Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat sich hier vorrangig mit einem erfreulichen Gipfel beschäftigt; das ist gut, und das ist richtig. Die
3436 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Dr. Spöri
CDU hat bei dieser Rede, finde ich, ein bißchen zuwenig geklatscht;
sie war in großen Teilen sehr gut, meine Damen und Herren. Aber die Beschäftigung mit diesem positiven Gipfel sollte hier debattenstrategisch nicht von dem ablenken, was in Kopenhagen passiert ist.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung hervorgehoben, daß Europa angeblich durch ein abgestimmtes Handeln wirtschaftspolitisch auf die Krise an den Devisenmärkten reagiert und die wirtschaftspolitische Verantwortung wahrgenommen hätte. Meine Damen und Herren, diese Feststellung ist nicht etwa nur Schönfärberei; es ist die schlichte Unwahrheit. Die Wahrheit ist: Der europäische Gipfel in Kopenhagen hat wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt, daß wir uns heute in einer sehr schweren Krise der ökonomischen Führung in Europa befinden. Er hat in einer prekären wirtschaftlichen Krisenlage nicht einmal den Versuch abgestimmter wirtschaftspolitischer Aktion gebracht. Das ist ein schlimmes Armutszeugnis für Europa. Die Bundesrepublik als größte Handelsnation der Welt ist wirtschaftspolitisch inzwischen auf internationalem Parkett auf Zwergengröße zusammengeschrumpft. Der Verlust an wirtschaftspolitischer Führungskompetenz, d. h. ganz konkret das Gefälle von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl wird gerade in diesen Tagen unübersehbar.
Das Wort vom Politikversagen macht zu Recht die Runde in der Bundesrepublik Deutschland.
— Sie haben ihn doch abgewählt, Herr Bohl!
Die Bundesregierung ist sich offenbar der internationalen Verantwortlichkeit ihrer nationalen Wirtschaftspolitik nicht hinreichend bewußt. Nicht beachtet hat die Bundesregierung auch viel zu lange, daß heute Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht ohne Bezug zur existentiellen Krise unserer Umwelt betrieben werden kann.
Angesichts des gigantischen Investitionsbedarfs zum Schutz und zur Sanierung unserer Umwelt ist eine Integration dieser beiden Politikbereiche unverzichtbar. Das sterile Kästchendenken in der Politik: hier Umweltpolitik, da Wirtschaftspolitik, bei dem immer noch die Umwelt stupid gegen Arbeitsplätze ausgespielt wird, ist nicht nur wirtschaftspolitisch Unsinn, sondern gefährdet unsere menschliche Existenz. Das müssen wir hier endlich in seiner vollen Dramatik erkennen. Wir müssen auch im Bundestag danach handeln.
Wir Sozialdemokraten haben mit unserem Programm „Arbeit und Umwelt" einen möglichen Weg gewiesen — es gibt sicherlich auch andere diskussionsfähige Wege —, wie der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für uns und unsere Kinder und Enkel mit der dringenden Notwendigkeit, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, versöhnt werden kann.
Die Bundesregierung hat jahrelang unser Konzept dafür aus rein ideologischen Gründen zurückgewiesen. Der Bundesfinanzminister hat noch am 9. September in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag unser Programm „Arbeit und Umwelt" mit wahrheitswidrigen Argumenten diffamiert. Sie haben einfach nicht begriffen, daß die ökologische Krise und die Beschäftigungskrise gemeinsam gemeistert werden müssen und gemeinsam gemeistert werden können.
Fünf Jahre lang haben Sie alle, die hier auf dieser Regierungsbank sitzen — leider sind Herr Bangemann und Herr Stoltenberg nicht mehr da — , mitten in einer weltwirtschaftlichen Aufschwungphase die Massenarbeitslosigkeit in unserem Land achselzuckend hingenommen. Das ist die Wahrheit. Fünf Jahre lang haben Sie unsere ökologische Krise nur in Sonntagsreden so richtig ernst genommen.
Erst der Krach an den Börsen und die Verluste der Aktionäre haben Sie jetzt richtig wachgerüttelt. Jetzt sind Sie in einen hastigen und halbherzigen Aktionismus verfallen.
Das vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung so gefeierte Konjunkturprogramm, das ja nicht so genannt werden darf, weil Herr Stoltenberg sonst böse würde, ist aber nichts weiter als weiße Salbe. Sie versuchen, Substanz, d. h. wirksames wirtschaftspolitisches Handeln durch Propaganda und viele Worte zu ersetzen. Die Reaktion auf den Finanzmärkten hat gezeigt, daß Ihr Programm dort sofort als dünnes Brett durchschaut worden ist. Die Wirtschaft hat mit massiver Kritik, ja sogar mit höhnischem Gelächter bis in die Koalitionsreihen hinein, bis zum Wirtschaftsgrafen hin reagiert.
Sie haben mit Ihrem Konjunkturprogramm aber auch die Widersprüchlichkeit Ihrer gesamten Wirtschaftspolitik peinlich entlarvt.
Jahrelang hat die Koalition uns hier gebetsmühlenhaft ihre angebotsorientierte Wirtschaftsphilosophie vorgetragen, die einfache Formel: mehr Gewinne — mehr Investitionen — weniger Arbeitslosigkeit.
Wie sehen die Erfahrungen nach fünf Jahren dieser angebotsorientierten Politik aus? Der Umfangsverteilungseffekt bei den Einkommen ist durchaus stattlich. Die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 61 % gestiegen. Die Anlageinvestitionen — und das ist entscheidend — sind in der gleichen Zeit aber nur um real 8 % gestiegen. Deshalb haben wir heute 400 000 Arbeitslose mehr als vor fünf Jahren — mit weiter steigender Tendenz. Sie haben es als erste Regierung der Nachkriegszeit fertiggebracht, einen starken konjunkturellen Aufschwung nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu nutzen. Das ist in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik einmalig.
Nach diesen unwiderlegbaren Fakten muß jetzt nach diesen fünf Jahren festgestellt werden: Die einseitige, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ist gescheitert. Sie können sich nicht länger Illusionen machen. Ihre wirtschafts- und fi-
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nanzpolitische Glaubenslehre hat in der Praxis völlig versagt, meine Damen und Herren.
Ihr halbherziges Konjunkturprogramm ist ja bereits ein zaghaftes Eingeständnis in diese Richtung. Aber die Lehren aus den bitteren Erfahrungen der letzten fünf Jahre haben Sie immer noch nicht gezogen.
Worum geht es denn eigentlich? Unternehmensgewinne, meine Damen und Herren, müssen sein, wenn in unsere Wirtschaft investiert werden soll. Aber Ihr Fehler, den Sie als Koalition gemacht haben, war es doch, daß Sie mitten im weltwirtschaftlichen Boom die finanzpolitischen Spielräume für die weitere Stärkung eh steigender Unternehmensgewinne jahrelang einseitig ausgeschöpft haben. Jetzt haben Sie finanzpolitisch Ihr Pulver verschossen. Für die notwendige Stärkung der Binnennachfrage ist nichts mehr in der Kasse.
In dieser verfahrenen Situation versuchen Sie jetzt, Ihr Steuerpaket 1990 als Maßnahme zu verkaufen, die das Wachstum bereits im Jahre 1988 stärken soll. Das können Sie selbst nicht glauben. Und Sie glauben wohl auch nicht daran, daß der gemeinsame Binnenmarkt in Europa, der — hoffentlich — 1992 geschaffen sein soll, die Konjunktur schon im Jahre 1988 belebt. Diese Behauptung ist geradezu lachhaft. Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß die Konjunktur durch die Privatisierung von Staatsanteilen an Unternehmen wie Volkswagen, VIAG oder DSL-Bank besser läuft und auch nur ein einziger Arbeitsplatz zusätzlich geschaffen wird. Herr Bangemann soll mir einmal zeigen, wie das geht. Nein, nein, die Motive sind ganz andere: Sie wollen durch diese Verkäufe Kasse machen, indem Sie Volksvermögen verscherbeln. Sie wollen Kasse machen, um den Bundeshaushalt statistisch zu schminken. Das ist das wahre Motiv dieser Verkaufspolitik, meine Damen und Herren.
Wenn man sich das Kreditprogramm einmal ansieht, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung so gelobt hat und das auf internationaler Ebene angeblich auf so große Zustimmung stößt, dieses Kreditprogramm, das Sie jetzt bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau auflegen wollen, dann könnte man fast meinen, daß das ein bißchen aus unserem Programm „Arbeit und Umwelt" abgeschrieben worden ist.
Wir hätten zwar überhaupt nichts gegen ein gutes Plagiat — das würden wir sogar begrüßen, meine Damen und Herren — , aber leider haben Sie falsch abgeschrieben.
Denn Sie haben es versäumt, für die zusätzlichen Investitionen der Gemeinden, die Sie damit anregen wollen, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
So wie Ihr Programm jetzt konzipiert ist, wird es nur den finanzstarken Kommunen nützen, die ohnehin investieren können. Sie nehmen Ihre Zinssubventionen natürlich gerne mit, ohne zusätzlich zu investieren. Die vielen finanzschwachen Städte und Gemeinden aber, die keinen Spielraum mehr für zusätzliche Kredite haben, werden dieses Programm nicht in Anspruch nehmen können. So ist die Situation.
Damit wird den Gemeinden und Regionen, die besonders dringend Hilfe benötigen, gerade nicht geholfen. Mit diesem Programm legen Sie einen atemberaubenden wirtschaftlichen Zickzackkurs hin. Ich gebe ja zu, meine Damen und Herren von der Koalition: Wir waren in unserer Regierungszeit wirtschaftspolitisch auch nicht die Weltmeister.
Aber wir haben — unter schwierigsten weltwirtschaftlichen Bedingungen einer massiven Ölpreisexplosion und weltweiter Rezession —
mit einer offensiven Investitionspolitik in der zweiten Hälfte der 70er Jahre immerhin mehr als 800 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das sind die Fakten, meine Damen und Herren. Bei Ihnen sind dagegen am Ende des Aufschwungs 400 000 Menschen mehr arbeitslos als im Tiefpunkt der letzten Rezession. Das sind die Fakten, das sind die Ergebnisse Ihrer Politik. Sie können sich nicht länger daran vorbeimogeln.
— Bitte schön, Herr Kollege.