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    Plenarprotokoll 11/53 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 53. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3709 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Erhöhung der Neuverschuldung im Bundeshaushalt 1988 — Realistische Darstellung der Lage der Bundesfinanzen Wieczorek (Duisburg) SPD 3709 B Dr. Dregger CDU/CSU 3710B Frau Vennegerts GRÜNE 3711B, 3716 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 3712B Dr. Spöri SPD 3713 B Spilker CDU/CSU 3714 B Gattermann FDP 3715 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 3716D Dr. Apel SPD 3718D Carstens (Emstek) CDU/CSU 3719C Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi . 3720 C Esters SPD 3722 A Dr. Rose CDU/CSU 3722 D Schulhoff CDU/CSU 3723 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Aussprache über die Vorfälle bei der Firma Nukem Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . . 3725 A Dr. Wallmann, Ministerpräsident des Landes Hessen 3726 D Dr. Hauff SPD 3729 D Baum FDP 3731B Schily GRÜNE 3733 B Dr. Laufs CDU/CSU 3735 B Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (Drucksache 11/360) b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (Drucksache 11/1188) c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (Drucksache 11/1617) Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3736 D Dreßler SPD 3739 A Louven CDU/CSU 3741 D Hoss GRÜNE 3744 B Heinrich FDP 3746 B Schreiner SPD 3748 A Müller (Wesseling) CDU/CSU 3750 B Frau Steinhauer SPD 3751 C Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Schnellbahnverbindung Köln—Paris (Drucksache 11/387 [neu]) Weiss (München) GRÜNE 3752 C Bauer CDU/CSU 3753 B Haar SPD 3754 A Kohn FDP 3754 D Nächste Sitzung 3755 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3756* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3756* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988 3709 53. Sitzung Bonn, den 15. Januar 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein ** 15. 1. Dr. Ahrens * 15. 1. Frau Beck-Oberdorf 15. 1. Frau Brahmst-Rock 15. 1. Dr. von Bülow 15. 1. Buschfort 15. 1. Carstensen (Nordstrand) 15. 1. Cronenberg (Arnsberg) 15. 1. Frau Dr. Däubler-Gmelin 15. 1. Egert 15. 1. Dr. Ehrenberg 15. 1. Frau Eid 15. 1. Engelsberger 15. 1. Eylmann 15. 1. Dr. Geißler 15. 1. Gerstein 15. 1. Grünbeck 15. 1. Grüner 15. 1. Grunenberg 15. 1. Dr. Haussmann 15. 1. Freiherr Heereman v. Zuydtwyck 15. 1. Frau Dr. Hellwig 15. 1. Frau Hoffmann (Soltau) 15. 1. Dr. Hüsch 15. 1. Ibrügger 15. 1. Dr. Köhler (Wolfsburg) 15. 1. Kreuzeder 15. 1. Dr. Kunz (Weiden) 15. 1. Lenzer * 15. 1. Lowack 15. 1. Dr. Mahlo 15. 1. Menzel 15. 1. Meyer 15. 1. Nelle 15. 1. Frau Pack * 15. 1. Petersen 15. 1. Reuschenbach 15. 1. Roth 15. 1. Frau Rust 15. 1. Schartz (Trier) 15. 1. Dr. Scheer * 15. 1. Frau Schilling 15. 1. Frau Schmidt-Bott 15. 1. Schmitz (Baesweiler) 15. 1. von Schmude 15. 1. Schröer (Mülheim) 15. 1. Schulze (Berlin) 15. 1. Stahl (Kempen) 15. 1. Stobbe 15. 1. Dr. Vondran 15. 1. Dr. Warnke 15. 1. Frau Dr. Wisniewski 15. 1. Wissmann 15. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 18. Dezember 1987 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß Gesetz zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung Gesetz zur Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) Gesetz über die zentrale Archivierung von Unterlagen aus dem Bereich des Kriegsfolgenrechts Gesetz zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes Gesetz zur Änderung des Benzinbleigesetzes Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober 1986 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens Gesetz zu dem Abkommen vom 14. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens sowie zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1987 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Quebec über Soziale Sicherheit und der Durchführungsvereinbarung hierzu Gesetz zu dem Abkommen vom 4. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen Gesetz zu dem Abkommen vom 18. September 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Argentinien über die Wehrpflicht von Doppelstaatern Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Oktober 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die Wehrpflicht deutsch-dänischer Doppelstaater Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/253 Nr. 1.2 Drucksache 11/561 Nr. 1.1, 1.2, 1.3 Drucksache 11/1107 Nr. 1.1 Drucksachen 11/552, 11/637 Finanzausschuß Drucksache 11/1107 Nr. 1.2 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/1107 Nr. 1.7 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 10/5362 Nr. 18 Drucksache 11/929 Nr. 2.1 Haushaltsausschuß Drucksache 11/1450 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/253 Nr. 2.4 Drucksache 11/561 Nr. 2.4 Drucksache 11/779 Nr. 2,21 Drucksache 11/1365 Nr. 3.1, 3.2 Drucksache 11/1450 Nr. 2.3, 2.4, 2.5, 2.6 Drucksache 11/1107 Nr. 2.2, 2.3, 2.4, 2.5, 2.6, 2.7 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/973 Nr. 2.7 bis 2.11 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1107 Nr. 2.10 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/883 Nr. 138
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl zwei Motive, die Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 zu novellieren. Da ist erstens das sozial-demokratische Motiv. Bei ca. 2,4 Millionen registrierten arbeitssuchenden Männern und Frauen sagen wir, daß über 1,5 Milliarden Überstunden jährlich unerträglich sind.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die seit 1918 geltende Regelarbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich ist überholt, ist unvertretbar und ist durch die Praxis der tarifvertraglichen Regelarbeitszeit von 37 bis 40 Stunden durch freie Vereinbarungen im Rahmen der Tarifautonomie schlicht Geschichte.
    Dann gibt es zweitens das konservativ-wirtschaftsliberale Motiv. Das stellt sich auf der Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfes so dar, daß die Erfolge der freien Vereinbarungen innerhalb der Tarifautonomie schlicht unterlaufen werden sollen. Der Fortschritt des Jahres 1988 muß zurückgedreht werden. Weil Konservative und Wirtschaftsliberale noch eine zahlenmäßige Mehrheit im Parlament haben, machen sie in ihrer Rückwärtsfahrt gegen den Fortschritt, gegen die Vernunft und gegen die Tarifautonomie nicht im Jahre 1938 halt — warum auch?; das geltende Gesetz stammt ja aus dem Jahre 1938 —, nein, Konservative und Wirtschaftsliberale überwinden im Rückwärtsgang das ganze 20. Jahrhundert und gehen gleich bis ins vorige Jahrhundert zurück. So sieht das in Wahrheit aus.

    (Zurufe von der SPD: So ist es! Genau!)

    Ich muß Ihnen sagen, Herr Blüm, auf mich wirken hilflose Appelle geradezu lächerlich, und zwar nicht von Ihnen allein, sondern auch von Ihren Staatssekretären und auch von einigen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen. Sie appellieren an Unternehmer, Sie appellieren an Betriebsräte, Sie appellieren an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Sie appellieren an Tarifvertragsparteien, den Überstundenberg abzubauen.

    (Ronneburger [FDP]: Wir appellieren an den mündigen Bürger!)

    — Diese Art, Herr Ronneburger, gehört in das Kapitel „Tarnen und Täuschen" : Rhetorisch den Überstundenberg beklagen und im Parlament einen Gesetzentwurf vertreten, der das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich Festschreibung der 48-Stunden-Woche, monatelang die 60-Stunden-Woche, Ausdehnung der Sonntagsarbeit, Ausweitung der Nachtarbeit, generelle Hineinnahme der Samstagsarbeit in die wöchentliche Arbeitszeit; das sind die Grundlagen Ihres Gesetzentwurfs. CDU und CSU sind nach meinem Eindruck unfähig, den vernünftigen Kompromiß zwischen der Verwertung von Kapitalinteressen und den Bedürfnissen der Menschen zu organisieren.
    Über die Notwendigkeit der Ersetzung der uralten, noch aus der Nazizeit stammenden Arbeitszeitverordnung wird seit langer Zeit geredet. Daß das, was exakt vor 50 Jahren Gesetz wurde, auf die heutige Situation paßt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, ist nicht nur den Experten klar, sondern auch den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sehr bewußt. Was vor 50 Jahren zur Absicherung der Rüstungsproduktion der Nazis erdacht wurde, hat mit der Situation der Bundesrepublik Deutschland wohl nichts mehr gemeinsam. Daraus die Konsequenzen zu ziehen, hat der Gesetzgeber jahrzehntelang sträflich vernachlässigt. Sechsmal hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion versucht, ein fortschrittliches Arbeitszeitgesetz durchzusetzen. Es fehlte uns eine Mehrheit. CDU/CSU und FDP haben unsere Bemühungen zunichte gemacht. Das geht nun schon seit 1976.
    Es liegen heute sehr unterschiedliche Konzepte auf dem Tisch des Hauses. Ich denke, das ist ein Vorteil. Dann kann man zwischen Alternativen unterscheiden und entscheiden. Für die SPD, für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften ist die Meßlatte, was Arbeitsschutz heißen muß, klar:
    Erstens. Ein Arbeitszeitgesetz muß einen angemessenen Beitrag leisten, daß Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Das Volumen an Mehrarbeit, an Überstunden, macht rein rechnerisch um 900 000 Vollzeitarbeitsplätze aus. Es ist leider wahr, daß dieses Potential an Arbeitsplätzen bisher ungenutzt blieb.
    Zweitens. Ein Arbeitszeitgesetz muß den notwendigen Gesundheitsschutz sicherstellen, den Gefahren entgegentreten, auch und gerade den Unfallgefahren durch überlange Arbeitszeiten. Arbeitszeitschutz muß deshalb auch vorbeugender Gesundheitsschutz sein.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Drittens. Ein Arbeitszeitgesetz muß familienpolitisch konzipiert sein. Das heißt, die regelmäßige Arbeitszeit darf nicht nur im Durchschnitt, Herr Blüm, acht Stunden pro Tag und 40 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Das Wochenende, Samstag und Sonntag, muß soweit wie irgend möglich frei sein, und zwar auch, aber nicht nur, um dem christlichen Kulturkreis Rechnung zu tragen, in dem wir leben. Die 5-Tage-Woche von Montag bis Freitag und das freie Wochenende sind für das gesellschaftspolitische Engagement und das gesellschaftliche Engagement in Vereinen, Verbänden, Parteien, Gewerkschaften unverzichtbar notwendig.
    Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung gilt: Alle vorgegebenen Kriterien werden kraß verfehlt. Was die Bundesregierung, und zwar erneut, vorgelegt hat, ist völliger Unsinn, weil erstens die 48-StundenWoche festgeschrieben wird, obwohl für fast alle Beschäftigten tarifvertraglich die 40- bis 37-StundenWoche vereinbart ist; zweitens weil die Sechs-TageWoche wieder eingeführt werden soll, obwohl tarifvertraglich allgemein die Fünf-Tage-Woche gilt, abgesehen von den Bereichen, wo es organisatorisch



    Dreßler
    nicht anders geht — aber die Wochenendarbeit unter der Überschrift des Renditedenkens wurde lange Zeit erfolgreich zurückgedrängt, bis die Wende die Arbeitgeber ermunterte, zum Gegenschlag auszuholen —; drittens weil Überstunden nicht begrenzt werden — nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen sogar ein monatelanger Zehn-Stunden-Tag, eine 60-Stunden-Woche möglich sein, obwohl Mehrarbeit beschäftigungsfeindlich ist und Unfallzahlen durch Mehrarbeit extrem steigen —; viertens weil eine Ausdehnung der Arbeitszeit betrieblichen Bedürfnissen untergeordnet wird, also einmal mehr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Maschinen untergeordnet werden; fünftens weil das Gebot der Sonntags- und Feiertagsruhe noch weiter durchlöchert wird, obwohl das freie Wochenende von besonderer familienpolitischer Bedeutung ist.
    Mit dem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes hat es die Bundesregierung geschafft, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Herr Blüm, eine Kritik von allen Seiten ist keine Bestätigung, daß man die goldene Mitte erreicht habe. Die Bundesregierung wäre gut beraten, die Kritik ernst zu nehmen.
    Daß die Gewerkschaften ein vernichtendes Urteil abgegeben haben, ist der Bundesregierung so, wie wir sie kennen, völlig egal. Diese Bundesregierung hat sich in diesen Fragen seit jeher völlig einseitig auf die Arbeitgeberseite geschlagen.
    An die Kritik der Kirchen haben sich die Parteien mit dem „C" inzwischen auch gewöhnt. Darüber werden Herr Blüm und andere genauso hinweggehen wie über die Mahnung — zuletzt der Evangelischen Kirche Deutschlands — , endlich gegen die sich ausbreitende Massenarbeitslosigkeit, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, vorzugehen.
    Die Pläne der Bundesregierung zur Aufweichung des Grundsatzes der Sonntags- und Feiertagsruhe sind aus unserer Sicht strikt abzulehnen. Aber auch der freie Samstag muß verteidigt werden; denn schon durch regelmäßige Samstagsarbeit ist auch der Sonntag betroffen. Er erhält seinen besonderen, herausgehobenen Charakter übrigens auch dadurch, daß ihm der freie Samstag zur Erledigung von außerberuflichen, von familiären und hauswirtschaftlichen Arbeiten vorausgeht. Wenn deshalb neuere Untersuchungen ergeben haben, daß nicht weniger als ein Drittel der Beschäftigten regelmäßig an Wochenenden arbeiten muß, zeigt das das ganze Ausmaß dessen, was der Gesetzgeber bisher leichtfertig übersehen hat.
    Die Opposition hat die Aufgabe, nicht nur zu kritisieren, sondern auch Alternativen zu entwickeln. Das haben wir mit unserem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes während der Oppositionsjahre jetzt schon zum drittenmal getan. Wir wollen endlich erreichen, daß der Acht-Stunden-Tag und die 40-Stunden-Woche als höchstzulässige regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit festgeschrieben werden. Wir wollen endlich erreichen, daß die Mehrarbeit auf unvorhergesehene und unvermeidbare Fälle begrenzt wird. Unvermeidbare Mehrarbeit muß dabei kurzfristig durch Freizeit ausgeglichen werden. Durch eine Begrenzung der Überstunden können kurzfristig mindestens 200 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist doch keine Erfindung von uns, sondern von den Arbeitsmarktforschern wiederholt errechnet worden. Auch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Franke, hat dies wiederholt bestätigt.
    Wir wollen, daß besondere Arbeitszeiten, Sonn- und Feiertagsarbeit, Nacht- und Schichtarbeit, und Arbeitsformen, etwa Arbeit auf Abruf, kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, die sich auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders belastend auswirken, nicht oder nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zugelassen werden.
    Wir fordern, das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen unangetastet zu lassen, Herr Blüm. Es muß darüber hinaus erreicht werden, daß Nachtarbeit, die immer gesundheitsschädlich ist, Zug um Zug zurückgedrängt wird, und zwar im Interesse aller, der Arbeiter, der Angestellten und der Beamten, und nicht das Gegenteil eintritt, wie Sie es vorhaben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir fordern, die Arbeit an Sonn- und Feiertagen auf wenige, genau definierte Ausnahmen zu beschränken, und wir fordern, die Fünf-Tage-Woche von Montag bis Freitag als Regel anzuerkennen. Wir wollen ein fortschrittliches Arbeitszeitgesetz, und dieses Gesetz muß Bestandteil einer anderen Politik sein. Der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit muß endlich wirksam bekämpft werden. Ein fortschrittliches Gesetz ist dazu ein Baustein. Bisher hat die Bundesregierung nichts dazugelernt; statt der Massenarbeitslosigkeit wird nach wie vor die Arbeitslosenstatistik bekämpft. Mit diesem ganzen Unsinn muß endlich Schluß sein.
    Mit einer Begrenzung der Überstunden auf das unvermeidliche Maß kann die Politik einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten; einen Beitrag, den diese Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt im Jahre 1982 nicht geleistet hat. Denn daran müssen Sie sich nach wie vor messen lassen, Herr Blüm: Ihr Kanzler war es, der seinen Regierungsantritt als das beste Beschäftigungsprogramm bezeichnet hat, das denkbar sei.
    1982, am Ende der weltwirtschaftlichen Schwächeperiode, gab es 22,3 Millionen beschäftigte Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, 25,6 Millionen Erwerbstätitge insgesamt. 1987, nach fünf Jahren weltwirtschaftlicher Belebung, gab es in der Bundesrepublik rund 25,8 Millionen Erwerbstätige, darunter 22,5 Millionen beschäftigte Arbeitnehmer. Mit anderen Worten: Nach fünf Jahren relativ guter Konjunktur gibt es in der Bundesrepublik ein geringes Mehr an Beschäftigung. Das ist die Bilanz.
    Da hilft es wenig, wenn die Regierung zum Vergleich immer die schlechteste Zahl aus ihrer Regierungszeit heranzieht, um den Erfolg ihrer Arbeitsmarktpolitik zu belegen. Diese Bundesregierung hat in sechs Jahren guter Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt nicht viel zuwege gebracht;

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    denn es reicht ja nicht, allein die Köpfe zu zählen. Man muß das Arbeitsvolumen insgesamt sehen, und man muß sehen, was in Ihren Statistiken sonst noch steckt, um sich schönzurechnen.



    Dreßler
    Ihre Bilanz ist schlecht: keine zusätzlichen vollwertigen Arbeitsplätze im Aufschwung, gesunkene Qualität der Arbeitsplätze durch Befristung und durch Schwächung von Arbeitnehmerrechten. Und jetzt? Was machen Sie in diesem Jahr, im nächsten Jahr? Selbst regierungsfreundliche Institute rechnen allenfalls noch mit 1 % realem Wirtschaftswachstum. Wer bei nahezu 2,4 Millionen Arbeitslosen, deren Zahl noch wächst, die 60-Stunden-Woche festschreiben will, der verhindert — das ist mein Vorwurf — ganz bewußt die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wird nicht ausbleiben, daß Sie wieder einmal allen, die auf Tatsachen, die auf unbestreitbare Zahlen verweisen, Schwarzmalerei vorwerfen. Ob es das Statistische Bundesamt, ob es die Bundesanstalt für Arbeit oder ob es die Zahlen der Wirtschaftsforschungsinstitute sind, Sie weigern sich einfach, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Die Wirklichkeit heißt: Nach nun fast fünf Jahren Ihrer sogenannten Angebotspolitik gibt es weniger bezahlte Arbeit und weniger öffentliche und private Investitionen als je zuvor. Umverteilung, Abbau sozialer Sicherung, Abbau von Arbeitnehmerrechten — es war umsonst, Ihre Politik ist gescheitert. Sie mußte scheitern an Ihrer eigenen nach rückwärts gerichteten Philosophie, die einfach keine Basis hergibt für eine erfolgversprechende Politik.
    Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Koalition, läßt sich auf drei Leitsätze reduzieren.
    Erstens. Jeder ist seines Glückes Schmied. Wer nicht wohlhabend ist, wer keinen Arbeitsplatz hat, wer keine vernünftige Altersversorgung hat, wer keine gute Ausbildung vorweisen kann, hat selbst schuld. Deshalb die beständigen Angriffe auf Arbeitnehmerrechte. Deshalb auch die tatenlos hingenommene Arbeitslosigkeit. Deshalb auch die Eingriffe in soziale Leistungen.
    Dann kommt Ihr zweiter Leitsatz. Der heißt: Gerechtigkeit lähmt die Gesellschaft und den einzelnen, Solidarität ist Zwang.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wer hat denn das gesagt?)

    Deshalb die Angriffe auf die Gewerkschaften. Deshalb die wahnsinnigen Kinderfreibeträge, Herr Blüm, statt einheitlichem Kindergeld. Deshalb auch die neuerlichen Steuergeschenke für jene, die sowieso schon Schwierigkeiten mit ihrer Einkommensteuererklärung haben.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/ CSU]: Wer hat etwas gegen Gerechtigkeit gesagt?)

    Das geht dann sozusagen logisch in Ihren dritten Leitsatz über. Der heißt: Der Staat als Organisation der Gemeinschaft übernimmt sich, wenn er wirtschaftlich und sozialen Fortschritt zusammenführen will. Deshalb gilt für Sie: Der Markt regelt alles, die Gewinner werden hofiert, und die Verlierer werden sich selbst überlassen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wer sagt denn das schon wieder?!)

    Bangemanns Einschätzung des Sozialstaats macht das überdeutlich.

    (Frau Steinhauer [SPD]: Ganz genau!)

    Er hält den Sozialstaat, den er Wohlfahrtsstaat nennt, für schlimmer als Sklaverei. Wer so denkt wie Herr Bangemann und augenscheinlich einige Kabinettskollegen —

    (Schreiner [SPD]: Blüm z. B.!)

    von denen habe ich nämlich bisher keinen Widerspruch gehört —, der muß — das will ich zwangsläufig zugeben — auch so eine Politik machen, wie Sie es tun. Gemessen an diesen Grundsätzen ist Ihre Politik insofern sogar konsequent. Aber ökonomisch erfolgreich kann eine solche Politik nicht sein; übrigens so wenig, wie es die Sklavenhaltergesellschaft war. Ihr Schuldenberg, die steigende Arbeitslosigkeit, die mehr als bescheidenen wirtschaftlichen Zukunftsaussichten belegen das eindeutig.
    Meine Damen und Herren, Ihre Vorstellungen von der Funktionsweise einer modernen und leistungsfähigen Gesellschaft sind für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland schlicht und ergreifend ungeeignet.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Louven.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Julius Louven


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßler, als ich heute morgen die „Welt der Arbeit" aufschlug — das tue ich ab und an —,

    (Frau Steinhauer [SPD]: Immerhin!)

    wurde mir die Stoßrichtung klar, die Sie hier heute vorhaben würden

    (Dreßler [SPD]: Erzählen Sie mal! Was habe ich denn da gesagt?)

    — ich komme darauf —, nämlich über Überstundenabbau neue Arbeitsplätze zu gewinnen.

    (Dreßler [SPD]: So ist es!)

    Der „Welt der Arbeit" haben Sie gesagt: Damit lassen sich 200 000 neue Arbeitsplätze gewinnen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    — Sie haben hier soeben einmal von 900 000 gesprochen,

    (Dreßler [SPD]: Rein rechnerisch! — Frau Steinhauer [SPD]: Gut zuhören!)

    später dann wieder von 200 000.

    (Abg. Dreßler [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Dreßler, lassen Sie mich hier zu Ende reden. Ich lasse keine Zwischenfrage zu.

    (Dreßler [SPD]: Wenn Sie hier falsche Zahlen zitieren, dann lassen Sie bitte eine Zwischenfrage zu!)




    Louven
    — Ich habe ja nun gerade erst angefangen. Lassen Sie mich hier wirklich erst einmal weitere Ausführungen machen.

    (Dreßler [SPD]: Sie haben falsche Zahlen zitiert!)

    Herr Dreßler, in der „Welt der Arbeit" haben Sie auf die Frage: „Nun könnte man doch sagen, was im Arbeitszeitgesetz steht, ist egal; denn der Tarifvertrag bestimmt die Arbeitszeit", die erstaunliche Feststellung getroffen: Aber der Tarifvertrag ist eigentlich nicht dazu da, Überstunden zu verbieten. Herr Dreßler, wie ist das beispielsweise mit der Erklärung der Herren Breit und Esser vom 14. Dezember 1984 in Einklang zu bringen, in der sie die Tarifpartner ausdrücklich auffordern, in diesem Bereich tätig zu werden? Sie haben das ausdrücklich getan; ich habe diese Erklärung dabei. Ich könnte sie Ihnen hier gerne weiter zitieren.

    (Dreßler [SPD]: Schön!)

    Herr Dreßler, ist es in Wirklichkeit nicht so, daß Betriebsräte und Betriebsleitungen teilweise schulterklopfend Überstunden verabreden? Dies — da ist dem Minister recht zu geben — ist eine Versündigung an unseren Arbeitslosen.
    Das, was Sie hier sagen, und die Wirklichkeit müssen Sie bei der AfA anprangern und dürfen dem Minister hier nicht vorwerfen, die Appelle seien kläglich,

    (Dreßler [SPD]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

    wenn hier andere gleiche Appelle an die Öffentlichkeit richten.
    Meine Damen und Herren, wir unterstützen den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dieser Gesetzentwurf löst die alte Arbeitszeitordnung von 1938 ab, die ja eine Menge zuließ, Herr Dreßler. Dabei steht fest, daß heute mehr als 99 % aller Arbeitnehmer 40 Stunden und weniger arbeiten.

    (Dreßler [SPD]: Warum wollen Sie sie 48 Stunden arbeiten lassen?)

    — Ich komme darauf.
    Der Gesetzentwurf gliedert sich im wesentlichen in drei Abschnitte, nämlich erstens in die „werktägliche Arbeitszeit und arbeitsfreie Zeiten", zweitens in die „Sonn- und Feiertagsruhe" und drittens den „Frauenarbeitsschutz". Mit diesem Gesetz wollen wir ganz bewußt

    (Frau Steinhauer [SPD]: Alles durchlöchern!)

    nicht einer zusätzlichen Zielsetzung Rechnung tragen, Arbeitszeiten zu limitieren und damit Arbeit umzuverteilen. Dieses Feld überlassen wir den Tarifvertragsparteien

    (Dreßler [SPD]: Das ist ganz klar! Wenn die Gewerkschaften die 35-Stunden-Woche fordern, dann beschimpfen Sie sie! Das ist klar! Völlig logisch!)

    und den Verantwortlichen in den Unternehmen und
    Betrieben. Arbeitgeber, Betriebs- und Personalräte
    und die Tarifvertragsparteien haben die notwendige
    Nähe zur Arbeitswelt, um vorrangig die notwendigen Betriebsabläufe zu sichern.

    (Dreßler [SPD]: Pauschal tarnen und täuschen! Immer das gleiche!)

    Im ersten Abschnitt des Gesetzentwurfs werden, am Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer orientiert, Grenzen für die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit, für Ruhepausen während der Arbeitszeit und für Mindestruhepausen zwischen Beendigung und Wiederaufnahme der Arbeit festgelegt.
    Das Gesetz konzentriert sich dabei auf übersichtliche, am Gesundheitsschutz orientierte Grundnormen. Die Ausfüllung und Anpassung dieser Normen an die Notwendigkeit des Arbeitslebens überlassen wir ganz bewußt den Tarifvertragsparteien. Deshalb ist dieses Konzept des Arbeitszeitgesetzes dynamisch und anpassungsfähig. Meine Damen und Herren, Tarifverträge werden auf Zeit abgeschlossen und ermöglichen eine ständige Überprüfung und Korrektur. Ein Gesetz sollte länger Bestand haben.
    Entsprechend langjähriger Erfahrung läßt dieses Gesetz eine flexible Verteilung der Arbeitszeit bis zehn Stunden zu, falls innerhalb eines Ausgleichszeitraumes von vier Monaten im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

    (Dreßler [SPD]: Auf der Basis von sechs Tagen!)

    Für Abweichungen von den Grundnormen liegt die Zuständigkeit auch hier bei den Tarifpartnern. Wir glauben, daß damit das Bewußtsein für einen Überstundenabbau geschärft wird. Mit starren Regelungen, wie sie die Gesetzentwürfe von SPD und GRÜNEN vorsehen, löst man diese Problematik nicht, Herr Dreßler.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Insbesondere für kleine und mittlere Betriebe brauchen wir Flexibilität und betriebsnahe Regelungen.

    (Frau Steinhauer [SPD]: Ist klar!)

    Ich habe oft den Eindruck, daß Ihre Einlassungen nur auf Erfahrungen in Großbetrieben beruhen.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Wir müssen uns bei diesem Problem aber darüber im klaren sein, daß es in vielen Bereichen, Herr Dreßler, ohne Überstunden nicht gehen kann und der Zwang zum Abfeiern oft äußerst problematisch ist. Ich könnte dafür Beispiele bringen, aber darauf kommen wir sicher in der Ausschußberatung ausgiebigst zurück.
    Der Frauenarbeitsschutz ist ein weiterer wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs. Hier lautet der Grundsatz: Vorschriften über erhöhten Schutz für Frauen werden aufrechterhalten, soweit geschlechtsspezifisch und zum Schutz werdenden Lebens erforderlich. Darüber hinausgehende Vorschriften werden aus Gründen der Gleichbehandlung von Frauen und Männern aufgehoben. Dies bedeutet dann z. B., daß zukünftig Frauen auch Lastwagen über 3,5 t lenken dürfen. Es bedeutet unter Umständen auch Beschäftigung am Bau. Es bedeutet aber nicht Beschäftigung unter Tage.
    Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988 3743
    Louven
    Dies ist kein Abbau des besonderen Arbeitsschutzes für Frauen, sondern die längst überfällige Aufhebung von Bestimmungen, die Frauen benachteiligen, indem sie ihnen den Zugang zu bestimmten Arbeiten erschweren.
    Ein weiterer wichtiger Punkt des Gesetzentwurfs ist die Sonn- und Feiertagsruhe. Mein Kollege Alfons Müller wird sich mit dieser Problematik noch grundsätzlich auseinandersetzen. Lassen Sie mich als jemanden, der auf Grund seines Berufes gezwungen war, fast ein Leben lang sonntags zu arbeiten, und
    zwar jeden Sonntag, als erstes ein besonderes Bekenntnis zum Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen ablegen.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr gut! — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich möchte bei uns keine amerikanischen Verhältnisse. Für sonntags frei sprechen religiöse, verfassungsrechtliche und familienpolitische Gründe. Wir sollten uns jedoch vor einer totalen Ideologisierung dieses Themas hüten.
    Ohne Sonntagsarbeit geht es nicht. Diese Erkenntnis kommt auch in Ihrem jetzigen Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD, deutlicher zum Tragen als im vorherigen. Wir werden auch hierüber noch sehr intensiv zu reden haben. Dabei dürfen wir dann allerdings nicht die Augen vor dem verschließen, was derzeit in unseren Nachbarländern geschieht, erst recht nicht, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.

    (Heinrich [FDP]: Wettbewerb!)

    Dabei ist es sicher richtig, die Wettbewerbsbedingungen zwischen deutschen und EG-Unternehmen bei den Maschinenlaufzeiten zu überprüfen und das Ergebnis abzuwarten.

    (Frau Steinhauer [SPD]: Alles freiwillig!)

    Wenn ich mir, Herr Minister, den Ausnahmekatalog des § 7 und die dazugehörigen §§ 8 und 9 ansehe, drängt sich mir die Frage auf, ob nicht generellere Lösungen denkbar sind. Wenn wir anerkennen, daß lebenswichtige Arbeiten, Arbeiten für den Freizeit- und Gesundheitsbereich und Arbeiten, die dem seelischen Bedürfnis unserer Bürger dienen, erlaubt sind, geht es vielleicht ohne den Katalog in § 7 und ohne die schwerverständlichen Regelungen in den §§ 8 und 9.
    Muß es beim Katalog bleiben, erlaube ich mir schon heute die Anmerkung, daß dort die Bestatter nicht erwähnt sind. Aber auch Firmen außerhalb des gastronomischen Bereichs, die sich auf dem Gebiet des Party-Services betätigen, müßten sicherlich eine Aufnahme finden. Es gibt auch keine Regelung über die Arbeitszeit von Abgeordneten, Herr Minister, wenn ich mir die scherzhafte Anmerkung erlauben darf.

    (Dreßler [SPD]: Er erlaubt es Ihnen großzügig!)

    Der § 8 regelt dies nicht.
    Die in § 9 vorgesehenen Ermächtigungen, Anordnungen und Bewilligungen können, wenn sie unterschiedlich gehandhabt werden, zu großen Verzerrungen führen. Auch hierüber müssen wir nachdenken.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es führt zu weit, auf die Bemerkungen des Bundesrates näher einzugehen. Für mich gibt es hier eine Reihe interessanter Vorschläge; nicht alle Ablehnungen der Bundesregierung vermag ich nachzuvollziehen. Diese Punkte werden uns ebenfalls im Gesetzgebungsverfahren beschäftigen müssen.

    (Dreßler [SPD]: Massive Kritik an der Bundesregierung! Ihr lebt euch völlig auseinander! )

    — Keine Sorge, Herr Dreßler; machen Sie sich keine Sorgen. Dies werden wir in großem Einvernehmen über die Runden bringen.
    Ich komme zu einer abschließenden Gesamtbewertung: Wir begrüßen dieses Gesetz. Wir begrüßen es, daß insbesondere die Tarifpartner Zuständigkeiten bekommen, die sie bisher nicht hatten und die sie hoffentlich demnächst nutzen werden. Dieses Gesetz ist im wesentlichen ein Arbeitsschutzgesetz und kann kein Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein.

    (Dreßler [SPD]: Weil ihr es nicht wollt!)

    Viele Bürger glauben, mit der Herabsetzung der Regelarbeitszeit auf 40 Wochenstunden würden automatisch Arbeitsplätze gewonnen. Dabei muß man wissen, daß 99% aller Arbeitnehmer bereits 40 Stunden und weniger arbeiten.

    (Dreßler [SPD]: Sie distanzieren sich also vom Präsidenten der Bundesanstalt!)

    — Nein, vom Deutschen Gewerkschaftsbund. — Jetzt kommt es, Herr Dreßler.
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund — damit komme ich auf den 48seitigen Negativkatalog des DGB — traut sich und seinen Gewerkschaften sowie den Tarifpartnern offensichtlich wenig zu. Sie sollten doch einmal im Überstundenbericht nachlesen, wieviel Tarifvereinbarungen es inzwischen gerade in dem Bereich der Überstunden gibt. Wir sind nicht bereit, den dirigistischen Vorstellungen des DGB zu folgen.
    Sehr geehrter Herr Minister Dr. Blüm, der Gesetzentwurf ist lang, vielleicht zu lang. Sie machen zu Recht darauf aufmerksam, daß mit diesem Gesetz sieben Gesetze und 22 Verordnungen außer Kraft gesetzt werden. Berücksichtigt man jedoch, daß es im Bereich des Arbeitsrechtes noch viele Gesetze zu beachten gibt — mich stört hier insbesondere die viel zu umfangreiche und kaum handhabbare Arbeitsstättenverordnung —, dann sollte es unser gemeinsames Ziel der Gesetzesberatung sein, dieses Gesetz kürzer und einfacher zu machen.
    Brauchen wir wirklich den § 11? Damit mich niemand mißversteht: Auch ich will wirklich nicht Frauen, die unter Tage im Bergbau, in Kokereien oder an Hochöfen arbeiten müssen. Aber ist denn dies bei uns überhaupt noch denkbar? Ich meine: nein.
    Wenn der § 11 jedoch bleiben muß, dann müßte er um weitere Arbeiten ergänzt werden, die Frauen aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls nicht ausüben sollten.
    Bevor ich zum Schluß komme, meine Damen und Herren, noch einige Anmerkungen zu den hier zur



    Louven
    Beratung anstehenden Gesetzentwürfen zum Arbeitszeitrecht der SPD und der GRÜNEN: Meine Damen und Herren von der SPD, es blieb mir, der Ihren Gesetzentwurf erst seit Dienstag vorliegen hat, nicht die Zeit, ihn gründlich durchzuarbeiten. Ich habe jedoch den Eindruck, daß Ihr jetziger Entwurf bei Mehrarbeit noch starrer, noch restriktiver ist als Ihr Entwurf der letzten Legislaturperiode. Im Interesse unserer vielen Klein- und Mittelbetriebe lehnen wir daher Ihren Entwurf im wesentlichen ab.
    Nur einen Satz zum Entwurf der GRÜNEN: Wer diesen Gesetzentwurf liest, muß den Eindruck gewinnen, daß es Ihnen am liebsten gewesen wäre, Arbeit generell zu verbieten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Quatsch! — Schily [GRÜNE]: Wie bitte? Sagen Sie das noch einmal!)

    — Am liebsten generell zu verbieten, Herr Schily, wenn Sie mich nicht verstanden haben. — Wir kommen in der Ausschußberatung darauf zurück. Dann wird Ihnen einmal vorzutragen sein, was die ganzen Paragraphen, die Sie hineingeschrieben haben, für die Arbeitswelt bedeuten.

    (Schily [GRÜNE]: Das ist ja ein Horrorbild!)

    Meine Damen und Herren, es wird nötig sein, zu diesem Gesetzentwurf eine Anhörung durchzuführen. Mit Verbänden, Organisationen und Kirchen muß dieser Entwurf sachlich und gründlich erörtert werden. Wir sind dazu bereit. Wir stimmen einer Überweisung zu.
    Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Heyenn [SPD]: Das war eine ganz kleine Brücke, Herr Kollege!)