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ID1108901300

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    Plenarprotokoll 11/89 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 89. Sitzung Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 Inhalt: Gedenkworte für die Opfer des Unglücks bei der Flugschau in Ramstein 6059 A Nachruf auf das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundesminister a. D. Dr. Johann Baptist Gradl 6059 B Nachruf auf das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages Professor Dr. Friedrich Schäfer 6059 D Verzicht der Abg. Dr. Wörner, Sauter (Ichenhausen) und Lemmrich auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 6060 A Eintritt der Abg. Jäger (Wangen), Graf Huyn und Frau Dr. Wegner in den Deutschen Bundestag 6060 B Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Buschfort, Sauter (Epfendorf), Koltzsch, Dr. Stercken und des Vizepräsidenten Stücklen 6060 B Erweiterung der Tagesordnung 6060 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 6060D, 6106B Wieczorek (Duisburg) SPD 6072 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 6080 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 6085 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 6088 C Esters SPD 6093 B Dr. Rose CDU/CSU 6096 C Frau Rust GRÜNE 6100A Dr. Solms FDP 6101 D Frau Will-Feld CDU/CSU 6104 A Walther SPD 6108B Nächste Sitzung 6110 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6111 *A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6059 89. Sitzung Bonn, den 6. September 1988 Beginn: 11.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Mitzscherling 6. 9. Niegel* 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Oostergetelo 9. 9. Pfuhl 6. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Frau Saibold 6. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Vosen 6. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. Würtz 6. 9. Zierer * 6. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Manfred Carstens


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich will nicht dafür plädieren, daß auf den Autobahnen gerast wird. Mir ist aber bekannt, daß vom gesamten Verkehrsaufkommen nur wenige Prozent auf der Autobahn sind, so daß die Gesamtbelastung, von der Sie sprechen, sicherlich nicht überwiegend daher rühren kann.



    Carstens (Emstek)

    Aber wir hören ja von neuen Zulassungszahlen, von neuen Autos, die täglich auf die Straße kommen. Das wird wohl in erster Linie als Grund zu sehen sein. Nur, gestatten Sie, bitte: Wenn Sie diese Debatte führen wollen, dann tun Sie es, wenn hier Umweltschutzthemen in Einzelheit diskutiert werden. Ich bin sicher, daß dort in größerer Klarheit und Eindeutigkeit auf Ihre Frage eingegangen werden kann.
    Ich habe zum Ausdruck gebracht — ich möchte das fortsetzen — , daß von einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik die große, breite Masse ihren Anteil hat. Ich brauche nur einmal an die Arbeitnehmer zu denken. Wir haben nun seit Jahren reale Lohnzuwächse in einer Größenordnung, wie wir sie über Jahre vorher nicht mehr gehabt haben. Wenn heute die Wirtschaft im Stande ist, im Durchschnitt um 3 % mehr Lohn zu gewähren und bei Tarifverhandlungen mit zu unterschreiben, dann ist das bar mehr in der Tasche, zumindest in bezug auf die Inflationsrate.
    Die Renten sind in ähnlicher Weise wie die Löhne und Gehälter angepaßt, jeweils versetzt um ein Jahr. So können wir auch hier feststellen, daß wir schon seit einigen Jahren reale Lohn- und reale Rentenerhöhungen haben. Das wirkt sich insbesondere bei den Bevölkerungsgruppen aus, die regelmäßige Anpassungen erhalten, wie wir das bei den Rentnern und bei den Arbeitnehmern jeweils feststellen können. Ich wage hier die Behauptung, daß gerade der kleine Mann wie kaum jemals zuvor in den letzten Jahren Anteil an dieser Entwicklung hat.
    Es gibt hier und da sicherlich noch Schwierigkeiten. Sicherlich gibt es Bevölkerungsgruppen, die mit dem, was sie an Anpassung erhalten haben, nicht zufrieden sein können. Aber, wie gesagt: Wir werden auch das Stück um Stück aufarbeiten. Und unter der Voraussetzung, daß man auch selbst bereit ist, mitzumachen, selbst bereit ist, die Chancen, die man hat, zu ergreifen, glaube ich, daß nach nicht allzu langer Zeit immer mehr Teile der Bevölkerung in diese wirtschaftliche Entwicklung, von der ich soeben berichtet habe, einbezogen sind.
    Meine Damen und Herren, wir haben vor, den Entwurf der Bundesregierung im Haushaltsausschuß, wenn möglich, noch ein wenig zu verbessern. Das wird nur sehr schwer möglich sein, da wir in den letzten Jahren schon sehr stark gekürzt haben.

    (Dr. Struck [SPD]: Das wird nicht schwierig sein, da helfen wir euch mit! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Ich glaube nicht, daß noch erhebliche Verbesserungen möglich sind. Ich möchte die Erwartungen da nicht zu hoch schrauben. Aber ich sage genauso deutlich, daß wir diese Politik der Bundesregierung im Haushaltsausschuß und in den Fraktionen von CDU/ CSU und FDP tatkräftig unterstützen, daß wir diese Politik mit den nötigen Arbeiten und Beschlüssen flankieren werden, die bis zum Ende dieses Jahres noch durchzuführen sind.
    Wir sind stolz darauf, daß die Rahmenbedingungen in unserem Lande stimmen, daß sich die Wirtschaft orientieren kann,

    (Walther [SPD]: Woran soll sie sich orientieren?)

    daß auch die privaten Haushalte wissen, wie sie dran sind und daß sie sich auf eine relativ gute zukünftige Entwicklung einstellen können. Bei einer solchen Arbeit mitzumachen — das macht Freude, an welcher Stelle diese Arbeit auch immer abgefordert wird.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist Satire!)

    Von daher können Sie sicher davon ausgehen, daß wir die Arbeit dieser Bundesregierung auch bei den Haushaltsberatungen in vier Punkten nachhaltig unterstützen werden:
    Erstens. Mit dem Haushaltsentwurf 1989 und den steuerpolitischen Beschlüssen wird der Weg dieser angebotsorientierten Haushaltspolitik weiter fortgeführt, die Nachfrageseite dabei aber nicht aus dem Auge verloren.
    Zweitens. Die Voraussetzungen für dauerhaftes, wirtschaftliches Wachstum, stabile Preise und zusätzliche Arbeitsplätze werden gefestigt werden.
    Drittens. Die Bedingungen für die jetzt beginnenden Haushaltsberatungen sind wegen der recht guten wirtschaftlichen Entwicklung relativ günstig.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: „Relativ"!)

    Und ich freue mich darüber, daß der Herr Bundesfinanzminister gerade hierzu ein deutliches Zeichen gesetzt hat, in erster Linie dadurch, daß er dafür gesorgt hat, daß der Bundesbankgewinn dem Haushalt in Zukunft nur in einer sehr begrenzten Höhe zur Verfügung steht. Im Jahre 1989 sollen es 5 Milliarden DM sein. Der darüber hinaus erzielte Bundesbankgewinn, den auch ich erwarte, wird nicht für neue Ausgaben zur Verfügung stehen, weil das keine dauerhafte Finanzierungsgrundlage ist, sondern wird dazu herangezogen, Altschulden zurückzuzahlen. Das hätte sich die SPD vor sieben oder zehn Jahren niemals einfallen lassen, mit dem Bundesbankgewinn Altschulden zurückzuzahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

    Wir wollen neue Ausgaben nur auf dauerhaften neuen Einnahmen aufbauen. Und diese neuen Ausgaben wollen wir auch noch in einer bescheidenen Größenordnung halten. Aber auf nur mit größter Unsicherheit zu erwartenden Einnahmen bauen wir keine dauerhaften Ausgaben auf.
    Die CDU/CSU-Fraktion wird versuchen — viertens —, den vorgelegten Entwurf etwas zu verbessern. Dabei werden wir jeden Einzeltitel genau und kritisch überprüfen. Und am Ende der Haushaltsberatungen dann, im November, sollte die Nettokreditaufnahme im Haushaltssoll die im Haushaltsentwurf des Finanzministers ein wenig unterschreiten. In welchem Umfang — das muß abgewartet werden, das kann heute noch niemand sagen. Aber es sollte unser Ziel sein, diese Nettokreditaufnahme von 32 Milliarden DM, wie sie im Entwurf steht, ein wenig zu senken.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Jawohl!)




    Carstens (Emstek)

    Eventuelle Mehreinnahmen — nicht nur die aus dem Bundesbankgewinn, sondern möglicherweise auch die auf Grund höheren Steueraufkommens oder aus zusätzlichen Privatisierungserlösen — stehen für neue Ausgaben im Jahre 1989 nicht zur Verfügung, sondern müssen logischerweise — logischerweise! — zur Rückführung der Nettoneuverschuldung herangezogen werden, da wir im Jahre 1987, als es urplötzlich Steuerausfälle gab, auch damals logischerweise gesagt haben, daß wir nicht die Ausgaben weiter begrenzen wollen, sondern daß in dem Fall die Neuverschuldung ein wenig ansteigen soll. Insofern müssen wir also jetzt konsequent bleiben — und wir werden konsequent sein — , um Mehreinnahmen zur Rückführung der Neuverschuldung zu verwenden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie streichen doch dauernd!)

    Bei den Finanzhilfen, den sogenannten Subventionen, die im Haushalt stehen — anders als bei den steuerlichen Subventionen, die jetzt ja sehr zurückgeführt werden — , sollte man nicht allzuviel erwarten. Wenn die Opposition das von uns fordert, dann muß die Opposition Roß und Reiter nennen.

    (Walther [SPD]: Das sollte man immer! — Dr. Struck [SPD]: Wer ist Roß, wer Reiter?)

    Man soll das einmal durchgehen und sagen, wo man denn kürzen möchte. Wir sind Jahr für Jahr an der Arbeit gewesen und haben jedes Jahr etwas erbracht, und wir werden das mit Sicherheit jetzt auch für 1989 tun. Aber wer glaubt, daß sich da Milliardenbeträge auftun könnten, der setzt aufs völlig falsche Pferd. Das wird nicht möglich sein. Dabei ginge man so sehr in soziale Maßnahmen hinein, daß das die Opposition nicht mittragen würde, und auch wir würden es nicht mittragen. Das steht nicht an. Wir bringen die Dinge auch so gut ins Lot, so daß auch in der Bevölkerung niemand zu erwarten braucht, daß wir an irgendwelche gesetzliche Zusagen herangehen. Das haben wir nicht nötig. Aber wir wollen den Haushalt des Bundes, den der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, noch ein Stück verbessern.
    Abschließend sage ich: Gelingt uns das gemeinsam mit dem Koalitionspartner, mit dem wir ja sehr eng und vertrauensvoll in jeder Beziehung zusammenarbeiten

    (Dr. Struck [SPD]: Das merkt man!)

    — ich erwähne den Namen Wolfgang Weng in diesem Zusammenhang —,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    dann ist der Haushalt 1989 eine solide Basis, um auch die dritte Stufe der Steuerreform 1990 verantwortlich bezahlen zu können, ohne unsere haushaltspolitischen Grundpositionen in Frage zu stellen. Ich sage Ihnen voraus: es wird uns gelingen.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hubert Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser besonders interessanten Rede des Kollegen Carstens

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    will ich auf das zurückkommen, was der Bundesfinanzminister heute früh vorgetragen hat.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Gutes!)

    Herr Stoltenberg hat heute morgen wieder einmal eine Rede abgeliefert, die von Selbstgerechtigkeit und Anmaßung nur so gestrotzt hat. Da haben wir von positiven Daten und positiven Perspektiven in der Finanzpolitik der Bundesregierung gehört.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wir sind froh, daß es so ist!)

    Der solide haushaltspolitische Kurs der Vergangenheit habe sich bewährt, und trotz zwischenzeitlicher Probleme könne man weitermachen.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ja!)

    Herr Stoltenberg, daß das mit der Wahrheit nicht eben viel zu tun hat, müßten Sie eigentlich am besten wissen. Denn man braucht nicht sehr tief in finanzpolitische Details einzusteigen, damit man erkennen kann, daß es zuallerletzt das Verdienst dieser Regierung ist, wenn der Finanzminister in diesem Herbst tatsächlich noch einmal mit eineinhalb blauen Augen davonkommen sollte.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wessen Verdienst ist es denn?)

    Wenn der Bundeshaushalt 1989 am Ende tatsächlich ohne noch höheren Anstieg der Neuverschuldung auskommen mag, dann liegt das nicht an den großen Erfolgen Ihrer Finanzpolitik,

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Sondern?)

    sondern zum einen an der günstigen konjunkturellen Entwicklung und den damit verbundenen Steuereinnahmen, aber doch nicht an Ihrer Politik — das wissen Sie doch genau; und problematisch genug ist sie obendrein —; und es liegt zum zweiten daran, daß der Bundesbankgewinn

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist Grünes Latein! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    voraussichtlich neue Rekordhöhen erreichen wird. — Beruhigen Sie sich doch einmal ein bißchen! Es war anstrengend genug, Ihren Rednern zuhören zu müssen.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Jetzt kann ich doch wenigstens das gleiche von Ihnen erwarten.
    Es sind die Bundesbankgewinne, die Sie dann auf der Einnahmenseite in den Bundeshaushalt hineinmanipulieren, wie wir es seit Jahren kennen.
    Wenn das alles so kommt, dann mag es dem Finanzminister Stoltenberg ja wahrhaftig in diesem Herbst gelingen, seinen Verbleib im Amt doch noch möglich zu machen. Viele hatten ja nicht mehr damit gerechnet.

    (Zuruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU])




    Kleinert (Marburg)

    Der Beweis für eine Finanzpolitik, die auf dringende gesellschaftliche Probleme Antworten weiß, ist das allerdings nicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, jeder Haushaltsentwurf ist Ausdruck einer politischen Gesamtkonzeption, die sich hinter dem Zahlenwerk verbirgt. Deshalb ist ein Haushalt an seiner Fähigkeit zu messen, Antworten wenigstens auf die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme zu geben, die die Zukunft betreffen. Wenn man diesen Haushaltsentwurf daraufhin überprüft, wird man solche Antworten mit der Lupe suchen müssen. Niemand in diesem Hause wird mittlerweile mehr zu bestreiten wagen, daß die ökologische Krise, daß die ökologischen Gefährdungen, denen wir alle ausgesetzt sind, als Zukunftsproblem den allerhöchsten Stellenwert haben.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Sehr wahr!)

    Daß wir als GRÜNE mit dieser Auffassung noch vor wenigen Jahren ziemlich allein standen, ist mittlerweile Schnee von gestern und bedarf keiner weiteren Erwähnung. Man mag es ja schon als Fortschritt ansehen, daß wenigstens verbal alle in diesem Hause diese Einschätzung angeblich teilen.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Das reicht nur nicht!)

    Nun haben wir in den letzten Monaten eine dramatische Verschärfung der sichtbaren Anzeichen für die Zuspitzung der ökologischen Probleme erlebt. Selten vorher sind in so kurzer Zeit so viele neue Umweltprobleme ins öffentliche Bewußtsein getreten wie in der kurzen Phase seit Beginn des Sommers. Die Stichworte sind jedem Zeitungsleser bekannt: Nordseesterben, Trinkwassergefährdung, Ozonloch. Die Reihe ließe sich lange fortsetzen.
    Grund genug also, diesen Haushalt daraufhin abzuklopfen, was er denn nun beitragen soll und was er beitragen kann zur Lösung dieser Probleme. Und wenn man dann genauer hinsieht, dann wird man entdecken: Fehlanzeige. Solche Lösungen und neue Wege in der Umweltpolitik wird man in diesem Bundeshaushalt vergeblich suchen. Ganze 495 Millionen DM soll Umweltminister Töpfer im nächsten Jahr zur Verfügung haben, lächerliche 34 Millionen DM mehr als im Jahre 1988. Lächerliche 34 Millionen DM mehr, das ist alles, was dieser Bundesregierung als Antwort auf die Entwicklungen der letzten Monate einfällt.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Traurig! Traurig!)

    Auch der Hinweis auf die paar Millionen DM an Umweltausgaben, die in anderen Einzelplänen auftauchen, wird Ihre umweltpolitische Bilanz nicht besser machen.
    Herr Töpfer darf im Lande herumreisen und mit ernster Miene umweltpolitische Nachdenklichkeit demonstrieren. Wenn es dann an die harten finanzpolitischen Fakten geht, wird er von Ihnen, Herr Stoltenberg, zum umweltpolitischen Hanswurst degradiert. Das ist die umweltpolitische Linie dieser Regierung, wenn man sie an der Alltagsrealität mißt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nun sagt Herr Stoltenberg in seiner Rede, im Bereich des Umweltschutzes setze diese Regierung konsequent auf die Verwirklichung des Verursacherprinzips. Verursacherprinzip, Herr Stoltenberg, dafür sind auch wir. Wenn es denn wenigstens konsequent angewandt würde. Aber selbst dafür sorgt diese Regierung nicht. Aber selbst wenn es das würde — und wir alle wissen, daß das nicht der Fall ist — , könnte das doch nicht bedeuten, daß sich die öffentliche Hand, daß sich die Politik völlig gegenüber den Notwendigkeiten, den ökologischen Umbau dieser Gesellschaft voranzubringen, zurückzieht. Im Gegenteil. Deshalb ist aus ökologischer Sicht dieser Haushaltsentwurf eine einzige Bankrotterklärung dieser Bundesregierung;

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    denn wo ist das Programm zur Bekämpfung der Trinkwasserverseuchung? Wo sind die finanziellen Mittel, um gegen das Nordseesterben in einer konzertierten Aktion mit den Ländern schleunigst vorzugehen? Was ist eigentlich aus den Vorschlägen, zur Einführung der dritten Klärstufe 20 Milliarden DM aufzuwenden, von denen Herr Töpfer vor wenigen Wochen öffentlich gesprochen hat, geworden? Nichts davon, nicht einmal in Ansätzen, findet sich in diesem Bundeshaushalt. Wo sind die Markthilfen für alternative Energieformen? Wo ist das Bodenschutzprogramm der Bundesregierung? Alternative Energieträger werden unter ausdrücklicher Berufung auf marktwirtschaftliche Grundprinzipien gerade nicht subventioniert. Markteinführungshilfen gibt es nicht. Hier wird die Marktwirtschaft hochgehalten. Bei den milliardenschweren Subventionen für den Airbus dagegen stört Sie die Unvereinbarkeit mit marktwirtschaftlichen Grundprinzipien nicht im geringsten, aber dahinter sitzt ja auch Herr Strauß. Statt neuer Wege in der Umweltpolitik hat sich diese Bundesregierung den ökologischen Irrsinn mit der Erdgassteuer einfallen lassen.
    Gewiß wäre es richtig, alle fossilen Energieträger zu besteuern. Deshalb fordern die GRÜNEN seit längerem eine Primärenergieabgabe. Es ist aber eine schallende Ohrfeige für die Ökologie, ausgerechnet unter den derzeit von dieser Bundesregierung gesetzten energiepolitischen Rahmenbedingungen eine Erdgassteuer einzuführen; denn mit der Einführung einer solchen Steuer würde lediglich ein Wettbewerbsvorteil für solche fossilen Energieträger wie Kohle und Öl entstehen, die weit mehr umweltpolitische Risiken aufwerfen als das Erdgas.
    Meine Damen und Herren, was Sie da vorhaben, ist nicht nur eine Ohrfeige für die Ökologie, es ist auch eine Ohrfeige für Herrn Töpfer, der von diesen Planungen der Bundesregierung zur Erdgassteuer im Juli vermutlich ebenso wie wir erst aus den Zeitungen erfahren haben wird. Aber so sind die Kräfteverhältnisse bei Ihnen.
    Grotesk ist auch die fiskalpolitische Begründung, mit der diese neue Verbrauchsteuer eingeführt werden soll. Ihr Ausgangspunkt ist der: Sie stehen vor der Frage „Wo könnte man denn noch ein bißchen Geld zusammenkratzen, um die Löcher zu stopfen?", die Löcher, die Ihre grandiose Steuerreform reißt, und dann verfallen Sie gegen jede energiepolitische Ver-



    Kleinert (Marburg)

    nunft auf die Idee, den Einsatz von Erdgas zu besteuern. Damit wird Energiepolitik zum bloßen Instrument kurzatmiger Fiskalpolitik. Die Ökologie wird benutzt, um Haushaltslöcher zu stopfen. Auch das macht noch einmal schlagend klar, welchen Stellenwert diese Regierung der Umweltpolitik zuweist. Die Umweltpolitik kommt ganz zuletzt, und das kann man an diesem Haushaltsentwurf einmal mehr nachweisen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das ist längst nicht alles. Sie wollen den WAA-
    Wahnsinn in Wackersdorf weiterfinanzieren. Sie wollen, daß der Schnelle Brüter unbedingt ans Netz geht. Für gigantische Prestigeprojekte im Weltraum ist genug Geld in diesem Haushalt. Der Rüstungsetat soll um gut 2 Milliarden DM steigen, und das in einer politischen Konstellation, die neue, ungeahnte Abrüstungschancen bieten würde. Wie wollen Sie eigentlich auf dem Hintergrund diverser Abrüstungsofferten aus dem Osten auch im konventionellen Bereich noch jemandem plausibel machen, wieso die Bundeswehr eigentlich dauernd weiter aufrüsten soll?
    An diesen und an vielen anderen Stellen wäre das Geld schon zu holen, das für die dringenden umweltpolitischen Maßnahmen nötig ist, aber Sie wollen das alles nicht, weil es nicht der politischen Linie dieser Bundesregierung entspricht. Ihr Umweltminister ist nicht mehr als ein Alibi in dieser Bundesregierung. Er darf in schöngeistigen Sonntagsreden auch einmal Problembewußtsein zeigen; die nüchterne Wirklichkeit sieht aber ganz andere politische Prioritäten bei Ihnen im Vordergrund.
    Welche Prioritäten das sind, hat nicht zuletzt Ihr grandioser Flop mit der Steuerreform einmal mehr deutlich gemacht, jener Steuerreform, die nun auf Jahre hinaus restriktive Rahmenbedingungen für den finanzpolitischen Handlungsspielraum der öffentlichen Hand setzen soll und die ganz besonders die Möglichkeiten von Ländern und Kommunen drastisch beschneidet. Die Steuersenkung entzieht der öffentlichen Hand 19 Milliarden, nur damit diejenigen, die ohnehin schon genug haben, die Taschen noch voller kriegen; dafür fehlt dann das Geld für soziale und ökologische Aufgaben. Eine Mischung aus knallharter Interessenpolitik und ideologischer Verbohrtheit hat Sie dazu gebracht, diesen Unsinn hier durchzuziehen. Wir alle erinnern uns ja noch an den traurigen Höhepunkt des Frühsommertheaters, an die Steuerbefreiung für das Flugbenzin, jenes Geschenk an den bekannten Münchener Hobbypiloten, mit dem Sie dann allerdings eine anständige Bruchlandung erlebt haben. Um diesen Flop „Steuerreform" zu finanzieren, ohne allzu große Haushaltslöcher entstehen zu lassen, sollen nun diverse Verbrauchsteuern erhöht werden. Bezahlen sollen, hübsch sozial ausgewogen, alle.
    Meine Damen und Herren, wir als GRÜNE sind natürlich nicht gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer. Wir fordern das seit langem, weil es dafür sehr gute umweltpolitische Gründe gibt. Aber wir wollen keine Erhöhung der Mineralölsteuer bloß deshalb, damit Sie ein paar Haushaltslöcher stopfen können, die Sie mit Ihrer verfehlten Finanzpolitik aufgerissen haben. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer ist sinnvoll und nötig, aber nur dann, wenn das Geld für ökologische Sanierung und ökologischen Umbau dieser Gesellschaft aufgewendet wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, längst überfällig wäre eine grundlegende Neuorientierung in der Finanzpolitik. In der Tat brauchen wir eine Steuerreform, aber eine Steuerreform, die nicht auf Umverteilung von unten nach oben aus ist, sondern ökologische Kriterien in den Vordergrund rückt. Wir brauchen eine ökologische Steuerreform, eine Steuerreform, die das Instrument der Steuerpolitik einsetzt, damit durch gezielte finanzielle Belastungen und Entlastungen Anreize zu ökologischer Produktionsumstellung und zu umweltverträglichem Konsum geliefert werden.
    Dazu gehört z. B. eine Primärenergieabgabe; dazu gehört eine Steuer auf den Einsatz bestimmter Chemikalien; dazu gehört eine Reihe von zweckgebundenen Sonderabgaben, z. B. zur Eindämmung von Plastikverpackungen, eine Grundwasserabgabe, eine Stickstoffabgabe und dergleichen mehr.
    Ökosteuern und ökologische Abgaben, deren Aufkommen zweckgebunden zur Beseitigung ökologischer Schäden einzusetzen wären, das wären die steuerpolitischen Notwendigkeiten, die sich heute stellen.
    Natürlich wären auch solche Maßnahmen einer ökologischen Steuerreform kein Allheilmittel zur Lösung sämtlicher Umweltprobleme; aber sie wären ein wichtiges Instrument beim ökologischen Umbau dieser Gesellschaft. Denn ökologische Besteuerung könnte umweltschädliche Produktionsverfahren und nicht regenerierbare Ressourcen verteuern, umweltverträgliche Alternativen dagegen rentabler machen. Von solchen ökologischen Lösungsansätzen ist diese Regierung meilenweit entfernt. Solche Konzepte werden rundweg abgelehnt.
    In diesem Zusammenhang muß auch ein Wort zur SPD gesagt werden.

    (Walther [SPD]: Muß nicht!)

    — Doch, doch, nach Ihrem grandiosen Parteitag, Herr Kollege Walther.
    Natürlich ist es nur zu begrüßen, wenn neuerdings auch von Ihrer Seite von ökologischer Umgestaltung des Steuersystems die Rede ist. Wir beanspruchen ja schließlich kein Copyright auf Begriffe. Nun habe ich aber bislang in Ihren Papieren vom Münsteraner Parteitag leider vergeblich nach einem konkreten Konzept gesucht, wie das im einzelnen mit der ökologischen Steuerreform dann aussehen soll.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das haben sie mit euch gemeinsam!)

    — Nein, ich habe doch einiges hier vorgetragen, Herr Bötsch; vielleicht haben Sie nicht zugehört.
    Ich will nun nicht hoffen, daß es bei Ihnen wieder mit den Überschriften schon sein Bewenden hat, daß Sie bei uns die Überschriften abschreiben, daß dann schon der ganze Blätterwald rauscht und den ökologischen Sinneswandel der SPD verkündet und daß es das dann auch schon war. Das hoffe ich nicht; ich sage das ausdrücklich. Ich hoffe, daß es bei dieser Sache anders ist. Wir werden jedenfalls mit großem Interesse



    Kleinert (Marburg)

    abwarten, was an konkreten Konzepten außer der Überschrift dann noch nachkommt.

    (Walther [SPD]: Dazu habt ihr ja vor lauter Streit gar keine Zeit mehr!)

    Meine Damen und Herren, auch auf das zweite der großen gesellschaftlichen Probleme, die Massenarbeitslosigkeit, hat dieser Haushalt keine Antwort parat. Fast noch schlimmer: Die 2,2 Millionen Menschen, die trotz günstiger Konjunkturlage als registrierte Arbeitslose heute einen Job suchen müssen, sind in Stoltenbergs Haushaltsrede nicht mit einem Wort überhaupt aufgetaucht. Sie handeln nicht nur nicht, Sie reden schon gar nicht mehr davon, meine Damen und Herren. In diesem Haushalt wird man einen Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit vergeblich suchen. Statt dessen wollen Sie weitere Leistungskürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit durchziehen, die die Chancen für die Arbeitslosen nur noch weiter beschneiden werden. 1,8 Milliarden DM sollen insgesamt dadurch hereinkommen. Dafür wird dann in die Finanzierung des Jäger 90 eingestiegen. So, meine Damen und Herren, sind die politischen Prioritäten dieser Bundesregierung.
    Die Finanzierung des ökologischen Umbaus zu sozial gerechten Bedingungen ist die zentrale politische Zukunftsaufgabe für die Finanzpolitik. Zu dieser Zukunftsaufgabe gibt dieser Haushaltsentwurf fast nichts her. Weder tote Robbenbabys noch vergiftetes Trinkwasser sind für diese Regierung Anlaß zu wirksamem Handeln, das im harten finanzpolitischen Alltag seinen Niederschlag finden würde. Zu all den ökologischen Zukunftsaufgaben haben Sie wenig anzubieten, zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit gar nichts. Sie haben wenig anzubieten zur Frage der Umverteilung von Arbeit, und Sie haben wenig bis gar nichts anzubieten zu der Frage neuer Wege in der Sozialpolitik.
    Herr Stoltenberg, statt die Zukunftsaufgaben wenigstens im Ansatz anzugehen, haben Sie uns hier einmal mehr das Dokument einer ideologisch verbohrten neoliberalen Finanzpolitik vorgelegt, die nicht einmal die zarten Pflänzchen ökologisch-marktwirtschaftlichen Denkens aufnimmt, die man selbst am Rande der Regierungsparteien dann und wann finden kann.
    Die ganze Grundrichtung dieser Politik ist falsch. Über diese Grundrichtung werden wir in den nächsten Wochen und Monaten den Streit mit Ihnen zu führen haben.

    (Walther [SPD]: Aber nur, wenn du in den Ausschuß kommst!)

    Wir werden das an Hand von konkreten Anträgen tun, die wir mit konkreten Finanzierungsvorschlägen verbinden. Wir werden nicht nur ein Konzept für eine ökologische Steuerreform vorlegen, wir werden ökologische Sofortmaßnahmen vorschlagen: im Bereich der Abwasserentgiftung, zur Altlastensanierung, zur Kraftwerksentschwefelung, zur Energieeinsparung. Wir werden Maßnahmen zur rationelleren Energienutzung und zur Förderung alternativer Energieformen vorschlagen. Wir werden die Steigerung investiver Ausgaben in diesem Bundeshaushalt da vorschlagen, wo es sinnvoll ist: bei der Bundesbahn etwa, beim Städtebau, im Etat der Frau Süssmuth und anderswo. Wir werden konkrete Schritte zur konventionellen Abrüstung in der Bundesrepublik in diesem Bundestag einbringen. Wir werden Maßnahmen zur Bekämpfung der neuen Armut vorlegen, und wir werden Ihnen nachweisen, daß unsere Alternativen sinnvolle Wege zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit aufzeigen.
    Meine Damen und Herren, das ist die Grundrichtung der Politik, um die es heute gehen muß. Das ist allerdings nicht die Grundrichtung, die Sie vorschlagen. Ihr Weg weist in eine Zukunft, die wir so nicht wollen.
    Danke.

    (Beifall bei den GRÜNEN)