Rede von
Friedrich
Bohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es heute morgen erneut erlebt: Die europapolitischen Katastrophenredner haben wieder einmal Hochkonjunktur. Ihr Repertoire ist offenkundig unerschöpflich. Da ist die Rede von Scherbenhaufen, Krise, Scheitern, Handlungsunfähigkeit
oder, wie Sie, Herr Vogel, formuliert haben, von einem eklatanten Fehlschlag. Wenn wir diese pauschalen Reaktionen nicht schon fast nach jedem europäischen Gipfel bis zum Überdruß immer wieder gehört hätten, könnte es die Gemüter vielleicht noch erregen, so aber beim besten Willen nicht.
Diese Inflation der Negativurteile — auch Frau Wieczorek hat sich ja dort eingereiht — , die sich selbst bestätigend immer neue produzieren, verstellt den Blick für die Realitäten.
Sie schafft vielmehr — diese Feststellung scheint mir sehr wichtig zu sein — in breiten Schichten der Bevölkerung teils Gleichgültigkeit und teils Enttäuschung gegenüber Europa. Auch das ist eine ernste Gefahr für das europäische Einigungswerk.
Keiner käme doch ernsthaft auf den Gedanken, von einem Scheitern des Föderalismus zu reden, wenn sich die Kultusministerkonferenz in der Bundesrepublik wieder einmal nicht über wichtige Fragen der Neuregelung des Abiturs einigen kann oder wenn wir in Fragen des Finanzausgleichs zwischen den Ländern unterschiedliche Auffassungen haben. Lassen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3439
Bohl
Sie doch bei Ihrer Kritik die Kirche im Dorf, meine Damen und Herren von der Opposition.
Ich kann mich noch entsinnen, was Sie, als es damals, Herr Vogel, um die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte ging, für Horrorgemälde an die Wand gemalt haben. Es hieß, wir würden nicht rechtzeitig ratifizieren, wir würden nicht zu Ende kommen. Davon konnte doch gar keine Rede sein. Alles, was Sie in diesem Zusammenhang immer beschwören, trifft doch gar nicht ein.
Was ist — das ist doch die Frage — in Kopenhagen nun wirklich geschehen?
Klären wir das doch einmal ganz genau. Die Staats- und Regierungschefs haben über ein Bündel schwerwiegender und komplizierter Probleme, wie sie im Delors-Papier zusammengefaßt sind, nicht abschließend entscheiden können; das ist der Sachverhalt. Es waren zu viele Detailpunkte nach den umfangreichen Papieren der dänischen Präsidentschaft bei den vorbereitenden Arbeiten nicht geklärt worden. Die Kommission hatte die von den nationalen Regierungen vorgelegten Vorschläge nicht hinreichend aufgearbeitet und nach meinem Eindruck nicht zur Genüge geprüft, ob und wie sie mit dem Delors-Paket zusammengefügt werden könnten. Ich finde, diese Arbeit mußte vorher geleistet werden.
Dieser Gipfel war mit Detailpunkten belastet, so daß man vernünftigerweise Ergebnisse weder erwarten konnte noch hätte überhaupt versuchen dürfen, auf dieser unsicheren Grundlage zu einem Ergebnis zu kommen.
Sie wissen, Herr Kollege Vogel — ich will auch das offen sagen —, wie schwierig es für kleine Länder mit kleiner Bürokratie und Verwaltung ist, so schwierige Dinge zu bewerkstelligen.
Ich will das einmal mit dieser Deutlichkeit hier sagen.
Es ist ja bei vergleichbaren Gipfeln ähnlich gewesen. Deshalb ist es richtig gewesen, daß sich die Regierungschefs darauf verständigt haben, nicht zu entscheiden, zu vertagen und einen neuen Anlauf zu unternehmen. Daher kann auch keine Rede davon sein, daß in erster Linie die deutsche Delegation hier gemauert hat. Es waren zu viele unterschiedliche Fragen und Wünsche gerade im Agrar- und Finanzkomplex offen. Es war noch keine Entscheidungsreife gegeben. Ich glaube, es ist deshalb gut, daß wir erst im Februar in Brüssel dann eine Entscheidung zu erwarten haben.