Herr Kollege Voigt, ich bin Ihnen dankbar für diese Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, darauf hinzuweisen, daß Anträge von Kollegen aus diesem Hause auf Erteilung von Visa bedauerlicherweise abgelehnt worden sind und daß in einem Falle noch offen ist, ob ein solches Visum erteilt wird. Ich kann nur sagen: Dies bedaure ich, und dies steht nicht im Einklang mit den Bemühungen um eine Entspannungspolitik, die eben die Menschenrechte nicht außen vor läßt, sondern das Bemühen um Verwirklichung der Menschenrechte mit einschließt.
Meine Damen und Herren, wer nur die Debatten des gestrigen Tages zu den Ereignissen um die Zionskirche in Ost-Berlin, zu Südafrika und Rumänien einmal sorgfältig analysiert, wird leicht feststellen können, daß wir noch nicht in jedem Falle eine Politik entwickelt haben, die überall in der Welt Menschenrechtsverletzungen mit der gleichen Elle mißt, aber auch überall mit der gleichen peinlichen Sorgfalt den Weg auskundschaftet, der zu einer wirklichen Verbesserung der Lage der Menschen in den jeweiligen Ländern führen kann.
Ich habe die gestrige Debatte über die Versorgungslage in Rumänien erwähnt, und ich möchte auch hier die bedauerliche Tatsache mitteilen, daß die rumänische Botschaft die Erteilung eines Einreisevisums für die beiden Kollegen verweigert hat, die wir gebeten haben, nach Rumänien zu fahren, um an Ort und Stelle festzustellen, ob und in welcher Weise wir helfen können, die Versorgungslage in Rumänien zu verbessern. Ich möchte an die rumänische Regierung hier nur den Appell richten, daß sie diese Haltung noch einmal überprüft, auch im Interesse der Menschen, die in Rumänien leben.
Meine Damen und Herren, richtig ist, daß Menschenrechtsverletzungen klar beim Namen genannt werden müssen. Da darf es wirklich kein Schielen nach rechts oder nach links geben. Wer aber — das möchte ich hinzufügen — Menschenrechtsverletzungen beim Namen nennt, muß sich immer auch seiner Verantwortung dafür bewußt bleiben, daß von ihm mehr als Rhetorik, nämlich ein Beitrag zur realen Verbesserung der Lage geleistet werden muß. Es gibt keine Patentrezepte dafür, worin dieser Beitrag jeweils bestehen kann. Sicher ist für mich nur, daß weder Aggressivität auf der einen noch Leisetreterei auf der anderen Seite die probatesten Mittel sind. Meistens geht es um das Herausfinden der rechten Mischung zwischen — wie die Angelsachsen es nennen — „quiet diplomacy" und „open diplomacy", also zwischen stiller Diplomatie und öffentlicher Geltendmachung. Nur das zählt wirklich, was die Menschenrechte für die Menschen alltagswirksam macht. Darauf müssen wir auch bei der Arbeit des Unterausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe achten, den der Deutsche Bundestag in dieser Legislaturperiode erstmals eingesetzt hat. Allerdings wollen wir diesen Unterausschuß auch zielbewußt als ein zusätzliches Instrument unserer Menschenrechtspolitik einsetzen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, immer wieder werden wir uns bei unserer Menschenrechtspolitik dem Vorwurf der betroffenen Staaten ausgesetzt sehen, wir mischten uns in unzulässiger Weise in ihre inneren Angelegenheiten ein. Diese Staaten haben noch nicht mitbekommen oder wollen nicht mitbekommen, welche Veränderungen im Völkerrecht seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingetreten sind. Inzwischen ist ein so dichtes menschenrechtliches Normengeflecht im Völkerrecht entwickelt worden, daß heute kein Staat der Erde mehr mit Fug und Recht die Einforderung der Einhaltung dieser Normen mit dem Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten abwehren kann. Dem gilt es, wie ich meine, mit geduldiger Beharrlichkeit Geltung zu verschaffen, und ich möchte auch und vor allem das Auswärtige Amt ermutigen, daran mit seinen Möglichkeiten stetig mitzuwirken.
Ein völkerrechtlicher Anknüpfungspunkt für Demarchen bei fremden Regierungen ist nicht nur dann gegeben, wenn Deutsche von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Wohl bin ich der Auffassung, daß deutsche Landsleute vor allen anderen unseren Einsatz erfordern, ganz gleich, ob es sich um unsere Landsleute in der DDR, um deutsche Minderheiten in anderen Staaten des Warschauer Paktes oder um die Deutschen in der „Colonia Dignidad" in Chile handelt. Ein zureichender völkerrechtlicher Anknüpfungspunkt liegt nach meiner Überzeugung jedenfalls auch überall dort vor, wo Menschenrechtsverletzungen von Regierungen zu verantworten sind.
Meine Damen und Herren, ich bin froh darüber, daß wir die heutige Debatte auch dazu genutzt haben, des Tages der Menschenrechte, der in jedem Jahr am 10. Dezember begangen wird, zu gedenken. Aber lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß wir auch an den übrigen 364 Tagen des Jahres an die Verwirklichung der Menschenrechte denken und uns überall dort zu Wort melden, wo Menschenrechte verletzt werden.
Vielen Dank.