Rede von
Ursula
Eid-Simon
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist in der Vergangenheit so gewesen, daß Tiefflugübungen in Äthiopien gemacht worden sind, und zwar bei dem Anfliegen der Gegenden, wo man nicht hat landen können, wo die Nahrungsmittelhilfe heruntergeworfen wurde.
Wenn in Veranstaltungen Offiziere der Luftwaffe dies propagieren, dann möchte ich hier klargestellt haben, daß dies nicht passiert.
Trotz dieser erheblichen Bedenken wollten die GRÜNEN den gemeinsamen Antrag nicht scheitern lassen, da er für uns ganz wesentliche Forderungen enthält.
Erstens. Erstmals werden an die äthiopische Regierung konkrete Bedingungen bezüglich des Umgangs mit der Nahrungsmittelhilfe gestellt, nämlich:
a) Sie darf nicht für politische und militärische Ziele mißbraucht werden. Das bedeutet, daß nicht wieder ganze Regionen ausgehungert werden sollen, um die Bevölkerung aus diesen Gebieten herauszulocken. Das bedeutet auch, daß Nahrungsmittel nicht wieder zu Rekrutierungszwecken für die äthiopische Armee
benutzt werden. Zum Beispiel wurde vor zwei Jahren eine sogenannte „Weizenmiliz" aufgebaut; nur solche Familien erhielten Nahrungsmittel, die Angehörige für diese Miliz abstellten.
Wir alle wissen, daß Äthiopien die größte Armee in Schwarzafrika unterhält und mehrere Kriege auf dem eigenen Territorium und gegen Eritrea führt.
Die ca. 300 000 Männer in der Armee stehen einmal nicht für die landwirtschaftliche Produktion zur Verfügung und müssen obendrein auch noch ernährt werden. Es muß gewährleistet sein, daß nicht ein Gramm bundesdeutscher Nahrungsmittelhilfe beim äthiopischen Militär landet, und das will ich kontrolliert haben.
b) Die Nahrungsmittelhilfe darf auch nicht zur Durchführung der gewaltsamen Umsiedlungs- und Verdorfungsprogramme verwendet werden.
660 000 Menschen wurden seit 1984 vom Norden in den Süden umgesiedelt. Bei diesen Zwangsmaßnahmen fanden Zehntausende den Tod. Das Umsiedlungsprogramm soll jetzt wieder aufgenommen werden, und es ist zu befürchten, daß abermals die Nahrungsmittelspenden zumindest zum Teil zur Durchführung der Umsiedlung verwendet werden.
Im Rahmen des sogenannten Verdorfungsprogramms sollen bis 1995 30 Millionen Menschen ihre traditionellen Dörfer oder Einzelgehöfte verlassen und in neuen Zentraldörfern zusammengefaßt werden. Diese Zwangskollektivierung mit ihren landwirtschaftspolitischen und sozialen Folgen ist eine der wesentlichen Ursachen für die erneute Hungerkatastrophe.
Ich begrüße es außerordentlich, daß sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gegen diese Zwangsmaßnahmen ausgesprochen haben.
Zweitens. Wichtig ist mir die Einsicht, daß die Nahrungsmittelhilfe für die am stärksten von der Hungersnot betroffenen Gebiete, nämlich Tigray und Eritrea, nicht nur über die äthiopische Regierung, sondern auch über die Hilfsorganisationen REST, Relief Society of Tigray, und ERA, die Eritrean Relief Association, organisiert werden.
Wieso ist diese Forderung so außerordentlich wichtig? Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, von der CDU/CSU und von der FDP: Fahren Sie einmal nach Eritrea, und Sie werden feststellen, daß 80 To des Landes van der eritreischen Volksbefreiungsfront EPLF verwaltet werden. In dieses Gebiet hat die ähthiopische Regierung keinen Zugang. Ich konnte bei meinen verschiedenen Reisen entlang der 450 km langen Front sehen, wie sich eritreische Freiheitskämpfer und äthiopische Soldaten in den Schützengräben gegenüberstehen. Da gibt es kein Durchkommen!
Auch wenn uns die äthiopische Regierung das Gegenteil glauben machen möchte: Nur in Zusammenarbeit mit den in diesen Regionen tätigen Hilfsorganisationen, nämlich REST in Trigray und ERA in Eritrea, kann der notleidenden Bevölkerung geholfen wer-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3523
Frau Eid
den. Die Bundesregierung muß hier endlich Farbe bekennen und die humanitäre Hilfe auch über REST und ERA organisieren. Dies gilt u. a. auch für die Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation der größten Bevölkerungsgruppe in Äthiopien, nämlich der Oromo Relief Association. Daran führt kein Weg vorbei.