Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987 3555
Minister Einert
bedaure natürlich, daß Sie nicht mehr anwesend sein können. Ich rüge das nicht. Sie müssen zur Kohlerunde. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie bis zum Schluß hätten hier bleiben können. Ich habe das als Mitglied des Bundesrates auch nicht zu monieren. Aber vielleicht wäre es etwas besser gewesen, wenn man den Beginn der Debatte etwas verschoben hätte, um diese wichtige Debatte auch in Anwesenheit der Bundesregierung führen zu können.
Aber das ist nicht mein Bier; ich habe das nicht zu rügen.
— Hören Sie vielleicht erst einmal ein bißchen zu, wenn ich etwas sage. Wir haben uns vorhin auch Ihre Unmöglichkeiten angehört.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wünschte mir schon, der Kollege Bangemann würde bei dem, was der Kollege Blüm hier ausgeführt hat, die Ohren nicht nur auf Durchzug schalten, sondern er würde sich vielleicht auch eine Scheibe davon abschneiden. Dann wären wir in dieser zum Teil unglücklichen Debatte ein Stückchen weiter,
denn der Appell an Gemeinsamkeiten und gegenseitige Unterstützung kann ja nicht nur einseitig sein, sondern er muß auch für die Bundesregierung und für die Koalitionsfraktionen insgesamt gelten. Es kann sich hier nicht einer hinstellen und auf Gemeinsamkeit machen, während der andere die Leute im Regen stehenläßt. Das ist keine Methode in einer Demokratie.
Gestern haben in den Stahlstandorten des Reviers viele zehntausend Menschen demonstriert. Die Debatte im Bundestag muß sich sicherlich über die Bedeutung dieser verständlichen Emotionen hinaus mit langfristigen Einbettungen in gesamtwirtschaftliche und gesamteuropäische Entwicklungen beschäftigen. Aber ich füge hinzu: Wenn einige beklagen, daß die Demonstrationen gestern eine andere Qualität erreicht haben, und wenn einige kritisieren, daß die Sprache — hoffentlich nicht die Sache — mehr Radikalität enthält,
dann muß ich durchaus hinzufügen: Was erwarten Sie denn wohl eigentlich? Es soll sich niemand täuschen: Das waren doch keine Aktionen, die wie ein Strohfeuer auflodern und dann schnell verlöschen. Was da geschieht und was auch mit Sicherheit weiter geschehen wird, das ist doch schon über den unmittelbaren Kreis der Betroffenen hinaus eine Bürgerbewegung, in der betroffene Menschen — Frauen und Männer — ihre Verzweiflung, ihre Empörung, ihre Wut und in
vielen Fällen auch ihre Resignation zum Ausdruck bringen.
Was die Menschen erwarten, ist, daß von Unternehmen und von der Politik wieder Ehrlichkeit, Klarheit und — ich füge hinzu — eine wirkliche Perspektive geschaffen wird. Wenn ich das erklären darf, dann meine ich damit folgendes — ich will es in aller Deutlichkeit sagen, damit Sie das gar nicht mißverstehen können— : Wenn die Vertreter der Arbeitnehmer, ihre Betriebsräte, ihre Gewerkschaften, nach langen Verhandlungen ihre Unterschrift unter eine Vereinbarung setzen, die die Reduzierung — ich sage das sehr wertneutral; man kann es auch anders formulieren — von mehr als 35 000 Arbeitsplätzen enthält — dazu gehört auch als ein Bestandteil die Zustimmung von Betriebsräten und Gewerkschaften, daß etwa am Standort Rheinhausen 2 000 Arbeitsplätze wegfallen, das berühmte Optimierungsmodell — , und, während die Tinte unter dieser Vereinbarung noch gar nicht trocken ist, durch eine Indiskretion bekannt wird, daß es nicht um 2 000, sondern um 5 000 Arbeitsplätze geht, und wenn behauptet wird, mit dieser Verabredung sei der Standort Rheinhausen auf lange Zeit gesichert, während es dann 14 Tage später heißt: Dieser Standort wird plattgemacht, um es etwas vordergründig zu sagen, dann wundern wir uns, wenn Emotionen und Radikalität in der Sprache auftauchen! Dann kritisieren Sie und alle anderen das und mokieren sich darüber. Ich sage Ihnen einmal in aller Deutlichkeit: Die Leute fühlen sich doch — jetzt sage ich es ganz unparlamentarisch, vulgär — zu Recht beschissen! Das muß man einmal so deutlich sagen, damit klar wird, was eigentlich Sache ist in dieser Frage.
Wir gehen dann sozusagen einfach zur Tagesordnung über. Und dann wird so getan, als ob eine Verabredung, deren sozialer Komponente gegenüber man ja durchaus positiv eingestellt sein kann, nach wie vor der Stein der Weisen sei.
Jetzt mache ich eine Zwischenbemerkung. Es wird dann auch gesagt: Die Landesregierung sollte doch nun ganz froh sein und sich nicht immer so anstellen. Ich füge hinzu: Für die Betroffenen kann man zu dieser Auffassung gelangen. Aber man darf eines nicht tun: Man darf in diesem Zusammenhang nicht Verträge zu Lasten Dritter schließen, nämlich die Länder, die dafür zahlen sollen, einfach nicht an den Verhandlungen beteiligen. Sie haben aus den Zeitungen zu entnehmen, daß sie dreistellige Millionenbeträge zu zahlen haben. Nach unseren rechtlichen Vorstellungen haben die Länder mit der Sozialplanfinanzierung nichts zu tun. Ich füge hinzu: Insoweit fühlen wir uns politisch erpreßt. Aber wir werden diesen Streit zwischen dem Bund und den Ländern nicht auf dem Rükken der Beteiligten und Betroffenen austragen.
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Minister Einert
In diese Position, daß wir mit dem Rücken an der Wand stehen und keine politische Alternative haben, haben nicht zuletzt Sie uns hineingebracht.
Das ist auch die Stunde der Politik. Natürlich sind in einer marktwirtschaftlich geprägten Ordnung zunächst die Unternehmen in der Pflicht, Lösungen zu suchen und zu finden.
— Ich lasse keine Zwischenfragen zu. Ihre Kollegen haben das auch nicht getan. Sie können sich ja anschließend dazu melden.
Wir werden die Unternehmen auch nicht aus ihrer gesamtwirtschaftlichen Verpflichtung entlassen.
Wir dürfen es auch nicht zulassen, daß die Diskussion ständig so geführt wird: Solange Gewinne erzielt werden, ist das der Leistungsfähigkeit und der Fähigkeit der Unternehmen zuzuschreiben, sobald aber rote Zahlen auftauchen und Arbeitsplätze wegfallen und es um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen geht, soll dann plötzlich die öffentliche Hand für alles verantwortlich sein. So geht es auch nicht.
Im Stahlbereich — und über diesen Bereich diskutieren wir heute — hat es in den letzten Jahrzehnten ja nie einen wirklichen Markt gegeben, sondern dieser Bereich ist durch politische Lenkung und Entscheidung stark beeinflußt worden. Insoweit trägt die Politik hier ein hohes Maß an Verantwortung. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen moniert seit vielen Jahren, daß die Bundesregierung ihrer Pflicht nicht nachkommt, den Subventionsabbau und die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen in diesem Bereich genauso vehement in Brüssel zu vertreten wie für andere Bereiche.
Zweitens ist die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nicht ausreichend nachgekommen, die verantwortlich handelnden Unternehmensvorstände an einen Tisch zu bekommen und sie mit sanfter oder vielleicht manchmal etwas weniger sanfter Hand zu einem gemeinsamen Konzept zu bewegen. Als vor Jahren das berühmte Moderatoren-Papier auf den Tisch kam und nicht sofort entsprechend goutiert wurde, hat man es wie eine heiße Kartoffel fallenlassen, und die Sache war für die Bundesregierung beendet. So kann man in Verantwortung nicht umgehen;
denn wir alle, meine Damen und Herren, wissen, daß die Stahlkapazitäten zu hoch sind, daß Kapazitäten und Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Das ist seit vielen Jahren bekannt.
Ich füge hinzu: Kein Mensch denkt daran, der Bundesregierung oder diesem Wirtschaftsminister etwa eine Garantie abzuverlangen, für den letzten Arbeitsplatz zu haften. Nur, sich aus der Verantwortung zu stehlen und die Verantwortung den Unternehmen und den davon betroffenen Ländern zuzuweisen, das ist kein Konzept, keine Verantwortung einer Bundesregierung.
Wer es ablehnt, eine solche Moderatoren-Rolle für die deutsche Stahlindustrie zu übernehmen, der stellt sich abseits der Verantwortung. Deshalb ist es auch unangebracht, jetzt den Schwarzen Peter nach Brüssel weiterzuschieben und ansonsten an die regionalpolitische Verantwortung der jeweils zuständigen Landesregierung zu erinnern.
Nordrhein-Westfalen braucht solche Ermahnungen nicht. Wir haben gehandelt. Wir fordern lediglich das ein, was andere in ähnlichen Situationen auch erhalten haben. Wir verlangen keine Almosen, sondern unser Recht.
Damit Sie das mal zur Kenntnis nehmen: Vor wenigen Monaten hat im Bundesrat eine Diskussion über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Hilfe für die Werftstandorte stattgefunden. Wir, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, haben das ausdrücklich begrüßt und gesagt: Wir unterstützen Hilfsmaßnahmen, wenn eine solche Region mit vielen tausend Arbeitsplätzen ohne ihr Verschulden in eine solche Strukturkrise hineinkommt. Da haben wir dann auch die gesetzgeberischen Bestimmungen einzuhalten. Der Bundesrat hat einstimmig gesagt: Dieser Grundsatz des Füreinandereinstehens und die Mechanismen unserer Verfassung gelten dann aber auch für andere Regionen. Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, daß man dann nicht so verantwortungslos daherschwätzen kann, wie das zum Teil in diesen Tagen geschieht. Ich beklage das außerordentlich.
Man kann nicht an Gemeinsamkeiten appellieren und dann, wenn es darum geht, wirklich dazu zu stehen, sich davonstehlen.
Das muß ich Ihnen auch einmal sagen: Einige Abgeordnete oder auch Mitglieder der Bundesregierung reden manchmal über das Land Nordrhein-Westfalen in einer Art von Dummschwätzerei, die offenbart, daß sie von diesem Land keine Ahnung haben.
Es wird gesagt, das Land müsse sich endlich einmal dem Strukturwandel anpassen. Ich sage Ihnen einmal, was im Laufe der letzten 20, 30 Jahre in diesem Land passiert ist. Nordrhein-Westfalen hat seit Ende der 50er Jahre rund 1 Million Arbeitsplätze im Industriebereich verloren: rund 400 000 im Bergbau, über 200 000 bei Eisen und Stahl, rund 250 000 bei Textil und Bekleidung. Dieser Strukturwandel ist notwen-
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dig, er ist richtig, und er muß so schnell wie möglich erfolgen.
— Das haben wir immer gesagt. Wir haben aber hinzugefügt: In den Zeiten, in denen es ein hohes Wachstum in anderen Branchen gibt, ist der Wandlungsprozeß relativ leicht möglich. Es hat auch früher bei Kohle Krisen gegeben. Es hat auch früher bei Stahl Krisen gegeben. Sie sind isolierter aufgetreten als gegenwärtig. Es hat noch nie eine Phase in der Entwicklung eines Landes gegeben, in der in einem so kurzen Zeitraum, nämlich in zwei, drei Jahren, mindestens 100 000 Arbeitsplätze wegfallen.
Die Verabredung geht auf 35 000, 37 000; jetzt sollen es noch mehr werden: über 40 000 bei Stahl. Wieviel werden es wohl bei Kohle werden, wenn die heutige Runde zu Ende geht? Wie hoch auch immer der Faktor für die Mantelbevölkerung sein soll: Ich glaube, Sie werden nicht bestreiten können, daß es mehr als 100 000 Arbeitsplätze sein werden, in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Wenn man nicht einsieht, daß die Bewältigung dieser Aufgabe eine große gemeinsame Kraftanstrengung hervorrufen muß, dann ist die Politik keinen Schuß Pulver wert.
Die Menschen können wir nicht befriedigen, indem der Schwarze Peter zwischen Düsseldorf, Bonn und Brüssel hin- und hergeschoben wird. So geht das nicht.
— Wir haben unsere Vorstellungen dazu entwickelt. Wir haben ähnlich wie an der Küste gesagt: Wir brauchen diese Umstrukturierung. Das ist aber in einem solchen gedrängten Zeitraum, in einer so kurzen Zeitspanne für eine Landesregierung nicht zu machen. Bisher hat die Bundesregierung im Bundesrat — auch in der Öffentlichkeit hat sie das nachweisbar getan —, unsere Vorstellungen rigoros abgelehnt. So ist es. Was Herr Häfele im Bundesrat für die Bundesregierung erklärt hat, ist in solchen Fragen wohl eindeutig genug gewesen.
Bisher habe ich kein anderes Wort gehört.
Ich bejahe ausdrücklich — damit Sie das gar nicht mißverstehen können — , daß eine Gesellschaft verpflichtet ist, für die unmittelbar Betroffenen die soziale Abfederung vorzunehmen, Sozialpläne zu machen und sich dieser Verantwortung zu stellen. Aber das ist die eine Seite der Medaille. Das reicht nicht aus. Aber für die zweite Frage, die regionalpolitische Begleitung und Unterstützung für ein solches Land, gilt die Verantwortung gleichermaßen. Diesem Teil der Verantwortung sind Sie bisher in keinster Weise nachgekommen. Sie haben sie sogar abgelehnt. Das ist der Kernpunkt der Auseinandersetzung.
Um diesen Streit und um diese Diskussion geht es.
Welche Vorstellungen werden nun für die zehn Tage bis zum 22. Dezember zu erwarten sein? Wir haben eben gehört, wir sollten erst einmal abwarten, was bis zum 22. Dezember passiert. Aber welche Indikationen für weitere Stillegungen gegeben werden, ist völlig unbekannt. Ich frage daher als Vertreter eines Landes,
welches besonders stark von diesen Auswirkungen betroffen sein soll: Wie groß soll denn der deutsche Beitrag noch sein? Wie soll er bewerkstelligt werden?