Rede von
Roswitha
Verhülsdonk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das wäre systematisch richtig. Das räume ich ein.
— Wenn man das aus dem Bundeshaushalt finanzieren könnte, wären wir sofort dafür.
Die Einstellung eines jeden einzelnen zur Sexualität und zur Verwendung von Verhütungsmitteln hat auch mit Gesundheitsvorsorge nichts zu tun. Der Umgang mit der menschlichen Sexualität gehört in den Bereich der höchst privaten Lebensführung. Hier hat der Staat nichts zu suchen.
Zudem sprechen gesundheitspolitische Gesichtspunkte eher gegen die Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln durch die Krankenkassen. Bekanntlich ist eine Langzeitmedikation mit chemischen Verhütungsmitteln, also mit der Pille,
besonders bei jungen Menschen gesundheitlich nicht ohne Probleme und Folgen. Daraus erwachsen dann bei falscher Anwendung der Solidargemeinschaft wieder neue Kosten.
Meine Damen und Herren, ich komme zum zweiten Punkt, dem Sexualverständnis, das hinter diesem Antrag steht. Man muß kein Verfechter eines christlichen Menschenbildes sein, um festzustellen, daß menschliche Sexualität nicht auf den Vollzug des Sexualaktes reduziert werden kann. Auch die Wissenschaften vom Menschen, Anthropologie und Psychologie, orientieren sich heute an einem Verständnis von Sexualität, das den gesamten Menschen umfaßt. Gerade die Enttabuisierung geschlechtlicher Beziehungen hat die Erkenntnis gefördert, daß Sexualität nicht ohne ihren partnerschaftlichen und sozialen Bezug dargestellt werden darf.
Das heißt für mich, daß wir Erwachsenen den jungen
Menschen wieder deutlicher vermitteln müssen, was
richtiger Umgang mit der Sexualität für sie persönlich bedeutet. Blinder Sexualkonsum
führt zu Bindungslosigkeit mit oft schwerwiegenden psychischen Langzeitfolgen für die Betroffenen.
Sollen nun die Krankenkassen durch kostenfreie Abgabe von Verhütungsmitteln, wie Sie es wollen, den ungebremsten Sexualkonsum auch noch fördern und damit diesen Fehlentwicklungen Vorschub leisten?
Auch wenn das hoffentlich nur eine Minderheit betrifft, dürfen wir diese nicht auf dem falschen Weg bestärken. Erfreulich ist, daß nach den jüngsten empirischen Untersuchungen eine große Mehrheit der jungen Generation Liebe, Treue und langfristige Bindung für wesentliche Bestandteile von Partnerschaft hält.
Diese jungen Menschen haben Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, die Sie offensichtlich in der Ideologie der 70er Jahre steckengeblieben sind, längst überholt.
Meine Damen und Herren, schließlich kann auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf das Sie sich in Ihrem Antrag beziehen, den Staat nicht verpflichten, den Menschen alles zu ermöglichen, was ihnen gerade paßt. Vielmehr heißt nach unserem Verständnis Freiheit auch, Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung für persönliche Entscheidungen und Verhaltensweisen.
Verantwortlicher Umgang mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen sind für Männer und Frauen in unserer freizügigen Gesellschaft mehr denn je von zentraler Bedeutung.
Es kommt für mich nicht von ungefähr, daß Fragen der natürlichen Familienplanung besonders intensiv von einer Frauengeneration diskutiert werden, die am eigenen Leib die Folgen einer jahrelangen Einnahme von Verhütungsmitteln erfahren hat. Ich will deshalb gern anerkennen, daß Sie in Ihrem Antrag auch die Männer bei den Methoden der Empfängnisverhütung mit einbeziehen. Mir stellt sich jedoch die Frage, ob die Bereitschaft der Männer zur Mitverantwortung nicht eher wieder rückläufig würde, wenn die Krankenkassen z. B. die Kosten für die Pille übernähmen. Das aber nur als Bemerkung am Rande.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren ja heute als Parlamentarier nicht zum erstenmal die Frage der Kostenerstattung für empfängnisverhütende Mittel.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3489
Frau Verhülsdonk
Im Zusammenhang mit der Reform des § 218 haben wir uns intensiv mit den Konsequenzen einer derartigen Regelung auseinandergesetzt. Damals — präzise gesagt, 1974 — waren manche von uns der Auffassung, daß die gesetzliche Förderung von Schwangerschaftsverhütung helfen könne, Abtreibungen zu verhindern. Die Diskussion fand also damals unter ganz anderen politischen Vorzeichen statt, als sie zunächst in Ihrem Antrag angesprochen sind. Sie war vor diesem Hintergrund verständlich. Dennoch haben wir aus gesundheitspolitischen Gründen und aus unserem Grundverständnis von der Solidargemeinschaft der Krankenversicherung heraus diesen Gedanken nicht weiter verfolgt. Die Erfahrungen anderer Länder mit der kostenfreien Abgabe von empfängnisverhütenden Mitteln weisen übrigens aus, daß dadurch die Zahl der Abtreibungen eben nicht vermindert wird, Frau Kollegin. Entscheidend in der Frage der Empfängnisverhütung sind Aufklärung, medizinische Beratung und Bewußtseinsbildung. Um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, finanziert ja die gesetzliche Krankenkasse bereits seit 1975 diese Leistungen, obwohl auch sie streng genommen nicht in den Leistungskatalog der RVO gehören. In diesem Fall halte ich aber die politische Entscheidung des Gesetzgebers für vertretbar.
Meine Damen und Herren, das Wesenselement der gesetzlichen Krankenversicherung ist, daß einem Anspruch auf Leistung ein objektiv begründetes Bedürfnis zugrunde liegen muß. Subjektiv empfundene Bedürfnisse und private Wünsche können nicht Gegenstand eines sozialen Leistungssystems sein. Sexualität ist — um auch diesen Gedanken nochmals aufzugreifen — kein Konsumgut, das der Staat oder die von ihm geschaffene Solidargemeinschaft Krankenkasse dem Bürger jederzeit zugänglich machen muß.