Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! In den letzten Wochen hat in den Montanregionen der Bundesrepublik die Unruhe in der Bevölkerung, insbesondere bei den Belegschaften der Schachtanlagen und der Stahlwerke, angesichts der offengelegten Pläne der Unternehmen zu massenhafter Arbeitsplatzvernichtung und sogar zu Standortvernichtung zugenommen. Diese Entwicklung hat in der letzten Woche im Zusammenhang mit der geplanten Stillegung des Krupp-Stahlwerkes in DuisburgRheinhausen ihren Höhepunkt erreicht. Während wir heute nachmittag hier die Kohledebatte führen, einen Tag vor der Kohlerunde, finden gleichzeitig in Duisburg und im gesamten übrigen Ruhrgebiet Widerstandsaktionen der Stahlbelegschaften und von Teilen der Bevölkerung gegen diese Unternehmenspläne und Unternehmensstrategien statt.
Ich halte es für an der Zeit, daß wir uns hier im Bundestag gemeinsam mit diesen Widerstandsaktionen der Stahlbelegschaften und der Bergbaubelegschaften in diesen Wochen solidarisch erklären.
Deswegen möchte ich Sie bitten, unserem Antrag auf Solidarität mit dem Widerstand der Bergleute und Stahlarbeiter gegen Arbeitsplatz- und Standortvernichtung zuzustimmen.
Zur Debatte stehen hier u. a. der Verordnungsentwurf der Bundesregierung zur Verringerung des Kohlepfennigs von derzeit 7,5 auf 7,25 %. In der Begründung des Verordnungsentwurfs der Bundesregierung ist deutlich erklärt, daß die Bundesregierung damit die Absicht verbindet, in den nächsten Jahren den Kohlepfennig schrittweise weiter zu reduzieren. Was das zur Folge hätte, hat in einem Brief das Energieversorgungsunternehmen Badenwerk deutlich gemacht, vorher auch schon RWE und VEW, die ganz klar gesagt haben: Sollte es zu dieser geplanten Reduzierung des Kohlepfennigs kommen, werden die Energieversorgungsunternehmen das Mengengerüst des Jahrhundertvertrages nicht einhalten, während gleichzeitig der weitere Betrieb der Atomanlagen als auch der geplante und in Realisierung befindliche Ausbau der Atomanlagen bei diesen Energieversorgungsunternehmen überhaupt nicht zur Disposition steht.
Auf diesem Hintergrund muß man eindeutig sagen: Der von der Bundesregierung heute vorgelegte Entwurf zur Reduzierung des Kohlepfennigs leistet der Verdrängung der heimischen Steinkohle durch die Atomenergie Vorschub. Wenn Herr Bangemann sagt, daß er auf der einen Seite den Kohlepfennig kürzen wolle, aber gleichzeitig das Mengengerüst des Jahrhundertvertrages einhalten wolle, gleicht er einem
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Glatzköpfigen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen will.
Der Antrag der SPD, der geplanten Kürzung des Kohlepfennigs nicht zuzustimmen, sondern es bei dem bisherigen Kohlepfennig zu belassen, löst das Problem für die heimische Steinkohle in keiner Weise; denn die Berechnungen zeigen, daß wir auch bei einer Beibehaltung der 7,5 % ein Defizit beim Kohleausgleich in der Größenordnung von 1 Milliarde DM haben würden, wohingegen das Verstromungsgesetz die Verpflichtung beinhaltet, daß die Kohleausgleichsabgabe so hoch sein muß, daß der Ausgleichsbedarf tatsächlich abgedeckt werden kann. Um dieser Verpflichtung des Dritten Verstromungsgesetzes nachzukommen, legen wir GRÜNEN den Antrag vor, den Kohlepfennig von derzeit 7,5 auf 9,3 To zu erhöhen und damit die notwendige aktuelle Sicherung der heimischen Steinkohle in der Verstromung zu gewährleisten.
Auf diesem Hintergrund ist etwas ganz besonders interessant: In den letzten Wochen ist ein Brief auf den Tisch des Kollegen Meyer, IG Bergbau, geflattert, und zwar aus der IGBE-Hauptverwaltung selbst. Dieser Brief ist auch an alle Betriebsratsvorsitzenden der Schachtanlagen geschickt worden. Er soll den Betriebsratsvorsitzenden als Argumentationshilfe gegenüber der grünen Kohlepolitik dienen. Ich zitiere aus diesem Brief der IG-Bergbau-Hauptverwaltung:
Zielsetzung GRÜNER Strategie ist es, vor dem Hintergrund der Bedrohung des Steinkohlenbergbaus einen „neuen Konsens zwischen den von Arbeitsplatzverlusten bedrohten und aktionsbereiten Bergleuten und der Anti-AKW- und Ökologie-Bewegung" zu suchen. Diesem Ziel dienen alle mittlerweile örtlich begonnenen oder noch beginnenden Kontaktaufnahmen zu Haupt- und/oder ehrenamtlichen Funktionären der IGBE. Insbesondere Betriebsräte werden Ansprechpartner dieser GRÜNEN Offensive sein.
So weit ist dem Brief der IG BE vorbehaltlos zuzustimmen. Er zitiert dann weiter, und zwar verkürzt:
Die GRÜNEN fordern einen Umbau der Kohlesubventionspolitik, eine Verlagerung der Kohle-subvention von der heimischen Steinkohle in den Alternativenergiebereich.
Dann wertet die IG BE:
Diese Forderung bedroht die Existenz des lebensnotwendigen Beihilfesystems für den Steinkohlenbergbau. GRÜNE und Bangemann Hand in Hand.
Nach dem, was ich eben zu der geplanten Kürzung des Kohlepfennigs zu unserem Antrag — Erhöhung des Kohlepfennig auf 9,3 % — gesagt habe, stellt sich diese Behauptung in der sogenannten Argumentationshilfe der IG BE als eine ganz bewußte Unwahrheit und Täuschung ihrer Betriebsratsmitglieder heraus.
Offensichtlich weiß sich die IG BE wie auch Herr Niggemeier nicht mehr anders zu helfen, als nach der Unwahrheit gegenüber unseren Argumenten zu greifen.
Dieser Stil der ganz gezielten und gewollten Unwahrheit geht weiter. Es heißt in dem Brief:
Die GRÜNEN fordern: Ökologische Energiepolitik ist Vorrangpolitik für Energieeinsparung und erneuerbare Energiequellen.
So weit, so gut. Dann folgert die IG BE:
Dies ist der Kern grüner Kohlepolitik. Es geht nicht um die Sicherung von Arbeitsplätzen im Steinkohlenbergbau!
Die Tatsache sieht folgendermaßen aus.
Die IG Bergbau bietet,
in ihrem Überbrückungskonzept für die heimische Steinkohle die Vernichtung von 25 000 Arbeitsplätzen im heimischen Steinkohlenbergbau an,
fordert den Ausbau der Atomenergie und nennt das Kohlevorrangpolitik.
Wir GRÜNEN sagen dagegen: Es darf jetzt und auch morgen keinen Beschluß für eine Kapazitäts- und Arbeitsplatzvernichtung in der heimischen Steinkohle geben, und dies so lange nicht, als in der Bundesrepublik noch ein Atomkraftwerk läuft, und so lange nicht, als nicht vorher in den Bergbauregionen Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden.
Was von der ganz bewußten Strategie der Unwahrheit bei der IG BE zu halten ist, zeigt sich auch daran — ich möchte zitieren, wo auch Herr Lafontaine da ist — : Der Bezirksleiter der IG BE Saarland fordert die SPD-Landesregierung auf — was die Landesregierung nicht will; so in der Zeitung nachzulesen — , daß die Landesregierung bei den Saarbergwerken der geplanten Schließung der Zeche Camphausen zustimmen soll.
Der Bezirksleiter der IG Bergbau Saarland befindet
sich somit im Gegensatz zur SPD-Landesregierung.
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Das entnehme ich der Zeitung. Herr Lafontaine hat die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.
Am letzten Sonntag hat in Oberhausen eine alternative Ruhrgebietskonferenz mit ca. 800 Teilnehmern aus einem breiten Bündnisspektrum von Kirchenleuten, Vertretern der verschiedensten Gewerkschaften, von Bürgerinitiativen, Frauen der Bergarbeiter, Stahlarbeiter und der GRÜNEN getagt. Wir haben uns dort mit Perspektiven für das Ruhrgebiet beschäftigt und eine Abschlußerklärung verfaßt und beschlossen, aus der ich einen ganz entscheidenden Satz zitieren möchte, die Kohle betreffend:
In der anstehenden Kohlerunde in Bonn darf kein Kapazitäts- und Arbeitsplatzabbau beschlossen werden. Vielmehr ist durch den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, ein Verbot des Imports südafrikanischer Kohle sowie die Bereitstellung entsprechender öffentlicher Mittel die gegenwärtige Krise im Steinkohlenbergbau zu bekämpfen.
Ich freue mich, daß unsere kohlepolitischen Vorstellungen mittlerweile in einem breiteren Spektrum im Ruhrgebiet und anderswo Anklang finden. Sie ist nicht mehr als grüne Spinnerei zu diffamieren nach diesem letzten Sonntag in Oberhausen, Herr Niggemeier. In der Abschlußerklärung ist eindeutig festgestellt worden, daß das Überbrückungskonzept der IG Bergbau als falsch angelegt abgelegt wird.
Ein wichtiges Element des Beschlusses der alternativen Ruhrgebietskonferenz ist, daß wir ein Verbot des Imports südafrikanischer Steinkohle fordern. Die Zahlen sehen folgendermaßen aus. Die Kohleimporte aus Südafrika nach Nordrhein-Westfalen haben sich in den Jahren 1984 bis 1986 folgendermaßen entwikkelt: 1984 377 000 Tonnen Südafrikakohle nach Nordrhein-Westfalen, 1985 750 000 Tonnen, 1986 949 000 Tonnen. Da sagen wir GRÜNEN ganz eindeutig: Jede Tonne importierter Südafrikakohle ist ein Stück Apartheid in der Bundesrepublik.
Damit muß sofort Schluß sein.
Interessant ist, was die Statistiken weiterhin aussagen. Mehr als die Hälfte der nach Nordrhein-Westfalen importierten Südafrikakohle gingen 1985 und 1986 in die öffentlichen Energieversorgungsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, ein erheblicher Anteil auch als Kokskohle in die Stahlindustrie.
Wir haben den Pressesprecher der VEW — unter kommunaler Kontrolle, Herr Urbaniak, auch der SPD in Dortmund — gefragt, wie es mit Südafrika-Importkohle bei VEW aussieht. Dort wurden wir abgewiesen, und es wurde gesagt: Es gibt einen Anteil von Südafrikakohle. Wir wissen aber nicht, wie hoch er ist, weil der Kohlemix schon von den Importeuren der Kohle an der Küste vorgenommen wird. — Daraufhin haben wir die Vereinigung der deutschen Kohleimporteure gefragt und erfahren, daß der Kohlemix keineswegs von den Importeuren vorgenommen wird, sondern in den Großkraftwerken selbst, weil sie allein wissen, für welche Kesselanlagen sie welchen Mix brauchen.
Daraus folgt: Die Kommunen in den öffentlichen Energieversorgungsunternehmen — seien es VEW, RWE oder andere — haben die Aufsicht und Kontrolle darüber auszuführen, daß kein Stück Apartheid in ihren Energieversorgungsunternehmen stattfindet und keine Südafrikakohle dort zur Verstromung gelangt.
Wir GRÜNEN haben in unserem Antrag betreffend einen Umbau der Kohlepolitik Elemente einer solch ökologisch orientierten Kohlepolitik dargestellt. Aus Zeitgründen möchte ich mich auf wesentliche Elemente, die für die heutige aktuelle Debatte von Bedeutung sind, beschränken. Erstes Element einer solchen am Vorrang für Energieeinsparung und erneuerbaren Energiequellen orientierten Politik ist: Der Jahrhundertvertrag muß in seinem Mengengerüst bis 1995 durchgehalten und verteidigt werden.
Zweites Element: Es darf keinen Kapazitäts- und Arbeitsplatzabbau bei der heimischen Steinkohle geben, solange noch ein Atomkraftwerk in der Bundesrepublik läuft, und zwar deswegen, weil wir die heimische Steinkohle mit der heutigen Kapazität auch für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie brauchen, um den Atomstrom nicht nur, aber auch durch die heimische Braunkohle substituieren zu können.
Drittens. Eine ökologisch orientierte Energiepolitik ist natürlich gleichzeitig eine Absage an eine Kohlevorrangpolitik, weil — das möchte ich zu dem Antrag der SPD kritisch anmerken — eine Kohlevorrangpolitik systematisch die ökologisch verheerenden Folgen der Kohleförderung verschweigt. Ihr Antrag spricht mit keinem Wort von den ökologischen Verheerungen des Braunkohlentagebaus und der Nordwanderung der heimischen Steinkohle.
Aus dem Grunde sagen wir: Zu einem ökologischen Umbaukonzept für die heimische Kohle gehört, daß zum einen keine neuen Tagebaue in der Braunkohle in Betrieb genommen werden dürfen, und zum anderen muß es ein Moratorium für die Nordwanderung der heimischen Steinkohle geben, eine Forderung aller Bürgerinitiativen am Nordrand des Ruhrgebiets.
Viertens sagen wir: Eine ökologisch orientierte Energiepolitik wird durch die Konzentration der öffentlichen Mittel auf die Förderung von Energieeinsparung und erneuerbare Energiequellen mehr Arbeitsplätze in den Bergbauregionen sichern und schaffen als das traditionelle Weiterfahren der Kohlevorrangpolitik, und sie wird gleichzeitig die ökologischen Schäden der Kohlevorrangpolitik vermeiden. Für eine solche Politik werben wir um Zustimmung in der Bevölkerung, und das ist uns mit einem wichtigen Schritt auf der alternativen Ruhrgebietskonferenz am letzten Sonntag gelungen.
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Stratmann
Ich danke Ihnen.