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    Plenarprotokoll 11/53 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 53. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3709 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Erhöhung der Neuverschuldung im Bundeshaushalt 1988 — Realistische Darstellung der Lage der Bundesfinanzen Wieczorek (Duisburg) SPD 3709 B Dr. Dregger CDU/CSU 3710B Frau Vennegerts GRÜNE 3711B, 3716 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 3712B Dr. Spöri SPD 3713 B Spilker CDU/CSU 3714 B Gattermann FDP 3715 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 3716D Dr. Apel SPD 3718D Carstens (Emstek) CDU/CSU 3719C Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi . 3720 C Esters SPD 3722 A Dr. Rose CDU/CSU 3722 D Schulhoff CDU/CSU 3723 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Aussprache über die Vorfälle bei der Firma Nukem Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . . 3725 A Dr. Wallmann, Ministerpräsident des Landes Hessen 3726 D Dr. Hauff SPD 3729 D Baum FDP 3731B Schily GRÜNE 3733 B Dr. Laufs CDU/CSU 3735 B Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (Drucksache 11/360) b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (Drucksache 11/1188) c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (Drucksache 11/1617) Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3736 D Dreßler SPD 3739 A Louven CDU/CSU 3741 D Hoss GRÜNE 3744 B Heinrich FDP 3746 B Schreiner SPD 3748 A Müller (Wesseling) CDU/CSU 3750 B Frau Steinhauer SPD 3751 C Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Schnellbahnverbindung Köln—Paris (Drucksache 11/387 [neu]) Weiss (München) GRÜNE 3752 C Bauer CDU/CSU 3753 B Haar SPD 3754 A Kohn FDP 3754 D Nächste Sitzung 3755 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3756* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3756* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988 3709 53. Sitzung Bonn, den 15. Januar 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein ** 15. 1. Dr. Ahrens * 15. 1. Frau Beck-Oberdorf 15. 1. Frau Brahmst-Rock 15. 1. Dr. von Bülow 15. 1. Buschfort 15. 1. Carstensen (Nordstrand) 15. 1. Cronenberg (Arnsberg) 15. 1. Frau Dr. Däubler-Gmelin 15. 1. Egert 15. 1. Dr. Ehrenberg 15. 1. Frau Eid 15. 1. Engelsberger 15. 1. Eylmann 15. 1. Dr. Geißler 15. 1. Gerstein 15. 1. Grünbeck 15. 1. Grüner 15. 1. Grunenberg 15. 1. Dr. Haussmann 15. 1. Freiherr Heereman v. Zuydtwyck 15. 1. Frau Dr. Hellwig 15. 1. Frau Hoffmann (Soltau) 15. 1. Dr. Hüsch 15. 1. Ibrügger 15. 1. Dr. Köhler (Wolfsburg) 15. 1. Kreuzeder 15. 1. Dr. Kunz (Weiden) 15. 1. Lenzer * 15. 1. Lowack 15. 1. Dr. Mahlo 15. 1. Menzel 15. 1. Meyer 15. 1. Nelle 15. 1. Frau Pack * 15. 1. Petersen 15. 1. Reuschenbach 15. 1. Roth 15. 1. Frau Rust 15. 1. Schartz (Trier) 15. 1. Dr. Scheer * 15. 1. Frau Schilling 15. 1. Frau Schmidt-Bott 15. 1. Schmitz (Baesweiler) 15. 1. von Schmude 15. 1. Schröer (Mülheim) 15. 1. Schulze (Berlin) 15. 1. Stahl (Kempen) 15. 1. Stobbe 15. 1. Dr. Vondran 15. 1. Dr. Warnke 15. 1. Frau Dr. Wisniewski 15. 1. Wissmann 15. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 18. Dezember 1987 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß Gesetz zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung Gesetz zur Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) Gesetz über die zentrale Archivierung von Unterlagen aus dem Bereich des Kriegsfolgenrechts Gesetz zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes Gesetz zur Änderung des Benzinbleigesetzes Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober 1986 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens Gesetz zu dem Abkommen vom 14. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens sowie zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1987 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Quebec über Soziale Sicherheit und der Durchführungsvereinbarung hierzu Gesetz zu dem Abkommen vom 4. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen Gesetz zu dem Abkommen vom 18. September 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Argentinien über die Wehrpflicht von Doppelstaatern Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Oktober 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die Wehrpflicht deutsch-dänischer Doppelstaater Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/253 Nr. 1.2 Drucksache 11/561 Nr. 1.1, 1.2, 1.3 Drucksache 11/1107 Nr. 1.1 Drucksachen 11/552, 11/637 Finanzausschuß Drucksache 11/1107 Nr. 1.2 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/1107 Nr. 1.7 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 10/5362 Nr. 18 Drucksache 11/929 Nr. 2.1 Haushaltsausschuß Drucksache 11/1450 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/253 Nr. 2.4 Drucksache 11/561 Nr. 2.4 Drucksache 11/779 Nr. 2,21 Drucksache 11/1365 Nr. 3.1, 3.2 Drucksache 11/1450 Nr. 2.3, 2.4, 2.5, 2.6 Drucksache 11/1107 Nr. 2.2, 2.3, 2.4, 2.5, 2.6, 2.7 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/973 Nr. 2.7 bis 2.11 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1107 Nr. 2.10 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/883 Nr. 138
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    Rede von Julius Louven


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßler, als ich heute morgen die „Welt der Arbeit" aufschlug — das tue ich ab und an —,

    (Frau Steinhauer [SPD]: Immerhin!)

    wurde mir die Stoßrichtung klar, die Sie hier heute vorhaben würden

    (Dreßler [SPD]: Erzählen Sie mal! Was habe ich denn da gesagt?)

    — ich komme darauf —, nämlich über Überstundenabbau neue Arbeitsplätze zu gewinnen.

    (Dreßler [SPD]: So ist es!)

    Der „Welt der Arbeit" haben Sie gesagt: Damit lassen sich 200 000 neue Arbeitsplätze gewinnen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    — Sie haben hier soeben einmal von 900 000 gesprochen,

    (Dreßler [SPD]: Rein rechnerisch! — Frau Steinhauer [SPD]: Gut zuhören!)

    später dann wieder von 200 000.

    (Abg. Dreßler [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Dreßler, lassen Sie mich hier zu Ende reden. Ich lasse keine Zwischenfrage zu.

    (Dreßler [SPD]: Wenn Sie hier falsche Zahlen zitieren, dann lassen Sie bitte eine Zwischenfrage zu!)




    Louven
    — Ich habe ja nun gerade erst angefangen. Lassen Sie mich hier wirklich erst einmal weitere Ausführungen machen.

    (Dreßler [SPD]: Sie haben falsche Zahlen zitiert!)

    Herr Dreßler, in der „Welt der Arbeit" haben Sie auf die Frage: „Nun könnte man doch sagen, was im Arbeitszeitgesetz steht, ist egal; denn der Tarifvertrag bestimmt die Arbeitszeit", die erstaunliche Feststellung getroffen: Aber der Tarifvertrag ist eigentlich nicht dazu da, Überstunden zu verbieten. Herr Dreßler, wie ist das beispielsweise mit der Erklärung der Herren Breit und Esser vom 14. Dezember 1984 in Einklang zu bringen, in der sie die Tarifpartner ausdrücklich auffordern, in diesem Bereich tätig zu werden? Sie haben das ausdrücklich getan; ich habe diese Erklärung dabei. Ich könnte sie Ihnen hier gerne weiter zitieren.

    (Dreßler [SPD]: Schön!)

    Herr Dreßler, ist es in Wirklichkeit nicht so, daß Betriebsräte und Betriebsleitungen teilweise schulterklopfend Überstunden verabreden? Dies — da ist dem Minister recht zu geben — ist eine Versündigung an unseren Arbeitslosen.
    Das, was Sie hier sagen, und die Wirklichkeit müssen Sie bei der AfA anprangern und dürfen dem Minister hier nicht vorwerfen, die Appelle seien kläglich,

    (Dreßler [SPD]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

    wenn hier andere gleiche Appelle an die Öffentlichkeit richten.
    Meine Damen und Herren, wir unterstützen den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dieser Gesetzentwurf löst die alte Arbeitszeitordnung von 1938 ab, die ja eine Menge zuließ, Herr Dreßler. Dabei steht fest, daß heute mehr als 99 % aller Arbeitnehmer 40 Stunden und weniger arbeiten.

    (Dreßler [SPD]: Warum wollen Sie sie 48 Stunden arbeiten lassen?)

    — Ich komme darauf.
    Der Gesetzentwurf gliedert sich im wesentlichen in drei Abschnitte, nämlich erstens in die „werktägliche Arbeitszeit und arbeitsfreie Zeiten", zweitens in die „Sonn- und Feiertagsruhe" und drittens den „Frauenarbeitsschutz". Mit diesem Gesetz wollen wir ganz bewußt

    (Frau Steinhauer [SPD]: Alles durchlöchern!)

    nicht einer zusätzlichen Zielsetzung Rechnung tragen, Arbeitszeiten zu limitieren und damit Arbeit umzuverteilen. Dieses Feld überlassen wir den Tarifvertragsparteien

    (Dreßler [SPD]: Das ist ganz klar! Wenn die Gewerkschaften die 35-Stunden-Woche fordern, dann beschimpfen Sie sie! Das ist klar! Völlig logisch!)

    und den Verantwortlichen in den Unternehmen und
    Betrieben. Arbeitgeber, Betriebs- und Personalräte
    und die Tarifvertragsparteien haben die notwendige
    Nähe zur Arbeitswelt, um vorrangig die notwendigen Betriebsabläufe zu sichern.

    (Dreßler [SPD]: Pauschal tarnen und täuschen! Immer das gleiche!)

    Im ersten Abschnitt des Gesetzentwurfs werden, am Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer orientiert, Grenzen für die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit, für Ruhepausen während der Arbeitszeit und für Mindestruhepausen zwischen Beendigung und Wiederaufnahme der Arbeit festgelegt.
    Das Gesetz konzentriert sich dabei auf übersichtliche, am Gesundheitsschutz orientierte Grundnormen. Die Ausfüllung und Anpassung dieser Normen an die Notwendigkeit des Arbeitslebens überlassen wir ganz bewußt den Tarifvertragsparteien. Deshalb ist dieses Konzept des Arbeitszeitgesetzes dynamisch und anpassungsfähig. Meine Damen und Herren, Tarifverträge werden auf Zeit abgeschlossen und ermöglichen eine ständige Überprüfung und Korrektur. Ein Gesetz sollte länger Bestand haben.
    Entsprechend langjähriger Erfahrung läßt dieses Gesetz eine flexible Verteilung der Arbeitszeit bis zehn Stunden zu, falls innerhalb eines Ausgleichszeitraumes von vier Monaten im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

    (Dreßler [SPD]: Auf der Basis von sechs Tagen!)

    Für Abweichungen von den Grundnormen liegt die Zuständigkeit auch hier bei den Tarifpartnern. Wir glauben, daß damit das Bewußtsein für einen Überstundenabbau geschärft wird. Mit starren Regelungen, wie sie die Gesetzentwürfe von SPD und GRÜNEN vorsehen, löst man diese Problematik nicht, Herr Dreßler.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Insbesondere für kleine und mittlere Betriebe brauchen wir Flexibilität und betriebsnahe Regelungen.

    (Frau Steinhauer [SPD]: Ist klar!)

    Ich habe oft den Eindruck, daß Ihre Einlassungen nur auf Erfahrungen in Großbetrieben beruhen.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Wir müssen uns bei diesem Problem aber darüber im klaren sein, daß es in vielen Bereichen, Herr Dreßler, ohne Überstunden nicht gehen kann und der Zwang zum Abfeiern oft äußerst problematisch ist. Ich könnte dafür Beispiele bringen, aber darauf kommen wir sicher in der Ausschußberatung ausgiebigst zurück.
    Der Frauenarbeitsschutz ist ein weiterer wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs. Hier lautet der Grundsatz: Vorschriften über erhöhten Schutz für Frauen werden aufrechterhalten, soweit geschlechtsspezifisch und zum Schutz werdenden Lebens erforderlich. Darüber hinausgehende Vorschriften werden aus Gründen der Gleichbehandlung von Frauen und Männern aufgehoben. Dies bedeutet dann z. B., daß zukünftig Frauen auch Lastwagen über 3,5 t lenken dürfen. Es bedeutet unter Umständen auch Beschäftigung am Bau. Es bedeutet aber nicht Beschäftigung unter Tage.
    Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988 3743
    Louven
    Dies ist kein Abbau des besonderen Arbeitsschutzes für Frauen, sondern die längst überfällige Aufhebung von Bestimmungen, die Frauen benachteiligen, indem sie ihnen den Zugang zu bestimmten Arbeiten erschweren.
    Ein weiterer wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs ist die Sonn- und Feiertagsruhe. Mein Kollege Alfons Müller wird sich mit dieser Problematik noch grundsätzlich auseinandersetzen. Lassen Sie mich als jemanden, der auf Grund seines Berufes gezwungen war, fast ein Leben lang sonntags zu arbeiten, und
    zwar jeden Sonntag, als erstes ein besonderes Bekenntnis zum Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen ablegen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr gut! — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich möchte bei uns keine amerikanischen Verhältnisse. Für sonntags frei sprechen religiöse, verfassungsrechtliche und familienpolitische Gründe. Wir sollten uns jedoch vor einer totalen Ideologisierung dieses Themas hüten.
    Ohne Sonntagsarbeit geht es nicht. Diese Erkenntnis kommt auch in Ihrem jetzigen Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD, deutlicher zum Tragen als im vorherigen. Wir werden auch hierüber noch sehr intensiv zu reden haben. Dabei dürfen wir dann allerdings nicht die Augen vor dem verschließen, was derzeit in unseren Nachbarländern geschieht, erst recht nicht, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.

    (Heinrich [FDP]: Wettbewerb!)

    Dabei ist es sicher richtig, die Wettbewerbsbedingungen zwischen deutschen und EG-Unternehmen bei den Maschinenlaufzeiten zu überprüfen und das Ergebnis abzuwarten.

    (Frau Steinhauer [SPD]: Alles freiwillig!)

    Wenn ich mir, Herr Minister, den Ausnahmekatalog des § 7 und die dazugehörigen §§ 8 und 9 ansehe, drängt sich mir die Frage auf, ob nicht generellere Lösungen denkbar sind. Wenn wir anerkennen, daß lebenswichtige Arbeiten, Arbeiten für den Freizeit- und Gesundheitsbereich und Arbeiten, die dem seelischen Bedürfnis unserer Bürger dienen, erlaubt sind, geht es vielleicht ohne den Katalog in § 7 und ohne die schwerverständlichen Regelungen in den §§ 8 und 9.
    Muß es beim Katalog bleiben, erlaube ich mir schon heute die Anmerkung, daß dort die Bestatter nicht erwähnt sind. Aber auch Firmen außerhalb des gastronomischen Bereichs, die sich auf dem Gebiet des Party-Services betätigen, müßten sicherlich eine Aufnahme finden. Es gibt auch keine Regelung über die Arbeitszeit von Abgeordneten, Herr Minister, wenn ich mir die scherzhafte Anmerkung erlauben darf.

    (Dreßler [SPD]: Er erlaubt es Ihnen großzügig!)

    Der § 8 regelt dies nicht.
    Die in § 9 vorgesehenen Ermächtigungen, Anordnungen und Bewilligungen können, wenn sie unterschiedlich gehandhabt werden, zu großen Verzerrungen führen. Auch hierüber müssen wir nachdenken.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es führt zu weit, auf die Bemerkungen des Bundesrates näher einzugehen. Für mich gibt es hier eine Reihe interessanter Vorschläge; nicht alle Ablehnungen der Bundesregierung vermag ich nachzuvollziehen. Diese Punkte werden uns ebenfalls im Gesetzgebungsverfahren beschäftigen müssen.

    (Dreßler [SPD]: Massive Kritik an der Bundesregierung! Ihr lebt euch völlig auseinander! )

    — Keine Sorge, Herr Dreßler; machen Sie sich keine Sorgen. Dies werden wir in großem Einvernehmen über die Runden bringen.
    Ich komme zu einer abschließenden Gesamtbewertung: Wir begrüßen dieses Gesetz. Wir begrüßen es, daß insbesondere die Tarifpartner Zuständigkeiten bekommen, die sie bisher nicht hatten und die sie hoffentlich demnächst nutzen werden. Dieses Gesetz ist im wesentlichen ein Arbeitsschutzgesetz und kann kein Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein.

    (Dreßler [SPD]: Weil ihr es nicht wollt!)

    Viele Bürger glauben, mit der Herabsetzung der Regelarbeitszeit auf 40 Wochenstunden würden automatisch Arbeitsplätze gewonnen. Dabei muß man wissen, daß 99% aller Arbeitnehmer bereits 40 Stunden und weniger arbeiten.

    (Dreßler [SPD]: Sie distanzieren sich also vom Präsidenten der Bundesanstalt!)

    — Nein, vom Deutschen Gewerkschaftsbund. — Jetzt kommt es, Herr Dreßler.
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund — damit komme ich auf den 48seitigen Negativkatalog des DGB — traut sich und seinen Gewerkschaften sowie den Tarifpartnern offensichtlich wenig zu. Sie sollten doch einmal im Überstundenbericht nachlesen, wieviel Tarifvereinbarungen es inzwischen gerade in dem Bereich der Überstunden gibt. Wir sind nicht bereit, den dirigistischen Vorstellungen des DGB zu folgen.
    Sehr geehrter Herr Minister Dr. Blüm, der Gesetzentwurf ist lang, vielleicht zu lang. Sie machen zu Recht darauf aufmerksam, daß mit diesem Gesetz sieben Gesetze und 22 Verordnungen außer Kraft gesetzt werden. Berücksichtigt man jedoch, daß es im Bereich des Arbeitsrechtes noch viele Gesetze zu beachten gibt — mich stört hier insbesondere die viel zu umfangreiche und kaum handhabbare Arbeitsstättenverordnung —, dann sollte es unser gemeinsames Ziel der Gesetzesberatung sein, dieses Gesetz kürzer und einfacher zu machen.
    Brauchen wir wirklich den § 11? Damit mich niemand mißversteht: Auch ich will wirklich nicht Frauen, die unter Tage im Bergbau, in Kokereien oder an Hochöfen arbeiten müssen. Aber ist denn dies bei uns überhaupt noch denkbar? Ich meine: nein.
    Wenn der § 11 jedoch bleiben muß, dann müßte er um weitere Arbeiten ergänzt werden, die Frauen aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls nicht ausüben sollten.
    Bevor ich zum Schluß komme, meine Damen und Herren, noch einige Anmerkungen zu den hier zur



    Louven
    Beratung anstehenden Gesetzentwürfen zum Arbeitszeitrecht der SPD und der GRÜNEN: Meine Damen und Herren von der SPD, es blieb mir, der Ihren Gesetzentwurf erst seit Dienstag vorliegen hat, nicht die Zeit, ihn gründlich durchzuarbeiten. Ich habe jedoch den Eindruck, daß Ihr jetziger Entwurf bei Mehrarbeit noch starrer, noch restriktiver ist als Ihr Entwurf der letzten Legislaturperiode. Im Interesse unserer vielen Klein- und Mittelbetriebe lehnen wir daher Ihren Entwurf im wesentlichen ab.
    Nur einen Satz zum Entwurf der GRÜNEN: Wer diesen Gesetzentwurf liest, muß den Eindruck gewinnen, daß es Ihnen am liebsten gewesen wäre, Arbeit generell zu verbieten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Quatsch! — Schily [GRÜNE]: Wie bitte? Sagen Sie das noch einmal!)

    — Am liebsten generell zu verbieten, Herr Schily, wenn Sie mich nicht verstanden haben. — Wir kommen in der Ausschußberatung darauf zurück. Dann wird Ihnen einmal vorzutragen sein, was die ganzen Paragraphen, die Sie hineingeschrieben haben, für die Arbeitswelt bedeuten.

    (Schily [GRÜNE]: Das ist ja ein Horrorbild!)

    Meine Damen und Herren, es wird nötig sein, zu diesem Gesetzentwurf eine Anhörung durchzuführen. Mit Verbänden, Organisationen und Kirchen muß dieser Entwurf sachlich und gründlich erörtert werden. Wir sind dazu bereit. Wir stimmen einer Überweisung zu.
    Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Heyenn [SPD]: Das war eine ganz kleine Brücke, Herr Kollege!)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Hoss das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willi Hoss


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier nun für DIE GRÜNEN Gelegenheit, den vorgelegten Gesetzentwurf vorzustellen. Ich muß sagen, daß die Ähnlichkeiten zwischen dem von der Bundesregierung vorgelegten und unserem Entwurf nicht sehr groß sind und daß ich kaum Möglichkeiten sehe, den Entwurf der Bundesregierung so zu verändern, weil er grundsätzlich andere Positionen aufnimmt,

    (Dreßler [SPD]: Das ist wohl wahr!)

    so daß wir da in eine harte Auseinandersetzung kommen.

    (Dreßler [SPD]: Auch das ist wahr!)

    In Baden-Württemberg ist der Entwurf der Bundesregierung von der IG Metall bei einem Vergleich dahin charakterisiert worden, daß er schlimmer sei als die Regelung von 1938 in der Nazizeit. Ich lasse das für den formalen Vergleich gelten; darin stimme ich zu.
    Aber es sind zwei Vorbehalte zu machen. Die Nazis haben den Acht-Stunden-Tag 1938 eingeführt, um die Arbeiter zu gewinnen und einzustimmen, für sie in den Krieg zu ziehen. Zweitens haben die Nazis nie
    daran gedacht, das, was sie dort festgelegt haben, einzuhalten. Wir wissen, daß es schon 1939, 1940 den Zehn-Stunden-Tag und Zwangsarbeit und überhaupt keine Regelung zum Arbeiterschutz gab und daß die, die dagegen zu meckern versuchten, den Gestellungsbefehl bekamen und an die Front geschickt wurden. Das war damals die Realität.
    Aber beim formalen Vergleich gehe ich davon aus, daß der vorgelegte Entwurf der Bundesregierung, versetzt in die heutige Zeit, ein ganz schlimmer Entwurf ist, der die Situation — Herr Blüm, das werde ich Ihnen ganz sachlich zu erklären versuchen — verschlechtert,

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wir haben doch keinen Arbeitskampf!)

    und zwar in wesentlichen Punkten.
    Der erste betrifft die Ausdehnung der Arbeitszeit. Sie geben die Möglichkeit, die Arbeitszeit auf 60 Stunden pro Woche auszudehnen. Sechsmal zehn Stunden erlauben Sie durch das Gesetz.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zum Ausgleichszeitraum!)

    — Darauf komme ich zurück.
    Die Überstundenproblematik wird bei Ihnen überhaupt verschwiegen.

    (Dreßler [SPD]: Richtig!)

    Wenn Sie darauf eingehen, wird sie höchstens so behandelt, daß Sie noch mehr Überstunden ermöglichen, nämlich bis zu 60 Stunden in der Woche, wobei Sie sogar erreichen, daß Sie die Überstundenzuschläge wegmogeln, weil Sie da diesen Ausgleichszeitraum haben, über den Sie sagen, nach dem Gesetz müssen, wenn man es genau sieht, innerhalb von vier Monaten, durchschnittlich 48 Stunden erreicht sein.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Acht-Stunden-Tag! Zur Wochenarbeitszeit sagen Sie gar nichts!)

    — Der Acht-Stunden-Tag? Ihr Gesetzentwurf, Herr Blüm, zeichnet sich dadurch aus, daß er bestimmte Dinge festschreibt und eine solche Menge von Ausnahmen und Regelungen offenläßt, daß Sie das sozusagen dem freien Spiel der Kräfte überlassen und sagen, das kann im Bereich der Tarifpolitik gemacht werden.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Kann? Soll!)

    Mit der Ausdehnung der Arbeitszeit auf 60 Stunden in der Woche setzen Sie darauf, daß Sie den Rationalisierungseffekt in der Arbeitszeitgestaltung hier gesetzlich fixieren und damit eine Rationalisierung und ein Hinausdrücken von Arbeitnehmern aus der Produktion und den Verwaltungen bewirken, weil Sie damit den Rationalisierungsbestrebungen der Unternehmer entgegenkommen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wenn ich einen AchtStunden-Tag habe, kann ich nicht auf 60 Stunden kommen! Mathematik!)

    Der zweite wesentliche Punkt ist, daß Sie die verfügbare Zeit des einzelnen Arbeitnehmers wegnehmen und unter die Interessen der Produktion und des Unternehmens stellen, indem Sie den geregelten Ar-



    Hoss
    beitstag und die Verläßlichkeit, daß jemand sagen kann, ich arbeite acht Stunden pro Tag und kann danach planen — Familie, Weiterbildung, Kultur —, wegnehmen und den Bedürfnissen der Produktion unterordnen, die — das gebe ich zu — vom Markt her wechselhaft und flexibel sind. Sie ordnen die Menschen diesen Bedürfnissen völlig unter.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Den Bedürfnissen der Menschen! — Schily [GRÜNE]: Ausbeutung des Arbeitnehmers im gesetzlichen Rahmen!)

    Sie, Herr Louven, sagen, unsere Kritik am Entwurf der Bundesregierung baue darauf auf, daß wir am liebsten nicht mehr arbeiten möchten. Das dürfen Sie mir und unserer Fraktion nicht sagen. Wir kommen aus der Arbeitswelt; wir wissen das ganz genau und bringen die Erfahrungen, die wir von da haben, ein.
    Drittens. Die Schutzrechte der Arbeitnehmer werden zugunsten vermeintlicher Freiheitsräume aufgegeben. Nun, Herr Louven und Herr Blüm, bitte ich Sie, aufzupassen. Sie haben mit diesem Entwurf einen Autonomiebegriff und einen Freiheitsbegriff in die Debatte gebracht, indem Sie sagen: Der Gesetzgeber kann nicht alles festlegen; wir müssen das den Tarifpartnern überlassen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Richtig! Subsidiarität!)

    Aber wir kennen die Reihenfolge in der Rechtsordnung. Wir haben a) die Betriebsvereinbarungen — die gelten für den Betrieb und das, was dort ausgemacht wird — , b) den Tarifvertrag — der gilt für den Bereich — und c) das übergeordnete Gesetz.
    Sie erlauben im Gesetz die 60-Stunden-Woche und anderes und sagen: Die Tarifpartner können sich ja austoben.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wie kommen Sie beim Acht-Stunden-Tag auf eine 60-Stunden-Woche? Grundrechnen!)

    Aber die Frage der Überstunden und der Arbeitszeitgestaltung wird in den Betrieben entschieden. Das müßten Sie wissen, Herr Blüm, wenn Sie ein wenig Ahnung von Betrieben hätten; Sie waren schon lange nicht mehr dort. Wenn Sie sagen, da gebe es eine Gleichheit der Bedingungen, dann trifft das nicht zu.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Bei den Tarifverhandlungen haben wir die Möglichkeit zu streiken. Die Gewerkschaften können sagen: Wir stellen Forderungen, und wenn wir damit nicht durchkommen, dann wird hier gestreikt.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Tarifvertrag geht vor Betriebsvereinbarung!)

    Herr Louven, im Betrieb sind die Betriebsräte und Personalräte gebunden. Sie haben keine Streikmöglichkeit; sie können nicht kämpfen; sie müssen die Einigungsstelle anrufen,

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Tarifvertrag geht vor! — Schily [GRÜNE]: Der Blüm muß sich mal wieder auf die Regierungsbank setzen, damit er zuhört!)

    und die Einigungsstelle — das kann ich nun hundertprozentig auf Grund von Verhandlungen sagen, bei denen ich dabei war — orientiert sich letztendlich am Gesetz. Das Gesetz ermöglicht 60 Stunden in der Woche, zehn Stunden pro Tag, und das sechsmal in der Woche.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Unser Entwurf steht dem völlig entgegen. Deswegen lehnen wir Ihren Autonomiebegriff, der im Grunde verlogen ist, Herr Blüm, ab. Wenn Sie es machen wollen, dann bringen Sie auch in Ihren Entwurf ein, daß das Streikrecht und das Kampfrecht in den Betrieben für Betriebsräte und für Belegschaften hergestellt wird, wenn es um die Gestaltung der betrieblichen Arbeitszeit oder um die Frage der Überstunden geht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unser Entwurf berücksichtigt — und das tun Sie überhaupt nicht — die wirtschaftliche Entwicklung, die mit immer größerer Unsicherheit vonstatten geht, und die Zunahme der Arbeitslosigkeit. Wir gehen davon aus, daß der Entwurf des Arbeitszeitgesetzes Maßnahmen enthalten muß, die dafür sorgen, daß Erleichterungen in den Betrieb hineinkommen und daß die Arbeitslosigkeit abgebaut wird.
    Wir sehen da im einzelnen Folgendes vor. Was die Frage der Überstunden angeht, wissen wir, daß zur Zeit bis zu 2 Milliarden Überstunden gefahren werden.

    (Louven [CDU/CSU]: In Wirklichkeit sind es weniger!)

    — Es gibt diesen Arbeitszeitreport von Nordrhein-Westfalen, der sogar von 2,1 Milliarden Überstunden ausgeht. Das entspricht, umgerechnet auf einen AchtStunden-Tag, 900 000 Arbeitsplätzen. Wenn es uns nur gelänge, einen Abbau von Überstunden um ein Drittel zu erreichen, könnten wir 300 000 Arbeitslose in den Arbeitsprozeß mit einbringen. Da ist der Gesetzgeber gefragt,

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    weil es in den vergangenen Jahren bisher nicht gelungen ist, den Abbau von Überstunden zu erreichen. Die Überstunden nehmen sogar noch tendenziell zu.
    Genauso schreiben wir, Herr Louven, die 40-Stunden-Woche fest. Wir wollen 40 Stunden in der Woche arbeiten — tariflich geregelt gibt es ja schon die 37-
    Stunden-Woche — und acht Stunden werktäglich von montags bis freitags, wobei wir den Samstag und den Sonntag als Tage nehmen, die nur im Ausnahmefall zur Arbeit verwendet werden dürfen, aber dazu gibt es ja genügend Ausnahmeregelungen.
    Wir wollen weiterhin Freistellungen erreichen. Wir wollen das militärische Arbeitszeitregime, das sich eingebürgert hat, abbauen und den Leuten Gelegenheit geben, sich für ihre eigenen Bedürfnisse aus dem Betrieb befreien zu können, was heute nicht möglich ist, und damit Luft machen, daß die Betriebe gezwungen sind, andere Leute einzustellen. Das soll z. B. für berufliche, wissenschaftliche und kulturelle Weiterbildung gelten. Wir wollen den persönlichen Hausarbeitstag für Mann und Frau und wir wollen, daß in einem Volumen von insgesamt 20 Tagen im Jahr für



    Hoss
    diesen Bereich bezahlte Freistellungen gewährt werden.
    Wir wollen auch, daß im Arbeitszeitgesetz geregelt ist — das ist bisher nicht der Fall, und Sie lassen das völlig außen vor —, daß Leute die Möglichkeit haben müssen, sich für Zeiten der Kindererziehung aus dem Betrieb zu befreien und sich beurlauben zu lassen, und zwar mit dem Anspruch, daß der Arbeitsplatz erhalten bleibt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Schily [GRÜNE]: Das ist eine kinderfreundliche Politik! Daran kann sich Herr Blüm mal ein Beispiel nehmen!)

    Das können wir genauso handhaben — wenn Sie sagen, das, was ich vorschlüge, sei von vorgestern —wie bei der Bundeswehr. Da ist es auch möglich, daß die Leute für eineinhalb Jahre aus dem Betrieb mit Beibehaltung des Anspruches auf den Arbeitsplatz herausgezogen werden und daß sie nachher wieder zurückkommen können.
    So schlagen wir angesichts von Massenarbeitslosigkeit eine Reihe von Freistellungen vor, die ich jetzt aus Zeitgründen nicht im einzelnen darlegen kann.

    (Louven [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal, wer das bezahlen soll!)

    Zur Frage der Bezahlung. Das ist eine Frage, die ja auch schon bei der letzten Debatte, die wir 1984 und 1985 hatten, vorgetragen wurde. Man sagt, unsere Vorstellungen seien von vorgestern und nicht real. Wir haben differenzierte Vorschläge zur Finanzierung der Freistellungen für die abhängig Beschäftigten und verteilen die Kosten gleichmäßig.

    (Louven [CDU/CSU]: Auf wen?)

    Wir wollen Freistellungen, für die die Leute selber aufkommen, bei denen sie sich also selber auf eigene Kosten befreien können; wir wollen, daß die Unternehmen einen Teil der Kosten für bestimmte Freistellungen bezahlen; wir wollen, daß die Krankenversicherungen im Falle von plötzlicher Krankheit bezahlen und daß auch der Staat, also die öffentliche Hand, bestimmte Kosten übernimmt, z. B. für Kindererziehungszeiten, wo ein Sondergesetz zu schaffen ist. Wenn Arbeitszeit gesetzmäßig geregelt ist, soll man sich aus dem Betrieb befreien können, und die Lohnersatzleistungen sollen dann vom Bund bezahlt werden.
    Zum Schluß — meine Redezeit ist jetzt abgelaufen — kann ich Ihnen noch kurz sagen: Wenn wir die Mittel für die Ehesubventionierung streichen, dann gewinnen wir 23 Milliarden DM, mit denen z. B. die Lohnersatzleistungen für Kindererziehung finanziert werden können. Wir müssen die Dinge nur richtig anpacken, dann werden Sie auch richtig gelöst werden können.
    Danke schön.

    (Beifall bei den GRÜNEN)