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ID1108803100

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    Plenarprotokoll 11/88 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 88. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 5. September 1988 5999 A Erweiterung der Tagesordnung 5999 A Glückwünsche für den ausscheidenden Abg Dr. Wörner 6041 B Tagesordnungspunkt 20: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Rückblick auf den Weltwirtschaftsgipfel in Toronto und Ausblick auf den Europäischen Rat in Hannover b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule (Drucksache 11/3555, 11/1988) c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover (Drucksache 11/2327) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schaffung eines europäischen Finanzraums (Drucksachen 11/1656 Nr. 3.3, 11/1707, 11/2575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Bilanz der deutschen EG-Präsidentschaft und Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover Dr. Kohl, Bundeskanzler . . . . 5999D, 6023 A Roth SPD 6004 C Spilker CDU/CSU 6006 B Sellin GRÜNE 6007 C Dr. Haussmann FDP 6009 A Brück SPD 6011 A Kittelmann CDU/CSU 6013 A Volmer GRÜNE 6014 C Irmer FDP 6016 B Dr. Wulff CDU/CSU 6017 D Dr. Vogel SPD 6018C, 6024 C Dr. Schwörer CDU/CSU 6025 B Dr. Wieczorek SPD 6026 C Tagesordnungspunkt 21: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington (Drucksachen 11/1869, 11/1870, 11/1886, 11/2332) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses (Drucksache 11/2438) Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6027 A Lamers CDU/CSU 6030 A Frau Beer GRÜNE 6032 B Genscher, Bundesminister AA 6034 B Dr. Scheer SPD 6036 B Lowack CDU/CSU 6038 B Ronneburger FDP 6039 D Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. das neue Ausländergesetz — Zielsetzung und Zeitvorstellung der Bundesregierung Frau Trenz GRÜNE 6041 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6042 D Schröer (Mülheim) SPD 6043 C Dr. Hirsch FDP 6044 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 6045 C Wartenberg (Berlin) SPD 6047 A Dr. Olderog CDU/CSU 6048 B Frau Olms GRÜNE 6049 B Dr. Blens CDU/CSU 6049 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 6050 D Lüder FDP 6051 D Duve SPD 6052 C Dr. Kappes CDU/CSU 6053 C Fellner CDU/CSU 6054 C Nächste Sitzung 6055 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6053* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) 6057* B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 6053* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 5999 88. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 24. 6. Dr. Ahrens* 24. 6. Dr. Bangemann 24. 6. Frau Beck-Oberdorf 24. 6. Dr. Biedenkopf 24. 6. Bohlsen 24. 6. Dr. Böhme (Unna) 24. 6. Börnsen (Ritterhude) 24. 6. Frau Brahmst-Rock 24. 6. Büchner (Speyer) * 24. 6. Catenhusen 24. 6. Eimer (Fürth) 24. 6. Engelhard 24. 6. Feilcke 24. 6. Dr. Häfele 24. 6. Frau Dr. Hartenstein 24. 6. Dr. Hauff 24. 6. Frau Hoffmann 24. 6. Hoppe 24. 6. Ibrügger 22. 6. Frau Kelly 24. 6. Dr. Klejdzinski 24. 6. Kolb 24. 6. Menzel 24. 6. Dr. Müller * 24. 6. Frau Rust 24. 6. Sauer (Salzgitter) 24. 6. Schartz (Trier) 24. 6. Frau Schilling 24. 6. Schmidt (München) 24. 6. Dr. Schmude 24. 6. Dr. Schneider (Nürnberg) 24. 6. Stahl (Kempen) 24. 6. Verheugen 24. 6. Westphal 24. 6. Frau Wieczorek-Zeul 24. 6. Frau Wollny 24. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) Bei der heutigen namentlichen Abstimmung zur Flugbenzinsteuer werde ich für die Befreiung von der Anlagen zum Stenographischen Bericht Flugbenzinsteuer stimmen, obwohl ich diese Entscheidung für falsch halte. Diese Entscheidung zerstört in den Augen der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit der Steuerreform und verletzt das Gerechtigkeitsgefühl vieler Bürger und ist auch sachlich nicht geboten. Lediglich wegen der Gefährdung der Steuerreform und der dann vorliegenden Handlungsunfähigkeit der Koalition und des drohenden Verlustes der Regierungsfähigkeit werde ich meine Zustimmung erteilen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 10/6192 Drucksache 10/6380 Drucksache 11/201 Drucksache 11/484 Drucksache 11/883 Nr. 5 Drucksache 11/1213 Drucksache 11/1484 Drucksache 11/1546 Innenausschuß Drucksache 11/2350 Nr. 1.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/6562 Drucksache 10/6796 Drucksache 11/1317 Drucksache 11/1728 Drucksache 11/1733 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/883 Nr. 22 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/1656 Nr. 3.20-3.32 Drucksache 11/2089 Nr. 9-14, 16-26 Drucksache 11/2198 Nr. 2.6-2.8 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/1526 Nr. 3.4 Drucksache 11/2089 Nr. 32 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/1998 Nr. 2.9 Drucksache 11/2089 Nr. 35
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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem, was in der Regierungserklärung über die Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels in Toronto und im Hinblick auf den bevorstehenden Europäischen Rat in Hannover gesagt oder auch nicht gesagt worden ist, haben meine Kollegen Wolfgang Roth und Alwin Brück bereits Stellung genommen. Daraus ist deutlich geworden: Wir Sozialdemokraten kritisieren nicht alles und jedes. Wir anerkennen beispielsweise durchaus die Ansätze zur Erleichterung der Schuldenlast der ärmsten Länder in Afrika. Wir anerkennen auch, daß Sie, Herr Bundeskanzler, die ernsten Gefahren angesprochen haben, die sich aus der Zerstörung der Ozonschicht und einer tiefgreifenden Veränderung des Klimas auf unserem Planeten ergeben.

    (Beifall der Abg. Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU])

    Ebenso stimmen wir dem zu, was Sie heute morgen über den erfreulichen Stand der deutsch-kanadischen Beziehungen gesagt haben. Wir sehen auch — bei aller Sorge über andauernde Widersprüchlichkeiten, etwa auf dem Felde der Agrarpolitik — Fortschritte im europäischen Einigungsprozeß und begrüßen sie.
    Wir begrüßen insbesondere, daß der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und die Europäische Gemeinschaft ihre Beziehungen durch eine inzwischen paraphierte gemeinsame Erklärung, die Berlin einschließt, nunmehr normalisieren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Das kann der zweiten Phase der Entspannungspolitik, für die wir konsequent eintreten, einen zusätzlichen Impuls geben und das gemeinsame europäische Haus, in dem wir — das dürfen wir nicht vergessen — ja nur einen Flügel bewohnen, wohnlicher und zugänglicher machen.
    Ebenso deutlich sind von uns aber auch die negativen Aspekte behandelt worden. Dazu gehört insbesondere die Tatsache, daß weder in Toronto noch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft etwas Durchgreifendes unternommen wurde, um die Gefährdung der Weltwirtschaft durch die enormen Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen zu verringern. Hier ist und bleibt neben den Vereinigten Staaten und Japan in erster Linie die Bundesrepublik gefordert. Der Nachfrageausfall, der durch Ihre konfuse Steuerpolitik und — mehr noch — durch die in der Bundesrepublik andauernde Massenarbeitslosigkeit verursacht wird, ist ebenso ein internationales und europäi-
    Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 6019
    Dr. Vogel
    sches wie ein nationales Problem. Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist deshalb aus volkswirtschaftlichen Gründen ebenso geboten wie aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität.

    (Beifall bei der SPD)

    Was Sie hier seit Jahr und Tag versäumen, wird Ihnen ja ganz zu Recht nicht nur von uns, sondern auch von unseren europäischen und internationalen Partnern vorgehalten und ist Ihnen trotz aller wechselseitigen Lobeshymnen auch in Toronto deutlich vorgehalten worden.
    Deshalb appelliere ich an Sie: Herr Bundeskanzler, machen Sie die Überwindung der Arbeitslosigkeit zu einem zentralen Thema des Europäischen Rates in Hannover. Es ist gut, daß der Präsident der Kommission immer wieder auf diesen schweren Mißstand hinweist, aber Sie und die übrigen Staats- und Regierungschefs sind hier noch stärker gefordert als der Präsident der Kommission.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, fördern Sie gerade deswegen die Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes und die Umschichtungen im EG-Haushalt weg von den Agrarausgaben hin zu den Ausgaben für strukturelle Maßnahmen. Sie haben dafür unsere volle Unterstützung, und Sie haben unsere volle Unterstützung auch, wenn Sie den Vorschlägen des Kommissionspräsidenten Jacques Delors folgen und konkrete Maßnahmen — konkrete Maßnahmen! — zur Schaffung eines europäischen Sozialraumes ebenso in die Wege leiten wie konkrete Schritte zur Schaffung einer einheitlichen europäischen Währung. Ohne eine einheitliche soziale Sicherung und ohne eine einheitliche Währung bleibt Europa bei allen sonstigen Fortschritten ein Torso, und wir wollen uns nicht mit einem Torso abfinden.

    (Beifall bei der SPD)

    Aus aktutem Anlaß füge ich hinzu: Gerade in der Währungsfrage muß die Politik in Bonn und in Brüssel gemacht werden, nicht in Frankfurt. Hätte Helmut Schmidt auf Frankfurt gehört oder gewartet, dann gäbe es das Europäische Währungssystem heute noch nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wäre übrigens gut, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in Hannover auch das Thema Südafrika zur Sprache brächten. Die Gemeinschaft hat hier noch einen enormen Nachholbedarf, nicht was Worte, aber was Taten und effektive Maßnahmen angeht.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine Bemerkung noch zu Jacques Delors. Sie haben über ihn und seine Arbeit mehrfach und immer wieder Worte der Anerkennung gefunden. Diesen Worten und dieser Anerkennung stimmen wir zu. Um so unverständlicher ist jedoch, daß Sie dennoch seine Ersetzung durch den Kandidaten Ihrer Wahl lange Zeit betrieben haben und möglicherweise immer noch betreiben. Ich bitte Sie eindringlich, das noch einmal zu überdenken. Nicht nur für uns liegt es im Interesse
    Europas, das Jacques Delors seine Arbeit als Kommissionspräsident fortsetzen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Das, was hier angeklungen ist, ist nicht antideutsch; es ist proeuropäisch, was wir in diesem Punkt empfehlen.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Interesse Europas und der Bundesrepublik läge es auch, als zweiten deutschen Kommissar nach Brüssel nicht einen Mann zu entsenden, der zwar sicherlich ein angenehmer und lebensfreundlicher Mensch ist — das steht doch gar nicht zur Diskussion — , aber hier in Bonn in seinen Funktionen nicht reüssiert hat und nach eigenem Geständnis deswegen nach Brüssel gehen will, weil er hier die Lust an seinen Funktionen verloren hat. Das darf man doch wohl noch sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Entscheiden Sie sich statt dessen, Herr Bundeskanzler, für eine Persönlichkeit, die in besonderer Weise das Vertrauen auch der Arbeitnehmerschaft besitzt. Wir haben dazu einen konkreten Vorschlag gemacht und damit auch erneut unsere Bereitschaft bekundet, für die europäische Entwicklung selbst als Opposition an zentraler Stelle sichtbar Mitverantwortung zu übernehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine Regierungserklärung muß darauf geprüft werden, was sie behandelt, aber auch darauf, wozu sie schweigt. Gemessen daran ist die Regierungserklärung, die wir vorhin gehört haben, erstaunlich schweigsam. Offenbar wollen Sie, Herr Bundeskanzler, nachdem Sie mit Ihren Erläuterungen auf Ihrem Parteitag so großen Erfolg erzielt haben, die Politik des Aussitzens jetzt auch noch durch eine Politik des partiellen Ausschweigens ergänzen.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Sie waren schon origineller!)

    Alle die Fragen, die unser Volk und, wie Sie in Wiesbaden gerade erlebt haben, auch die Delegierten Ihrer eigenen Partei gegenwärtig bewegen, kamen in der Erklärung praktisch überhaupt nicht vor. Und das, obwohl diese Fragen, wie etwa die von mir erwähnte Massenarbeitslosigkeit, mit der weltwirtschaftlichen und der europäischen Entwicklung doch in ganz engem Zusammenhang und ganz enger Verzahnung stehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Übrigens, es hätte nichts verschlagen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie auch etwas zu den teilweise schon unerträglichen Luftverkehrsverhältnissen in der Bundesrepublik und darüber gesagt hätten, wie Sie dem abhelfen wollen. Hunderttausende von Urlaubern werden dadurch in den kommenden Wochen in arge Mitleidenschaft gezogen. Meine Damen und Herren, das ist keine Bagatelle, das ist eine Angelegenheit, um die Sie sich, Herr Bundeskanzler, selbst kümmern sollten. Auch das hat einen europäischen Bezug, nicht nur einen nationalen.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Vogel
    Wo der Bundeskanzler schweigt, ist es die Pflicht der Opposition, zu reden und die entsprechenden Fakten und Fragen zur Sprache zu bringen. Ich nenne nur die vier wichtigsten und bedrängendsten Komplexe.
    Erstens. Die Massenarbeitslosigkeit bewegt sich mit durchschnittlich 2,3 Millionen registrierten Arbeitssuchenden unverändert auf Rekordhöhe. Es sind eine halbe Million mehr als im Zeitpunkt der sogenannten Wende, die Sie insbesondere mit der Massenarbeitslosigkeit begründet und zu rechtfertigen versucht haben. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, in Ihrer Hilflosigkeit machen Sie jetzt die Statistik verantwortlich und wollen die Zahlen verändern, wo Ihnen die Kraft und die Entschlossenheit zur Veränderung der Realität fehlt.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Wir werden nicht müde werden, dies immer wieder darzulegen: Der Anteil der Einkommen aus Unternehmens- und Vermögensbesitz am gesamten Volkseinkommen hat mit 41,4 % gegenüber 33,7 % im Jahr 1982 den absoluten Höchststand, der Anteil der Arbeitseinkommen — „Leistung muß sich wieder lohnen" ! — hingegen mit 58,6 % gegenüber 66,3 % den absoluten Tiefstand in der Geschichte der Bundesrepublik erreicht.
    Durch die angekündigten Steuererhöhungen für die breiten Schichten und durch die gestern gegen unseren Widerstand verabschiedeten Steuersenkungen, insbesondere für höhere und höchste Einkommen, wird diese dramatische Umverteilung noch weiter verschärft werden. Daß Sie dabei gestern eine kleine Gruppe von Mitbürgern, die sich immerhin Privatflugzeuge leisten kann, von der Mineralölsteuer befreit und ihr so zu einer zusätzlichen Steuerersparnis von 3 500 DM pro Jahr im Einzelfall verholfen haben, während Sie die Mineralölsteuer für die breiten Schichten noch in diesem Jahr erhöhen wollen, ist in diesem Zusammenhang nicht irgendein Detailskandal, der ja einmal vorkommen kann. Nein, dieser Vorgang erhellt in seiner Unverfrorenheit schlaglichtartig eine Grundtendenz Ihrer Politik.

    (Lebhaftes Beifall bei der SPD sowie Beifall der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])

    Er erhellt — ich zitiere aus Zeitungen, die Ihnen wohlgesonnen sind — nämlich als Grundtendenz Ihrer Politik die Begünstigung kleiner Interessengruppen auf Kosten der Allgemeinheit, die Begünstigung der Stärkeren, die sich notfalls selber helfen können, auf Kosten der Schwächeren.

    (Beifall bei der SPD)

    Er zeigt, Herr Bundeskanzler, was von Ihren schönen Reden über soziale Gerechtigkeit oder gar über Ihr christliches Menschenbild oder von der Parole „Leistung muß sich wieder lohnen" übrigbleibt, wenn es wirklich hart auf hart geht.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])

    Meine Damen und Herren, Sie werden doch aus Ihren Wahlkreisen mit Stellungnahmen überschüttet. Sie können sich mit dieser Entscheidung doch nirgends mehr sehen lassen. Sie spüren und wissen es ja auch.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Er spricht zum Weltwirtschaftsgipfel!)

    Einige von Ihnen sagen es auch laut. Ihr eigener Parteitag hat Ihnen doch durch Beschluß bescheinigt, daß Sie hier die soziale Gerechtigkeit mit Füßen treten.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Vogel spricht zu Toronto!)

    — Das gehört auch zu Toronto, mein Lieber.

    (Beifall bei der SPD)

    Lieber Herr Wissmann, das, was ich hier erörtere, ist auch ein Gipfel, aber ein Gipfel der Unverfrorenheit und der sozialen Ungerechtigkeit.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Trotzdem, meine Damen und Herren, haben Sie zugestimmt. Das ist übrigens noch ein zusätzlicher Punkt, der Aufmerksamkeit verdient. Sie haben einem einzigen Mann zuliebe zugestimmt, der Sie als Fraktion vorführen und der Sie, Herr Bundeskanzler, einmal mehr öffentlich demütigen will. Deswegen stimmen Sie gegen Ihre Überzeugung, deshalb lassen sich zwei Fraktionen — das gilt ja auch für Sie — das Rückgrat brechen.

    (Beifall bei der SPD)

    Warum, meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, in Gottes Namen haben Sie Franz Josef Strauß nicht auf die Probe gestellt und in seine Schranken gewiesen? Was befürchten Sie denn eigentlich von ihm? Es wäre ein Akt der politischen Hygiene gewesen, wenn Sie gestern mannhaft diese Zumutung abgelehnt hätten.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/CSU]: Sie mißbrauchen diese Debatte!)

    Statt dessen haben Sie sich erpressen lassen und zu weiteren Erpressungen eingeladen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Toronto!)

    Meine Damen und Herren, Sie haben um des Machterhalts willen Ihre Glaubwürdigkeit und — schlimmer noch — ein Stück Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie geopfert. Niemand darf sich wundern, wenn sich viele Menschen, angewidert von einem solchen Schauspiel, abwenden und den Parteien mit noch mehr Distanz als bisher begegnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Schaden — Sie geben es im internen Gespräch ja auch zu — ist noch viel schlimmer als der, der sich in einem Geldbetrag ausdrücken läßt.
    Drittens. Die Verschuldung der öffentlichen Hände hat sich drastisch erhöht. In den letzten fünf Jahren der Regierung Helmut Schmidt, auf die Sie jetzt nicht mehr so laut zu sprechen kommen, betrug die Finanzierungslücke 166 Milliarden DM. Ihre Finanzierungslücke, also die Summe der Ausgaben, die nicht durch ordentliche Einnahmen gedeckt sind, belief sich für die Jahre 1983 bis 1987 auf 188 Milliarden DM; sie lag also deutlich darüber.



    Dr. Vogel
    Die Nettokreditaufnahme für das Jahr 1988 wird mit über 40 Milliarden DM veranschlagt. Das ist der höchste Kreditaufnahmebetrag in der Geschichte der deutschen Bundesrepublik.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Tempo beschleunigt sich. Infolge Ihrer geradezu chaotischen Finanzpolitik steuern insbesondere die Gemeinden — wie Herr Rommel Ihnen doch ständig bestätigt —, aber auch die Länder und der Bund auf immer größere Finanzierungslücken zu.


Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?

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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Aber gerne.