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ID1108807800

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    Plenarprotokoll 11/88 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 88. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 5. September 1988 5999 A Erweiterung der Tagesordnung 5999 A Glückwünsche für den ausscheidenden Abg Dr. Wörner 6041 B Tagesordnungspunkt 20: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Rückblick auf den Weltwirtschaftsgipfel in Toronto und Ausblick auf den Europäischen Rat in Hannover b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule (Drucksache 11/3555, 11/1988) c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover (Drucksache 11/2327) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schaffung eines europäischen Finanzraums (Drucksachen 11/1656 Nr. 3.3, 11/1707, 11/2575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Bilanz der deutschen EG-Präsidentschaft und Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover Dr. Kohl, Bundeskanzler . . . . 5999D, 6023 A Roth SPD 6004 C Spilker CDU/CSU 6006 B Sellin GRÜNE 6007 C Dr. Haussmann FDP 6009 A Brück SPD 6011 A Kittelmann CDU/CSU 6013 A Volmer GRÜNE 6014 C Irmer FDP 6016 B Dr. Wulff CDU/CSU 6017 D Dr. Vogel SPD 6018C, 6024 C Dr. Schwörer CDU/CSU 6025 B Dr. Wieczorek SPD 6026 C Tagesordnungspunkt 21: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington (Drucksachen 11/1869, 11/1870, 11/1886, 11/2332) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses (Drucksache 11/2438) Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6027 A Lamers CDU/CSU 6030 A Frau Beer GRÜNE 6032 B Genscher, Bundesminister AA 6034 B Dr. Scheer SPD 6036 B Lowack CDU/CSU 6038 B Ronneburger FDP 6039 D Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. das neue Ausländergesetz — Zielsetzung und Zeitvorstellung der Bundesregierung Frau Trenz GRÜNE 6041 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6042 D Schröer (Mülheim) SPD 6043 C Dr. Hirsch FDP 6044 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 6045 C Wartenberg (Berlin) SPD 6047 A Dr. Olderog CDU/CSU 6048 B Frau Olms GRÜNE 6049 B Dr. Blens CDU/CSU 6049 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 6050 D Lüder FDP 6051 D Duve SPD 6052 C Dr. Kappes CDU/CSU 6053 C Fellner CDU/CSU 6054 C Nächste Sitzung 6055 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6053* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) 6057* B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 6053* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 5999 88. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 24. 6. Dr. Ahrens* 24. 6. Dr. Bangemann 24. 6. Frau Beck-Oberdorf 24. 6. Dr. Biedenkopf 24. 6. Bohlsen 24. 6. Dr. Böhme (Unna) 24. 6. Börnsen (Ritterhude) 24. 6. Frau Brahmst-Rock 24. 6. Büchner (Speyer) * 24. 6. Catenhusen 24. 6. Eimer (Fürth) 24. 6. Engelhard 24. 6. Feilcke 24. 6. Dr. Häfele 24. 6. Frau Dr. Hartenstein 24. 6. Dr. Hauff 24. 6. Frau Hoffmann 24. 6. Hoppe 24. 6. Ibrügger 22. 6. Frau Kelly 24. 6. Dr. Klejdzinski 24. 6. Kolb 24. 6. Menzel 24. 6. Dr. Müller * 24. 6. Frau Rust 24. 6. Sauer (Salzgitter) 24. 6. Schartz (Trier) 24. 6. Frau Schilling 24. 6. Schmidt (München) 24. 6. Dr. Schmude 24. 6. Dr. Schneider (Nürnberg) 24. 6. Stahl (Kempen) 24. 6. Verheugen 24. 6. Westphal 24. 6. Frau Wieczorek-Zeul 24. 6. Frau Wollny 24. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) Bei der heutigen namentlichen Abstimmung zur Flugbenzinsteuer werde ich für die Befreiung von der Anlagen zum Stenographischen Bericht Flugbenzinsteuer stimmen, obwohl ich diese Entscheidung für falsch halte. Diese Entscheidung zerstört in den Augen der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit der Steuerreform und verletzt das Gerechtigkeitsgefühl vieler Bürger und ist auch sachlich nicht geboten. Lediglich wegen der Gefährdung der Steuerreform und der dann vorliegenden Handlungsunfähigkeit der Koalition und des drohenden Verlustes der Regierungsfähigkeit werde ich meine Zustimmung erteilen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 10/6192 Drucksache 10/6380 Drucksache 11/201 Drucksache 11/484 Drucksache 11/883 Nr. 5 Drucksache 11/1213 Drucksache 11/1484 Drucksache 11/1546 Innenausschuß Drucksache 11/2350 Nr. 1.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/6562 Drucksache 10/6796 Drucksache 11/1317 Drucksache 11/1728 Drucksache 11/1733 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/883 Nr. 22 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/1656 Nr. 3.20-3.32 Drucksache 11/2089 Nr. 9-14, 16-26 Drucksache 11/2198 Nr. 2.6-2.8 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/1526 Nr. 3.4 Drucksache 11/2089 Nr. 32 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/1998 Nr. 2.9 Drucksache 11/2089 Nr. 35
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    Rede von Dr. Hermann Scheer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD hat zwei Anträge vorgelegt, einen vom Februar und einen im Juni abgefaßten. Diese Initiativen enthalten zwei Schwerpunkte, die besonders in dem im Juni abgefaßten Antrag, der heute dem Bundestag erstmals vorliegt und debattiert wird, festgehalten und verdeutlicht sind, nämlich daß eine Modernisierung und eine Neurüstung von Atomraketen in Nachfolge der vorhandenen Kurzstreckenrakete Lance abgelehnt wird und daß es auch keine Marschflugkörper und Raketen auf Flugzeugen geben darf, die ein gezieltes Unterlaufen des Mittelstreckenraketen-Abkommens bedeuten würden.

    (Lamers [CDU/CSU]: Wieso denn?)

    Denn wenn Sie die Reichweite von Flugzeugen mit der Reichweite von Kurzstreckenraketen unter 500 km zusammenfügen —

    (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Es gibt keine Null-Lösung für Flugzeuge!)

    das sind flugzeuggestützte Waffen —, dann kommen Sie auf die Reichweite von Mittelstreckenraketen.
    Wenn wir schon, Herr Kollege Todenhöfer und Herr Kollege Lamers, die Debatte im Kammerton führen, sollten wir die Gelegenheit, die Argumente präzise auszutauschen, nicht verstreichen lassen.
    Ein zweiter Punkt, warum wir diesen Antrag einbringen: Wir meinen, daß Verhandlungen über die Abschaffung atomarer Kurzstreckenwaffen eröffnet werden sollen, die parallel zu denen über konventionelle Abrüstung stattfinden sollen, die also daneben und gesondert stattfinden sollen. Mit anderen Worten: Sie sollen nicht mit den Bemühungen um konventionelle Rüstungsreduzierungen verschränkt sein.
    Die SPD hält eine Willenserklärung des Bundestages für zwingend erforderlich, weil die Bundesregierung trotz der Worte, wie wir sie eben vom Außenminister gehört haben und wie sie unseren Auffassungen entsprechen, nicht in der Lage war, einen klaren Willen zu formulieren. Das gilt für die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Nun möchte ich zunächst sagen, warum wir einen zusätzlichen Antrag gestellt haben.

    (Lamers [CDU/CSU]: Da bin ich gespannt!)

    Wir haben im Februar einen Antrag gestellt, in dem wir sowohl die Notwendigkeit der Abrüstung bei atomaren Kurzstreckenwaffen betont als auch bestimmte Kriterien und Ziele für konventionelle Abrüstungsverhandlungen formuliert haben. Wir haben gesagt: Dieses muß natürlich im thematischen Zusammenhang gesehen werden.
    Wir haben in den folgenden Wochen und Monaten beobachtet, wie denn die Mandatsverhandlungen aussehen. Wir mußten feststellen, daß von den vollmundigen Absichtserklärungen aller Parteien aus der Koalitionsregierung, die im Dezember nach dem Abschluß des INF-Vertrages gegeben worden waren und bis in den Januar/Februar anhielten, nämlich daß jetzt atomare Kurzstreckenwaffen abgerüstet werden müßten, immer weniger übrig blieb.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sendepause!)

    Wir haben seit vielen Monaten eine Sendepause erlebt, wenn es um das Mandat, also um die Zielsetzung einer konventionellen Abrüstungskonferenz, geht. Dies macht es selbstverständlich erforderlich, einen zusätzlichen Antrag zu stellen, der

    (Lamers [CDU/CSU]: Mit einem anderen Inhalt!)




    Dr. Scheer
    — darauf komme ich gleich — die Notwendigkeit der Abrüstung atomarer Kurzstreckenwaffen besonders hervorhebt, je mehr Sie dieses in den Hintergrund gedrängt haben. Das ist der eigentliche Grund, warum wir dies tun.
    Natürlich gab es bei uns eine Debatte, Herr Lamers, über die Frage: Wie sieht denn der thematische Zusammenhang aus? Soll verbunden verhandelt werden? In welcher Weise soll ein Zusammenhang hergestellt werden? Nie haben wir die These eines Junktims vertreten, d. h. einer wechselseitigen Abhängigkeit von Ergebnissen bei Rüstungskontrollverhandlungen auf dem konventionellen Sektor mit Möglichkeiten der Abrüstung bei Kurzstreckenwaffen. Aber die Frage, wie Verhandlungsrunden aussehen sollen, haben wir selbstverständlich erörtert.
    Wir haben, um zu einem Ergebnis zu kommen, drei Monate gebraucht. Wir haben darüber debattiert. Aber Sie debattieren ja heute noch, und es wird immer nebulöser. Das ist der entscheidende Unterschied.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir beanspruchen doch gar nicht, alles von vornherein zu wissen. Natürlich diskutieren wir.
    Damit sind wir bei dem Antrag. Ich möchte betonen, daß dieser Antrag auch die Funktion haben soll zu drängen. Ich möchte in Erinnerung bringen, was unser Drängen bewirkt hat. Ohne unser Drängen im letzten Jahr hätten sich diejenigen in der Koalitionsregierung — wir denken hierbei auch an den Außenminister — , die für die doppelte Nullösung waren gegen den Widerstand der CDU/CSU nicht durchsetzen können. Ohne unser Drängen hätten sich diejenigen in der Bundesregierung, die am Schluß einsehen mußten,

    (Koschnick [SPD]: Da sieht keiner was ein!)

    daß die Pershing I a mit beseitigt werden muß, nicht durchsetzen können.

    (Lamers [CDU/CSU]: Überschätzen Sie sich nicht zu sehr! — Zuruf von der FDP: Woher wissen Sie das? — Gegenruf Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das erzähle ich Ihnen nachher!)

    Ohne unser Drängen — das war doch offensichtlich — hätte Herr Genscher nicht den Spielraum, den er auszuweiten versucht, um deutliche Abrüstungspositionen von deutscher Seite aus zu artikulieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies sind Tatbestände; die weiß doch jeder.
    Damit komme ich zu den Dingen, die in unserem Antrag enthalten sind, nämlich klare Worte über Ziele. Klare Worte über Ziele sind notwendig, wenn diesen nebulösen Nachrichten tatsächliche Entwicklungen gegenüberstehen. In Amerika geht man heute fest davon aus, daß die Bundesregierung an dem Modernisierungsprozeß — sprich: Neurüstungsprozeß — atomarer Waffen beteiligt ist.

    (Koschnick [SPD]: Scholz!)

    Man geht fest davon aus. Wir können ja lesen, wir
    können ja hören, was im amerikanischen Kongreß
    gesagt wird. Es wird ja von Ihrer Seite nicht widersprochen.
    Wenn das alles falsch wäre, was dort gesagt wird, müßten Sie sich doch eigentlich verbitten, daß Ihnen ständig unterstellt wird, Sie würden sich an der Modernisierung beteiligen, obwohl Sie es doch — vorgeblich — nicht tun. Das ist der Punkt, der uns aufmerksam machen sollte.
    Offensichtlich steht die Modernisierungsabsicht — sprich: Neurüstungsabsicht — der NATO fest. Offen ist nur noch die Entscheidung, wann und für welche Systeme. Solange diese Entscheidung des Wann und für welche Systeme noch nicht endgültig ist, gibt es natürlich noch Spielraum, es zu verhindern. Den wollen wir nutzen; wir wollen ja nicht den Teufel an die Wand malen. Aber dieses Abwiegeln von Ihrer Seite aus, als ginge es im Moment um gar nichts, entspricht nicht den Tatsachen.

    (V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

    Ich will einmal eine neutrale Quelle zitieren. Die „Stuttgarter Zeitung" hat vor wenigen Wochen geschrieben:
    Wer das Wort Modernisierung aus offiziellen NATO-Kommuniqués heraushalten will,
    — darum hat sich die Bundesregierung bemüht —
    erweckt den falschen Eindruck, als sei die Entscheidung darüber noch offen. Dabei geht es lediglich noch um die Frage, welches Waffensystem zuerst und welches später modernisiert werden soll.
    Und weiter:
    Wer dennoch wie die Bundesregierung behauptet, es bestehe kein Entscheidungsbedarf etwa für die Modernisierung des Systems atomarer Kurzstreckenraketen, der irrt schon wieder. Das Bonner Votum ist nicht erst dann gefragt, wenn es um die Beschaffung des Systems geht. Schon bei der Konzipierung und der Entwicklung sind entscheidende Worte nötig. Und um die Entwicklung geht es bereits jetzt.
    Dem ist nichts hinzuzufügen.

    (Zuruf von der SPD: Korrekt!)

    Deswegen ist unser Antrag jetzt erforderlich in der Hoffnung, daß ihm möglichst viele zustimmen. Da hilft auch kein Verweis auf ein Gesamtkonzept, auf das man in der Regel immer dann verweist, wenn man kein konkretes im einzelnen hat.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Offensichtlich wehrt sich die Bundesregierung nicht gegen eine solche Neurüstung in ihrer Gesamtheit, weil die CDU/CSU an einer Konzeption atomarer Abschreckung festhält, zu der auf jeden Fall Atomwaffen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland gehören.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: So ist es!)

    Das ist der Punkt. Deswegen trennt die Position, wie sie in einem Beschluß des CDU-Bundesparteitags festgelegt ist — Zitat: „Die Bündnisstrategie der Kriegsverhinderung durch Abschreckung muß glaub-



    Dr. Scheer
    würdig und durchsetzbar bleiben. "; das ist prinzipiell und offensichtlich auf Dauer formuliert — , Welten von der Position der Überwindung der Abschreckung, wie wir sie formuliert haben und wie sie eben von Herrn Genscher bekräftigt worden ist. Das muß festgehalten werden. Darüber findet die eigentliche Auseinandersetzung statt.
    Es gibt Kollegen in der CDU/CSU, wie etwa Herr Todenhöfer, die das offen sagen. Er ist darin ehrlicher als viele, die so denken, aber sich dabei im Grunde genommen möglichst nicht erwischen lassen wollen und eben im Zusammenhang mit der möglichen Modernisierung davon reden, es bestehe kein Zeitbedarf, das sei nicht aktuell usw.
    Dieses Tauziehen hinter und in den Kulissen der Bundesregierung schadet unseren Möglichkeiten, deutsche Abrüstungsinteressen durchzusetzen. Wir wollen eine politische Klärung. Wir wollen, wie gesagt, daß möglichst das gesamte Haus daran mitwirkt, daß es Abrüstungsverhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen in gesonderter Weise gibt.
    Wir sollten uns nichts vormachen: Ein Verhandlungsforum von 23 NATO- und Warschauer-Pakt-Staaten, auf dem über konventionelle Abrüstung verhandelt wird, ist nicht das geeignete Forum, um über den Abbau amerikanischer und sowjetischer Kurzstreckenraketen in Mitteleuropa zu verhandeln. Wer meint, das sei das geeignete Forum, der irrt und macht sich mitverantwortlich dafür, daß auf diesem Sektor nichts passiert.
    Ein zweiter Punkt in dem Zusammenhang: Diese Verhandlungen, die wir für notwendig halten, sollten nicht von den Ergebnissen der Verhandlungen über die Kontrolle konventioneller Rüstung abhängig gemacht werden. Wer dies nämlich macht, der muß wissen und sollte das dann auch sagen: Auch gut laufende , schnell laufende konventionelle Rüstungskontrollverhandlungen haben einen Zeitbedarf von vielen Jahren, von fünf bis zehn Jahren. Bei MBFR wird schon 14 Jahre ohne Ergebnis verhandelt. Diejenigen, die erst dann über den Abbau atomarer Kurzstreckenwaffen verhandeln wollen, wie Sie es deutlich unterstrichen haben, Herr Lamers, können doch der deutschen Bevölkerung nicht zumuten, daß jetzt bei atomaren Kurzstreckenwaffen zehn Jahre politischer Stillstand, zehn Jahre Verhandlungspause herrschen. Das ist doch wohl nicht möglch. Diese Dinge wollen wir auf den Weg bringen. Wir werden uns nach der Sommerpause wieder sprechen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ortwin Lowack


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Grundzüge der deutschen Regierungspolitik bereits dargelegt wurden, möchte ich mich auf die Drucksache 11/2438, den Antrag der SPD, konzentrieren. Die SPD setzt mit diesem Antrag ihre desolate, konfuse, illusionäre,

    (Koschnick [SPD]: Witzbold!)

    sprunghafte und opportunistische Sicherheitspolitik fort, die im wesentlichen im Nachreden sowjetischer Verhandlungsmaximen besteht

    (Koschnick [SPD]: Du lernst das nie!)

    und Teil des hektischen Bemühens ist, sich auf allerlei Konferenzen und in allerlei Gremien in Ost und West zu Wort zu melden. Sie werden dort — wir bedauern das — immer weniger ernstgenommen.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das sagen Sie mal Herrn Rühe! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Glauben Sie den Stuß wirklich?)

    Die Sozialdemokraten meinen, dem Zeitgeist möglichst ohne eigenes Profil entsprechen zu müssen, und hoffen, vielleicht sogar einen Keil in die Koalition zu treiben.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Da ist er doch längst drin!)

    Natürlich fürchten wir uns davor ganz schrecklich.
    Der Antrag läßt zudem Grundkenntnisse in der Bewertung und Bezeichnung militärischer Systeme vermissen. So wird in der Ziffer 1 der Beschlußvorlage verlangt, jede Modernisierung und Neurüstung mit Nuklearwaffen abzulehnen, die die strategische Situation verändern. Derartige Systeme stehen nicht zur Debatte. Strategische Systeme sind — es gibt eine ganz klare Zuordnung — diejenigen, die z. B. Gegenstand der START-Verhandlungen sind. Die aber meint die SPD, wie sich aus dem weiteren Antragstext ergibt, offenbar nicht. Offenbar meinen die SPD-Strategen nur die Kurzstreckensysteme, wobei bezeichnend ist, daß sie lediglich auf westliche Systeme, nicht aber auf die der Sowjetunion verweisen. Dort findet längst eine Modernisierung und Neurüstung statt, ohne daß sie jemals zum Gegenstand eines SPD-Antrags geworden wären.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist auch Quatsch!)

    Zudem ist die Grundlage des SPD-Antrags eine taktisch-politische Lüge. Es wird suggeriert, daß die bereits im Jahre 1983 vom NATO-Rat in Montebello getroffene Entscheidung zur Modernisierung atomarer Kurzstreckensysteme und der atomaren Artillerie einen Ersatz des im INF-Vertrags festgelegten Abbaus der nuklearen Mittelstreckensysteme darstellte. So dumm kann doch aber kein SPD-Kollege sein, lieber Kollege Voigt, daß er nicht das eine vom anderen unterscheiden könnte. Der Beschluß von Montebello hatte die größte atomare Abrüstung in Europa zur Folge, die bislang überhaupt vollzogen wurde. Die Modernisierung der Kurzstreckensysteme war Voraussetzung für diese grundlegende Entscheidung.
    Der Antrag der SPD ist um so bemerkenswerter, als es bislang im Warschauer Pakt keinerlei Veränderungen gibt, die ein Modernisierungsverbot für unsere eigenen Systeme erlaubten. Ich halte nochmals fest: Trotz aller Beteuerungen, Versprechungen, Ankündigungen und für westliche Hirne ausgearbeiteten Friedensvisionen hat der Warschauer Pakt in den letzten drei Jahren konventionell, taktisch-nuklear und im Bereich der Kurzstreckensysteme aufgerüstet, umgerüstet und modernisiert. Dieser Prozeß hält bis zur Stunde an.



    Lowack
    In Punkt 2 fordert die SPD die baldige Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel der Abschaffung der atomaren Kurzstreckenraketen. Angesichts der sowjetischen Überlegenheit in diesem Bereich war dieser Antrag vorherzusehen. Er scheint zunächst auch ganz vernünftig zu sein.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Nicht nur zunächst, er ist überhaupt vernünftig!)

    — Lieber Kollege, ich werde es gleich begründen.
    Tatsächlich wird aber — ich möchte schon sagen: geflissentlich — übersehen, daß auch die atomaren Kurzstreckensysteme, die bei uns stationiert sind, einen nicht unerheblichen Abschreckungswert haben. Sie spielen in der Konzeption der Allianz eine wichtige Rolle, die bei dem erdrückenden Übergewicht des Warschauer Pakts im konventionellen Bereich nicht in Frage gestellt werden kann. Richtig ist allerdings auch, daß ihre Modernisierung und die Verlängerung der Reichweiten angesichts der sowjetischen Vorrüstungen Voraussetzung dafür sind, ihre Zahl so gering wie möglich zu halten. Immerhin wären wir dankbar, wenn sich dem Antrag der SPD auch einmal die Forderung an die Sowjetunion entnehmen ließe, ihre 15fache Überlegenheit in diesem Bereich endlich abzubauen. Das kann man auch ohne Verhandlungen und ohne eine Vereinbarung.

    (Bahr [SPD]: Sofort auf Null!)

    In Punkt 3 ihres Antrags läßt die SPD die Katze aus dem Sack. Die nuklearen Gefechtsfeldwaffen sollen demnach vollständig beseitigt werden,

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: In Ost und West!)

    und wir sollen in vollem und heiterem Vertrauen auf
    die sowjetische Führung und das sowjetische Militär

    (Koschnick [SPD]: In Ost und West!)

    mit dem Abbau schon einmal einseitig beginnen.

    (Koschnick [SPD]: Nein!)

    Ich frage mich, wessen Interessen hier wahrgenommen werden. Der Totalpazifismus, der aus diesem Antrag spricht,

    (Frau Olms [GRÜNE]: Na, na, na!) ist jedenfalls nicht geeignet,


    (Duve [SPD]: Da atmet der Weltgeist!)

    jede Gewalt und politischen Druck zu verhindern. Er provoziert ihn. So bitter es für manche von uns ist: Auch die nuklearen Gefechtsfeldwaffen

    (Duve [SPD]: Lowack als Weltgeist!)

    stellen angesichts der ungeheuren konventionellen Potentiale des Warschauer Pakts einen wichtigen Teil unserer Abschreckung dar. Ohne ihren Schutz wäre die Präsenz amerikanischer Soldaten im notwendigen Umfang nicht denkbar.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ihr Feindbild funktioniert hervorragend!)

    Insoweit trifft der Antrag der SPD den Kern der Allianz.

    (Duve [SPD]: Jetzt sagen Sie: Kernspaltung!)

    Auch Punkt 4 des sozialdemokratischen Antrags zielt auf den Kern unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Wenn das Bündnis angesichts der fortbestehenden Bedrohung durch den unverändert hochrüstenden Warschauer Pakt eine begrenzte weitere Dislozierung von Kurzstreckensystemen etwa zu Lasten der nuklearen Artillerie — was wir uns wünschen würden — für notwendig erachtete, würde ein Ausscheren der Bundesrepublik Deutschland katastrophale Folgen für den Zusammenhalt der westlichen Allianz insgesamt haben.
    Der Antrag der Sozialdemokraten enthält zudem die infame Unterstellung, daß sich die Allianz bei ihren Verteidigungsmaßnahmen nicht an der Bedrohung orientiert habe oder orientieren wollte. Es waren nicht zuletzt sozialdemokratische Bundeskanzler und Verteidigungsminister, die die Grundlage für die NATO-Streitkräfte-Ziele gelegt und zum heutigen Konzept und Rüstungsumfang beigetragen haben. Dahinter steckt eine Verantwortung, die wir über alle Parteigrenzen hinweg zu tragen haben. Es ist bedauerlich, daß sich die SPD aus dieser Verantwortung herausstiehlt.
    Ich halte abschließend fest: Solange der Warschauer Pakt nicht bereit ist, seine Überlegenheit im Bereich sämtlicher Waffensysteme, die ihn allein zu einem Angriff in Europa befähigen, abzubauen, solange hierzu lediglich politische Absichtserklärungen ohne irgendwelche tatsächlichen Konsequenzen abgegeben werden, können wir auf die Abschreckung durch nukleare Systeme in Mitteleuropa nicht verzichten. Wir begrüßen das sich abzeichnende Mandat für die Konferenz über konventionelle Rüstung in Wien. Wir begrüßen freundliche Worte Gorbatschows und Schewardnadses in Moskau oder New York. Im Unterschied -u den Sozialdemokraten bestehen wir aber auf Taten und nicht nur auf Worten.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)