Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit jeher hat die Landwirtschaft gegen Hunger für einen immer aufnahmefähigen Markt produzieren können. Dieses hat nicht nur unsere Struktur, sondern auch unser Denken und Empfinden geprägt.
Noch nicht einmal zehn Jahre sind vorbei, daß sich Mangel in Überfluß verwandelte. Seit dieser Zeit passen viele der Steuerungselemente von früher einfach nicht mehr. Hier, lieber Kollege Oostergetelo, liegt der Grund für die leider zurückgegangenen Preise, nicht etwa bei Entscheidungen der Regierung, wie Sie ihr
eben vorgeworfen haben. Hier liegt der Grund für nötige Eingriffe z. B. auf dem Milchsektor, die Sie seinerzeit mächtig bekämpft haben, die sich aber heute als richtig herausstellen.
Wenn die produzierte Ware nicht mehr in vollem Umfang benötigt wird und abgesetzt werden kann, müssen eben neue Wege gesucht werden, um die Produktion dem Bedarf anzupassen.
Mit einer EG-weiten Flächenstillegung kann man diesem Ziel näherkommen, aber nur, wenn dies EG-weit auch tatsächlich in gleicher Weise geschieht und wenn darüber hinaus die enorme Menge Substitute, die wir in die EG hineinnehmen, von Jahr zu Jahr sukzessive zurückgeführt wird.
Denn wir verfüttern zur Zeit ca. die Hälfte der gesamten geernteten Getreidemenge.
Wenn diese Menge nicht weiter zurückgeht, kommen wir mit noch so viel Flächenstillegung gegen die dann nicht mehr absetzbare Getreidemenge nicht mehr an.
Flächenstillegung auf der einen Seite und Rückführung der Substitute auf der anderen Seite gehören absolut zusammen.
Ich sehe in der Flächenstillegung weiterhin nur eine Brücke, bis wir nach einer gewissen Zeit von Jahren durch Forschung und Wissenschaft so weit sind, daß wir für einen auf- und auszubauenden Industriebedarf und sich daraus ergebenden Markt in wirklich erwähnenswertem Umfang produzieren können.
Ich bin der Meinung, daß wir es uns auf Dauer überhaupt nicht leisten können, einerseits natürliche Produktionsmöglichkeiten nicht zu nutzen, uns andererseits zu stark auf die nur begrenzt vorhandenen Ölreserven zu stützen. Es ist richtig, daß eine wirtschaftliche Vergleichsrechnung zur Zeit zu Lasten agrarischer Rohstoffe ausgeht. Wie sähe diese Rechnung wohl aus, wenn wir heute die Ölpreise der 70er Jahre haben würden? Wer sagt uns, daß wir nicht in relativ kurzer Zeit mit ähnlich hohen Preisen konfrontiert werden? Sind wir in einer solchen Situation der Herausforderung gewachsen? Wie gesagt, die Flächenstillegung soll diese Spanne lediglich überbrücken.
So wie der große Markt der Umwelttechnologie von vielen zu spät erkannt worden ist, für andere aber heute nur ein allzu guter Markt ist, so kann auch in Zukunft die Verwertung agrarischer Rohstoffe für die Menschen insgesamt und für die Industrie von außerordentlicher Bedeutung sein. Es kann doch wohl nicht richtig sein, wenn wir Kunststoffe weiterhin als Verpackungsmaterial verwenden, deren Rückstände auf immer knapper werdenden Mülldeponien nicht mehr untergebracht werden können, und gleichzeitig auf die Entwicklung von Verpackungsmaterial aus agrarischen Rohstoffen verzichten, Verpackungsmaterial, das sich in kurzer Zeit durch Verrottung selbst beseitigt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 84. Sitzung, Bonn, Freitag, den 10. Juni 1988 5675
Michels
Es ist also falsch, der Mehrproduktion durch immer größeren Preisdruck zu begegnen. Neue Wege gehören hierher.
Und Frau Flinner, wenn Sie die Veränderung in der Struktur beklagen, dann müssen Sie auch wissen, daß der Bauernhof von heute anders aussieht als der vor 20 Jahren.
Und der Bauernhof in 20 Jahren wird anders aussehen als der heute. Niemand wird das Geringste daran ändern.
Die Antwort der Bundesregierung ist nicht nur die bestmögliche in schwieriger Zeit, sondern auch in sozialer und ökologischer Hinsicht vorübergehend notwendig, sinnvoll und zu begrüßen.
Ich bedanke mich.