Verehrter Herr Kollege, wenn Sie diese Entwicklung nicht haben wollten, hätten Sie sich nur 1981/82 in Ihrer Partei konsequent an den NATO-Doppelbeschluß halten müssen, um das dann mit uns gemeinsam weiterzuführen. Daß Sie davon abgewichen sind, war doch einer der Gründe, weshalb eine neue Regierung gebildet werden mußte, weil Sie den Mut verloren hatten, nicht wir.
Leider war der Umweg der Stationierung westlicher Waffen erforderlich, im Gegensatz zu dem, was wir hier wieder von den GRÜNEN gehört haben, um sowohl den Willen der NATO zur Verteidigung glaubwürdig zu vertreten als auch die Solidarität in der Allianz in dieser schwierigen Frage unter Beweis zu stellen. Wichtig ist auch, daß dadurch das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Politik nicht nur erhalten, sondern bestärkt worden ist. Wir haben seit 1979 in allen entscheidenden Debatten deutlich gesagt, daß unser Ziel nicht die Aufrüstung, sondern die NullLösung bei den Mittelstreckenwaffen war. Unsere Bürger sehen nun, daß dies in einem Teilbereich der Rüstung dieser Welt tatsächlich verwirklicht worden ist. Die, die noch vor einigen Jahren glaubten, uns mit Mahnwachen von diesem Weg abbringen zu sollen, sollten heute wenigstens im stillen Kämmerlein einsehen: Nur dieser Weg hat uns zur Entscheidung gebracht und nicht die Irrwege, die sie gepredigt haben.
Der Vertrag über die Vernichtung der Mittelstrekkenwaffen hat neben der Beseitigung dieser Systeme eine noch weit tiefergehende Bedeutung. Er ist
gleichzeitig Signal für das weitere Abrüsten. Sein Erfolg wird hoffentlich dazu beitragen, daß auch für die strategischen Waffensysteme bald die angestrebte 50 %ige Reduktion vereinbart wird. Dieser Vertrag gibt hoffentlich auch ein Signal dafür, daß die Achtung und Vernichtung der chemischen Waffen beschlossen wird und durch geeignete Verifizierungsmaßnahmen überprüfbar wird.
Hier hat man entscheidende Schritte für die Überprüfung getan; wir hoffen, daß das auch im chemischen Bereich möglich sein wird.
Dieser Vertrag soll auch das Signal für eine umfassende Abrüstung vor allem im Bereich der konventionellen Streitkräfte in Europa sein. Dabei gehen wir ohne Illusionen an diese schwierigen Fragen heran; denn wir wissen, daß beim Abbau der konventionellen Streitkräfte noch viele Probleme zu lösen sein werden. Die Beseitigung der Asymmetrie in diesem Bereich ist für uns unabdingbar; denn nur so wird mehr Stabilität in Europa erreicht. Wir sind sehr froh darüber, daß dies im Warschauer Pakt anerkannt worden ist. Es wird jetzt festgestellt werden müssen, ob das, was dort erklärt worden ist, auch am Verhandlungstisch zu einem Ergebnis führt. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für die Waffen mit weniger als 500 km Reichweite, insbesondere für das nukleare Potential in Europa.
Der Abschluß des Mittelstreckenraketenvertrages gibt Anlaß zu der Hoffnung, daß dies tatsächlich der Beginn eines Weges in eine von weniger Waffen geprägte Welt sein kann. Über die Maßnahmen zur Abrüstung hinaus gewinnt das Abkommen doch auch an Bedeutung für die generelle Weiterentwicklung der Ost-West-Beziehungen, für den Handel, die Wirtschaft, Umwelt, Kultur; ich will nicht alles aufzählen. Ich bin sicher, auch die Durchsetzung der Menschenrechte wird leichter möglich sein, wenn man über Vereinbarungen der Abrüstung zum Abbau von Mißtrauen und zur Bildung von Vertrauen kommt. Deshalb ist hier dieser enge Zusammenhang.
Die Signalwirkung des INF-Abkommens für den OstWest-Dialog veranlaßt mich an dieser Stelle, an den amerikanischen Senat zu appellieren, dieses Abkommen möglichst bald zu ratifizieren.
Eines hat sich allerdings auch gezeigt, nämlich die Erfahrung, was Einigkeit in der Allianz bedeutet und daß damit auch in politisch schwierigen und anfänglich kaum lösbaren Fragen international ein Ergebnis erzielt werden kann, wenn die Allianz geschlossen auftritt und genau weiß, was sie will, und dies mit Konsequenz gegenüber jedermann vertritt.
Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zu den Fragen der gegenwärtigen EG-Politik. In diesem Jahr haben wir den 30. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge begangen. Ohne Zweifel wurden in den drei zurückliegenden Jahrzehnten wesentliche Fortschritte auf dem Weg zu einer europäischen Einigung erreicht. Dennoch ist unbestritten, daß die Gemeinschaft heute vor schwierigen Aufga-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3423
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ben steht. Wenn ich immer wieder höre: „Das Ende der Gemeinschaft steht vor der Tür", dann muß ich aus meiner jahrzehntelangen parlamentarischen Erfahrung sagen: In den letzten 30 Jahren stand ihr Ende eigentlich jedes Jahr vor der Tür. Wir sind erfreulicherweise doch jedes Jahr weitergekommen.
Bei den Problemen handelt es sich vor allem um die Problemkreise des Delors-Pakets, nämlich die Reform der Agrarpolitik, die Reform des Strukturfonds, Haushaltsdisziplin sowie ein neues Finanzierungssystem für die Gemeinschaft. Eine Lösung dieser Probleme ist die Voraussetzung dafür, daß das, was wir uns mit der Verwirklichung der Europäischen Akte als Ziel gesetzt haben, erreicht werden kann.
Eine Lösung der Probleme der Agrarpolitik hat weit über den Landwirtschaftsbereich hinaus Bedeutung.
Über Kohle und Stahl, die natürlich ebenfalls von größter Wichtigkeit sind, wird ja heute und morgen in gesonderten Tagesordnungspunkten gesprochen. Ich will deshalb hier heute morgen nicht dazu Stellung nehmen.
Die Gemeinschaft leidet unter großen Agrarüberschüssen, damit unter überquellenden Lägern und unvertretbaren Haushaltsbelastungen. Dadurch ist eine Verunsicherung der Bevölkerung in den ländlichen Räumen eingetreten. Ausgewogene und flexible Reformen in der Agrarpolitik der Gemeinschaft sind unumgänglich. Die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen dürfen wir allerdings nicht nur unter agrarpolitischen Reformnotwendigkeiten betrachten, sondern wir müssen uns auch die Frage stellen und uns auch der Frage stellen, was der europäischen Landwirtschaft insgesamt und in den jeweiligen Mitgliedsländern bei der gegenwärtigen Einkommenslage und der allgemeinen Beschäftigungssituation überhaupt zugemutet werden kann.
Wir halten an den Vorstellungen des bäuerlichen Familienbetriebs fest. Das ist nicht nur das Erfordernis einer vernünftigen Strukturpolitik, sondern ein Grundelement der wirtschaftlichen und sozialen Struktur des gesamten ländlichen Raumes überhaupt. Den wollen wir erhalten wissen und nicht zerstört wissen.
Die vordringlichste agrarpolitische Aufgabe ist die Verminderung der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Europäischen Gemeinschaft, damit die Märkte entlastet werden und die gemeinsame Agrarpolitik finanzierbar bleibt. Die beste Lösung besteht darin — das fordern wir schon lange —, landwirtschaftliche Betriebe im Rahmen einer Vorruhestandsregelung für ihre Besitzer stillzulegen. Viele Landwirte in Europa haben keine Nachfolger und tragen sich mit der Absicht, ihre Betriebe über kurz oder lang aufzugeben. Betriebsstillegung gegen Entgelt befreit sie von der Notwendigkeit, bis ins hohe Alter weiterzuwirtschaften, und ermöglicht somit neben der Marktentlastung zugleich einen sozial erträglichen Ausstieg aus
der Landwirtschaft. Diese Vorruhestandsregelung bietet also eine doppelte positive Möglichkeit.
Viele Landwirte bei uns warten darauf, daß ihnen auf diese Weise geholfen wird. Das dürfte auch in den Mitgliedstaaten kaum anders sein. Aus Wettbewerbsgründen ist es erforderlich, daß alle Mitgliedstaaten ihren Landwirten die Stillegung zu realistischen Konditionen anbieten.
Eine attraktive Mitfinanzierung durch die Gemeinschaft ist durchaus vertretbar, da Honorierung der Betriebsstillegung, d. h. die Nichtproduktion, für den EG-Fiskus billiger ist als die weitere Beseitigung von Überschüssen, wie die Erfahrung gelehrt hat.
Trotz Überangebots und drastischen Preisverfalls fördern andere Mitgliedstaaten immer noch Investitionen in der Schweine- und Mastrinderhaltung. Ausschlaggebendes Motiv mag sein, daß man mehr Marktanteile in diesen Produktionsbereichen gewinnen will. Es macht aber keinen Sinn, die Errichtung zusätzlicher Kapazitäten in der Ferkelerzeugung, Schweine- und Rindermast mit staatlichen Mitteln zu provozieren, wenn die Märkte ohnehin überlastet sind. Es macht die EG kaputt, wenn ich dort weiterfinanziere, wo ich nicht mehr finanzieren, sondern abbauen muß.
Leidtragend sind doch letztlich die Landwirte in der gesamten Gemeinschaft, die bei den niedrigen Preisen keine Gewinne erzielen. Dadurch sind viele in Existenznot geraten.
Dringend erforderlich ist ein EG-weites striktes Verbot staatlicher Investitionsförderung in den genannten Erzeugungsbereichen. Leider hat auch der Gipfel in diesen Fragen zu keinem erfolgreichen Abschluß geführt. Wir bedauern das. Wir sollten uns jedoch vor zu einfachen Schuldzuweisungen hüten. Die Bundesregierung für das Ausbleiben eines befriedigenden Kompromisses auf dem Kopenhagener Gipfel verantwortlich zu machen entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.
Der Präsident des Europäischen Parlamentes hat auf eine Frage in diese Richtung — ob die Franzosen und die Deutschen mehr unter Druck hätten gesetzt werden müssen — klipp und klar gesagt: Nein, das stimmt nicht, ich akzeptiere das nicht. Das heißt, auch im Europäischen Parlament ist klar, daß von einer einseitigen Schuldzuweisung nicht die Rede sein kann, wenn man überlegen muß, was zu geschehen hat.
Es geht darum, daß wir die Realitäten erkennen. Es geht darum, daß wir in den Bereichen, in denen wir seit Jahren konsequente Entscheidungen verlangt haben, endlich zu Ergebnissen kommen.
In einer Phase der weltwirtschaftlichen Entwicklung, die durch tiefe Veränderungen in den Wirtschaftsstrukturen vieler Länder gekennzeichnet ist und von der ganze Industriezweige betroffen sind, kann es keine Patentrezepte für die Lösung der damit verbundenen vielfältigen Probleme geben. Wir dürfen den Blick für das jeweils Machbare nicht verlieren.
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Wir müssen bei den einzelnen Entscheidungen auch die soziale Verträglichkeit — das gilt für alle Bereiche der Strukturreform — für die Betroffenen berücksichtigen.
Eines darf allerdings nicht eintreten: daß wir uns durch das Nichtergebnis von Kopenhagen entmutigen lassen. Im Gegenteil.
Am 11. und 12. Februar 1988 wird der Rat ja zu einer weiteren Sitzung zusammenkommen. In der Zwischenzeit besteht eine realistische Möglichkeit, Kompromißvorschläge zu erarbeiten. Das wird eine schwierige, aber, wenn es zur Lösung kommt, auch dankbare Aufgabe während der deutschen Präsidentschaft sein. Wir wissen, daß es dazu vieler Unterstützung und Mitarbeit bedarf; denn wenn wir den Binnenmarkt wirklich bis 1992 vollenden wollen und damit für 320 Millionen Menschen in allen Mitgliedstaaten zusätzliche Chancen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung ihrer eigenen Möglichkeiten eröffnen wollen, dann ist es notwendig, Anfang nächsten Jahres in diesen Fragen Lösungen zu finden.
Meine Damen und Herren, wir werden alles, was in unseren Kräften steht, tun, um die Bundesregierung bei diesen Bemühungen zu unterstützen. Wir sind allerdings auch der Auffassung, daß man den Mut haben muß, in all diesen Fragen die Fakten auf den Tisch zu legen, und nicht durch Versprechungen Hoffnungen erwecken darf, die nicht erfüllt werden können.
Meine Damen und Herren, zwei Gipfel, wenn ich das so sagen darf, haben stattgefunden: der eine mit einem weithin sichtbaren Erfolg, der andere mit einer Vertagung. Beide Gipfel haben deutlich gemacht, daß die Bundesrepublik Deutschland ein erhebliches Gewicht einbringen kann. Es hat sich gezeigt, wieviel wir durch unsere Möglichkeiten, den mittleren und kleineren Staaten unsere Meinung darzulegen und ihre Auffassungen mit einzubeziehen, erreichen konnten. Das zeigt, daß das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in diesen Fragen gewachsen ist. Es ist um so stärker, je geschlossener wir Deutschen dieses Gewicht auf die Waagschale legen. Deshalb bitte ich alle darum, diese vernünftige Politik für die Zukunft voll zu unterstützen.