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ID1108800700

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    Plenarprotokoll 11/88 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 88. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 5. September 1988 5999 A Erweiterung der Tagesordnung 5999 A Glückwünsche für den ausscheidenden Abg Dr. Wörner 6041 B Tagesordnungspunkt 20: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Rückblick auf den Weltwirtschaftsgipfel in Toronto und Ausblick auf den Europäischen Rat in Hannover b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule (Drucksache 11/3555, 11/1988) c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover (Drucksache 11/2327) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schaffung eines europäischen Finanzraums (Drucksachen 11/1656 Nr. 3.3, 11/1707, 11/2575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Bilanz der deutschen EG-Präsidentschaft und Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover Dr. Kohl, Bundeskanzler . . . . 5999D, 6023 A Roth SPD 6004 C Spilker CDU/CSU 6006 B Sellin GRÜNE 6007 C Dr. Haussmann FDP 6009 A Brück SPD 6011 A Kittelmann CDU/CSU 6013 A Volmer GRÜNE 6014 C Irmer FDP 6016 B Dr. Wulff CDU/CSU 6017 D Dr. Vogel SPD 6018C, 6024 C Dr. Schwörer CDU/CSU 6025 B Dr. Wieczorek SPD 6026 C Tagesordnungspunkt 21: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington (Drucksachen 11/1869, 11/1870, 11/1886, 11/2332) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses (Drucksache 11/2438) Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6027 A Lamers CDU/CSU 6030 A Frau Beer GRÜNE 6032 B Genscher, Bundesminister AA 6034 B Dr. Scheer SPD 6036 B Lowack CDU/CSU 6038 B Ronneburger FDP 6039 D Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. das neue Ausländergesetz — Zielsetzung und Zeitvorstellung der Bundesregierung Frau Trenz GRÜNE 6041 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6042 D Schröer (Mülheim) SPD 6043 C Dr. Hirsch FDP 6044 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 6045 C Wartenberg (Berlin) SPD 6047 A Dr. Olderog CDU/CSU 6048 B Frau Olms GRÜNE 6049 B Dr. Blens CDU/CSU 6049 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 6050 D Lüder FDP 6051 D Duve SPD 6052 C Dr. Kappes CDU/CSU 6053 C Fellner CDU/CSU 6054 C Nächste Sitzung 6055 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6053* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) 6057* B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 6053* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 5999 88. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 24. 6. Dr. Ahrens* 24. 6. Dr. Bangemann 24. 6. Frau Beck-Oberdorf 24. 6. Dr. Biedenkopf 24. 6. Bohlsen 24. 6. Dr. Böhme (Unna) 24. 6. Börnsen (Ritterhude) 24. 6. Frau Brahmst-Rock 24. 6. Büchner (Speyer) * 24. 6. Catenhusen 24. 6. Eimer (Fürth) 24. 6. Engelhard 24. 6. Feilcke 24. 6. Dr. Häfele 24. 6. Frau Dr. Hartenstein 24. 6. Dr. Hauff 24. 6. Frau Hoffmann 24. 6. Hoppe 24. 6. Ibrügger 22. 6. Frau Kelly 24. 6. Dr. Klejdzinski 24. 6. Kolb 24. 6. Menzel 24. 6. Dr. Müller * 24. 6. Frau Rust 24. 6. Sauer (Salzgitter) 24. 6. Schartz (Trier) 24. 6. Frau Schilling 24. 6. Schmidt (München) 24. 6. Dr. Schmude 24. 6. Dr. Schneider (Nürnberg) 24. 6. Stahl (Kempen) 24. 6. Verheugen 24. 6. Westphal 24. 6. Frau Wieczorek-Zeul 24. 6. Frau Wollny 24. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) Bei der heutigen namentlichen Abstimmung zur Flugbenzinsteuer werde ich für die Befreiung von der Anlagen zum Stenographischen Bericht Flugbenzinsteuer stimmen, obwohl ich diese Entscheidung für falsch halte. Diese Entscheidung zerstört in den Augen der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit der Steuerreform und verletzt das Gerechtigkeitsgefühl vieler Bürger und ist auch sachlich nicht geboten. Lediglich wegen der Gefährdung der Steuerreform und der dann vorliegenden Handlungsunfähigkeit der Koalition und des drohenden Verlustes der Regierungsfähigkeit werde ich meine Zustimmung erteilen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 10/6192 Drucksache 10/6380 Drucksache 11/201 Drucksache 11/484 Drucksache 11/883 Nr. 5 Drucksache 11/1213 Drucksache 11/1484 Drucksache 11/1546 Innenausschuß Drucksache 11/2350 Nr. 1.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/6562 Drucksache 10/6796 Drucksache 11/1317 Drucksache 11/1728 Drucksache 11/1733 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/883 Nr. 22 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/1656 Nr. 3.20-3.32 Drucksache 11/2089 Nr. 9-14, 16-26 Drucksache 11/2198 Nr. 2.6-2.8 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/1526 Nr. 3.4 Drucksache 11/2089 Nr. 32 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/1998 Nr. 2.9 Drucksache 11/2089 Nr. 35
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    Rede von Dr. Karl-Heinz Spilker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag schwierig sein, in kurzer Zeit zu einem mehrtägigen Wirtschaftsgipfel der sieben westlichen Industrieländer Stellung zu nehmen, die sich dankenswerterweise mit einer ganzen Reihe von weltpolitischen Problemen, also nicht nur mit wirtschafts- und währungspolitischen Fragen befaßt haben. Nicht schwierig ist es jedoch, Herr Roth, Ihnen zu entgegnen, daß Sie sich ja schon seit Monaten kritisch äußern, Prophezeiungen machen, die sich gottlob nie bewahrheitet haben. Das gilt auch für Ihre Kritik an dem Gipfel, der Steuerreform und der Entwicklungspolitik der Industrieländer. Ich möchte schon sagen: Auch diese Kritik ist nicht gerechtfertigt, und Sie sollten davon endlich Abstand nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Früher, meine Damen und Herren, wurde die Notwendigkeit von Gipfelkonferenzen oft bezweifelt. Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, daß diese erforderlich und wünschenswert sind. Nach Toronto — in Frankreich wird die nächste Konferenz sein — wird es weitere Gipfel geben, wie es Bundeskanzler Kohl in seinem Eingangsstatement in Kanada ausdrücklich gewünscht hat.
    Seit dem ersten Gipfel 1975 ist die Notwendigkeit internationaler Koordination und Kooperation immer deutlicher geworden und erfreulicherweise die
    Übereinstimmung in den zentralen Fragen der Politik, besonders der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Kreis der Gipfelländer gewachsen. Dies kam in Toronto ganz besonders zum Ausdruck. Man darf sagen, daß die Bundesrepublik, die sich im übrigen immer wieder zu weltwirtschaftlicher Kooperation bekannt hat, hier ihren angemessenen Beitrag geleistet hat.
    So möchte ich auch dem Bundeskanzler und der deutschen Delegation im Namen der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich dafür danken, daß sie die deutsche Position auf dieser Konferenz nachdrücklich vertreten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Was ist die deutsche Position? Ich darf es einfach beantworten: Weiterer konsequenter Ausbau internationaler Zusammenarbeit, weil es keinen anderen Weg für eine Welt in Frieden und Freiheit gibt.
    „Toronto wurde ein Gipfel der Harmonie", so lautet die Überschrift der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" über einem Kommentar. Wohlwollend waren auch die Berichte und Kommentare der nationalen und internationalen Medien, die bekanntlich bei früheren Konferenzen nicht immer so waren. In der Tat, es war trotz Ihrer Äußerung, Herr Kollege Roth, ein erfolgreicher Gipfel, und dafür sollte man allen beteiligten Staats- und Regierungschefs danken. Es wurden viele Probleme und Themenkreise nicht nur beraten und ihre Erledigung nationalen Institutionen und zuständigen internationalen Gremien überwiesen, sondern es kamen auch konkrete Ergebnisse heraus,

    (Zuruf von der SPD: Welche?)

    die bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Berlin ihren Niederschlag finden werden, auch bei dem Europäischen Rat in Hannover, zu dem wir Ihre Empfehlung, Herr Roth, wirklich nicht brauchen.

    (Zustimmung des Abg. Kittelmann [CDU/CSU])

    Ich gehe davon aus, daß bereits Ende dieses Jahres weitere konkrete Ergebnisse auf dem Gebiet der Bekämpfung der internationalen Schuldenkrise auf dem Tisch liegen werden. Bei der Jahrestagung des IWF, auf der die Entwicklungsländer vertreten sind, sollte es mehr konkrete Fortschritte als in den vergangenen Jahren geben. Wir müssen auch die Entwicklungsländer selbst in die Bekämpfung der internationalen Schuldenkrise, aber auch — das ist ganz wichtig — in die internationale Zusammenarbeit der Industrieländer einschließen.
    Meine Damen und Herren, wir sprechen nicht nur über Gipfel oder internationale Konferenzen — diese können immer nur einen Höhepunkt bilden — , sondern über die ständige internationale Zusammenarbeit zwischen den Industrieländern, in die, wie ich soeben sagte, die Entwicklungsländer eingeschlossen werden müssen.
    Es geht vor allem um die Stärkung der Marktkräfte und um Strukturreformen. Es geht um die Notwendigkeit von Wechselkursstabilität, aber auch um die Notwendigkeit kontinuierlicher Anpassungen. Es geht ferner um den Kampf gegen den Protektionismus und



    Spilker
    für ein freies Welthandelssystem. Schließlich spielt auch die Schuldenüberwindungsstrategie im Verhältnis zu den Entwicklungsländern eine entscheidende Rolle.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Sellin [GRÜNE]: Schuldenerlaß!)

    — Der Zwischenruf, für den ich dankbar bin, zeigt, daß Sie nicht informiert sind und auch nicht informiert sein wollen,

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)

    denn sonst würden Sie wenigstens dankbar zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesrepublik, vertreten durch den Bundeskanzler, hier eine vorbildliche Rolle gespielt hat, denn ein Schuldenerlaß in Höhe von 4,2 Milliarden DM kommt nicht von ungefähr.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das sind Leistungen, die unsere Steuerzahler erbracht haben; das sollten Sie wissen. Wenn der Bundeskanzler hier betont hat, daß es weitere Schuldenerlasse geben wird, und hier ganz konkrete Vorstellungen bestehen, meine Damen und Herren, dann scheint es mir nicht sehr angezeigt zu sein, hier mit Zwischenrufen glänzen zu wollen, deren Inhalt Sie nicht einmal übersehen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Was heißt denn da glänzen?)

    Glänzen sollten Sie lieber in Godesberg oder wo auch immer Sie Ihre „berühmten" Tagungen durchführen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wiesbaden? Das war doch die CDU! — Heiterkeit)

    — Herr Vogel, es ist nett, daß Sie sich rühren. Ich hätte Sie fast übersehen, und das hätte mir leid getan.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Aber Herr Spilker!)

    — Ich habe nur wenig Zeit. Sonst würde ich ganz gern darauf zurückkommen, und zwar schon deshalb, weil wir unseren alten Dialog, den wir schon seit unserer Münchener Zeit führen, fortsetzen sollten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)

    Meine Damen und Herren, die Staats- und Regierungschefs haben sich in Toronto erfreulicherweise erneut zu ihrer Verantwortung gegenüber der Völkergemeinschaft — und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Bereich — bekannt, und das ist gut so. Auch der Bereich der Umwelt- und Sozialpolitik sowie andere Fragen wie etwa die Bekämpfung des Terrorismus und des Drogenmißbrauchs haben eine Rolle gespielt, und es wird sich zeigen — das wird die Zukunft lehren — , daß dieser Gipfel erfolgreich war.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!)

    Meine Damen und Herren, leider haben sich die sozialistischen Länder einer solchen Politik bisher verschlossen, auch wenn in der letzten Zeit eine Reihe positiver Tendenzen festzustellen waren, die auf dem Gipfel gewürdigt wurden.
    In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Erwartung äußern, weil ich eigentlich vermisse, daß diese Länder wenigstens gegenüber den ärmsten Entwicklungsländern Hilfestellung auf wirtschaftlichem Gebiete leisten, damit diese Staaten eine Chance bekommen, auch wirtschaftlich souverän zu werden. Ich sehe hier neben einer verstärkten wirtschaftlichen West-Ost-Kooperation oder als Folge einer solchen eine große Chance für die Zukunft, die wahrgenommen werden sollte. Ich erwähne das und wende mich damit an die Adresse der SPD und der GRÜNEN, weil Sie immer wieder die westlichen Industriestaaten wegen Versäumnissen auf entwicklungspolitischem Gebiete auf die Anklagebank setzen, und das ist nicht gut so. Ich sage noch einmal: Sie sollten das unterlassen. Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sellin [GRÜNE]: Nein!)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sellin.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Peter Sellin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsgipfel von Toronto verkleisterte Gegensätze zwischen den Industriegiganten der westlichen Welt, anstatt sie bloßzulegen. Der Wirtschaftsgipfel betrieb harmonische Einigkeit nach außen und löste keines der akuten Weltprobleme auch nur ansatzweise.
    Etwa 30 der ärmsten Länder Afrikas erhalten Schuldenerleichterungen in Höhe von geschätzten 10 Milliarden bis 15 Milliarden US-Dollar. Tatsache ist, daß die Dritte Welt und die Vierte Welt mit etwa 1 200 Milliarden US-Dollar überschuldet sind, so daß allenfalls ein Almosen erlassen wurde.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!) Umfassende Schuldenstreichungen blieben aus.

    Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den USA, Japan und der Europäischen Gemeinschaft konnten nicht wesentlich abgebaut werden. Der Egoismus auch der Bundesrepublik wird überdeutlich, wenn die realen Steigerungen des Exports gefeiert werden. Expansionsstrategien bleiben die herrschende Grundphilosophie jedes Gipfelteilnehmers. Konsumsteigerung und Exportförderung bei gleichzeitiger höherer Importsteigerung soll angeblich den Abbau der riesigen Leistungsbilanzüberschüsse bringen.
    Wir GRÜNEN sind der Meinung, daß quantitative Wachstumsstrategien aller Industrieländer der westlichen Welt kurzfristig den materiellen Wohlstand hier maximieren, aber gleichzeitig werden sowohl bei uns als auch in den „beglückten" Empfängerländern die Lebensgrundlagen untergraben und unwiederbringlich zerstört.
    „Die Agrarpolitik bildet sowohl in den Industriestaaten als auch in den Entwicklungsländern eines der wichtigsten Strukturprobleme", so heißt es lapidar in der Gipfelerklärung von Toronto. Kein Satz über den gezielten und datierten Abbau der exportorientierten Agrarsubventionen der Europäischen Gemeinschaft und der USA sowie den Protektionismus der Europäischen Gemeinschaft gegenüber den Ländern der Dritten Welt. Die Vereinigten Staaten forderten einen festen Kalender zum Abbau der Exportsubventionen gegenüber der EG. Die EG mauerte und setzte



    Sellin
    sich tendenziell durch, da sie sich als planwirtschaftlicher Moloch unfähig sieht, die europäische Landwirtschaft in eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft auch mit geringeren Hektarerträgen und ohne gülleverseuchende Massentierhaltung zu verwandeln.
    Nein, wir leben in Zeiten des Fortschritts und müssen miterleben, daß Pflanzenvernichtungsmittel in Form von Herbiziden auf uns niederregnen, und zwar in einer Konzentration, die bereits höher ist als die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Leider wahr!)

    Der Wirtschaftsgipfel erkannte erstmalig an, daß Umweltgefahren keine Grenzen kennen. Er forderte — so ein Statement — Aufmerksamkeit; ja, Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für das mangelnde Erkenntnisniveau von Spitzenpolitikern, die unfähig den Prozessen umweltzerstörender Industriegesellschaften unterworfen sind. Sie reden über globale Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Konsequenzen: keine. Über die Möglichkeiten der Weltpresse werden Ängste angesprochen und suggeriert, daß etwas getan wird. Dem ist jedoch nicht so.
    Der Börsenkrach vom Oktober 1987 scheint vergessen, die Konjunkturdaten verbreiten Optimismus, die wirtschaftlichen Zielkonflikte gelten als beherrschbar. Merkwürdig: Helmut Schmidt stellt in der neuesten Ausgabe der „Zeit" fest:
    Wir haben das spekulativste Währungssystem, das es in den letzten 100 Jahren gab.
    Die „Wirtschaftswoche" verweist auf einen weltwirtschaftlichen Risikofaktor, nämlich auf die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen. Steigen die Zinsen — wie jüngst gering bei der Deutschen Bundesbank — , dann besteht in Kombination mit den erhöhten Verbrauchsteuern die Tendenz, daß die Konjunktur an Stetigkeit verliert und rezessive Tendenzen um sich greifen werden. Die Massenarbeitslosigkeit der Europäischen Gemeinschaft mit mehr als 16 Millionen Menschen — oder 11 % — würde weiter zunehmen.
    Die ökologische, soziale und wirtschaftliche Lage der Länder der Europäischen Gemeinschaft ist auch unter der Präsidentschaft eines Kanzlers Kohl krisenhafter statt besser geworden. Der europäische Binnenmarkt wird als Wachstumsmotor beschworen, um den selektiven ökologischen und sozialen Umbau der eigenen Volkswirtschaft nicht vorrangig in Angriff nehmen zu müssen. Expansion, Exportoffensive, Fusionen, Marktaufteilung im EG-Binnenmarkt und im Weltmarkt sollen den Ausweg aus verstopften Absatzmärkten schaffen.
    Der Cecchini-Bericht, im Auftrag der EG entworfen, setzt auf Expansionsmöglichkeiten und veröffentlicht rosige Zahlen für alle, die in den Gemeinsamen Markt einsteigen wollen. Britische Ökonomen der London Business School und der London School of Economics halten den Cecchini-Bericht dagegen für „maßlos übertrieben". „Financial Weekly" titelte: „Nothing but hot air" .
    Der Prozeß der Harmonisierung von Umwelt- und Sozialstandards, aber auch von Technologiestandards in der EG betreibt den Ausverkauf von Lebensinteressen der Menschen im Interesse von Multis, die schlappe und schlaffe Vorschriften und Normen für den größtmöglichen Absatz ihrer Waren fordern. Die EG-Bürokratie läßt vom Ministerrat Richtlinien, sprich: Gesetze beschließen, die die Klassifizierung als Umwelt- und Sozialdumping verdienen. Richtlinien zur Emission von Schadstoffen, zum Strahlenschutz, zu den Pkw-Katalysatoren und zu der Produktion von Lebensmitteln hebeln schärfere Vorschriften in den jeweiligen Einzelstaaten der EG aus den Angeln, anstatt einen Prozeß subsidiär und föderal anzustoßen, um zum höchstmöglichen Umweitstandard zu kommen.
    Kapitalinteressen zerstören Umweltinteressen. Kapitalinteressen zerstören soziale Schutzrechte. Zum Beispiel müssen Lkw-Fahrer in der EG demnächst maximal 9 statt wie bisher 8 Stunden hinter dem Lenkrad sitzen. Die Mindestruhezeit wird von einer Stunde auf 45 Minuten verkürzt. Das ist der Fortschritt der EG, den die Regierung Kohl herbeiführt.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Glauben Sie nicht, daß Sie ein bißchen übertreiben?)

    Die Europäische Gemeinschaft ist ein zentralistisch wirkender Moloch, der nationale und regionale Rechte außer Kraft setzt, anstatt die unterschiedlichen Verhältnisse in einem Prozeß der gemeinsamen Veränderungen für die Lebensinteressen und den Erhalt der Lebensgrundlagen der Menschen zuammenzuführen.
    Die GRÜNEN fordern, daß der Ministerrat seine legislative, also seine gesetzgebende Macht an das Europäische Parlament abgibt und sich auf die Rolle einer Länderkammer beschränkt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Exekutive hat die EG-Kommission zu bilden, die vom Europäischen Parlament gewählt wird. Ich plädiere für ein dezentral und subsidiär organisiertes Europa, welches den Regionen und Ländern weiterhin autonome Entwicklungsprozesse gestattet. Die Demokratisierung der EG-Institutionen erreicht erst akzeptable Qualitäten, wenn dezentralen Entscheidungsstrukturen der Vorrang vor zentralen Machtentscheidungen eingeräumt wird. Heute ist noch nicht einmal die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative gewährleistet. Solch eine Europäische Gemeinschaft lehnen wir strikt ab.
    Der Kanzler strebt einen EG-Binnenmarkt an, der keine demokratischen Strukturen kennt, der zuerst die Liberalisierung des Kapital- und Dienstleistungsverkehrs betreibt, der zuletzt die sozialen Schutz- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer behandelt und tendenziell aushebelt, der dem Umweltrecht und dem Arbeitsschutzrecht eine gegenüber dem Exportinteresse nachrangige Bedeutung beimißt, der vielleicht allein noch durch Probleme der Steuerharmonisierung aufgehalten werden kann.
    Wir GRÜNEN fordern ein Europa, das den ökologischen Umbau seiner Industrie und Landwirtschaft schleunigst in Angriff nimmt.



    Sellin
    Wir GRÜNEN fordern ein Europa, das eine multikulturelle Gesellschaft ohne Grenzen nach Ost und West und nach Nord und Süd sein will.
    Wir GRÜNEN fordern radikale tägliche Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Europa.
    Wir GRÜNEN fordern ein subsidiär und dezentral strukturiertes Europa der Regionen, welches die bestmöglichen Umwelt- und Sozialstandards in fairem Wettbewerb ermöglicht.
    Wir GRÜNEN fordern ein Westeuropa, das sich der umfassenden Zusammenarbeit mit Osteuropa widmet und ein gesamteuropäisches Haus mitgestalten will.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Und die GRÜNEN werden ein Chaos in Europa errichten, wenn sie drankommen!)