Rede von
Dr.
Hildegard
Hamm-Brücher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Überfall sowjetischer Truppen auf Afghanistan, seit der Besetzung und der grausamen Kämpfe sind fast acht Jahre vergangen. Fast die Hälfte der leidgeprüften Bevölkerung Afghanistans ist geflohen, tot, verwundet, entwurzelt. Ich habe die Protokolle des Bundestages, die Debatten der letzten acht Jahre, noch einmal nachgelesen, und es ist sehr erfreulich, festzustellen, daß dies durchweg Dokumente eines zähen gemeinsamen Engagements aller Bundestagsfraktionen sind. Herr Kollege Todenhöfer, ich möchte ausdrücklich unterstreichen, daß sich aus allen Fraktionen Kolleginnen und Kollegen um die humanitären Probleme der Opfer dieses Bürgerkrieges, dieses schrecklichen Besatzerkrieges, vor allem der Kinder, angenommen haben.
Ich finde, daß es wichtig ist, daran zu erinnern und zu danken. Ich gucke Herrn Bindig an; wir sitzen zusammen im Vorstand einer Afghanistan-Organisation. Der ehemalige Kollege Neumann hat sich ganz große Verdienste um die humanitäre Hilfe für Afghanistan-Flüchtlinge erworben.
Bei uns war es Frau Adam-Schwaetzer, und jetzt ist es
unsere neue Kollegin Uta Würfel. Ich meine, es ist
schon wichtig, hier, Herr Kollege Todenhöfer, bitte
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987 3573
Frau Dr. Hamm-Brücher
nicht so zu tun, als sei dieses Engagement nur einem einzigen Kollegen zugute zu halten.
— Doch. Ich habe Sie so verstanden, daß Sie ungefähr gesagt haben: Niemand tut etwas, die westlichen Politiker schweigen.
Der Deutsche Bundestag hat jedenfalls in diesen acht Jahren nicht geschwiegen.
Wir haben mit Ihrer Hilfe und Unterstützung überfraktionell eine wichtige, eine bahnbrechende Anhörung zu den Problemen durchgeführt, und ich glaube nicht, daß es richtig ist, auf andere mit Fingern zu zeigen — vielleicht habe ich Sie auch falsch verstanden — —
— Das wollte er nicht. Ich akzeptiere das.
Ich wollte sagen, daß gerade die Gemeinsamkeit, Herr Kollege Repnik, die Stärke unseres Engagements hier im Deutschen Bundestag war.
— Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich ihn falsch verstanden habe. Aber so ist es nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen Kollegen hier angekommen.
Ich wollte nur noch einmal erwähnen, daß es auch andere waren, die das getan haben. Denn ohne dieses Engagement, Herr Kollege Todenhöfer, ohne die unermüdlichen Bemühungen in den Vereinten Nationen, in der UN-Menschenrechtskommission — Stichwort: Ermacora — , ohne die regelmäßigen Besuche in Flüchtlingslagern wäre das Schicksal Afghanistans, glaube ich, längst besiegelt worden. Dazu, daß dies nicht geschehen ist, hat der Deutsche Bundestag mit seinen Entschließungen und mit seinem Engagement sein Scherflein ebenso beigetragen wie die Bundesregierung, die in den Vereinten Nationen unermüdlich tätig war.
Nachdem seit unserer letzten Debatte nun eineinhalb Jahre vergangen sind, muß man doch, Herr Kollege Todenhöfer, wenigstens sehen: Der Durchbruch ist nicht erzielt, der Friedenswille der Sowjetunion ist noch lange nicht unter Beweis gestellt. Aber dennoch zeigen sich einige — wenn auch noch verschwommene — Silberstreifen; Herr Kollege Bindig hat einige davon auch erwähnt.
Wir werden sehen, was aus den Washingtoner Gesprächen an Fortschritten schließlich herauskommen wird. Wir können die Sowjetunion nur auffordern
— und hoffen, daß sie es tut — , mit dem Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan nun so bald wie möglich zu
beginnen und ihn so schnell wie möglich — vielleicht in kürzerer Zeit als in 12 Monaten — zu beenden.
Wir blicken aber auch auf die Genfer Vermittlungsgespräche des stellvertretenden UN-Generalsekretärs, die wohl im Februar fortgesetzt werden sollen. Wir hoffen, daß auch auf dieser Ebene der indirekten Gespräche weiter Fortschritte erzielt werden können.
Wir sind auch erleichtert, daß das Internationale Rote Kreuz endlich wieder nach Afghanistan einreisen kann. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Hilfe für die notleidende Bevölkerung, der Zivilbevölkerung, die ja nun die Leidtragende dieser schrecklichen, grausamen kriegerischen Auseinandersetzungen ist.
Wir hoffen auch, daß die Menschenrechtskommission der UN unter Leitung des Österreichers Ermacora wieder einreisen kann. Denn dieser Kommission haben wir es zu verdanken, daß wir vor einigen Jahren erstmals einen Bericht über die grauenhaften Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan bekommen haben.
Wir als Freie Demokratische Partei hoffen dann endlich auf Fortschritte bei der Lösung des Afghanistan-Problems mit folgenden Zielen: Abzug aller sowjetischen Truppen und Zustimmung der Sowjetunion zu einer politischen Lösung. Ich glaube, wir müssen hier auch die islamischen Staaten und die Gruppe der Blockfreien nennen, die sich in den letzten Jahren für den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan immer wieder sehr nachdrücklich eingesetzt haben.
Wir unterstützen nachdrücklich die vier Forderungen aus der letzten UN-Resolution — Herr Bindig hat gesagt, daß der Anteil an Zustimmung von Jahr zu Jahr gewachsen ist und daß der Prestigeverlust der Sowjetunion gegenüber den Ländern der Dritten Welt in all den Jahren ungeheuer zugenommen hat — : Rückzug, Wiederherstellung der Unabhängigkeit Afghanistans mit dem Status eines neutralen und blockfreien Landes, Rückkehr der Millionen afghanischer Flüchtlinge in Ehren und in Sicherheit — das möchte ich ausdrücklich betonen. Es bedarf vieler Geduld und sehr vieler Hilfe, um diese Millionen entwurzelter Menschen, die man in den Flüchtlingslagern sieht, in ihrer eigentlichen Heimat überhaupt wieder heimisch machen zu können — und schließlich und vor allem die Selbstbestimmung des afghanischen Volkes. Es ist tatsächlich angebracht, Herr Kollege Bindig, hier doch einige besorgte Worte zu diesem weiteren Prozeß zu sagen.
Wie wird sich der Übergang zur eigenen Souveränität vollziehen können? Welche Sicherheiten müssen die Vereinten Nationen dort zweifellos bieten, damit es nicht zu einem bürgerkriegsähnlichen Massaker unter den verschiedenen Gruppen der Widerstandskämpfer kommt, die sich ja gottlob geeinigt haben und seit einigen Jahren zusammenarbeiten? Aber wenn der Konsens einmal beendet wird, dann besteht doch die Gefahr, daß diese Allianz in frühere Rivalitäten und Feindschaften zurückfällt. Deshalb ist es so wichtig, daß es nach dem Abzug der sowjetischen Truppen keinesfalls eine Politik des „Alles oder
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nichts" der Widerstandsgruppen geben darf — ich unterstütze, was Sie gesagt haben, Herr Bindig — und daß es zu einer nationalen Aussöhnung in diesem leidgeprüften Land kommen muß. Dazu müssen wahrscheinlich auch wir einen entscheidenden Beitrag leisten. Aber bis dahin ist es ein weiter, ein sehr weiter Weg. Da gebe ich Herrn Kollegen Todenhöfer völlig recht. Bis die blutende Wunde Afghanistans endlich geschlossen und verheilt sein wird, werden sicher Jahrzehnte ins Land ziehen.
Wir hoffen am Ende dieses Jahres, das doch einige Ängste von uns genommen und einige Fortschritte in der Friedenssicherung in der Welt gebracht hat, daß auch dieses wohl schlimmste Kapitel von Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen in den letzten Jahrzehnten nun abgeschlossen werden wird.
Der Deutsche Bundestag wird wie bisher mit großer Aufmerksamkeit diese Entwicklung verfolgen und alles tun, um von diesem Haus aus zur Unterstützung einer friedlichen Beendigung des Krieges, einer Aussöhnung und endlich auch wieder menschenwürdiger Verhältnisse in diesem Land unseren Beitrag zu leisten.
Vielen Dank.