Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im November vergangenen Jahres haben wir GRÜNE den Gesetzentwurf zur Kennzeichnung ökologisch erzeugter Lebensmittel eingebracht. Die positive Resonanz darauf war enorm und zeigte deutlich, welche Bedeutung diese Problematik in der Öffentlichkeit hat.
Wir stehen heute vor folgender Ausgangssituation: Immer mehr Menschen wollen ökologisch erzeugte Lebensmittel kaufen, weil sie zum einen mit der Qualität konventionell erzeugter Produkte nicht mehr zufrieden sind, zum anderen aber auch, weil sie mit dem Kauf von Bioprodukten eine umweltgerechte Landwirtschaft unterstützen wollen.
Doch die Marktsituation ist alles andere als übersichtlich. Wer sich wirklich in dem Begriffsdschungel von „Bio", „Öko", „Natur" und „Vollwert" auskennt und nach diesen Bezeichnungen noch die Spreu vom Weizen trennen kann, zählt schon zu den Kennern der Materie. Denn diese Begriffe sind gesetzlich nicht geschützt, und dies wird weidlich ausgenutzt.
Immer wieder mißbrauchen gewinnsüchtige Anbieter die umsatzträchtigen Kennzeichnungen und führen die Konsumenten damit in die Irre. Was da so alles als „Öko" und „Bio" ausgegeben wird, ist wirklich kaum vorstellbar! Viele kritische Verbraucherinnen erhalten auf Nachfrage so vage und ungenaue Auskünfte von den Herstellern, daß man sicher sein kann: Hier ist etwas faul.
Dies ist ja kein Wunder, werden doch weit größere Mengen verkauft, als hier produziert werden. Der „gute Glauben" der Kunden wird nicht nur finanziell, sondern auch ideell ausgenutzt, da ja mit dem Kauf solcher umetikettierter Waren der konventionelle
Landbau mit all seinen negativen Folgen unterstützt wird.
In unserem Gesetzentwurf zur Kennzeichnung wird als Kriterium die Anbauform festgelegt. Das heißt, es werden Kriterien für Anbau und Tierhaltung genannt, nach denen die so produzierten Lebensmittel als „bio-", „biologisch", „öko-" und „ökologisch" bezeichnet werden dürfen. Hierbei haben wir uns eng an die Rahmenrichtlinien der Anbauverbände gehalten.
Doch wir haben es nicht bei der Urproduktion belassen. Darüber hinaus werden Vorgaben für Lagerung, Verarbeitung und Verpackung gemacht. Die Qualität von Lebensmitteln aus ökologischer Landwirtschaft soll nicht durch wertmindernde oder unnötige Be- und Verarbeitungsmethoden beeinträchtigt werden. BioTraubenzucker oder gar Bio-Gold H-Milch aus normaler Produktion, ultrahocherhitzt und homogenisiert, wird es dann nicht mehr geben.
Selbstverständlich sollen z. B. auch keine synthetischen Farb- und Aromastoffe oder PVC-haltige Verpackungsmittel verwendet werden.
Die Bundesregierung sträubte sich bisher mit Händen und Füßen, der von vielen Seiten geäußerten Forderung nach einer eindeutigen Kennzeichnung nachzukommen. Vielmehr wurde alles getan, um die Bio-Produkte in Mißkredit zu bringen. Erinnert sei hier an die haarsträubende, vor Fehlern strotzende und immerhin 6 Millionen Mark teure Untersuchung des Verbandes Deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und Forschungsanstalten, die sogenannte VDLUFA-Studie aus dem Jahre 1983. Sie gehörte zu einer breit angelegten Diffamierungskampagne gegen den ökologischen Landbau und seine Erzeugnisse.
Finanziert wurde sie — wie könnte es anders sein — etwa je zur Hälfte von der Chemie-Industrie und aus Steuermitteln.
Ich danke an dieser Stelle all jenen, die sich trotz der ganzen Verleumderei nicht von dem einmal als richtig erkannten Weg abbringen ließen: den Biobauern und Biobäuerinnen.
Sie brachten und bringen noch immer den Beweis, daß Landbau ohne Chemie, ohne Umweltzerstörung und ohne Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt möglich ist — bei gleichzeitiger Existenzsicherung.
Hätten die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft diesen Beweis früher anerkannt und daraus Konsequenzen gezogen, so wären die Probleme der Überschüsse, des Bodens und der Gewässer kleiner
3912 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 56. Sitzung, Bonn, Freitag, den 22. Januar 1988
Frau Saibold
und die Roten Listen kürzer, und Flächenstillegungsprämien könnten dann heute eingespart werden.
Ich danke in diesem Zusammenhang aber auch den vielen Menschen in der Naturkost- und Gesundheitsbewegung, denn ohne sie, d. h. ohne den Absatz der Produkte, hätten die Bauern nicht durchgehalten.
Gegenseitige Hilfe und Vertrauen, viele Anstrengungen und zum Teil leidvolle Lernschritte auf beiden Seiten haben Erfahrungen und Erkenntnisse gebracht, die heute der ganzen Gesellschaft dienen, und das alles ohne einen Pfennig Geld aus Staats- oder Industriekassen!
Um so notwendiger ist aber jetzt endlich der Schutz derer, die sich entschlossen haben, nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur zu wirtschaften und zu leben. Was wir mit dem Biokennzeichnungsgesetz wollen, ist die klare und eindeutige Kennzeichnung ökologisch erzeugter Produkte.
Die Bundesregierung wird an einschlägigen Regelungen nicht vorbeikommen. In Frankreich und Osterreich beispielsweise gibt es ähnliche Regelungen seit längerer Zeit , und sogar ein EG-Entwurf zu diesem Thema liegt bereits vor.
Ich freue mich auf die Anhörung, die am 27. Januar in Berlin stattfinden wird, obwohl sie nicht von den GRÜNEN beantragt wurde und die Sachverständigen dementsprechend ausgesucht wurden.