Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Dies ist die Stunde der Heuchler" .
So schrieb das „Handelsblatt" am vergangenen Montag in seinem Kommentar über die Vorgänge in Duisburg-Rheinhausen. In der Tat, meine Damen und Herren, ohne daß irgendeiner der auftretenden Redner irgendeine Legitimation und irgendeine Verantwortung hätte, hagelt es Zusicherungen an die Stahlarbeiter in Rheinhausen: „Wir verhindern die Schließung." Keiner, der so redet, bringt Aufträge mit, keiner deckt entstehende Verluste. Es geht um Stimmenfang, um Stimmungsmache, nicht zuletzt gegen die Bundesregierung.
Die Sorge und Not der betroffenen Stahlarbeiter wird als Vehikel dafür gnadenlos mißbraucht.
Keiner denkt an die zwangsläufig eintretende weitere Verbitterung, an die Enttäuschung all derer, denen da Lösungen vorgegaukelt werden, die nicht erreichbar sind.
Herr Einert, wenn Sie sagen, Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre sollten die Wahrheit sagen, frage ich Sie: Warum sagen Sie und Ihre Kollegen den Stahlarbeitern in Rheinhausen nicht die Wahrheit? Ist es wahr, daß alle drei Stahlwerke in Duisburg nur zu 50 % ausgelastet sind? Ist es wahr, daß dieser Zustand, wenn er nicht geändert wird, alle drei Stahlwerke in die Pleite treiben muß? Ist es wahr, daß das Treibenlassen die Arbeitsplätze auch in Huckingen und in Ruhrort beseitigen wird? Ist es wahr, daß am Stahlstandort Duisburg auch nach Schließung der Hütte Rheinhausen keine Tonne Stahl weniger produziert wird als vorher? Ist es wahr, daß keine Regierung einen Stahlstandort garantieren kann, erst recht nicht in einem Ortsteil?
Wenn aber das alles wahr ist, warum sagen diejenigen, die öffentliche Verantwortung tragen, dies nicht den betroffenen Stahlarbeitern?
Da fährt Frau Fuchs, die Bundesgeschäftsführerin der SPD, nach Rheinhausen und wiederholt die hier schon diskutierte Unwahrheit, unter der Regierung Helmut Schmidt sei niemals ein ganzes Stahlwerk geschlossen worden. Die Wahrheit ist, daß Ende 1978 Neunkirchen an der Saar mit rund 5 000 Arbeitsplätzen gänzlich geschlossen wurde.
Herr Einert, da preist Ihr Kollege, der Wirtschaftsminister Jochimsen, eine nationale Stahl-AG als Patentrezept an. Herr Steinkühler fordert die Vergesellschaftung. Das alles hatten wir schon 1980. Damals hat die Bundesregierung Helmut Schmidt richtig erkannt und erklärt, ein solcher Vorschlag stelle keine Lösung dar, Sozialisierung bringe keine Auftragstonne Stahl mehr.
Meine Damen und Herren von der SPD, es wäre leicht, Ihnen an Hand der damaligen Vorgänge nachzuweisen, wie sich Ihre Sachpositionen mit dem Wechsel in die Opposition inhaltlich verändert haben. Was Sie 1980 für richtig und notwendig hielten, halten Sie heute für falsch.
Meine Damen und Herren, das alles führt doch zu gar nichts. Sie wissen wie wir, daß die fortschreitende internationale Arbeitsteilung neue Stahlproduzenten in der Dritten Welt geschaffen hat. Die produzieren nicht selten auf Anlagen, die in Duisburg hergestellt worden sind. Auch das wissen Sie. Diese Produzenten exportieren nicht hierher — oder jedenfalls nicht sehr viel — , aber als Käufer für deutschen Stahl fallen sie aus, und zunehmend konkurrieren sie mit uns auf Drittmärkten. Das alles ist doch wahr!
Verbunden mit einem weltweit rückläufigen Verbrauch von Stahl,
hat diese Entwicklung dazu geführt, daß wir weltweit und eben auch in der EG viel zu hohe Kapazitäten haben. Der Zwang zum Abbau besteht seit vielen Jahren, und ebenso lange wissen wir, daß Arbeitsplätze verlorengehen.
— Warten Sie nur ab, Herr Roth, das kommt schon noch.
Deshalb wurde 1980 mit Ihrer und unserer Zustimmung die manifeste Krise ausgerufen, das Quotensystem eingeführt und der Subventionskodex verabschiedet. Es ist ja richtig, daß wir die Seuche der europäischen Stahlsubventionen nicht haben erfolgreich bekämpfen können, zu unserer gemeinsamen Zeit mit der SPD nicht und zu unserer gemeinsamen Zeit mit der CDU/CSU leider auch nicht.
Aber es grenzt doch an Verleumdung, wenn der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hier in der Aktuellen Stunde des Bundestages den Zustand damit zu erklären versuchte, daß wir uns in der Europäischen Gemeinschaft angeblich um die Großbauern und nicht um den Stahl kümmerten. Die Wahrheit ist doch — Herr Rau und Herr Einert, Sie wissen das ganz genau — : Wir haben selber subventioniert, und zwar die Maxhütte und ARBED-Saar-Stahl. Wer im Glashaus sitzt, der kann auf andere wenig erfolgreich mit Steinen werfen.
Der Bundeswirtschaftsminister, meine Damen und Herren, hat sein Bestes versucht; er hat das dargestellt. Die objektiven Schwierigkeiten, zu einstimmigen Entscheidungen im Ministerrat zu kommen, können Sie doch nicht durch einen Mehrheitsbeschluß des Deutschen Bundestages beseitigen, erst recht
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987 3559
Dr. Graf Lambsdorff
nicht durch einen Mehrheitsbeschluß der SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren, wie kann aber den Betroffenen, den Stahlarbeitern, die jetzt ihre Arbeitsplätze verlieren, geholfen werden? Dies ist doch die Frage.
Jeder von uns weiß, daß mit den Mitteln des Bundes, des Landes, der Unternehmen und der EG etwa 85 % des Nettogehalts für diejenigen gesichert sind, die aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden müssen. Erlauben Sie mir die Bemerkung, meine Damen und Herren, daß viele andere Branchen neidvoll auf die Begünstigten in dieser Zwei-Klassen-Gesellschaft von Arbeitnehmern sehen. Nur bei Kohle und Stahl gibt es derart hervorragende Bedingungen. Manch anderer Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz, beim Bau oder in der Textilindustrie verliert, kann von solchen Möglichkeiten überhaupt nur träumen.
Die Sozialpläne haben ja auch ihre negativen Folgen. Wie könnte es sonst zum zitierten Ausspruch eines Stahlarbeiters aus der Hütte Rheinhausen kommen : „Ich gehe nicht über den Rhein?" Das heißt, daß er nicht bereit ist, den Weg nach Ruhrort zu machen und einen Ersatzarbeitsplatz bei Thyssen anzutreten. Und das bei wenigen Kilometern Luftlinie. Wie könnte es sonst möglich sein, daß es einem mittelständischen Unternehmen verboten wurde, am Schwarzen Brett der Maxhütte Stellenausschreibungen aufzuhängen? Stimmt es, daß die IG Metall ihren Mitgliedern rät, lieber den Sozialplan als einen neuen Arbeitsplatz anzunehmen?
Der Bundesarbeitsminister hat hier mitgeteilt — er hat es vorher ja auch schon öffentlich getan — : Bayer bietet 500 Arbeitsplätze in Krefeld-Uerdingen an.
Entfernung Rheinhausen—Uerdingen: 8 km.
Ich bin gespannt, wie viele der am Ende entlassenen Stahlarbeiter in Rheinhausen den Sozialplan vorziehen und wie viele in Uerdingen anfangen.
— Herr Schmude, tut mir leid. Ihnen erlaube ich gerne jederzeit eine Zwischenfrage. Aber bei dieser zeitlichen Beschränkung der Redezeit, die ich bei diesem Problem für völlig unangemessen halte, kann ich Ihre Zwischenfrage nicht beantworten.
Noch wichtiger, meine Damen und Herren, als die soziale Absicherung ist doch die Frage nach den Ersatzarbeitsplätzen. Sie kennen die jüdische Lebensweisheit: Mit etwas Geld weint es sich leichter. Aber geweint wird eben doch. Es geht nicht nur um das Geld. Für die meisten unserer Mitbürger ist Arbeit Selbstbestätigung, gehört sie doch zur Sinnerfüllung des Lebens.
Immer wieder erschallt der Ruf, die betroffenen Stahlunternehmen seien verpflichtet, Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. In welcher Wirtschaftsordnung steht eigentlich geschrieben, daß jemand Arbeitsplätze zur Verfügung stellen muß, auch wenn sie sich für ihn wirtschaftlich nicht rechnen? Investitionen auch für Arbeitsplätze bleiben immer ein unternehmerischer Entschluß und bleiben immer das Eingehen eines Risikos. Eine Gesetzespflicht dafür gibt es nicht. Es gibt ja auch keine Haftung des Gesetzgebers für fehlgegangene Investitionen. Die kann es doch auch nicht geben.
Hier, Herr Einert, ist nun ein Problem, das Ihre Landesregierung angeht. Wir wissen seit langem, daß das gesamtwirtschaftliche Klima für die Auswahl von Investitionsstandorten von großer Bedeutung ist. Sehen Sie sich einmal unter diesem Aspekt an, was in diesen Tagen in Rheinhausen passiert. Das verdirbt auf lange Zeit hin den Industriestandort Duisburg-Rheinhausen, obwohl er doch aus vielen wirtschaftlichen Gründen positiv zu sehen ist. Die Rheinschiene bleibt ein guter Stahlstandort.
Es mag sehr erheiternd sein, Herr Roth, Fernsehaufnahmen und Zeitungsbilder von Arbeitnehmern zu sehen, die Aufsichtsratsbüros gestürmt haben. Aber ein Anreiz für künftige Investoren, in diese Gegend zu gehen, ist es eben nicht.
Es mag, meine Damen und Herren, sehr verständlich sein, wenn Brücken und Städte lahmgelegt werden; Verständnis kann man für vieles haben. Aber Investoren zieht man damit nicht an, schon gar nicht, Herr Einert, wenn sie im Rundfunk hören müssen, daß ein Reporter auf seine Anfrage bei der Polizei die Mitteilung bekommt, man habe von oben den Wink erhalten, das Sperren der Brücken nicht zu behindern. Wenn auf Demonstrationen Plakate mit der Aufschrift gezeigt werden: „Wenn Rheinhausen stirbt, dann stirbt auch Dr. Cromme", also der Vorstandsvorsitzende der Krupp-Stahl-AG, dann können Sie sich an den Knöpfen Ihres Anzuges abzählen, wie Investitionsentscheidungen für diese Landschaft ausfallen werden.
Meine Damen und Herren, was soll man dazu sagen, wenn ein Moderator des Westdeutschen Rundfunks allen Ernstes vorschlug, die Gemäldesammlung Thyssen/Bornemisza zu versteigern und den Erlös den Stahlarbeitern zur Verfügung zu stellen. Allerdings, Herr Einert, muß der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ein ziemlich abgebrühtes Gemüt haben, wenn er ausgerechnet in diesen Tagen millionenschwere Angebote zur Übernahme der Sammlung Thyssen in das Land Nordrhein-Westfalen publiziert.
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Dr. Graf Lambsdorff
Und alles dies mit der klammheimlichen Freude der Landesregierung. Diese Landesregierung schürt zur gleichen Zeit einen neuen ideologischen Schulstreit, und sie bringt es fertig, die private Hochschule aus Hagen-Herdecke nach Baden-Württemberg zu vertreiben.
Meine Damen und Herren, deren Leiter, Herr Schily — ich zitiere ihn gerne — hat den Unterschied klargemacht: Ihm sei in Baden-Württemberg ein Klima der Offenheit und Kreativität geboten worden, das es so in Düsseldorf nicht gebe. — Das eben ist es, woran der Investitionsstandort NRW leidet.
Fazit: Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wird mit ihrer Politik den Arbeitnehmern in Duisburg in puncto Ersatzarbeitsplätze nichts, aber auch gar nichts bieten können. Ihnen fällt nichts ein, als mehr Geld vom Bund zu fordern.
Für die Stahlarbeiter in Duisburg gibt es von der Landesregierung kein Geld — so Herr Posser —, aber für den Ankauf der maroden Neuen Heimat haben Sie Geld, meine Damen und Herren.
Die Freien Demokraten sind für die Unterstützung der betroffenen Region, aber nicht für die Unterstützung Ihrer verfehlten Politik. Sie verjagen investitionsbereite Unternehmen aus dem Lande.
Ein letzter Gesichtspunkt; ich muß das ganz kurz machen. Die Tarifvertragsparteien müssen sich endlich mit der Tatsache beschäftigen, daß in Oberhausen mit 20 % Arbeitslosigkeit ein mittlerer Beschäftigter der Metallindustrie im Monat effektiv mehrere hundert Mark mehr verdient als in Augsburg oder in Nürnberg. Wer, glauben Sie, geht an diesen Investitionsstandort mit diesen Personalkosten? Wir werden uns mit der Frage Investitionsstandort Bundesrepublik in Kürze sorgfältig und generell zu befassen haben. Aber es gibt auch innerhalb der Bundesrepublik gravierende Unterschiede mit schwerwiegenden Folgen für das Investitionsverhalten.
Die FDP, meine Damen und Herren, wird alles unterstützen, was den Betroffenen und ihren Familien hilft. Aber wir verlangen eine ehrliche, auch wenn sie bitter ist — und sie ist bitter —, und an den Tatsachen orientierte Analyse. Ohne sie kann es eine erfolgversprechende Therapie überhaupt nicht geben. Mit leeren Versprechungen, für die keiner von Ihnen gegenüber den Stahlarbeitern geradesteht und auch gar nicht geradestehen kann, weil Sie dazu nichts zu sagen haben und nichts bewegen können, ist es nicht getan.
— „Der Stillegungsbeschluß muß weg!" Wer schafft den Stillegungsbeschluß weg?
Sie schaffen ihn nicht weg, und kein anderer schafft ihn weg. Sie erwecken Hoffnungen und Erwartungen, die Sie nicht erfüllen können, produzieren neue Enttäuschungen, verbittern die Leute weiter, anstatt ihnen eine zukunftsorientierte Politik anzubieten. Dazu sind Sie nicht fähig.