Rede von
Gerhart Rudolf
Baum
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren!
— Wissen Sie, es ist wirklich unfair, eine Rede zu qualifizieren, bevor Sie sie gehört haben.
— Ja, gut.
Mit den neuen Informationen hat der Fall Transnuklear eine völlig neue Dimension bekommen. Es ist jetzt nicht nur ein Skandal Transnuklear, sondern ein Skandal Nukem, der ganze Teile der deutschen Atomwirtschaft umfaßt. Das Vertrauen in die zuverlässig kontrollierte Nutzung der friedlichen Kernenergie ist stärker erschüttert als je zuvor. Es wird schwer sein, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Neue Informationen haben zwar mehr Aufklärung gebracht, als wir sie noch am Mittwoch hatten, sie haben aber gleichzeitig gezeigt, daß uns vieles noch nicht bekannt ist. Es muß die ganze Wahrheit auf den Tisch. Wir vermuten, daß es sich hier nur um die Spitze eines Eisbergs handelt.
Ich habe in der Debatte am Mittwoch nach der Rolle der Firma Nukem vom Jahre 1985 gefragt. Wir haben jetzt einige Informationen bekommen. Die Informationen aber sind längst nicht befriedigend. Es steht fest, daß diese Firma jahrelang Vertrauensbrüche gegenüber den Aufsichtsbehörden und gegenüber der Öffentlichkeit zu verantworten hat und daß mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten begangen wurden.
Umweltminister Töpfer hat zu Recht, wie auch von uns gefordert, die Betriebserlaubnis für Nukem entzogen. Es ist aber ganz und gar unbegründet, der hessischen Landesregierung oder dem Umweltminister hier eine Täuschungsabsicht vorzuwerfen. Die hessische Landesregierung hat aufgeklärt und hat gestern ihren Landtag informiert.
Umweltminister Töpfer hat uns immer alles gesagt, was er gewußt hat,
und alle notwendigen Konsequenzen gezogen.
Sie, Herr Hauff, stehen mit diesen Vorwürfen in der Öffentlichkeit völlig allein. Sie hätten es so wohl gerne; aber so ist es nicht.
Wir müssen jetzt die gesamten Tätigkeiten und Verflechtungen dieser Firmen durchleuchten. Es gibt z. B. über zehn Beteiligungsgesellschaften, auch internationaler Art, der Transnuklear. Der ganze Bereich muß strukturell, personell und organisatorisch neu geordnet werden. Auf der bisherigen Basis, meine Damen und Herren, ist nichts mehr zu machen.
Es müssen vom Bund her rechtliche Konsequenzen gezogen werden. Ich halte die Änderung des Atomgesetzes für unabweislich. Auch die Kontrolle und die Aufsicht durch den Bund sind zu verstärken. Dieses Bundesamt für kerntechnische Sicherheit ist unser Vorschlag. Das Kabinett hat grundsätzlich zugestimmt. Ich erwarte in der nächsten Woche eine förmliche Entscheidung des Bundeskabinetts in dieser Sache.
Wir gehen davon aus, daß der Kreis der Verantwortlichen wesentlich größer ist, als bisher angenommen. Die immer noch nicht aufgeklärten Schmiergeldzahlungen und die Selbstmorde haben offenbar einen ernsteren, alarmierenderen Hintergrund, als wir bisher angenommen haben. Es ist richtig, Herr Wallmann, hier ist nach der Verantwortung der Eigentümerfirmen und aller Aufsichtsgremien dieser Firmen zu fragen.
Sie haben richtig gehandelt.
Es fragt sich auch, ob der bisherige KernbrennstoffKreislauf nicht mit Risiken befrachtet ist, die auf Dauer nicht beherrschbar sind.
Ich weiß, welche Konsequenzen diese Frage haben könnte. Ich bekräftige die Position meiner Partei, die jetzt vom Sachverständigenrat für Umweltfragen erneut bestätigt worden ist, den Weg einer direkten Endlagerung weiterzuverfolgen und ihn offenzuhalten.
Meine Damen und Herren, wir haben hier über den ungeheuren Verdacht gesprochen, daß möglicherweise unter Beteiligung von Deutschen spaltbares Material an Drittstaaten gegangen sein könnte. Ich würde das für einen bisher nie dagewesenen Vorgang mit unabsehbaren, auch außenpolitischen Folgen hal-
3732 Deutscher Bundestag — 1 i Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1988
Baum
ten. Jedem noch so geringen Verdacht muß nachgegangen werden.
Ich habe nicht zu kritisieren, was hier der Bundesumweltminister und Herr Wallmann angekündigt und in die Wege geleitet haben. Wir werden dann über die Fakten sprechen.
Wenn es sich als wahr erweisen sollte, wird auch darauf zu achten sein, daß die Firma Transnuklear nicht nur ein Transporteur war, sondern ein Entsorger, der in Mol durch eigenes Personal mit entsorgt hat.
Wir fordern die unverzügliche Einschaltung der Internationalen Atomenergieagentur; von Euratom ist hier auch zu reden.
Meine Damen und Herren, die Konsequenzen können möglicherweise darüber hinausgehen. Wir haben von Gasbildung in anderen Fässern gehört, die eine Endlagerung gefährden könnten. Wir müssen uns fragen, welche Gefährdungen sich aus den Naßveraschungen ergeben könnten, die nach deutschen Verfahren in Belgien durchgeführt worden sind. Bisher gibt es dafür keine Anhaltspunkte.
Die Konsequenzen, das ist heute sicher, werden aber über die bloße Bewältigung des Skandals im engeren Sinne hinausgehen müssen. Neben der Notwendigkeit einer rückhaltlosen Aufklärung und einer Verstärkung von Kontrolle und Aufsicht, einer Beseitigung der zersplitterten Zuständigkeiten und einer Verbesserung der Kooperation aller Beteiligten, neben der notwendigen Neuordnung dieses ganzen Bereichs in personeller, organisatorischer und struktureller Hinsicht stellen sich grundsätzliche Fragen nach dem Stand der Entsorgung und der Zukunft der Kernenergie selbst. Entsorgung muß erfolgen. Selbst wenn wir heute auf Kernenergie verzichten würden, ergibt sich für alle die politische Verantwortung tragen, eine Entsorgungsverantwortung.
Es hat hierbei Fortschritte gegeben — das haben wir gehört — , aber auch Rückschläge und Verzögerungen, und es gibt weitere Risiken. Ich ermuntere die Bundesregierung, uns wie bisher auch über diese Risiken zu informieren.
Meine Damen und Herren, wir werden aus diesen Vorgängen heraus Konsequenzen für dieses Entsorgungskonzept zu entwickeln haben. Bei seiner Ausfüllung und Ausführung muß es auf eine neue Grundlage gestellt werden, zumindest, Herr Töpfer, was die mittel- und schwachaktiven Abfälle angeht.
Dieser Fall macht erneut mit Nachdruck deutlich, daß die Kernenergie — ich wiederhole meine Worte von Mittwoch — nicht die letzte Antwort auf die Energieprobleme sein kann und sein darf. Sie ist Übergangsenergie und darf über den bisherigen Ausbaustand nicht hinausgehen. Es stellt sich die Frage, wann und wie der Übergang beginnen kann und wie wir ihn weiter beschleunigen können.