Außerdem ist heute weitgehend unbestritten, daß Sexualität nicht unbedingt mit dem Zeugungswunsch verbunden ist. Ich denke, auch das weiß jeder erwachsene Mensch aus Erfahrung. Deshalb gehört die regelmäßige Anwendung von Verhütungsmitteln — und zwar von Frauen und von Männern; das ist mir in der Debatte besonders wichtig —
so selbstverständlich zur gesellschaftlichen Normalität wie die Hygiene.
Weniger selbstverständlich dagegen ist es heute, daß alle Haushalte oder auch Menschen genug Geld zur Verfügung haben, um für die Verhütung aufzukommen. So sind es einmal die Jugendlichen, für die die monatlichen Kosten für die Pille durchaus ein Problem sein können, oder auch Frauen, für die die Kosten einer Spirale — sie belaufen sich auf etwa 150 DM — durchaus so hoch sind, daß dann der Punkt kommt, wo Verhütungsmittel unter Umständen eingespart werden, weil das Geld nicht da ist. Dann kommt es zu ungewollten Schwangerschaften, die Sie ja mit aller Vehemenz zu Recht verhindern wollen.
Damit komme ich zu unserem zweiten Anliegen, daß wir mit dieser Gesetzesinitiative verbinden. Wir bringen den Gesetzentwurf in einer Zeit ein, in der — auch in Ihrer Regierung, von Ihrer Seite her — sehr intensiv über die Möglichkeit der Verhinderung von ungewollten Schwangerschaften diskutiert wird. Wir meinen, daß diese Diskussion heuchlerisch ist, soweit nicht auch politische Taten, die in diese Richtung gehen, folgen.
Der einzige vorbeugende Ansatz zur Schwangerschaftsverhütung, den es in der Bundesrepublik gegeben hat, war eine Aufklärungsbroschüre der sozialliberalen Bundesregierung. Dieses Material fiel unmittelbar nach der Wende dem Reißwolf zum Opfer, und zwar ersatzlos; etwas anderes haben Sie nicht nachgeschoben.
Inzwischen ist das Kondom gesellschaftsfähig geworden, bezeichnenderweise allerdings nicht wegen seiner empfängnisverhütenden Wirkung, nicht etwa weil Männer zunehmend erkannt hätten, daß für sie die Aufgabe der Verhütung genauso wichtig ist wie für Frauen, sondern nur deshalb, weil das Präservativ zu einem Synonym für eine uns alle sehr ängstigende Krankheit geworden ist. Der Satz: „Wer sich liebt, der schützt sich" fällt jetzt nur in Verbindung mit AIDS und hat mit Schwangerschaftsverhütung nichts mehr zu tun.
Von der Ignorantenhaltung der christlichen Parteien gegenüber der Notwendigkeit von Aufklärung und Verhütung möchte ich ausdrücklich die Frau Kollegin Geiger ausnehmen. Sie hat hier bereits im August 1984 angeregt, über die Pille auf Krankenschein nachzudenken und in diesem Zusammenhang einige Fragen an die Bundesregierung gestellt.
— Ich habe doch die Unterlagen da.
Jetzt muß ich einmal gucken. — Abgeordnete Frau Geiger; ich habe die Unterlagen hier.
Jedenfalls ist das von Frau Geiger gekommen. Ich habe die Unterlagen hier. Das läßt sich ja alles in den Protokollen nachsehen.
Die eindeutig im Protokoll nachzulesende Haltung der Bundesregierung zu diesen Fragen läßt sich so zusammenfassen: Ein Zusammenhang zwischen der Erstattung der Kosten von Verhütungsmitteln und der Verhinderung ungewollter Schwangerschaften wird bestritten. Schon das ist unglaublich. Die Kosten einer Erstattung werden für nicht wünschenswert gehalten. Schließlich hält die Bundesregierung — und das ist das Entscheidende — finanzielle Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" für besser.
Damit sind die Prioritäten der konservativen Regierung sehr eindeutig benannt. Es geht eben nicht darum, durch vernünftige Sexualaufklärung und durch Versorgung mit Verhütungsmitteln die mit unerwünschten Schwangerschaften verbundenen Ängste, Sorgen und Konflikte zu verhindern; es ist auch ziemlich klar, daß das von Ihrer Seite nicht kommt, denn solange Männer in so überwiegender Zahl Politik machen, Männer, die die Angst vor Schwangerschaft eben nicht kennen, ist das für Sie auch kein Problem und keine Frage.
Es ist Ihnen eben gleichgültig — und Sie kennen die Probleme nicht — , ob die Zukunftspläne einer 18jährigen wegen einer ungewollten Schwangerschaft platzen oder aber eine Frau, die wieder in den Beruf einsteigen möchte, das auf einmal nicht mehr möglich machen kann, weil sich noch einmal ein Kind angemeldet hat.
— Gut, das gehört dann in den Ausschuß.
Der Schwerpunkt bei Ihnen sieht anders aus: Sie wollen eben den Schwerpunkt der Politik gar nicht auf Verhütung legen, sondern haben nachträglich ein Trostpflästerchen zur Hand, die Stiftung „Mutter und Kind", wobei Sie davon ausgehen, ungewollte Schwangerschaften seien in gewollte zu verwandeln, indem ein bißchen Geld herübergeschoben wird; auch dies noch einmal zu Ihrem Verständnis. Wir gehen davon aus, daß der Wunsch nach Kindern eben nicht nur von der finanziellen Situation abhängig ist.
Das Ködern mit Stiftungsmitteln ist dabei eine Variante der Einstellung, es gehe bei Schwangerschaftskonflikten nur um Geld.
3482 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Frau Beck-Oberdorf
Das zweite, was Sie für die Frauen im Augenblick bereithalten, ist die anstehende Verschärfung des § 218 durch das, was Sie so schön „Beratungsgesetz" nennen. Da bieten Sie an, daß Frauen durch die Mithilfe von Arbeitgebern und Angehörigen — über Schweigepflicht wird hier nicht mehr geredet — ganz sanft dahin gedrückt werden sollen, Kinder zu bekommen, die sie zunächst einmal nicht wollten. Und aufziehen können sie sie letztlich allein; denn das Kinderaufziehen dauert, wie Sie alle wissen, einige Jahre.
Wohlgemerkt, auch die beste Versorgung mit Verhütungsmitteln wird Schwangerschaftsabbrüche niemals gänzlich überflüssig machen. Jede Verhütungsmethode versagt, und insofern wird es auch immer Schwangerschaftsabbrüche geben. Deshalb ist unsere Forderung nach Bereitstellung von Verhütungsmitteln auch nicht mit irgendwelchem Herummachen am § 218 verknüpft. Unsere Forderung nach dessen ersatzloser Streichung steht nach wie vor. Nur, wer wirklich einen ernst zu nehmenden Beitrag zur Senkung der Abtreibungszahlen leisten will, der muß — das ist die erste Voraussetzung — bei einer Verbesserung der allgemeinen Verhütungspraxis anfangen.
Das heißt eben auch: kostenlose Versorgung der Bevölkerung mit Verhütungsmitteln, damit jedes Kind ein Wunschkind wird und nicht in diese Welt hineingezwungen wird.