Rede von
Hans A.
Engelhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rein formal besteht jedenfalls in einem Punkte Einigkeit zwischen den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung auf der einen Seite und der Fraktion der GRÜNEN auf der anderen Seite, daß es einer Novellierung des § 240 des Strafgesetzbuchs bedarf.
Die SPD verhält sich abwartend. Es wäre vielleicht gut, die Zwischenzeit zu nutzen, Herr Kollege Wiefelspütz, einmal darüber nachzudenken, ob es gut, ja, ob es überhaupt zulässig und vernünftig ist, immer wieder von neuem das Demonstrationsrecht im Zusammenhang mit Sitzblockaden einzuführen, weil Ihnen sehr wohl bewußt ist, daß das verfassungsrechtlich garantierte Demonstrationsrecht nie und nimmer mit der Verkürzung in unserer Verfassung gleichfalls grundrechtlich geschützter Rechte anderer Personen einhergehen kann.
Deswegen sollte auch nicht weiter der Versuch unternommen werden — das ist doch bekannt, und niemand fällt mehr darauf herein — , zu behaupten, das Ergebnis sei doch dasselbe, ob hier jetzt jemand nicht durchfahren könne, weil eine Sitzblockade stattfinde, oder ob der öffentliche Stadtverkehr und auch der private Stadtverkehr völlig ins Stocken geraten sei, weil sich eine große Demonstration mit Zehntausenden von Personen durch die Stadt bewegt.
Es ist doch völlig ausgetragen und wird von niemanden bestritten, daß der einzelne Verkehrsteilnehmer, sosehr es ihn ärgern mag, letzteres als eine sozial adäquate Begleiterscheinung eines verbrieften Bürgerrechts hinnehmen muß. Und wenn das so ist, dann verdrießt es, das immer wieder in dieser verfälschenden und alles durcheinanderwerfenden Art und Weise hier angesprochen zu hören. Deswegen erwähne ich es noch einmal.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns der Novellierung des § 240 des Strafgesetzbuchs widmen, dann müssen wir dort novellieren, wo es notwendig ist. Schon von daher ist der Ansatz des Antrags der GRÜNEN völlig verfehlt. Denn bei der Frage, was Gewalt ist, sind Schwierigkeiten in der Rechtsprechung nicht aufgetaucht. Da gibt es überhaupt keine Unklarheit. Nur, Sie machen jetzt etwas, was, weit über den Bereich der Sitzblockaden hinausgehend, eine Ungeheuerlichkeit beinhaltet.
Ist Ihnen eigentlich klar, daß nur eine sehr grob, schematisch, primitiv konstruierte Rechtsordnung mit einem sehr engen Gewaltbegriff auskommt? Vor dem Grundgesetz, ja bevor es überhaupt erkämpfte Verfassungsordnungen gab, mag man als Gewalt angesehen und es darauf beschränkt haben, wenn jemand mit der Keule, sehr grob zupackend, jemand anderem auf den Kopf donnerte. Je differenzierter Bürgerrechte gesehen werden — und sehr fein ziseliert hat dies unsere Verfassung getan, und die Sensibilität für die Rechte, die dem einzelnen Bürger zukommen, ist in unserem Lande zunehmend und zu Recht fein entwickelt — , desto weniger wird man auch die Verletzung solcher Rechte, etwa des Rechts auf freie Bewegung, der Freiheitsrechte anderer, auf den Begriff „erhebliche Körperkräfte" oder „physische Gewalt" beschränken können. Nein, da ist es verfehlt, zu jammern, daß hier eine Ausuferung erfolgt sei, daß man jetzt auch psychische Gewalt, wenn sie körperlich empfunden werde, als Gewalt ansehe.
Ist ihnen eigentlich in Erinnerung, daß schon im Kaiserreich in der berühmten Sargträgerentscheidung des Reichsgerichts eine wichtige Entscheidung in dieser Richtung gefallen ist?
Ich sage Ihnen: Eine Gesellschaft, die die Freiheit des einzelnen sehr hoch schätzt, wird Wert darauf legen müssen, daß sichergestellt wird, daß die Verletzung dieser Freiheit geahndet wird.
Dazu kommt man mit einem engen, einem schematischen Begriff der Gewalt nicht aus. Das, was Sie dort unternehmen, ist ja ein Tritt in die Magengrube unserer Rechtskultur. Es ist eine Ungeheuerlichkeit. Und Sie sollten sich dies einmal klarmachen.
Im übrigen sind die Beispiele genannt worden, was dann alles nicht mehr strafbar wäre, nicht mehr geahndet werden könnte.