Rede von
Lieselotte
Wollny
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Ich möchte zu Anfang sagen, daß mich die Kollegin Brahmst-Rock, die leider krank geworden ist, gebeten hat, ihre Rede hier zu verlesen.
— Ich konnte sie in der Zwischenzeit nicht auswendig lernen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fleißarbeit oder Torschlußpanik? Das ist in der Tat die erste Frage, die sich mir bei der Antragsflut der SPD-Fraktion gestellt hat. Taktisch mag es klug sein, jeden einzelnen Punkt von dieser Wende-Mehrheit im Parlament ablehnen zu lassen. Aber inhaltlich wird doch eine Tendenz deutlich, die ich einmal als typisch sozialdemokratisch bezeichnen möchte: Alles Heil wird in der technokratischen und technischen Lösung der Probleme gesucht, und der Mensch bleibt auf der Straße.
Streß, Termindruck und Isolation der Fahrer bleiben bestehen, aber die Fahrer sollen mit Hilfe von Gesundheitsuntersuchungen ausgefiltert werden. Und dann?
Meine Damen und Herren von der SPD, wie Sie sich das vorgestellt haben, bleibt mir ein Rätsel. Sie tragen mit solchen Anträgen nicht zur Sicherheit bei, sondern zur sozialen Isolation der Fahrer.
Zweifelsohne sind die meisten Ihrer Anträge erste richtige Schritte zur Verbesserung der Lage der Fahrer. Doch gehen Sie an den wirklichen Problemen im Fuhrgewerbe konsequent vorbei. Es ist an der Zeit, anzuerkennen, daß die Lkw-Fahrer heute in Zeiten der „just-in-time-production" genauso Industriearbeiter sind wie alle anderen Kollegen an den Werkbänken. Die Straßen sind längst zum 1 000-KilometerFließband geworden, nur mit dem feinen Unterschied, daß durch die Isolation der Fahrer eine Interessenvertretung so gut wie unmöglich ist.
Die Bestrebungen, Lkw-Fahrer per EG-Verordnung aus der allgemeinen Arbeitszeitordnung herauszubrechen, machen deutlich, wohin die Reise weiter gehen soll. Anstatt vernünftige Betriebsgrößen zwingend vorzuschreiben, wird immer mehr auf das Subunternehmertum gesetzt: jeder Fahrer als freier Unternehmer, rechtlos und ausbeutbar — auf Kosten unser aller Sicherheit.
Es ist ein Skandal, daß die Bundesregierung, immer wenn es brenzlig wird, auf kommende EG-Verordnungen verweist. Wir legen damit in diesem Falle tarifvertragliche Rechte in die Hände eines kurfürstlichen Gremiums von 12 EG-Ministern, die auf EG-Ebene keinerlei parlamentarischer Kontrolle unterliegen — ein einfacher Weg auch für die Bundesregierung, auch dieses Parlament zu umgehen und auf dem Weg über Brüssel sogar Tarifverträge auszuhöhlen.
Auf all diese Probleme gehen die scheinbar noch im Feuerschein der Herborner Flammen gezimmerten SPD-Anträge nicht ein. Hinzu kommt, daß sie größtenteils nicht auf ihre Durchführbarkeit hin durchdacht sind. Nehmen wir das Beispiel Verbot von Gefahrguttransporten durch Wohngebiete. Meine Damen und Herren von der SPD, wie stellen Sie sich denn die Belieferung von Wohnhäusern und Tankstellen mit Brennstoffen vor? In handlichen Zehn-Liter-Handkanistern?
Wir gehen den Weg, der hier vorgezeigt wird, nicht mit. Wir werden weder Antragsfluten produzieren, die geschäftiges Handeln vorgaukeln sollen, noch werden wir in eine rein technokratische Debatte einsteigen. Wir werden nach der Beantwortung unserer Großen Anfrage zu Gefahrguttransporten
mit den dann vorliegenden Erkenntnissen darangehen, Sie mit den Ursachen der Misere zu konfrontieren. Das Herumdoktern an Symptomen hilft nicht weiter.
Danke schön.