Rede von
Rudolf
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege, ich verstehe ja, daß das Ihre Meinung ist. Aber es gibt genauso viele andere Meinungen, die das Gegenteil beinhalten. Das ist der Tatbestand. Deswegen nützt es nichts, wenn wir hier streiten. Nur, eins müssen wir wohl zur Kenntnis nehmen: Flächenstillegung bedeutet noch lange nicht Umweltschutz. Das wissen Sie genauso wie ich.
Hinzu kommt: Wenn wir wirklich das Problem des Grundwassers und die anderen Probleme ernst nehmen, dann müssen wir uns darum kümmern, die Intensivierung so weit wie möglich zurückzuschrauben. Das wäre der entscheidende Gesichtspunkt.
Ich fahre fort. Unsere dritte Grundsatzforderung zielt zwar nicht auf das Gesetz selbst — ich wiederhole das — , ist jedoch für die Durchführung der Extensivierung und Flächenstillegung von vitaler Bedeutung. Es geht um die EG-weite, gleichgewichtige und ausgewogene Anwendung dieser Maßnahmen; denn unabhängig von der Effizienz der in der Bundesrepublik durchgeführten Maßnahmen wird ein Erfolg nur
dann möglich sein, wenn alle Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in gleicher Weise nachkommen.
Geschieht das nicht, müßten die deutschen Landwirte, die schon bisher besonders schwere Opfer für die Neuorientierung erbracht haben, einseitig neue, zusätzliche Opfer auf sich nehmen.
Es besteht jedoch die akute Gefahr, daß die anderen Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zur Flächenstillegung und Extensivierung nicht mit dem notwendigen Einsatz nachkommen.
Die langwierigen Verhandlungen in Brüssel mit den Partnerländern und der EG-Kommission haben bis zuletzt gezeigt, daß die Akzeptanz dieser von der Bundesregierung durchgesetzten Maßnahme äußerst gering war und immer noch ist. Der neue französische Landwirtschaftsminister, Herr Nallet, hat sich in seiner ersten Amtshandlung sogar von diesem Programm distanziert. Die Vermutung liegt nahe, daß andere Regierungen, diesem Beispiel folgend, die Bedingungen für dieses Programm so restriktiv handhaben, daß für ihre Landwirte keinerlei Anreiz für eine Beteiligung besteht.
Wenn Sie heute morgen um 6.45 Uhr im Westdeutschen Rundfunk das Interview mit Herrn Andriessen gehört haben, dann konnten Sie feststellen, daß er sich ganz klar dahin gehend geäußert hat, daß er die gleichen Zweifel hat.
Die Folge wäre, daß die deutsche Landwirtschaft weitere Marktanteile zugunsten anderer EG-Staaten verlieren würde, ohne daß sich die Gesamtproduktion verringerte. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, mit allem Nachdruck für eine einheitliche Durchführung dieser Maßnahme in der gesamten EG zu sorgen.
Insbesondere muß sie auf die EG-Kommission einwirken, die als Kontrollinstanz für die Durchführung der Gemeinschaftsbeschlüsse zuständig ist.
Darüber hinaus sollte nach einem Jahr der Anwendung ein Bericht der Brüsseler Behörde vorgelegt werden, um zu sehen, in welchem Umfang die EG-Landwirte die angebotenen Maßnahmen in Anspruch genommen haben
und welche Konsequenzen sich daraus für den Markt ergeben.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal zusammenfassen. Wir Sozialdemokraten halten die Extensivierung bis hin zur räumlich begrenzten Flächenstillegung, besonders aus ökologischen Gründen, und den Vorruhestand für einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Neuorientierung der Agrarpolitik.
Der vorliegende Gesetzentwurf sowie die geplanten Durchführungsbestimmungen berücksichtigen nicht ausreichend den Grundsatz des Vorrangs der
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 84, Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juni 1988 5669
Müller
Extensivierung vor der Flächenstillegung sowie Aspekte des Umwelt- und Naturschutzes.
Die notwendige Bündelung der Extensivierung mit dem Vorruhestand erfordert ein gleichzeitiges Inkrafttreten dieser Maßnahmen, wobei der Vorruhestand als Sozialmaßnahme einer ausreichenden Finanzausstattung bedarf.
Angesichts unserer Vorbehalte gegenüber dem Gesetz und seinen Durchführungsbestimmungen sowie angesichts der nach wie vor noch nicht restlos geklärten Fragen zwischen dem Bund und den Ländern wird sich die SPD-Bundestagsfraktion bei der anstehenden Abstimmung der Stimme enthalten.
Unsere Vorbehalte könnten weitgehend abgebaut werden, wenn Sie dem von uns eingebrachten Entschließungsantrag zustimmen würden. Bitte tun Sie das.
Herzlichen Dank.