Rede von
Dr.
Hansjürgen
Doss
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Vorruhestandsgesetz — eine „Mißgeburt" ; liebe Kollegin Anke Fuchs, das haben Sie 1983 gesagt. Heute fordern Sie hier und gestern auch in der Presse die Verlängerung.
Das ist wieder einmal das entschiedene „sowohl-als auch" oder „Wie es euch gefällt".
Den Arbeitslosen gaukelt man damit Engagement vor. In Wirklichkeit ist es beschäftigungspolitischer Lärm, sonst nichts.
Das Vorruhestandsgesetz wurde aus der Situation des Jahres 1983 heraus entwickelt.
Als zeitlich begrenztes Instrument sollte es Beschäftigungseinbrüche, die Sie als Resultat Ihrer Politik selbst prognostiziert hatten, überbrücken helfen.
— Aber selbstverständlich.
Wenn wir heute vor veränderten Voraussetzungen stehen und wenn Politik noch etwas mit Kalkulierbarkeit zu tun haben soll, dann müssen wir Wort halten.
Die Situation von 1983 hat sich geändert. Sie gibt uns heute keine Hinweise auf die Arbeitsmarktpolitik der neunziger Jahre.
Im Gegensatz zur Opposition ist die Koalition flexibel genug, ihre Politik an veränderte Situationen und sich abzeichnende Entwicklungen anzupassen und die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen.
— Im Gegensatz zu Ihnen glauben wir wirklich, was wir sagen, während ich doch bei Ihnen nur taktische Winkelzüge vermuten muß.
Der entscheidende Maßstab bei der Bewertung beschäftigungspolitischer Instrumentarien ist die Zahl der entstehenden Arbeitsplätze, insbesondere der Dauerarbeitsplätze in den Betrieben. So wichtig das Vorruhestandsgesetz von 1983 war — es hat die Betriebe 1,7 Milliarden DM jährlich gekostet; es hat je nach Branche zu weiteren Steigerungen der Lohnnebenkosten um 5 bis 8 % beigetragen. Mit im Schnitt 27 500 DM pro Mitarbeiter und Jahr und mit einem 83 %igen Aufschlag auf den Lohn haben sich die Lohnnebenkosten zu einer der wesentlichsten Einstellungsbarrieren entwickelt, die wir abbauen müssen. Das Auslaufen des Vorruhestandsgesetzes trägt dazu bei.
Für das Einhalten der in § 14 festgehaltenen Auslauffristen sprechen darüber hinaus noch weitere Gründe: erstens die deutliche Senkung der Jugendarbeitslosigkeit mit weiter rückläufiger Tendenz.
Zweitens. Die demographische Entwicklung spricht gegen eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Die Zahl der Erwerbsfähigen wird bis zum Jahre 2000
— in nur 13 Jahren — um 6,5 %,
die der 18- bis 21jährigen sogar um dramatische 33% zurückgehen.
Nur bei den über 60jährigen gibt es Zuwachsraten. Wir haben 160 000 weniger Berufsanfänger innerhalb von vier Jahren.
Drittens. Vorruheständler sind in der Regel qualifizierte Facharbeiter. Schon heute klagen fast 50 % der Unternehmen über Facharbeitermangel. Wie wird das erst in Zukunft sein?
Nur 1,5 % der Betriebe konnten im letzten Jahr ihren Facharbeiterbedarf decken. Die Köpfe und die Hände der Menschen — das ist unser Kapital, das sind unsere Ressourcen. Die von rund 1 Million Arbeitnehmern zwischen 58 und 65 Jahren geleisteten rund 1,6 Milliarden Jahresarbeitsstunden sind ein wesentlicher Teil davon, auf den unsere Volkswirtschaft nicht verzichten kann, morgen weniger als heute.
Viertens. Wenn wir die Arbeitslosigkeit beseitigen wollen — und das wollen wir wohl alle — , dann müssen wir die Ursachen bekämpfen. Die Ursachen sind: die gesunkenen Investitionsquoten, die Verteuerung des Faktors Arbeit, die nationalen und internationalen Wettbewerbsnachteile, bürokratische Hemmnisse,
4096 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 59. Sitzung, Bonn, Freitag, den 5. Februar 1988
Doss
Einstellungsbarrieren und Qualifizierungsdefizite auf seiten der Arbeitslosen.
Statt Fachkräfte freizusetzen, müssen wir ihre Zahl durch eine Qualifizierungsoffensive erhöhen. 51 % der Arbeitslosen sind ohne Berufsausbildung, während die Anforderungen moderner Arbeitsplätze an Bewerber ständig steigen.
Offensive für mehr Beschäftigung heißt: Statt Fachkräfte zum Aussteigen, müssen wir Erwerbstätige und Arbeitslose zum Einsteigen in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ermutigen, um ihre Beschäftigungschancen zu verbessern. Statt starre tarifliche Rahmenbedingungen weiter zu zementieren, müssen die Tarifpartner für mehr Flexibilität sorgen. Statt die Betriebe weiter zu belasten, müssen wir sie entlasten und ihre Investitionsfähigkeit verbessern, um sie in die Lage zu versetzen, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
Bei den Investitionen liegen wir um drei Prozentpunkte hinter den Zuwachsraten der siebziger Jahre zurück. Arbeitsplätze entstehen nicht durch Verwaltungsakte und nicht durch administrative Reglementierungen. Sie entstehen durch Investitionen und dann, wenn legale Arbeit bezahlbar ist.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.