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ID1108800300

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    Plenarprotokoll 11/88 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 88. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 5. September 1988 5999 A Erweiterung der Tagesordnung 5999 A Glückwünsche für den ausscheidenden Abg Dr. Wörner 6041 B Tagesordnungspunkt 20: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Rückblick auf den Weltwirtschaftsgipfel in Toronto und Ausblick auf den Europäischen Rat in Hannover b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule (Drucksache 11/3555, 11/1988) c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover (Drucksache 11/2327) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Schaffung eines europäischen Finanzraums (Drucksachen 11/1656 Nr. 3.3, 11/1707, 11/2575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Bilanz der deutschen EG-Präsidentschaft und Europäischer Rat am 27./28. Juni 1988 in Hannover Dr. Kohl, Bundeskanzler . . . . 5999D, 6023 A Roth SPD 6004 C Spilker CDU/CSU 6006 B Sellin GRÜNE 6007 C Dr. Haussmann FDP 6009 A Brück SPD 6011 A Kittelmann CDU/CSU 6013 A Volmer GRÜNE 6014 C Irmer FDP 6016 B Dr. Wulff CDU/CSU 6017 D Dr. Vogel SPD 6018C, 6024 C Dr. Schwörer CDU/CSU 6025 B Dr. Wieczorek SPD 6026 C Tagesordnungspunkt 21: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates und der Gespräche in Washington (Drucksachen 11/1869, 11/1870, 11/1886, 11/2332) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses (Drucksache 11/2438) Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6027 A Lamers CDU/CSU 6030 A Frau Beer GRÜNE 6032 B Genscher, Bundesminister AA 6034 B Dr. Scheer SPD 6036 B Lowack CDU/CSU 6038 B Ronneburger FDP 6039 D Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. das neue Ausländergesetz — Zielsetzung und Zeitvorstellung der Bundesregierung Frau Trenz GRÜNE 6041 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6042 D Schröer (Mülheim) SPD 6043 C Dr. Hirsch FDP 6044 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 6045 C Wartenberg (Berlin) SPD 6047 A Dr. Olderog CDU/CSU 6048 B Frau Olms GRÜNE 6049 B Dr. Blens CDU/CSU 6049 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 6050 D Lüder FDP 6051 D Duve SPD 6052 C Dr. Kappes CDU/CSU 6053 C Fellner CDU/CSU 6054 C Nächste Sitzung 6055 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6053* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) 6057* B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 6053* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Juni 1988 5999 88. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 24. 6. Dr. Ahrens* 24. 6. Dr. Bangemann 24. 6. Frau Beck-Oberdorf 24. 6. Dr. Biedenkopf 24. 6. Bohlsen 24. 6. Dr. Böhme (Unna) 24. 6. Börnsen (Ritterhude) 24. 6. Frau Brahmst-Rock 24. 6. Büchner (Speyer) * 24. 6. Catenhusen 24. 6. Eimer (Fürth) 24. 6. Engelhard 24. 6. Feilcke 24. 6. Dr. Häfele 24. 6. Frau Dr. Hartenstein 24. 6. Dr. Hauff 24. 6. Frau Hoffmann 24. 6. Hoppe 24. 6. Ibrügger 22. 6. Frau Kelly 24. 6. Dr. Klejdzinski 24. 6. Kolb 24. 6. Menzel 24. 6. Dr. Müller * 24. 6. Frau Rust 24. 6. Sauer (Salzgitter) 24. 6. Schartz (Trier) 24. 6. Frau Schilling 24. 6. Schmidt (München) 24. 6. Dr. Schmude 24. 6. Dr. Schneider (Nürnberg) 24. 6. Stahl (Kempen) 24. 6. Verheugen 24. 6. Westphal 24. 6. Frau Wieczorek-Zeul 24. 6. Frau Wollny 24. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU) nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Steuerreformgesetzes (Drucksache 11/2157) Bei der heutigen namentlichen Abstimmung zur Flugbenzinsteuer werde ich für die Befreiung von der Anlagen zum Stenographischen Bericht Flugbenzinsteuer stimmen, obwohl ich diese Entscheidung für falsch halte. Diese Entscheidung zerstört in den Augen der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit der Steuerreform und verletzt das Gerechtigkeitsgefühl vieler Bürger und ist auch sachlich nicht geboten. Lediglich wegen der Gefährdung der Steuerreform und der dann vorliegenden Handlungsunfähigkeit der Koalition und des drohenden Verlustes der Regierungsfähigkeit werde ich meine Zustimmung erteilen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 10/6192 Drucksache 10/6380 Drucksache 11/201 Drucksache 11/484 Drucksache 11/883 Nr. 5 Drucksache 11/1213 Drucksache 11/1484 Drucksache 11/1546 Innenausschuß Drucksache 11/2350 Nr. 1.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/6562 Drucksache 10/6796 Drucksache 11/1317 Drucksache 11/1728 Drucksache 11/1733 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/883 Nr. 22 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/1656 Nr. 3.20-3.32 Drucksache 11/2089 Nr. 9-14, 16-26 Drucksache 11/2198 Nr. 2.6-2.8 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/1526 Nr. 3.4 Drucksache 11/2089 Nr. 32 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/1998 Nr. 2.9 Drucksache 11/2089 Nr. 35
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    Wir waren gemeinsam der Überzeugung: Das Verhältnis der USA und der Sowjetunion befindet sich in einer dynamischen Aufwärtsentwicklung. Der Prozeß der Abrüstung und Rüstungskontrolle kann konsequent und ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Wir waren ebenfalls der Auffassung, daß auch in Zukunft Gipfelbegegnungen Motor einer konstruktiven Entwicklung im West-Ost-Verhältnis sein werden.
    Wir haben erneut die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts als Kernproblem der europäischen Sicherheit hervorgehoben und die sowjetische Aufrüstung als eine der Hauptursachen für Instabilität im Fernen Osten gekennzeichnet. Wir haben gefordert, daß diese Bedrohung in Europa wie in Asien abgebaut wird. Wir haben nicht zuletzt — wiederum auf Grund der deutschen Forderung -- die Überzeugung deutlich gemacht, daß es notwendig ist, zu einem baldigen umfassenden und weltweiten Verbot chemischer Waffen zu kommen.
    Meine Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt unserer Erörterungen waren regionale Konflikte. Ich will nur einen Punkt herausgreifen. Auf Grund der gemeinsamen Initiative von Präsident Mitterrand und mir haben alle Teilnehmer an die südafrikanische Regierung appelliert, die sechs zum Tode



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Verurteilten von Sharpeville zu begnadigen und das Gesetz, das jetzt vorbereitet wird und das finanzielle Unterstützungsleistungen aus dem Ausland unterbinden soll, zurückzuziehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Weiterhin haben wir in der gemeinsamen Erklärung darauf hingewiesen, daß wir die amerikanischen Friedensbemühungen in Angola unterstützen.
    Unsere Erklärung zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und des illegalen Drogenhandels läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es geht darum, gemeinsam zwei Geißeln der Menschheit den entschiedenen Kampf aller anzusagen und ihn im Zusammenwirken aller gleichgesinnten Länder zu bestehen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den wirtschaftspolitischen Gesprächen der Staats- und Regierungschefs ging es zunächst einmal darum, eine Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung seit der letzten Gipfelbegegnung in Venedig zu ziehen. Alle Teilnehmer waren übereinstimmend der Auffassung, daß sich die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit gerade in den letzten Monaten in hohem Maße bewährt hat.
    Nach dem Börsenkrach im Herbst vergangenen Jahres hat es ja nicht wenige gegeben, die in diesem Ereignis den Beginn einer Destabilisierung der Weltwirtschaft insgesamt sahen. Heute, ein Dreivierteljahr später, wissen wir, daß das entschlossene und abgestimmte Handeln von Regierungen und Notenbanken ganz maßgeblich dazu beigetragen hat, die Weltwirtschaft vor einem Einbruch zu bewahren.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Die durch Ihre Steuerreform wieder abgewürgt wird?)

    Im Blick auf die vor uns liegenden Monate waren sich alle Gipfelteilnehmer in Toronto darin einig, daß die Perspektiven für die weitere weltwirtschaftliche Entwicklung alles in allem günstig und ermutigend sind. OECD und Internationaler Währungsfonds haben dazu in der letzten Zeit nach oben revidierte Prognosen vorgelegt. Das Ergebnis von Toronto lautet: Wir haben begründeten Anlaß, mit Optimismus und Vertrauen nach vorn zu schauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist es auch mehr als selbstverständlich, daß wir die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit zwischen den Industrieländern, die in den letzten Jahren immer enger und intensiver geworden ist, weiter fortsetzen wollen. Alle meine Kollegen haben an einer solchen Politik deutlichen Anteil und wollen sie für die Zukunft intensivieren.
    Für die Bundesrepublik Deutschland konnte ich auf die sehr erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Monaten verweisen. Die Wachstumsrate von 4,2 % im ersten Quartal dieses Jahres zeigt, daß sich die deutsche Wirtschaft auf einem guten Weg befindet. Dies bestätigt auch der neueste Ifo-Konjunkturtest.
    Von besonderem Interesse für unsere ausländischen Partner war gleichzeitig, daß unser Wirtschaftswachstum ausschließlich von der lebhaften Inlandsnachfrage — plus 51/2 % im ersten Quartal 1988 — getragen wird, während der anhaltende Rückgang unseres realen Außenhandelsüberschusses das Wachstum weiterhin spürbar belastet. Die Bundesrepublik Deutschland leistet also — wir können dies unseren ausländischen Gesprächspartnern nicht oft genug sagen — unverändert ihren Beitrag zur Anpassung der internationalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte.
    Ein wichtiger Punkt war für mich, in der Frage der internationalen Verschuldung greifbare Fortschritte zu erreichen,

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Was haben die Amerikaner dazu gesagt?)

    und dies insbesondere im Blick auf die besonders armen Länder Afrikas. Wir können hier zunächst mit Befriedigung feststellen, daß das, was wir uns vor einem Jahr in Venedig vorgenommen haben, inzwischen weitgehend in die Tat umgesetzt wurde.
    Ich verweise insbesondere auf die Verdreifachung der sogenannten Strukturanpassungsfazilität des IWF von 3 auf 9 Milliarden Dollar sowie auf die Vereinbarungen über längere Tilgungsfristen und tilgungsfreie Zeiten im Rahmen des sogenannten Pariser Clubs.
    Gleichwohl waren sich meine Kollegen und ich darüber einig, daß weitergehende Schritte notwendig sind. So habe ich mich dafür eingesetzt, daß Schulden aus Entwicklungshilfedarlehen für die ärmsten Länder reduziert oder erlassen werden. Ich konnte darauf verweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland bereits einen Schuldenerlaß von 4,2 Milliarden DM verwirklicht und das Bundeskabinett am 8. Juni dieses Jahres konkrete Beschlüsse zum Erlaß weiterer Schulden gefaßt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Von diesen jetzt geplanten Entlastungen wird ein Forderungsvolumen von noch einmal rund 2,3 Milliarden DM betroffen.
    Wir haben uns zudem darüber verständigt, auch die Bedingungen für Umschuldungen im Rahmen des Pariser Clubs zu verbessern. Dies ist ein notwendiger Schritt.
    Neu ist hier, daß die staatlichen Gläubiger bei der Regelung von Umschuldungen zwischen drei Optionen wählen können: zwischen einem teilweisen Schuldenerlaß, günstigen Zinssätzen bei kurzen Laufzeiten und längeren Rückzahlungsfristen bei handelsüblichen Zinssätzen.
    Dabei ist zweierlei wichtig: Zum einen soll eine angemessene Lastenverteilung unter den Gläubigern sichergestellt werden, und zum anderen muß erreicht werden, daß ein weiteres Anwachsen des Schuldenberges vermieden und Perspektiven für eine Reduzierung der Schuldenlast eröffnet werden.
    Der Pariser Club ist von den Gipfelteilnehmern aufgefordert worden, die notwendigen technischen Einzelheiten sehr zügig — ich denke, das geschieht noch in diesem Jahr — auszuarbeiten.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Meine Damen und Herren, wir erwarten auch von den Banken, daß sie zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um ihren Schuldnern — d. h. in diesem Falle Ländern mit mittlerem Einkommen, die sich um Wirtschaftsreformen bemühen — Zukunftsperspektiven zur Überwindung ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu eröffnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Intensiv geprüft werden muß auch die Frage, inwieweit der Umweltschutz, insbesondere der Schutz tropischer Regenwälder, stärker in die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern einbezogen werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sellin [GRÜNE]: Kein Import von Tropenhölzern!)

    Hier hat zweifelsohne auch die Weltbank eine wichtige Rolle zu übernehmen. Ich halte es für dringend geboten, daß wir auf diesem wichtigen Feld bald zu greifbaren Ergebnissen kommen.
    Dauerhafte Fortschritte bei der Bewältigung der Verschuldungssituation vieler Entwicklungsländer sind nicht denkbar ohne einen ebenso entschiedenen Kampf gegen den Protektionismus. Nur wenn die Entwicklungsländer ihre Waren auch auf den Märkten der Industrieländer verkaufen können, haben sie eine Chance, mit ihrer Schuldenbelastung Schritt für Schritt fertig zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sellin [GRÜNE]: Wer betreibt denn Protektionismus? Die EG!)

    Auch unter diesem Gesichtspunkt sehen wir die zentrale Bedeutung des freien Welthandels und der laufenden GATT-Runde. Alle Gipfelteilnehmer haben deswegen ihr nachhaltiges Interesse betont, die Halbzeitkonferenz der Uruguay-Runde im Dezember dieses Jahres in Kanada erfolgreich zu gestalten und den weiteren Verhandlungen nachdrückliche Impulse zu verleihen.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang wurde auch über das Agrarproblem ausführlich gesprochen, dessen Ursachen sich insbesondere aus den völlig unterschiedlichen durchschnittlichen Betriebsgrößen in den einzelnen Ländern ergeben. Unbestritten ist die vordringliche Entlastung der Weltagrarmärkte. Dem kann und darf sich auch die Europäische Gemeinschaft und damit auch die Bundesrepublik Deutschland nicht entziehen.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Aber mit den richtigen Mitteln!)

    Als amtierender EG-Ratspräsident habe ich in Toronto deutlich gemacht, daß die Europäische Gemeinschaft das Agrarproblem entschlossen angepackt hat. Mit den Beschlüssen vom Februar dieses Jahres hat die Gemeinschaft einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Überschußproduktion geleistet.
    Langfristiges Ziel muß eine stärkere Marktorientierung sein. Hierfür sind Realismus und Augenmaß notwendig. Dabei muß natürlich auch der besonderen
    Lage der bäuerlichen Familienbetriebe in unserem Land ausreichend Rechnung getragen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wie bereits bei früheren Gipfelbegegnungen habe ich mich auch bei unserem diesjährigen Zusammentreffen sehr nachdrücklich für Maßnahmen zum Schutz der Umwelt eingesetzt. Dabei konnte ich erfreut feststellen, daß die Resonanz auf dieses Thema bei unseren Partnern und die Erkenntnis der Notwendigkeit im Verlauf der letzten Jahre spürbar zugenommen haben. Aile teilen inzwischen die Sorge um die Ozonschicht. Weitere wichtige Schritte sind hier eingeleitet. Die Bundesrepublik Deutschland wird versuchen, hier — wo immer nur möglich — die notwendigen Dienste zu leisten.
    Grenzüberschreitende Maßnahmen sind zum Schutz der Luft und des Wassers erforderlich. Ich habe mich besonders für internationale Anstrengungen gegen sauren Regen, gegen das Waldsterben und für die Reinhaltung der Flüsse und Meere eingesetzt, und wir haben auch in diesem Zusammenhang auf die Verschmutzung und die katastrophale Entwicklung der Nordsee hingewiesen.

    (Sellin [GRÜNE]: Unverbindlich!)

    — Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, warum Sie dauernd dazwischenrufen. Sie haben doch in Ihrer Zeit auf diesem Feld überhaupt nichts gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Keiner meiner Amtsvorgänger hat auf einem Weltwirtschaftsgipfel das Thema Umweltschutz überhaupt zur Sprache gebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit besonderer Genugtuung stelle ich fest, daß alle meine Kollegen die Vorschläge unterstützen, Maßnahmen gegen die Vernichtung von Wäldern — insbesondere durch die Abholzung der tropischen Regenwälder — einzuleiten. Die Auswirkungen auf das weltweite Klima sind offensichtlich.
    Auf einen knappen Nenner gebracht: Mein Wunsch war es, den engen Zusammenhang von Ökonomie und Ökologie gerade bei einem Weltwirtschaftsgipfel deutlich herauszustellen, einen Zusammenhang, dem in noch viel stärkerem Maße auch international Rechnung getragen werden muß. Insbesondere im Rahmen des Nord-Süd-Dialogs müssen wir dieses Thema mehr und intensiver in den Vordergrund unserer Gespräche rücken.
    Insgesamt kann festgehalten werden: Der Weltwirtschaftsgipfel in Toronto konnte eine positive Bilanz der letzten zwölf Monate ziehen, vor allem auch im Blick auf die wirtschaftspolitische Kooperation und Zusammenarbeit.
    Wir konnten neue Anstöße geben, insbesondere zur Erleichterung der Verschuldungssituation der ärmsten Länder. Ich habe mich für dieses Anliegen besonders eingesetzt. Ich bin dankbar, daß wir hier insgesamt ein gutes Stück weitergekommen sind. Die Bundesregierung wird alles tun, um diese neuen Anstöße zügig in die Tat umzusetzen.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In wenigen Tagen geht unsere Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft zu Ende. Es erfüllt uns mit großer Genugtuung, daß wir dem Europäischen Rat am kommenden Montag und Dienstag in Hannover eine ungewöhnlich erfolgreiche Bilanz unserer Präsidentschaft präsentieren können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dabei sind wir uns bewußt: Ohne die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der EG-Kommission und ohne die tatkräftige Unterstützung und Flexibilität seitens aller Mitgliedstaaten wären die beachtlichen Fortschritte der letzten Monate nicht möglich gewesen.
    Wir haben unsere Präsidentschaft im Januar mit zwei wesentlichen Zielvorgaben angetreten. Wir wollten zunächst das sogenannte Delors-Paket, d. h. die Reform der Finanzen, der Struktur- und der Agrarpolitik der Gemeinschaft, auf den Weg bringen. Beim Sondertreffen des Europäischen Rats im Februar haben wir dieses wichtige Reformpaket verabschiedet. Seine Umsetzung in konkrete Entscheidungen konnte in dieser Woche abgeschlossen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollten weiterhin wesentliche Fortschritte auf dem Wege zur Vollendung des Binnenmarkts erreichen.
    Dank des Rückenwindes — wenn ich das so nennen darf — durch den Sondergipfel im Februar sind wir in allen Bereichen, denen wir uns mit Vorrang widmen wollten, entscheidend vorangekommen. Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Beispielhaft will ich die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, des Güterverkehrs sowie die gegenseitige Anerkennung der Diplome besonders hervorheben. Ich möchte auch die Richtlinie über öffentliche Lieferaufträge erwähnen; sie stellt einen wichtigen Einstieg in die Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte dar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    All das sind bedeutende Bausteine sowohl für den gemeinsamen Binnenmarkt als auch für das Europa der Bürger. Wir haben in unserer Präsidentschaft somit erreicht, daß die Umsetzung der Einheitlichen Europäischen Akte und des Weißbuches der Kommission zum Binnenmarkt im Zeitplan ist. Rund ein Drittel — ich wiederhole: rund ein Drittel — dieses ehrgeizigen Programms wird Ende Juni dieses Jahres umgesetzt sein. Das ist im Vergleich mit früheren Jahren eine Rekordbilanz.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen in Hannover aber nicht nur Bilanz ziehen, sondern auch die Perspektiven der europäischen Integration für die nächsten Jahre aufzeigen. Dabei wird es vor allem darum gehen, Leitlinien und Prioritäten für die kommenden Arbeiten am Binnenmarktprogramm bis zur „Halbzeit" — Ende 1989 — aufzustellen; denn die Gemeinschaft darf in ihren Anstrengungen nicht nachlassen, wenn wir das Ziel, den Binnenmarkt, 1992 erreichen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben noch ungewöhnlich schwierige Aufgaben vor uns wie die Steuerharmonisierung, die weitere Öffnung der öffentlichen Märkte oder die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen.
    Wir werden in Hannover vor allem auch darüber zu sprechen haben, wie wir die soziale Dimension des Binnenmarktes weiterentwickeln können. Gemeinsam wollen wir darangehen, in Europa einen Wirtschafts- und Sozialraum zu schaffen. Ohne eine soziale Flankierung ist für mich der Binnenmarkt nicht denkbar und unvollständig. Ich messe dieser Frage eine ganz große politische Bedeutung bei. Der Binnenmarkt — das wichtigste europapolitische Vorhaben vor dem Ende dieses Jahrhunderts — ist nur zu erreichen, wenn wir alle gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere auch die Gewerkschaften, überall in den EG-Staaten für dieses Vorhaben gewinnen.
    Ich freue mich daher, daß es in unserer Präsidentschaft gelungen ist, in dem wichtigen Teilbereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes greifbare Fortschritte zu erzielen. Unser gemeinsames Ziel muß es sein, entsprechend den Bestimmungen des EWG-Vertrags auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der ganzen Gemeinschaft hinzuwirken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dabei muß klar sein, daß dieses Vorhaben, der Binnenmarkt, nicht zu einer Aufweichung deutscher Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer oder ihrer Vertretung führen darf.
    Wir werden in Hannover auch Vorbereitungen dafür treffen, die währungspolitische Zusammenarbeit in Richtung auf die Wirtschafts- und Währungsunion weiterzuentwickeln. Unser Ziel ist die Europäische Union. Dazu gehört eine Wirtschafts- und Währungsunion mit einem europäischen Zentralbanksystem und einer europäischen Währung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dabei sollten sich alle, die sich an dieser Diskussion beteiligen, darüber im klaren sein, daß in diesem sensiblen Bereich Behutsamkeit geboten ist. Es geht in Hannover nicht darum, jetzt die Errichtung einer europäischen Zentralbank zu beschließen. Eine solche Bank muß am Ende des Weges stehen, eingebettet in ein europäisches Zentralbanksystem. Wir wollen aber in Hannover den Prüfungsauftrag beschließen, um festzustellen, welche Voraussetzungen und Zwischenschritte zum Erreichen dieses Ziels notwendig sind und nach welchen Grundsätzen sich die währungspolitische Zusammenarbeit dann in der Endphase vollziehen muß. Ich gehe davon aus — ich hoffe jedenfalls — , daß es uns gelingt, ein Gremium, bestehend aus den Notenbankgouverneuren, zu beauftragen, die ihrerseits Experten hinzuziehen können. Ich denke, daß am Ende der spanischen Präsidentschaft ein entsprechender Bericht vorgelegt werden könnte.
    Es ist selbstverständlich, daß die Bundesrepublik Deutschland in diese Diskussion ihre hervorragenden Erfahrungen mit der Bundesbank, mit deren Unabhängigkeit, dezentraler Organisation und vor allem



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    mit ihrer Verpflichtung auf die Geldwertstabilität einbringen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Europäische Union, auf die sich alle Mitgliedstaaten in der Einheitlichen Europäischen Akte verpflichtet haben, ist keine ferne Vision mehr, die uns hier oder heute nicht mehr zu beschäftigen brauchte. Bei allem Pragmatismus wollen wir nicht vergessen, daß die Gemeinschaft nur dann zukunftsfähig ist, wenn sie auch eine klare politische Perspektive hat. Um dieser Perspektive näherzukommen, müssen wir auch dem „Europa der Bürger" noch deutlichere Konturen geben. Hierzu gehört nicht nur der Abbau der Grenzkontrollen, sondern auch die verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit. Ebenso erwarten unsere Bürger, daß die Europäische Gemeinschaft ihre Sorgen im Blick auf die Umwelt ernst nimmt.
    Unser Ziel bleibt es auch, eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu entwickeln. Unser koordiniertes Vorgehen in wichtigen internationalen Gremien, aber auch in Drittländern hat bereits dazu geführt, daß das Bewußtsein für gemeinsame außenpolitische Interessen im Wachsen ist.

    (Sellin [GRÜNE]: Kein Boykott von Südafrika!)

    Wir dürfen hier nicht stehenbleiben, sondern müssen die bisherigen pragmatischen Ansätze der Zusammenarbeit weiterentwickeln, nicht zuletzt auch im Bereich der Sicherheitspolitik.
    Ich kann heute mit Befriedigung feststellen, daß die Europäische Gemeinschaft in diesem halben Jahr unserer Präsidentschaft ihre Handlungsfähigkeit auch nach außen tatkräftig unter Beweis gestellt hat. Herausragende Ereignisse waren die Aufnahme der Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe sowie der Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Golfstaaten. Die Bundesregierung wird sich jetzt mit besonderem Nachdruck dafür einsetzen, daß die Verhandlungen zum Abschluß bilateraler Abkommen mit einzelnen Mitgliedstaaten des RGW vorankommen. Wir freuen uns vor allem — wir waren dabei sehr aktiv — , daß die Verhandlungen der EG-Kommission mit Ungarn vor dem Abschluß stehen.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich kann heute feststellen, daß es uns gelungen ist, mit unserem Beitrag dem Prozeß der wirtschaftlichen und politischen Integration Europas einen neuen und kräftigen Schub zu. verleihen. Wir werden uns selbstverständlich auch in der vor uns liegenden Zeit auf diesem Weg konsequent weiter bewegen. Wir sind heute mehr denn je der Überzeugung — dies ist für mich nach den Gesprächen in Toronto wieder besonders deutlich geworden — , daß es zur Zukunft Europas, daß es zum Gemeinsamen Markt, daß es zum wichtigen Ziel des Jahres 1992 keine Alternative gibt. Die Bundesregierung wird das Notwendige tun, um ihren Beitrag zu leisten.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat den 14. Weltwirtschaftsgipfel in Toronto als Erfolg dargestellt. Das besagt wenig.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Aber es bedeutet viel!)

    Denn der Bundeskanzler bewertet alles, was er tut, als Erfolg.

    (Beifall bei der SPD — Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren, daß er den gestrigen Tag hier im Parlament als Erfolg feiern wird.

    (Beifall bei der SPD — Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Als großen Erfolg!)

    Meine Damen und Herren, der letzte Gipfel in Venedig

    (Kittelmann [CDU/CSU]: War auch ein Erfolg!)

    wurde als Erfolg der weltwirtschaftlichen Stabilisierung verkauft.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Ein erfolgversprechender Kanzler!)

    Sechs Monate danach gab es den größen Finanzkrach seit fünfzig Jahren.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das war Schuld der SPD!)

    Meine Damen und Herren, was wir beklagen, ist, daß aus den von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing entwickelten Gipfeln der Konfliktaustragung und der Kompromißfindung nun Gipfel der Selbstdarstellung und der Ausklammerung von Problemen geworden sind. Das ist schlecht. Aber es entspricht wohl Ihrem Politikverständnis.
    Sicher gab es einige vernünftige Ansatzpunkte. Wir begrüßen, Herr Bundeskanzler, daß Sie sich für einen Erlaß der Schulden der ärmsten Länder in Afrika stark gemacht haben. Aber wir müssen uns klarmachen, daß das eigentliche Schuldenproblem noch vor uns steht und die Lösung der Probleme Südamerikas noch nicht einmal begonnen sind. Wir begrüßen auch, daß Sie die Anregung von Hans-Jochen Vogel aufgenommen haben und die Zerstörung der Ozonschicht, das Abholzen der Regenwälder, die Gefahr einer weltweiten Klimaveränderung und die Notwendigkeit globaler umweltpolitischer Zusammenarbeit immerhin zu einem Thema dieses Gipfels gemacht haben. Das ist ein Fortschritt.

    (Beifall bei der SPD)

    Was konkret herauskommen wird, muß man noch abwarten. Man könnte vielleicht Verständnis dafür haben, daß alle Gipfelteilnehmer nach den schwierigen Finanzkonflikten des letzten Jahres einen Gipfel der Harmonie wollten. Man hatte das Gefühl, man will keine schlafenden Hunde wecken. Aber, meine Damen und Herren, diese Konflikte und diese Probleme



    Roth
    sind nicht dadurch ausgeräumt, daß man sie ausklammert.
    Der Kampf gegen den Protektionismus ist überhaupt nicht gewonnen. Der amerikanische Präsident hat zwar das Handelsgesetz kassiert, aber ich bin sicher: In der nächsten Legislaturperiode in Amerika kommt das alles wieder. Es gibt keine klaren Zusagen aller politischen Kräfte in Amerika gegen Protektionismus.
    Agrarreformen sind zwar versprochen, aber wo sind sie wirklich angepackt? Sind sie in der EG angepackt? Das stimmt doch wohl nicht.
    Vor allem aber — das ist mir das Wichtigste — sind die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte überhaupt nicht aus der Welt. Niemand weiß beispielsweise, ob nicht der Dollar erneut unter Druck kommt, wenn klar wird, daß dieses Ungleichgewicht weiter anhält. Niemand weiß auch, ob nicht die Amerikaner — gewisse Tendenzen gibt es dazu — erneut ihre Zinsen erhöhen und damit die Weltkonjunktur gefährden.
    Was wir wissen, ist aber, daß es keinerlei Anlaß zu Entwarnung und weltwirtschaftlichem Nichtstun gibt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Leider wahr!)

    Der Abbau der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte muß rascher vorangetrieben werden. Dazu fehlen Festlegungen. Was dazu vor allem notwendig ist, ist seit langem bekannt und nirgends mehr im Grundsatz umstritten: Die USA müssen endlich schneller ihre Defizite abbauen, und die Überschußländer, vor allem die Bundesrepublik und Japan, müssen ihre Binnenwirtschaft stärker ankurbeln.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Japan hat es begriffen und handelt auch danach. Die Regierung Kohl richtet sich jedoch weiterhin nur auf Beiträge von außen ein.

    (Dr. Jens [SPD]: Er redet nur!)

    Meine Damen und Herren, was sollen denn Verbrauchsteuer- und Abgabenerhöhung im Jahre 1989 in Höhe von insgesamt 25 Milliarden DM als Beitrag zum Abbau der Ungleichgewichte? Sie bewirken das Gegenteil.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich muß auch sagen: Mich begeistern die Entscheidungen der Deutschen Bundesbank in den letzten Tagen überhaupt nicht. Jetzt wieder in Dribbelschritten die Zinsen zu erhöhen, ist das Gegenteil von Solidarität in der Weltwirtschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ist kein Beitrag zur internationalen Kooperation. Versuchen Sie nicht, uns hier weiszumachen, die Verbrauchsteuer- und Abgabenerhöhungen 1989 von rund 1 % des Bruttosozialprodukts würden die Konjunktur nicht belasten. Ihr Staatssekretär Schlecht, nun wahrhaft ein bewährter Fuhrmann der Wirtschaftspolitik — er hat schon unter
    Erhard gearbeitet, unter Schiller, unter Lambsdorff —, hat gesagt, daß er diese Maßnahmen konjunkturpolitisch für Unsinn halte. In der eigenen Regierung wird das zugegeben.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist eine Verdrehung dieses Satzes! So hat er das nicht gesagt!)

    In den Jahren bis 1987 haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, erzählt, Steuern müßten gesenkt werden. Ich stelle fest: 1989 werden Steuern erhöht.
    In den Jahren bis 1987 gab es in Ihren Augen — Graf Lambsdorff, hören Sie zu — nichts Wichtigeres als die Absenkung der Lohnnebenkosten als angebotspolitische Maßnahme. 1989 werden die Lohnnebenkosten drastisch erhöht, sowohl bei den Arbeitgeberbeiträgen für die Arbeitslosenversicherung wie auch bei der Krankenversicherung.
    Das alles geschieht deshalb, meine Damen und Herren, weil Sie unfähig sind, das eigentliche Problem anzugehen, nämlich die Massenarbeitslosigkeit.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das Wort „unfähig" nimmst du aber zurück!)

    Graf Lambsdorff — ich spreche Sie noch einmal an — , Sie haben immer gefordert, die Steuerentlastung 1990 solle auf das Jahr 1989 vorgezogen werden. Und was macht die Regierung jetzt? Sie erhöht im Jahr 1989 die Steuern und Abgaben um sage und schreibe 25 Milliarden DM.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie ziehen vor und aus der Tasche!)

    Das ist der totale Widerspruch zu Ihrer bisherigen Forderung. Wo bleibt da eigentlich Ihre alte Logik in der Wirtschaftspolitik?
    Meine Damen und Herren, das ist kein wirtschaftspolitischer Kurs, das ist Wirrwarr.
    Damit wir uns richtig verstehen: Wir Sozialdemokraten messen den Beitrag des Staates zur Stärkung der Binnenkonjunktur nicht am Haushaltsdefizit; wir messen ihn daran, was mit dem Defizit getan wird und wofür beispielsweise Steuern erhöht werden. Für Energiesteuern hätten wir Sympathie, wenn damit ein umfassendes Umweltprogramm finanziert werden würde, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie erhöhen die Steuern nicht, um die EG zu finanzieren, wie Sie behaupten. Sie erhöhen sie schlicht deshalb, um Löcher zu stopfen. Sie schaffen damit keine Arbeitsplätze. Sie entziehen damit Kaufkraft. Sie schwächen die Konjunktur und vernichten Arbeitsplätze.
    Das alles ist in Toronto ausgeblendet worden. Aber, meine Damen und Herren, Harmoniebedürfnis darf nicht zum Selbstbetrug werden. Ich habe schon die Befürchtung, nachdem das mit Ihren Steuererhöhungen in den letzten Tagen klarer geworden ist, daß Sie bereits in Hannover konjunkturpolitisch auf die Anklagebank rutschen werden. Die von Ihnen beschlossene Drosselung der Massennachfrage bremst unsere Importe aus Europa und exportiert Probleme in die



    Roth
    anderen Länder Europas. Wir sind die dominierende Wirtschaftskraft.
    Meine Damen und Herren, wir haben wohl alle das Ziel, die europäische Integration voranzutreiben. Ich glaube, wir müssen uns auch klarmachen, daß noch Schwierigkeiten und Widerstände zu erwarten sind. Einzelne Branchen sagen doch: Binnenmarkt ja, aber nicht in unserem Sektor. — Ich könnte Ihnen ein paar nennen.
    Wir werden Sie in der Frage des Binnenmarktes unterstützen, auch gegen Widerstände. Aber auch Sie können gegen die Widerstände einen Beitrag leisten, und zwar ist der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit der beste Beitrag für einen Binnenmarkt in Europa.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie müssen durch den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit mithelfen, daß endlich ein integrationsfreundliches Klima geschaffen wird.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Ihre Bekenntnisse zur weltwirtschaftlichen Verantwortung und zu Europa in allen Ehren. Aber der Weltwirtschaftsgipfel von Toronto ist vorüber. Das Hauptproblem bleibt. Das zentrale Problem in Europa ist die Massenarbeitslosigkeit. Ich habe heute zu diesem Thema, Herr Bundeskanzler, von Ihnen nichts gehört. Ändern Sie über das Wochenende Ihre Strategie für Hannover, und stellen Sie den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit als Thema Nummer eins auf die Tagesordnung für den Gipfel von Hannover!

    (Beifall bei der SPD)