Rede von
Heinz-Werner
Meyer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde am 9. Oktober 1987, als es um die Haltung der Bundesregierung in der Kohlerunde ging, hat der Kollege Dr. Lammert ein Gesamtkonzept gefordert, das unter Mitwirkung aller Beteiligten zustande kommen müsse. Es sei Aufgabe der Kohlerunde, drei jeweils für sich sicher berechtigte, aber miteinander nicht zu vereinbarende Positionen aufeinander zuzubewegen. Es gehe darum, die in den Verstromungsgesetzen niedergelegten Rechtsansprüche zu wahren, den Kohlepfennig möglichst wieder zu senken und die Mengenvereinbarungen nach dem Jahrhundertvertrag zu halten — so Kollege Lammert.
Die Bundesregierung hat dem Bundestag nun buchstäblich in letzter Minute eine Verordnung über den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz für das Jahr 1988 vorgelegt. Die Ausgleichsabgabe soll danach von 7,50 % auf 7,25 % gesenkt werden.
Ist das nun die Gesamtlösung, von der Herr Dr. Lammert vor gut vier Wochen sprach, meine Damen und Herren? Ist das wenigstens ein Schritt dahin, oder ist dies ein Schritt, der weiter von einer Gesamtlösung fortführt?
Ich glaube nicht, daß sich durch diesen Vorschlag der Bundesregierung nicht zu vereinbarende Positionen, wie Herr Dr. Lammert sie nannte, aufeinander
zubewegen werden. Deshalb kann dies kein Beitrag zur Gesamtlösung sein.
Denn ganz wesentliche, dazugehörende Entscheidungen sind offen. Wenn in der Kohlerunde morgen eine Verständigung herbeigeführt werden sollte, dann wissen wir heute eines schon ganz zuverlässig: Das Herzstück der Kohlepolitik, nämlich die Verstromung deutscher Steinkohle, wird dort überhaupt nicht zur Diskussion gestanden haben.
Auf den ersten Blick erscheint dies widersprüchlich und auch widersinnig; aber bei genauerer Betrachtung des tatsächlichen Zusammenhangs ist das ja folgerichtig. Der Bundeswirtschaftsminister ist zwar in der Lage gewesen, durch eine Kette von Versäumnissen und auch von Torheiten, Herr Bundeswirtschaftsminister, das Problem, das zugegebenermaßen unter den jetzt gegebenen ökonomischen Verhältnissen in der Ausgleichsabgabe liegt, zuzuspitzen. Es ist ihm aber nicht gelungen, auf soliden Verhandlungswegen mit den Beteiligten einer Lösung, wie sie angestrebt worden war, auch nur einigermaßen näherzukommen.
Im Sommer 1986 haben Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, viel zu spät und dann auch noch vollkommen unzureichend den Kohlepfennig erhöht. Seit Monaten war damals die Erhöhung überfällig. Ausgerechnet wenige Wochen nach der Katastrophe von Tschernobyl hatten Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, nicht den Mut, hier im Deutschen Bundestag zu begründen — denn das wäre notwendig gewesen —, daß die Sicherheit der Energieversorgung durch deutsche Steinkohle ihren Preis hat. Darum hat es sich damals gehandelt.
Im März 1987 haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, festgelegt, es bestehe Einvernehmen, daß die Strukturelemente des Kohlepfennigs einschließlich seiner Berechnungsmethode neu entschieden werden müssen — und das in dieser Legislaturperiode.
Es wird in dieser Vereinbarung noch ein deutlicher Satz angefügt, der die Richtung dessen, was gemeint ist, vorgibt. Der Satz lautet: „Die Anpassung der Kapazitäten im Kohlebergbau muß sozial flankiert werden." Beide Sätze stehen hintereinander. Man muß ja blind sein oder von den Zusammenhängen keine Ahnung haben, um nicht zu erkennen, daß in der Verbindung dieser beiden Sätze die eigentliche Dramatik dessen liegt, was sich gegenwärtig abspielt und was auch in dieser morgen stattfindenden Kohlerunde nicht entschieden werden kann und wohl auch nicht entschieden werden soll.
Was heißt das? Was heißt das für die, die heute und morgen nach Bonn schauen — es werden immer mehr in den Montanrevieren —
3456 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Meyer
— ich habe weder mit Fernsehen noch mit Rundfunk etwas zu tun, Herr Kollege Hinsken —,
und die darauf warten, daß ihnen Unsicherheit und Angst genommen werden. Vielleicht hilft ihnen das; sehen Sie: darum geht's nämlich, dies zu erreichen.
Aber diese Unsicherheit und Angst werden ihnen nicht genommen werden. Denn weitere Unsicherheit im Steinkohlebergbau und in den Steinkohlebergbaurevieren wird nun die Folge sein, ebenso weiter drängende Fragen danach, wo die Reise in den nächsten Jahren wirklich hingehen soll: keine Investitionen, oder nur in einem beschränkten Umfang? Denn wie soll jemand in die Zukunft investieren, vor allem im Steinkohlenbergbau, unter diesen im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen doch ganz andere Produktionsmethoden, wenn diese Zukunft durch politisch herbeigeführte und immer weiter geführte Diskussionen unsicher gemacht worden ist und weiter unsicher bleibt — sie bleibt weiter unsicher, Graf Lambsdorff —?
Dies ist verbunden mit der Folge, daß nicht als erstes der Steinkohlenbergbau selber aus den Schuhen kippt, sondern die Unternehmen und Betriebe, die herkömmlicherweise für ihn arbeiten, die international über hohes Ansehen verfügen und gegenwärtig auch noch von der internationalen Seite in den Würgegriff genommen werden. Das sind nämlich die Bergbauzulieferer und auch die Bergbauspezialgesellschaften.
Erst als der bestehende 4,5-%-Zustand unhaltbar geworden war, hat sich der Bundesminister für Wirtschaft aufgerafft, dem Bundestag den Entwurf einer Verordnung für die Anhebung auf 7,5 % in der Mitte dieses Jahres vorzulegen. Wir Sozialdemokraten haben diesem Entwurf damals zugestimmt. Wir wußten, daß es das Minimum war, das zu der Zeit gerade noch verantwortet werden konnte. Ausgegangen waren wir aber auch davon, daß es im Laufe des Jahres gelingen könnte, eine einvernehmliche Lösung mit allen Beteiligten herbeizuführen. Heute wissen wir: Diese einvernehmliche Lösung mit allen Beteiligten war nicht möglich. Sie erscheint heute weiter entfernt denn je. So sehe ich das; und ich denke, ich sehe das deutlich.
Der Vorschlag auf Anhebung der Ausgleichsabgabe kam zu spät. Und da er wiederum zu spät kam, war wiederum die damals schon erforderliche Höhe nicht durchsetzbar. So wird ein Problem verschärft.
Und nun liegt erneut in allerletzter Minute dieser Vorschlag der Bundesregierung auf dem Tisch. Auch er kann die bisher entstandenen Probleme nicht lösen, er verschärft sie weiter.
Das Dritte Verstromungsgesetz sagt klipp und klar, daß der Bundesminister für Wirtschaft bei der Festlegung des Prozentsatzes der Ausgleichsabgabe zu berücksichtigen hat, daß das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe den vom Bundesamt zu schätzenden Bedarf an Mitteln decken soll. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Vorschrift nimmt es sich doch wie Hohn aus, wenn in der Begründung der vorgelegten Verordnung gesagt wird — ich zitiere — :
Obwohl die voraussichtlichen Ansprüche gegen den Verstromungsfonds eine höhere Ausgleichsabgabe rechtfertigen würden, soll mit dem Abgabesatz von 7,25 % deutlich werden, daß der Bundesminister für Wirtschaft eine schrittweise Verminderung des Kohlepfennigs für geboten hält, .. .
Für solche Absichtserklärungen läßt das Gesetz überhaupt keinen Raum.
Das, was der Bundesminister für Wirtschaft die Rechtfertigung eines höheren Satzes nennt, ist ein klarer gesetzlicher Auftrag.
Aber in diese Klemme oder in dieses Dilemma ist er ja nicht etwa hineingetrieben worden. Nein, er hat sich selbst hineinbegeben, als er sich auf die Senkung der Einnahmen des Verstromungsfonds festgelegt hat, ohne gleichzeitig zu wissen, wie er auch die Ausgaben nach unten führen will. Das ist der Kern des Problems.
Dieser Widerspruch, meine Damen und Herren, ist auch in der Rede des Bundeskanzlers in der Haushaltsdebatte deutlich geworden. Auch er hat davon gesprochen, daß es — ich zitiere — „um eine Verringerung der Belastung durch den Kohlepfennig auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß" gehe — „und dies bei Aufrechterhaltung der im Jahrhundertvertrag vorgesehenen Kohleeinsatzmengen". Das, meine Damen und Herren, nenne ich die Quadratur des Kreises. Mit diesen beiden Zielsetzungen ist das energiepolitische Ziel, den Jahrhundertvertrag bis 1995 unverändert durchzutragen, was die Kohleeinsatzmenge betrifft, nicht zu erreichen. Sie mögen da anderer Meinung sein. Ich sage: Das ist so nicht zu erreichen.
Lösbar ist der hier liegende Widerspruch nur, wenn endlich mit dem nicht verantwortbaren Gerede von den angeblich untragbaren Lasten aufgehört wird. Sicherheit hat ihren Preis. Dies war lange allgemeine Erkenntnis zwischen allen Fraktionen des Deutschen Bundestages. Auch wenn dieser Preis zur Zeit hoch ist, ist er noch tragbar.
— Wie hoch er wäre, wie hoch er sein könnte, wie
hoch er gegenwärtig sein müßte? Nach meiner Meinung müßte er um 9 % sein. Aber ich weiß, was Sie mir
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Meyer
sagen wollen. Das muß man ja längerfristig betrachten, also für die vor uns liegende Zeit.
— Wieso soll ich denn den D-Mark-Betrag dazu sagen?
— Nein, das löst ja das eigentliche Problem nicht, Herr Kollege Hinsken. Es geht ja nicht um den D-MarkBetrag. Was haben Sie denn davon, wenn der D-Mark-Betrag insgesamt sinkt und damit das allgemein angesteuerte Ziel nicht erreicht werden kann?