaltsdebatte ja etwas heraus. Das zeigt ja auch diese schwache Beteiligung. Im Grunde genommen müssen die Koalitionsfraktionen auch noch die Aufgabe der Opposition übernehmen. Die Opposition versagt ihren Dienst. Sie hat uns im Stich gelassen.



    Dr. Solms
    Die entscheidenden Oppositionsvertreter in der Finanzpolitik haben sich ja abgemeldet oder sind dazu gezwungen worden, sich abzumelden.

    (Frau Traupe [SPD]: O Gott!)

    Nun müssen wir die Sache von beiden Seiten übernehmen. Das ist natürlich hinderlich, weil wir auch eine Herausforderung brauchen. Wenn wir von der Opposition nicht herausgefordert werden, könnte es ja sein, daß wir in unseren eigenen Anstrengungen nachlassen. Das würde natürlich zu einer schlechten Politik führen.
    Ich will diese Oppositionsaufgabe aber auch deshalb nicht übernehmen, weil ich meine, daß der Haushalt, der vorgelegt worden ist, vernünftig ist und daß wir ihm zustimmen können. Wir sollten, und zwar alle Seiten dieses Hauses, die Anstrengungen insbesondere zur Sanierung des Haushalts, zur gesünderen Gestaltung des Haushalts in der Zukunft voll unterstützen.
    Wir können ja bei der Sanierung der Staatsfinanzen, dem Abbau der öffentlichen Neuverschuldung, der Rückführung des Staatsanteils und der Senkung der Abgabenlast bis 1987 auf eindrucksvolle Erfolge verweisen. Die Staatsquote, der Anteil der Staatsausgaben an der gesamtwirtschaftlichen Leistung, ist von 1982 bis 1987 von 50% auf 46,8 % gesunken. Gemessen am Bruttosozialprodukt konnte der Umfang der öffentlichen Defizite von 4,9 % im Jahr 1981 auf 2,5 % im Jahr 1987 abgebaut werden.
    Der Ausgabenzuwachs betrug in den Jahren 1983 bis 1987 im Jahresdurchschnitt weniger als 2 %. Insbesondere durch die Steuersenkungen 1986 bis 1988 ist es gelungen, die Steuer- und Abgabenquote deutlich zu senken. Das hat ja den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß wir so gesunde Wirtschaftszahlen erkennen und vorweisen können, wie sie der Bundesfinanzminister heute morgen ganz aktuell vorgetragen hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist ein Ergebnis dieser Politik. Deshalb müssen wir diese Politik fortsetzen; denn das ist eine Politik für den Bürger und eine Politik gegen Bürokratie und gegen Umverteilung.
    Wir dürfen natürlich nicht dem Glauben verfallen, daß wir, wenn sich bessere Einnahmen abzeichnen — wo auch immer — , sofort neue Ansprüche wecken könnten. Wir, die Politiker auf allen Seiten dieses Hauses, haben viele Jahre lang immer wieder Ansprüche in der Bevölkerung geweckt, die wir langfristig nicht erfüllen können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider!)

    Deswegen ist diese Art der Verführung des Bürgers, um Wahlstimmen zu bekommen, ein falscher politischer Ansatz.

    (Schulhoff [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Wir müssen darauf hinweisen, daß wir uns nur das leisten können, was vorher die Bürger verdient haben; denn von deren Steuergeldern müssen wir ja die staatlichen Ausgaben finanzieren.
    Die FDP ist deshalb auch dafür — das will ich ganz offen erklären — , daß die Verbrauchsteuern wie geplant angehoben bzw. eingeführt werden, wenn uns auch die Einführung einer neuen Steuer, nämlich der Erdgassteuer, schwergefallen ist. Aber wir stehen in der Gesamtverantwortung. Wir haben bereits bei den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr letzten Jahres darauf hingewiesen, daß wir zur Finanzierung der europäischen Kosten, die neu auf uns zukommen, die Verbrauchsteuern heranziehen müssen. Wie Sie wissen, steigen die Kosten aus Europa bis zum Jahre 1992 stufenweise auf ein Volumen von über 9 Milliarden DM im Jahr an. Das ist aus dem Haushalt zusätzlich zur Steuerreform nicht finanzierbar. Dazu müssen diese Verbrauchsteuern angehoben werden. Das müssen wir dem Bürger ganz offen sagen, und das tun wir hiermit. Ich glaube, es ist dem Bürger lieber, es wird ihm klar und deutlich gesagt, was er zu leisten hat, was wir leisten und war wir ihm durch den Abbau der Steuern wieder zur Verfügung stellen, als wenn wir versuchen würden, alles zu verbergen, zu verschleiern, und im Endeffekt der Bürger sehen müßte, daß er es über die schlecht finanzierten Haushalte wieder neu finanzieren müßte.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir haben darüber hinaus unausweichliche Ausgaben zu finanzieren, beispielsweise das Programm für die strukturschwachen Räume in der Bundesrepublik, beispielsweise zusätzliche Lasten zur Eingliederung der Aussiedler — eine Aufgabe, der wir uns nicht verschließen können —, beispielsweise den höheren Bundeszuschuß zur gesetzlichen Rentenversicherung oder auch die Programme zur Flächenstillegung bzw. zur Produktionsaufgaberente für die Landwirtschaft, die sich in einem äußerst schwierigen Strukturanpassungsprozeß befindet.
    Aber darüber hinaus gibt es keinen Anlaß, jetzt über neue Leistungsgesetze nachzudenken.

    (Beifall bei bei der FDP)

    Nach Meinung der FDP muß eines ganz klar sein: Wenn es zusätzliche Einnahmen gibt, wenn die Steuerquellen noch besser fließen, als man es im Moment sieht, oder wenn es einmalig einen höheren Bundesbankgewinn geben sollte — das weiß heute kein Mensch —, dann müssen diese zusätzlichen finanziellen Mittel genutzt werden, um die Neuverschuldung des Staates zu reduzieren bzw. um die Staatsschulden abzubauen. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist ganz klar; darauf muß sich alles richten. Denn zur Zeit der Koalitionsverhandlungen war die Grundlage der Verhandlungen die Finanzplanung 1986. Noch 1986 sind wir von einer Neuverschuldung für 1989 und 1990 von jeweils etwa 25 Milliarden DM ausgegangen. Wenn wir also heute für das nächste Jahr eine Neuverschuldung von 32 Milliarden DM planen, so sind wir noch weit von dem Betrag entfernt, der damals Verhandlungsgrundlage für den Koalitionsvertrag war. Im Koalitionsvertrag steht, daß wir abgesprochen hätten, nach zwei Jahren dieser Legislaturperiode sollte über neue Leistungsgesetze disku-



    Dr. Solms
    tiert werden und man sollte sehen, ob da ein Bewegungsspielraum vorhanden sei. Dazu muß man wissen, daß ein Bewegungsspielraum theoretisch nur dann vorhanden ist, wenn die Neuverschuldung im nächsten Jahr unter 25 Milliarden DM sinken würde — nicht unter 32 Milliarden DM, sondern unter 25 Milliarden DM!

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Nur das wäre die Basis für solche zusätzlichen Leistungsgesetze.
    Dies alles ist wichtig vor dem Hintergrund der eindrucksvollen Zahl einer Gesamtverschuldung aller öffentlichen Kassen, auch der Sondervermögen, von 1 000 Milliarden DM; denn das führt dazu, daß die öffentlichen Haushalte im Jahr nahezu 70 Milliarden DM an Zinsen zahlen müssen. Das ist eine sehr eindrucksvolle Zahl. Das zeigt, daß der Weg in dieser Weise nicht weiter beschritten werden darf, sondern daß dieses Ausreißerjahr 1988 ein einmaliger Sonderfall im Rahmen der Politik dieser Koalition sein muß und daß wir wieder an die langfristige Entwicklung von 1983 bis 1987 anknüpfen müssen, die nämlich dazu beigetragen hat, daß die wirtschaftliche Erholung und die Erholung der verfügbaren Einnahmen der Bürger so deutlich spürbar wurden.
    Meine Damen und Herren, wenn es um die Zukunftsaufgaben geht und wenn es um die Frage geht: Was müssen wir für die letzten zehn Jahre dieses Jahrtausends wirklich finanzieren?, dann müssen wir uns überlegen, wie wir den Strukturwandel in der Bundesrepublik deutlich unterstützen und begleiten können, damit unsere Kinder auch noch in der Zeit, wo sie im Arbeitsleben sind, dauerhafte, sichere und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze erwarten können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir können das Geld nicht heute ausgeben ohne Rücksicht darauf, was dann in zehn Jahren sein wird. Sie sehen ja die Entwicklung in den anderen industriellen Ländern: Der Wettbewerb zwischen den Nationen um die Investitionsbedingungen in den Ländern wird immer stärker. In vielen anderen Ländern werden die Steuern gesenkt, sind die Arbeitsbedingungen flexibler und ist man anpassungsfähiger geworden. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. Das ist die eigentliche Aufgabe für die nächste Legislaturperiode. Sie liegt nämlich darin, die Bundesrepublik als Investitionsstandort genauso wie als Finanzplatz zu stärken; denn nur ein gesunder Finanzplatz, der leistungsfähig ist und eine billige Finanzierung für die mittelständische Wirtschaft ermöglicht, kann auch von dieser Seite her die Voraussetzung bieten, daß wir auf Dauer wettbewerbsfähig sind.
    Dazu gehört natürlich ein weiterer Abbau der Subventionen, und zwar nicht nur im Bereich der steuerlichen Subventionen, wo wir ja einen einmaligen Fortschritt erzielt haben, sondern auch im Bereich der direkten Finanzhilfen. Ich möchte den Bundesfinanzminister daran erinnern, daß ursprünglich einmal ausgemacht worden ist, daß dazu auch ein Vorschlag gemacht wird. Ich meine, wenn man sich schon nicht auf den Vorschlag einigen kann, mit der Rasenmähermethode einen bestimmten Prozentsatz bei allen abzubauen,

    (Zuruf von der FDP: Das kommt noch!)

    dann muß man sich darauf konzentrieren, in den Feldern, auf denen Abbaumöglichkeiten, Einsparmöglichkeiten bestehen, auch die — wenn auch unpopulären — Maßnahmen zu treffen. Ich glaube, damit müssen wir uns noch in dieser Legislaturperiode befassen.
    Zu den Forderungen der FDP zur Gesundung des Investitionsstandorts Bundesrepublik Deutschland oder, sagen wir besser: zur Wettbewerbsfähigkeit, gehört beispielsweise eine Begrenzung der Lohnnebenkosten. Wir haben ja bereits bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung den einfachen Weg vermieden, die Beiträge anzuheben. Das ist eine wichtige Entscheidung gewesen. Dazu gehört die Absenkung der Steuer- und Abgabenlast der Unternehmen. Eine Reform der Unternehmensbesteuerung in der nächsten Legislaturperiode ist aus der Sicht der FDP ein zentrales Anliegen für die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Ich nenne weiter die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die Einschränkung der Bürokratie, Fortschritte bei der Privatisierung. Dazu gehören kapitalmarktpolitische Anliegen wie beispielsweise die Beseitigung der Börsenumsatzsteuer und der Gesellschaftsteuer. Dazu gehört eine Reform des Aktienrechts. Noch in dieser Legislaturperiode werden die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um einen Termin- und Optionsmarkt auch in der Bundesrepublik zu erlauben. Wir wollen aber auch eine Gesamtreform des Börsenrechts durchführen. Dazu gehört auch die Reform des Kapitalanlagegesellschaftengesetzes, also eine Reform der Investmentfonds.
    Oskar Lafontaine hat — das ist mein Eindruck — wohl erkannt, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Zukunft so aussehen muß, wie ich es mit wenigen einzelnen Stichworten angesprochen habe. Die SPD als Ganzes kämpft noch mit der Vergangenheit. Das ist mein Eindruck vom Parteitag in Münster. Sie kann sich bis jetzt nicht aus der Umklammerung der Gewerkschaften lösen, die aber nicht das Interesse der Bevölkerung, sondern allein eigene Organisationsinteressen im Sinne haben. Es kann nicht Aufgabe einer Volkspartei sein, sich hinter die Ziele einer Interessenorganisation zu stellen, die nicht die Interessen der Gesamtbevölkerung vertritt. Ich bedauere, daß diese Entwicklung so ist. Mir wäre es lieber, die SPD würde sich diesen Zukunftsgedanken öffnen, aber wir müssen mit der SPD leben, wie sie sich uns bietet.
    Wir müssen unsere finanziellen Reserven für die Lösung der Zukunftsaufgaben aufbauen und einsetzen. Es gibt keine Alternative zu einer äußerst sparsamen Haushaltspolitik. Wir dürfen nicht jedesmal, wenn wir einen finanzpolitischen Silberstreif sehen, in den alten Fehler der Umverteilungspolitik zurückverfallen.

    (Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Sparen um des Sparens willen ist kein Konzept. Wir wissen jedoch, wofür wir sparen wollen. Es lohnt sich, die Mittel zur Finanzierung der von mir genannten I Maßnahmen einzusetzen und anzusparen. Ich würde das nicht sagen, wenn ich mir davon nicht die ent-



    Dr. Solms
    scheidende und deutliche Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik versprechen würde.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)