Rede von
Dr.
Jürgen
Todenhöfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als am 27. Dezember 1979 die sowjetische Armee Afghanistan überfiel, begann einer der blutigsten und erbarmungslosesten Ausrottungs- und Vertreibungskriege nach dem Zweiten Weltkrieg. Nirgendwo auf der Welt wurde häufiger und brutaler gefoltert als in Afghanistan; nirgendwo wurde der Krieg gezielter gegen die Zivilbevölkerung geführt, und nirgendwo gab es einen vergleichbaren Krieg gegen Kinder wie in Afghanistan.
Daran hat sich auch nach der Machtübernahme durch Generalsekretär Michail Gorbatschow nichts geändert. Während Gorbatschow täglich von Frieden redet, führt er einen immer brutaler werdenden Krieg in Afghanistan. Seit zwei Jahren kündigt er immer wieder den unmittelbaren bevorstehenden Abzug der sowjetischen Invasionstruppen aus Afghanistan an. Die Menschen in Afghanistan jedoch sterben weiter auf seinen Befehl hin unter dem Bombenhagel sowjetischer Luftangriffe. Solange sich daran nichts ändert, ist Michail Gorbatschow kein Mann des Friedens, sondern ein Mann des Krieges.
Gorbatschow hat beim Gipfeltreffen in Washington in seiner Rede nach der Unterzeichnung des INF-Abkommens wörtlich erklärt: „Die Menschen wollen in einer Welt leben, in der jeder das Recht auf Leben, Freiheit und Glück genießt." So Gorbatschow in Washington vor zwei Tagen. Aber niemand hat dieses Recht des afghanischen Volkes in den vergangenen Jahren so sehr mit Füßen getreten wie die sowjetische Führung unter Gorbatschow.
Auch nach dem Gipfeltreffen in Washington läßt Gorbatschow in Afghanistan weiter töten. Daran ändern auch seine vagen Ankündigungen bei diesem Gipfeltreffen nichts. Meine Damen und Herren, von Frieden zu reden, reicht nicht; Frieden muß man praktizieren. Den Worten vom Truppenabzug aus Afghanistan müssen jetzt endlich Taten folgen.
Die Sowjetunion setzt in Afghanistan u. a. gegen Kinder gezielt sogenannte Schmetterlingsbomben ein, die wegen ihrer geringen Größe und wegen ihres langsamen Herabschwebens vom Himmel von den Kindern als Spielzeuge angesehen werden. Diese Spielzeugbomben explodieren nicht beim Aufschlagen, sondern erst, wenn man sie berührt oder mit ihnen herumspielt. Tausenden afghanischer Kinder wurden durch diese Schmetterlingsbomben, die sie strahlend und fröhlich aufsammeln wollten, die Beine abgerissen und die Arme zerfetzt. Sie wurden zu Krüppeln.
Dieser sowjetische Krieg gegen Kinder ist eine Schande im doppelten Sinne: eine Schande für die sowjetische Führung, die in großem Maßstab bewußt und gewollt afghanische Kinder ermorden und verstümmeln läßt, um die afghanische Bevölkerung und ihre Widerstandskraft zu demoralisieren, aber auch eine Schande für viele westliche Politiker, die schweigend, desinteressiert und untätig diesem Krieg gegen Kinder in Afghanistan zusehen.
Die „Afghanistan-Nothilfe" in Mönchengladbach hat sich dieser Kinder in besonders anerkennenswerter Weise angenommen. Sie hat in der Zeit von März 1986 bis heute 56 schwerverletzte Kinder in deutschen Krankenhäusern untergebracht, versorgen lassen und betreut. Ich möchte Ihnen von diesen 56 Kindern stellvertretend für die vielen tausend afghanischen Kinder, die von sowjetischen Schmetterlingsbomben verstümmelt wurden, einige kurz vorstellen; sie sind teilweise erst vor sieben Wochen, am 23. Oktober 1987, zu uns in die Bundesrepublik Deutschland gebracht worden:
Den Jungen Ismael, acht Jahre alt, Kniegelenk-Amputation und Amputation der rechten und linken Hand; Ursache: Spielzeugbomben; den Jungen Hayatullah, zehn Jahre alt, Amputation des rechten Schulterarmgelenkes ; Ursache : Spielzeugbomben; den Jungen Hayat Khan, neun Jahre alt, Amputation beider Hände; Ursache: Spielzeugbomben; den Jungen Bas Mohammad, elf Jahre alt, Amputation beider Oberschenkel; Ursache: Spielzeugbomben; das Mädchen Sabera, vier Jahre alt, Napalmverbrennungen, Verkrüppelung des linken Beines, Erblindung beider Augen; Ursache: Napalmbomben; das Mädchen Scharifa, neun Jahre alt, Amputation des rechten Fußes; Ursache: Spielzeugbomben; den Jungen Zahir Khan, zehn Jahre alt, Amputation beider Füße; Ursache: Spielzeugbomben; den Jungen Shir Ahmad, elf Jahre alt; Amputation beider Arme; Ursache: Spielzeugbomben; den Jungen Rafiullah, vier Jahre alt, Beckenbeinamputation links; Ursache: Spielzeugbomben; und schließlich Mohammad Quassem, ganze drei Jahre alt, beidseitige Unterschenkelamputation; Ursache: Spielzeugbomben; usw., usw.
Die Krankenhäuser in Peshawar, die Krankenhäuser in Pakistan sind voll mit diesen verstümmelten
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987 3571
Dr. Todenhöfer
Kindern. Sie sind heute genauso voll wie vor zwei Jahren, vor vier Jahren, vor sechs Jahren. Alle diese Kinder, deren Namen ich eben genannt habe und die die Afghanistan-Nothilfe in deutschen Krankenhäusern untergebracht hat, wurden nach dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow zu Krüppeln gemacht.
Meine Damen und Herren, dies hier in meiner Hand sind die Schmetterlingsbomben, mit denen die Sowjetunion ihren Krieg gegen afghanische Kinder führt. Ich gestehe Ihnen, daß ich keine Worte habe, um den sowjetischen Krieg gegen die afghanischen Kinder ausreichend zu charakterisieren. Ich habe nur die Bitte, den Appell und die dringende Aufforderung an Generalsekretär Gorbatschow: „Rüsten Sie endlich Ihre Spielzeugbomben ab, beenden sie Ihren mörderischen Krieg gegen die afghanischen Kinder, und ziehen Sie unverzüglich und bedingungslos Ihre Truppen aus Afghanistan zurück!
Auch die Menschen, auch die Kinder in Afghanistan haben ein Recht auf Frieden. "
Ich danke Ihnen.