Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns erst kürzlich mit der Situation in der Stahlindustrie beschäftigt. Seither haben sich die Dinge verschärft, ohne daß der zugrundeliegende Sachverhalt anders geworden wäre.
Nach wir vor ist der Strukturwandel kein deutsches, sondern ein internationales Problem. Nach wie vor kommt es darauf an, daß in der Europäischen Gemeinschaft dieser Strukturwandel gemeinsam bewältigt werden kann.
Dazu gibt es aber eine Reihe von Forderungen der Opposition, die ungeeignet sind.
Die Forderung der Opposition nach einem nationalen Stahlverbund, nach einer einheitlichen bundesdeutschen Stahl AG nach dem Vorbild der Ruhrkohle AG oder auch die Vergesellschaftung helfen überhaupt nicht.
— Eine Meinung werde ich ja wohl noch haben dürfen!
Hier wird nur Aktionismus vorgetäuscht; denn dadurch — das weiß jeder — wird keine Tonne mehr Absatz möglich,
die Verantwortlichkeiten werden verwischt, und der Arbeitsplatzabbau kann durch solche Maßnahmen nicht verhindert werden.
Wer das noch bezweifelt, möge doch das Schicksal der verstaatlichen Stahlindustrie betrachten. Wir haben verstaatlichte Stahlindustrien in der Europäischen Gemeinschaft.
— Herr Farthmann — jetzt sage ich schon „Herr Farthmann" — , Herr Stratmann, setzen Sie sich bitte hin.
— Da haben Sie recht. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie mit Herrn Farthmann verwechselt habe. Trotzdem möchte ich jetzt meine Rede im Zusammenhang vortragen.
— Ich frage mich ja: Wissen sie es — dann behaupten sie hier etwas wider besseres Wissen —, oder wissen sie es nicht; dann ist es schon erstaunlich, wie sie mit den Fakten umgehen.
— Ach, Herr Roth: In der Agrarfrage ist ein Veto drin. Weichen Sie doch nicht aus. Das, was Sie hier produzieren, ist dem Ernst der Situation nicht angemessen. Das ist das Problem.
— Von jedem anderen in der SPD-Fraktion hätte ich so einen Zwischenruf erwartet. Von Ihnen nicht. Da kann man einmal sehen, wie die Mitgliedschaft in so einer Fraktion selbst so gute Leute wie Sie verdirbt.
3550 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987
Bundesminister Dr. Bangemann
Die EG-Kommission hatte ihre Vorschläge für die Fortsetzung des Quotensystems unter Bezugnahme auf den Bericht der drei Weisen am 26. November 1987 geändert. Sie schlug vor, die derzeitige Quotenregelung zu verlängern, und zwar bis zum 30. Juni 1988 für die Erzeugnisgruppen I a — also Breitband — , I b — Feinblech —, und dabei die Quoten im zweiten Quartal um 2,5 % zu erhöhen und bis Ende 1990 für die Gruppen II — Grobblech — und III — schwere Profile — , sofern sie bis zum 15. Dezember 1987 über klare Angaben verfügt und bis zum 15. März 1988 feste Zusagen für Kapazitätsreduzierungen erhält. Ansonsten sollte die Verlängerung nur bis zum 30. Juni 1988 gelten, um dann die Langprodukte — das habe ich gerade schon gesagt — zu liberalisieren.
Wir haben uns in einer sehr schwierigen Ausgangslage befunden, die ich schon einmal beschrieben habe: Wenn die Kommission einen Vorschlag macht, wird ein solcher Vorschlag natürlich akzeptiert, wenn die anderen Länder damit einverstanden sind. Macht sie keinen Vorschlag, weil sie keine Mehrheit findet, müssen wir einstimmig einen anderen Vorschlag vorlegen. Einstimmigkeit bei den anderen zu erreichen ist nicht möglich, weil Großbritannien und die Niederlande — um nur zwei zu nennen — klipp und klar gesagt haben, daß sie gegen jede Verlängerung der Quotenregelung seien.
Das ist die Ausgangslage, d. h. wir haben praktisch nichts in der Hand gehabt, weil die Kommission mit uns zusammen diese Situation nicht so betrachtet, wie wir das tun. Deswegen war das eine sehr schwierige Situation. Deswegen war es sehr gut, daß wir erreicht haben, daß wir noch einmal den Versuch unternehmen, bis zum 22. Dezember Indikationen über die Stillegungsabsichten der einzelnen Industrien zu erreichen und daß, wenn diese Indikationen vorgelegt werden können — wir werden uns intensiv darum bemühen — , die Kommission bereit ist, die Quotenregelung zunächst bis zum 30. Juni 1988 fortzuführen, damit dann verbindliche, konkrete Zusagen in diesem Zeitraum gegeben werden können. Jedenfalls für die Kategorien II und III hat sie es bereits erklärt, und sie hat gesagt, für die Kategorie I werde sie mit Blick auf die Marktlage dann auch einen Vorschlag machen können.
Das ist keine Schiebeverfügung, meine Damen und Herren, das ist das beste Ergebnis, das unter diesen Umständen überhaupt zu erreichen war. Ich habe es erreicht, weil wir uns mit allen Mitteln eingesetzt haben, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben mit jedem einzelnen — bilateral — geredet, wir haben unsere Zugeständnisse, die wir natürlich auch machen, einbringen müssen, damit diese Situation zustande gekommen ist. Das ist ein Ergebnis, das der deutschen Stahlindustrie die Möglichkeit gibt, eine Stillegung der Kapazitäten mit anderen zusammen zu organisieren, und zwar — auch das haben wir, allerdings nicht im Protokoll, sondern zunächst unter uns, vereinbart — nach einer Weise, nach einer Methode, die eine gleichgewichtige Kapazitätsstillegung möglich macht, unter Berücksichtigung der Rentabilität der Anlagen.
Das ist übrigens am Vortag mit der IG Metall, mit der deutschen Stahlindustrie abgesprochen gewesen.
Da sitzt der Herr Vondran, der bei der Unterredung dabei war und nachher hier auch noch das Wort ergreifen wird. Er kann es bestätigen. Wir haben das durchgesetzt, was wir am Tage zuvor mit IG Metall und Stahlindustrie als denkbares und akzeptables Ergebnis besprochen haben. Wer will denn das jetzt eigentlich noch kritisieren? Nach welchen Maßstäben soll das kritisiert werden?
Es ist das beste Ergebnis, das überhaupt möglich war.
Das ist so. Jetzt sind Sie schon etwas ruhiger geworden, und das ist auch ganz gut.
Wenn man hier etwas erreichen will, brauchen wir auch eine gemeinsame Position in diesem Hause.
Wir werden in Zukunft vor nicht einfachen Entscheidungen stehen; denn all denen, die das hier immer wieder kritisieren, die Stillegungen im konkreten, die natürlich von den davon betroffenen Menschen nicht akzeptiert werden, muß gesagt werden: Es geht natürlich nicht beides, wir können nicht eine Gesundung der Stahlindustrie und gleichzeitig die Erhaltung jedes Arbeitsplatzes oder jedes Stahlstandortes erreichen; das ist nicht möglich.
Diese Fortschritte dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen. Auch für die Kategorien I bis III wird es zu einer Verlängerung der Quoten nur kommen, wenn sichergestellt ist, daß die Quoten die Strukturen nicht konservieren. Das heißt, es muß sicher sein, daß die Umstrukturierung in allen Mitgliedsstaaten weitergeht. Das verlangt von anderen Mitgliedsstaaten noch mehr als von uns, denn leider ist es so, daß in den Ländern, in denen die Stahlindustrie verstaatlicht worden ist, der Strukturwandel bisher nicht genügend aufgegriffen worden ist. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie verhängnisvoll die Verstaatlichung wirkt.
Die Kritik von Frau Fuchs, die sich genauso in dem Sinne profiliert, wie ich es gestern schon bei der Kohledebatte kritisiert habe — man darf in dieser schwierigen Situation nicht als Bandstifter auftreten —,
die Quotenregelung werde zwar verlängert, aber gleichzeitig müßten Arbeitsplätze abgebaut werden, zeugt von dieser mangelnden Kenntnis der Zusammenhänge.
Ich kann die Verlängerung der Quotenregelung überhaupt nur erreichen, wenn die Gemeinschaft bereit ist, Arbeitsplätze abzubauen. Ist das nun nicht endlich einmal zu verstehen? Das ist der Zusammenhang, ohne den es eine Regelung nicht gibt.
Deswegen, meine Damen und Herren, werden wir um weitere Stillegungen weder bei uns noch in anderen Mitgliedsstaaten herumkommen. Wir sind gerade
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dabei, die politischen Widerstände in anderen Mitgliedsländern zu überwinden, die dieser Stillegung noch entgegenstehen.
— Ja, das sind politische Widerstände. Das ist ja gerade das Verhängnisvolle: Wenn eine Stahlindustrie verstaatlicht ist, dann tritt der seltsame Zustand ein, den wir in zwei Mitgliedsländern erlebt haben, daß das Management dieser Unternehmen erklärt: Betriebswirtschaftlich müßten wir stillegen, wir dürfen aber nicht, weil unsere Regierung es uns nicht erlaubt. So sieht das dann nämlich aus. Dann werden wirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Verantwortlichkeiten verwischt, man wurstelt, durch politische Zwänge veranlaßt, vor sich hin, und das Schicksal der Menschen wird durch die totale Möglichkeit, Arbeitsplätze zu verlieren, immer bedrohlicher. Man braucht sich da nur in Nachbarländern umzugucken, wo die Stahlindustrie verstaatlicht ist, da stellt man fest, daß es da so aussieht. Im übrigen, meine Damen und Herren, wird man, wenn man das einmal untersucht, auch feststellen
— setzen Sie sich bitte hin, ich will's nicht dreimal sagen — , in welcher Weise ein Management Kosten produziert, wenn es weiß, daß es auf den Steuersäckel zurückgreifen kann. Die Kostensituation der verstaatlichten Stahlindustrie, z. B. in Italien, ist katastrophal. Warum? Weil man dort genau weiß, daß der Staat ihre Verluste bei Bedarf abdecken wird. Deswegen ist das kein Weg.
Nach dem EGKS-Vertrag kann der Rat der Kommission nur einstimmig zur Pflicht machen, Quoten einzuführen oder zu verlängern. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir angesichts der Kommission gemeinsam eine Position erreichen, bei der eine Quotenverlängerung möglich ist.
Diese Quotenverlängerung wird als Mittel zur Gesundung der Stahlindustrie nur dann funktionieren, wenn gleichzeitig die Subventionsdisziplin eingehalten wird. Die Bundesregierung hat im Rat nachdrücklich darauf hingewiesen, daß der Subventionskodex strikt eingehalten werden muß und ein neuer Subventionswettlauf zu verhindern ist. Die Kommission hat noch einmal bestätigt, daß sie das tun wird. Ich denke, daß das nicht allein Italien oder andere Mitgliedsländer der Gemeinschaft betrifft, sondern das betrifft auch uns. Ich appelliere noch einmal an alle Landesregierungen, jegliche Subventionierung, die gegen den Subventionskodex verstößt, zu unterlassen und gar nicht erst zu beabsichtigen. Denn wenn wir selber den Subventionskodex verletzen, verliere ich jede Möglichkeit, die Verletzung des Subventionskodexes bei anderen abzustellen. Ich sage das vor den praktischen Hintergründen, vor denen man leider auch bei uns Stahlpolitik machen muß. Denn die Landesregierungen, die davon betroffen sind, sind hier genauso gefragt wie die Bundesregierung. Ich kann in Brüssel nicht sagen: Es tut mir leid, das war nicht die Bundesregierung, sondern das war eine Landesregierung. Natürlich wird die Bundesrepublik in Brüssel vernünftigerweise als Ganzes genommen. Da werden Verfehlungen von Landesregierungen der Bundesrepublik insgesamt zugeschrieben.
Wir haben auch zum erstenmal einen konkreten Vorschlag der Kommission zur sozialen und regionalen Flankierung; auch das haben wir erreicht. Als die Kommission begonnen hat, diese Vorstellungen vorzutragen, hatte sie noch keine einzige Überlegung zur regionalen und sozialen Flankierung angestellt. Erst auf unser Drängen hin ist das ergänzt worden und wird das mit Mitteln auch aus dem Haushalt der EGKS ausgestattet. Das bietet eine Möglichkeit, zusätzliche Arbeitsplätze in diesen Regionen neu zu schaffen oder den Strukturwandel sozial akzeptabel zu machen.
— Die Kommission, Herr Kollege, wird nur vernünftige Initiativen akzeptieren, d. h. die von Ihnen genannte in dieser Form sicher nicht, jedenfalls so lange nicht,
wie sich nicht einmal die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen darüber einig ist, wie das überhaupt finanziert werden soll.
Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich gestern einen Ticker einer Nachrichtenagentur las, in dem es hieß — —
— Ja, den Menschen gegenüber kann man eine solche Haltung der Landesregierung von NordrheinWestfalen nun in der Tat nicht mehr verantworten. —
Ich will das hier einmal verlesen, meine Damen und Herren, damit deutlich wird, wie diese Landesregierung dieses schwerwiegende Problem behandelt:
Die Frage von Landeshilfen zur Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze in den Kohle- und Stahlregionen hat die nordrhein-westfälische SPD-Regierung entzweit. Am Tage massenhafter Aktionen von Stahlwerkern und anderen Arbeitnehmern im Ruhrgebiet suchte NRW-Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen mit der Erklärung die Öffentlichkeit, notfalls werde das Land — über alle finanzpolitischen Bedenken hinweg — allein das Zwei-Milliarden-Zukunftsprogramm Montanregionen tragen, das bislang der Bund mit zwei Dritteln mitfinanzieren wollte. Davon wollte aber Finanzminister Diether Posser nichts wissen. Und aus der Staatskanzlei von Ministerpräsident Johannes Rau hieß es lapidar: Einen Kabinettsbeschluß dazu gibt es nicht. Rau sei
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im übrigen für eine Stellungnahme zu diesem Thema nicht verfügbar.
Außerdem machte Regierungssprecher Helmut Müller-Reinig deutlich, er könne nicht den Schiedsrichter zwischen zwei Ministern spielen.
Damit blieb die Kabinettslinie weiter im dunkeln. Der interessierte Ruhrarbeitnehmer wird sich möglicherweise nun fragen, in welchem Umfang die Landesregierung die Schaffung neuer Arbeitsplätze fördern will.
Das ist die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in einer solchen Situation, meine Damen und Herren!