Rede von
Roswitha
Verhülsdonk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Finanzierung empfängnisverhütender Mittel durch die Krankenkassen gewährt, wie ich meine, in doppelter Hinsicht höchst interessante Einblicke in das Denken der GRÜNEN. Sehr aufschlußreich ist zum einen das Verständnis vom Staat und der von ihm zu erfüllenden Aufgaben, das sich in diesem Antrag offenbart. Nicht minder aufschlußreich ist der Gesetzentwurf aber auch im Hinblick auf ihr Verständnis von menschlicher Sexualität. In meinen Ausführungen will ich mich, meine Damen und Herren, mit diesen beiden Punkten einmal etwas näher beschäftigen.
Hinter Ihrem Antrag verbirgt sich ein Staatsverständnis, das den Staat als einen großen Selbstbedienungsladen sieht, dessen Kassen unbegrenzt zuständig sind, bis in den Bereich privater Lebensgestaltung hinein.
Nach Ihrer Meinung hat offensichtlich der Staat für alle Folgen, die sich aus den Risiken und Unwägbarkeiten der persönlichen Lebensplanung seiner Bürger ergeben, aufzukommen. Daß der Staat auch eine Ordnungsfunktion hat, daß er z. B. die Eigenverantwortung des einzelnen in der staatlichen Gemeinschaft fördern muß, das wollen Sie nicht anerkennen.
Mit Ihrer Politik des unbegrenzten Angebots staatlicher Fürsorge erwecken Sie bei den Menschen eine
Erwartungshaltung, die eine Gesetzgebung nie und nimmer einlösen kann und meiner Meinung nach auch nicht sollte. Ich halte diese Politik für geradezu sozialschädlich.
Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP die Eckdaten für eine Strukturreform im Gesundheitswesen festgelegt. Sie orientiert sich an den Grundsätzen Solidarität und Eigenverantwortung, Solidarität mit denen, die als Kranke der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen, aber gleichzeitig mehr Förderung der Eigenverantwortung in der Gesundheitsvorsorge.
— Man mag die einzelnen Maßnahmen durchaus unterschiedlich beurteilen, Herr Kollege, Einigkeit besteht aber doch wohl in diesem Hause darüber, daß Durchgreifendes geschehen muß, um den Fortbestand unseres freiheitlichen Gesundheitswesens zu sichern.
— Ich habe ja eingeräumt, daß über die Wege unterschiedliche Meinungen bestehen, aber nicht über dieses Ziel. Darüber ist man sich, glaube ich, allgemein einig.
Veränderte Rahmenbedingungen, aber ebenso auch überzogene Anspruchsmentalität haben die Ausgaben der Krankenkassen dramatisch anwachsen lassen und unser staatliches Gesundheitswesen an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gebracht. Wenn wir auch in Zukunft eine optimale medizinische Versorgung der Kranken sicherstellen wollen, müssen wir die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auf das medizinisch Notwendige konzentrieren. Wir brauchen dringend finanzielle Spielräume, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen, die sich aus der wachsenden Zahl Hochbetagter und Pflegebedürftiger oder z. B. auch aus dem Problemfeld AIDS ergeben.
— Frau Unruh, Sie sollten jetzt vielleicht einmal zuhören.
Wer unter diesen Vorzeichen den Krankenkassen neue Leistungen und finanzielle Mehrbelastungen von 600 Millionen DM aufbürden will, der muß sich wohl zuerst einmal fragen lassen, ob diese Leistungen der Gesundheitsvorsorge oder der Gesunderhaltung dienen. Beides muß für die geforderte kostenfreie Abgabe von empfängnisverhütenden Mitteln verneint werden.
Diese dienen wohl kaum der Gesunderhaltung der Bevölkerung es sei denn, man betrachtet eine unerwünschte Schwangerschaft, wie das offensichtlich Pro familia tut, als Krankheit.
3488 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987