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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/49 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 49. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 Inhalt: Nachruf auf das verstorbene Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. h. c. Peter Lorenz 3399 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3399C, 3440 D Absetzung des Punktes 20a von der Tagesordnung 3400 A Tagesordnungspunkt 16: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Die Reform der Strukturfonds (Drucksachen 11/929 Nr. 2.3, 11/1209) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Mitteilung der Kommission über die Haushaltsdisziplin (Drucksachen 11/929 Nr. 2.2, 11/1211) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Zweite Änderung des Vorschlags für eine Verordnung (EGKS — EWG — EURATOM) des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 11/929 Nr. 2.5, 11/1212) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sitzung des Europäischen Rates am 29./30. Juni 1987 in Brüssel (Drucksachen 11/523, 11/1293) Dr. Kohl, Bundeskanzler 3400 C Dr. Vogel SPD 3406 D Rühe CDU/CSU 3412D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 3418D Mischnick FDP 3421 B Frau Wieczorek-Zeul SPD 3424 B Frau Geiger CDU/CSU 3427 A Frau Beer GRÜNE 3429 C Genscher, Bundesminister AA 3432 B Dr. Spöri SPD 3435 D Bohl CDU/CSU 3438 C Erler SPD 3441A Lintner CDU/CSU 3442 C Frau Flinner GRÜNE 3444 B Frau Würfel FDP 3445 D Dr. Gautier SPD 3447 B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3449 C Brück SPD 3451A Becker (Nienberge) SPD (zur GO) 3452 B Seiters CDU/CSU (zur GO) 3452 C Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) 3452 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10, Dezember 1987 Namentliche Abstimmung 3454 A Ergebnis 3482 D Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Kohlevorrangpolitik (Drucksache 11/958) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz für das Jahr 1988 (Drucksachen 11/1350, 11/1446) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN: Umbaukonzept für die heimische Steinkohle (Drucksache 11/1476) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerstein, Wissmann, Dr. Lammert, Müller (Wadern) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Beckmann, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Hirsch, Dr. Hoyer, Dr.-Ing. Laermann, Möllemann, Frau Würfel und der Fraktion der FDP: Förderung der deutschen Steinkohle (Drucksache 11/1485) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Solidarität mit dem Widerstand der Bergleute und Stahlarbeiter gegen Arbeitsplatz- und Standortvernichtung (Drucksache 11/1511) Meyer SPD 3455 B Gerstein CDU/CSU 3458 C Stratmann GRÜNE 3460 C Beckmann FDP 3463 A Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 3464 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 3468A, 3478 C Schreiber CDU/CSU 3472 A Jung (Düsseldorf) SPD 3473 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3475A, 3478 D Hinsken CDU/CSU 3476 B Dr. Lammert CDU/CSU 3479 A Namentliche Abstimmungen 3479D, 3480A Ergebnisse 3484B, 3485 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung empfängnisverhütender Mittel durch die Krankenkassen (Drucksache 11/597) Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 3480 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 3488 A Kirschner CDU/CSU 3489 B Frau Würfel FDP 3490 C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 3491 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 1986 (Drucksachen 11/42, 11/1131) Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 3492 A Heistermann SPD 3494 B Breuer CDU/CSU 3498 A Frau Schilling GRÜNE 3501 B Nolting FDP 3503 C Leidinger SPD 3505 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 3509 B Leidinger SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3512B Vizepräsident Cronenberg 3510D, 3512 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) (Drucksachen 11/1000, 11/1431) Niegel CDU/CSU 3512D, 3520A Müller (Pleisweiler) SPD 3514 B Funke FDP 3516B Sellin GRÜNE 3517 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 3518 C Pfuhl SPD 3519 B Tagesordnungspunkt 20 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen (Drucksachen 11/946, 11/1501) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 III Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ernährungssituation in Äthiopien (Drucksache 11/1482) Höffkes CDU/CSU 3520 C Frau Eid GRÜNE 3521 D Frau Folz-Steinacker FDP 3523 D Großmann SPD 3525 C Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ 3527 A Nächste Sitzung 3528 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 3529* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3399 49. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 48. Sitzung, Seite IV, linke Spalte: Statt „ZusFr Frau Bulmahn GRÜNE" ist „ZusFr Frau Bulmahn SPD" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 12. Dr. Ahrens * 11. 12. Andres 11. 12. Bahr 11. 12. Frau Becker-Inglau 11. 12. Frau Beck-Oberdorf 11. 12. Frau Blunck * 11. 12. Böhm (Melsungen) * 11. 12. Frau Brahmst-Rock 11. 12. Brandt 10. 12. Dr. Briefs 11. 12. Büchner (Speyer) * 11. 12. Dr. von Bülow 11. 12. Frau Fischer * 11. 12. Dr. Friedrich 11. 12. Frau Ganseforth 11. 12. Dr. von Geldern 10. 12. Glos 11. 12. Dr. Glotz 11. 12. Grünbeck 11. 12. Haack (Extertal) 11. 12. Frau Dr. Hellwig 11. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hürland-Büning 11. 12. Jaunich 10. 12. Frau Kelly 11. 12. Kittelmann * 11. 12. Kolb 11. 12. Kreuzeder 11. 12. Lemmrich * 11. 12. Frau Luuk * 11. 12. Dr. Mahlo 11. 12. Marschewski 11. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 12. Dr. Möller 11. 12. Dr. Müller * 11. 12. Dr. Neuling 11. 12. Frau Oesterle-Schwerin 11. 12. Frau Olms 11. 12. Oswald 11. 12. Petersen 11. 12. Poß 10. 12. Rauen 11. 12. Dr. Schmude 10. 12. von Schmude 11. 12. Schröer (Mülheim) 10. 12. Schulze (Berlin) 11. 12. Frau Seuster 11. 12. Frau Dr. Timm * 11. 12. Frau Trenz 11. 12. Frau Vennegerts 11. 12. Dr. Warnke 11. 12. Wieczorek (Duisburg) 11. 12. Würtz 11. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Scheer, wenn Sie aufgepaßt hätten, hätten Sie gemerkt, däß ich mich dazu schon geäußert und deutlich gemacht habe, daß es unser Anliegen war, die Kurzstreckensysteme unterhalb der künstlichen Grenze von 500 km einzubeziehen. Ich glaube, das war ein berechtigtes deutsches Anliegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer aber das Fundament dieses Abrüstungserfolgs verleugnet, nämlich westliche Standfestigkeit und Verhandlungsbereitschaft, der versucht nicht nur, sein eigenes Versagen in der Vergangenheit zu überdecken, sondern, Herr Dr. Vogel — und deswegen müssen wir darüber sprechen — , Sie bereiten schon die Irrtümer von morgen vor, wenn Sie nicht verste-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3415
    Rühe
    hen, welches die notwendigen Schritte auf diesem Weg zu dem Abrüstungserfolg von Washington gewesen sind.

    (Dr. Vogel [SPD]: Waren Sie nun gegen die Null-Lösung oder dafür? Sie waren doch dagegen! Sie sind doch herumgereist in Europa! — Dr. Klejdzinski [SPD]: Sie können nicht einmal die Irrtümer von heute erkennen!)

    Echte Einsicht und echte Gemeinsamkeiten werden von niemandem von uns zurückgewiesen werden. Aber wir sind auch nicht zu bloßen Scheingemeinsamkeiten in der Stunde des Erfolgs bereit.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Das sagen Sie mal Herrn Dregger!)

    Wenn Sie jetzt wieder zu mehr Gemeinsamkeit in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zurückfinden wollen, dann werden wir das begrüßen. Aber Sie werden dafür nicht nur durch Ihre Worte, sondern vor allem durch neue Taten klare Antworten geben müssen.

    (Seiters [CDU/CSU]: Taten!)

    Ich will einige Fragen stellen, Herr Dr. Vogel. Stehen Sie wieder zu beiden Teilen des Harmel-Berichts, nicht nur zu Gesprächen, sondern auch zu Verteidigungsanstrengungen?

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das hat er schon verdrängt!)

    Wieweit sind Sie bereit, wieder die Lasten der notwendigen Verteidigungsanstrengungen unseres Landes mitzutragen? Wie stehen Sie zur nuklearen Abschreckung? Sie haben heute wieder eine nebulose Formulierung verwendet.

    (Dr. Vogel [SPD]: Die war ganz konkret, mein Lieber!)

    Wie stehen Sie zum Beispiel zu dem, was Georg Leber, der große Verdienste um die Bundeswehr und die Sicherheit dieses Landes hat,

    (Dr. Vogel [SPD]: Den habt ihr bis aufs Messer bekämpft!)

    vor wenigen Tagen in Hamburg bei der Verleihung der Freiherr-vom-Stein-Medaille gesagt hat:
    Solange wir Menschen uns in unserem Verhältnis zur Gewalt nicht geändert haben, heißt die Alternative zu der Angst vor Atomwaffen nicht Frieden ohne Angst, sondern vermutlich wieder Krieg ohne Atomwaffen. ... Wenn diese verdammungswürdigen Atomwaffen alle wirklich weggetan würden, dann würden wohl viele angesichts der Erkenntnis ratlos werden, daß es auch nicht annähernd einen Ersatz für sie gibt, der uns die Gewalt vom Halse hält.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie stehen Sie zu dieser Aussage von Georg Leber, Herr Vogel? Die Antwort darauf ist ein wirkliches Indiz für die Chancen zu Gemeinsamkeit. Sind Sie bereit, einen überzeugenden Beitrag zu leisten, um die Notwendigkeit atomarer Abschreckung und die Notwendigkeit ausreichender konventioneller Verteidigungsfähigkeit für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und damit akzeptabel zu halten? Teilen Sie unsere Auffassung, daß zur Friedenssicherung auf absehbare Zeit eine glaubwürdige nukleare Abschreckung, allerdings begrenzt auf das qualitative und quantitative Minimum, auch von Europa und für Europa notwendig sein wird? Oder gehen Sie weiter auf Ihrem Weg zu einer atomwaffenfreien Zone, wie es Ihr heutiger Antrag in diesem Hause wieder zeigt, auf Ihrem Weg in Richtung einer Denuklearisierung in Europa?

    (Dr. Vogel [SPD]: Bei Ihnen dauert es ein paar Jahre! Dann sind Sie auch da!)

    — Wenn es Ihnen mit der Gemeinsamkeit ernst ist, dann sollten Sie diesen Fragen zuhören und darauf präzise antworten: hier durch Worte und in den nächsten Monaten durch Taten draußen im Lande, Herr Dr. Vogel.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen werden Sie mich auch nicht davon abhalten können, Ihnen noch eine Frage zu stellen:

    (Zuruf von der SPD: Fragen können Sie immer!)

    Werden Sie künftig westliche Verhandlungspositionen mittragen, z. B. bei den Chemiewaffen und den Nuklearwaffen, oder — und das ist eine Alternative — erarbeiten Sie zusammen mit der SED weiterhin Sonderpositionen, die vom Bündnis nicht mitgetragen werden?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Weiterführende Vorschläge sind das, die viel Zustimmung finden! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Herr Dr. Vogel, entweder wollen Sie Gemeinsamkeit mit uns oder mit der SED.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: So ein Quatsch! — Jungmann [SPD]: Sie haben nichts begriffen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Die Positionen, die Sie in der Sicherheitspolitik mit der SED vereinbart haben, sind Positionen, bei denen es nicht nur keine Gemeinsamkeiten mit uns, sondern auch keine Gemeinsamkeit mit auch nur einem einzigen Land im westlichen Bündnis gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Das ist unwahr! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Deswegen können Sie sich um die Beantwortung dieser Fragen nicht herumdrücken.
    Nun, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich glaube, es ist wichtig, daß wir an dieser Stelle, wo der Washingtoner Gipfel scheinbar ein Raketengipfel ist, gerade hier von Deutschland aus mit aller Klarheit deutlich machen, daß wir ein zu verengtes Vorstellungsvermögen von Sicherheit hätten,

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Sagen Sie das einmal dem Kanzler!)

    wenn wir nur über Raketen, nur über Waffen sprechen
    würden. Wer Spannungen abbauen will, muß tiefge-
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    Rühe
    hendes Vertrauen zwischen den Menschen schaffen.

    (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das machen wir Sozialdemokraten seit Jahren!)

    Da ist es wichtig, wenn gestandene Generäle auf dem Manöverfeld auf Grund der Vereinbarung jetzt mehr Vertrauen haben, daß die Zahlen bei den Manövern stimmen, daß man sich da nicht beschummelt. Aber viel wichtiger ist es, wenn der Austausch zwischen jungen Leuten, Schülern, Studenten, Praktikanten, nicht nur von West nach Ost, sondern auch von Ost nach West erfolgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Das schafft das Vertrauen, das wir alle brauchen.
    Offenheit, Freizügigkeit, Einhaltung der Menschenrechte — das ist keine Girlande, das ist kein aufgepfropftes Thema, sondern das ist der Kern der Sicherheitsdiskussion. Denn ohne tieferes Vertrauen ist das nicht möglich. Deswegen müssen weitere Fortschritte in diese Richtung gemacht werden. Ich würde mir wünschen, daß der Gipfel von Washington nicht nur ein Gipfel der Raketen ist, sondern auf ihm auch über Stipendien gesprochen wird. Ich frage noch einmal: Warum bieten wir Herrn Gorbatschow nicht an, einige tausend junge russische Studenten ins westliche Ausland zu schicken? Da können sie etwas lernen, und das schafft wirklich Vertrauen. Warum ist es immer noch unmöglich, das sowjetische Schulklassen hierherkommen, in unseren Familien leben können? Warum wird ihnen das von den sowjetischen Führern untersagt?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    So schafft man das Vertrauen, das die Grundlage dafür ist, daß dann Abrüstung auch wirklich tiefgehend und berechenbar weiter betrieben werden kann.
    Menschliche Erleichterungen, Menschenrechte sind wichtig, und darüber müssen wir mit den Sowjets sprechen. Ich hoffe, daß auch das auf dem Gipfel geschieht, auf dem über die Ausreise von Juden, auch von Deutschen, aus der Sowjetunion gesprochen werden soll. Es ist erfreulich, wenn die Zahlen angestiegen sind. Aber im Grunde genommen ist es willkürlich, in dem Fall positiv.
    Wer über Menschenrechte spricht — und Herr Gorbatschow tut das —, wer für sich in Anspruch nimmt, eine Konferenz über Menschenrechte in Moskau veranstalten zu wollen, muß wissen, daß man Menschenrechte nicht zuteilen kann, sondern das sind Rechte, die auch rechtlich, verfassungsrechtlich fixiert werden müssen. Das sind keine Rechte, die der Staat seinen Bürgern zuteilen kann: mal mehr, mal weniger. Darüber sollte der Westen im Zusammenhang mit der Menschenrechtskonferenz in Moskau reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Offenheit, Öffentlichkeit bei dieser Veranstaltung muß gewährleistet werden. Und natürlich müssen wir erwarten, daß die deutlichen Fortschritte, die z. B. in Bern vereinbart waren, bestätigt werden, daß man darüber hinausgeht, konkrete Aufträge für weitere
    Verbesserungen im humanitären Bereich vergibt. Dann kann man über eine solche Menschenrechtskonferenz durchaus sprechen.
    Was wir brauchen — ich denke, da gibt es Übereinstimmung — , ist eine neue Dimension der Vertrauensbildung. Das geht nicht allein durch den Abbau von Waffen. Der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow hat im September in einem Prawda-Artikel erklärt, daß die Welt nicht sicher sein könne, solange es Verletzungen der Menschenrechte gebe. Ich teile diese Auffassung von Generalsekretär Gorbatschow ausdrücklich. Wir sollten versuchen, diese Maxime in die Wirklichkeit umzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie ein Land Menschenrechte berücksichtigt, wie ein Land, etwa auch die Sowjetunion, mit seinen eigenen Bürgern umgeht, das sagt sehr viel über die Friedfertigkeit dieses Landes. Hören wir auf, die Friedfertigkeit eines Landes nur quantitativ, an der Zahl der Panzer, über die es verfügt, zu messen! Wie friedfertig, wie wenig aggressiv ein Land ist, kann man sehr gut daran erkennen, wie es mit seinen eigenen Leuten umgeht, wie Menschenrechte in diesem Land gesichert und garantiert sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie wissen, daß in Wien über dieses Thema gesprochen wird. Leider gibt es dort im Augenblick noch eine Stagnation. Wer dort hingeht und Gespräche führt, der spürt den Unterschied zwischen den Reden über Glasnost und Perestroika in Moskau und dem, was auf dem Verhandlungstisch in Wien bisher möglich gewesen ist, gerade auch im Korb III. Ich denke, es kann nicht angehen, daß in Moskau offener gesprochen wird, mehr Erwartungen geweckt werden, als dann die sowjetischen Verhandlungsführer bereit sind in Wien auf den Verhandlungstisch zu legen. Nein, die Glasnost-Reden von Moskau müssen sich am Verhandlungstisch in Wien bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa niederschlagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das Abrüstungsabkommen von Washington kann eine Trendwende zu einem Prozeß einer umfassenden Abrüstung für mehr Sicherheit in Ost und West sein, wenn diesem ersten Schritt weitere Schritte folgen, wenn dieses Abkommen also nicht isoliert stehenbleibt. Es muß deshalb darum gehen, daß dieser Vertrag durch eine Vereinbarung über die Reduzierung der strategischen Systeme nach oben hin abgesichert wird. Es muß uns darum gehen, möglichst schon im nächsten Jahr endlich die weltweite Beseitigung aller Chemiewaffen zu vereinbaren. Weiterhin muß es darum gehen, daß endlich die eigentliche Bedrohung für uns in Europa, die Invasionsfähigkeit des Warschauer Pakts auf Grund seiner konventionellen Waffen abgebaut wird. Auch müssen Reduzierungen bei den Kurzstreckensystemen der Reichweiten bis 500 Kilometer möglich sein. Ich bin dankbar, daß der Bundeskanzler diese Position in seiner Regierungserklärung ausdrücklich noch einmal angesprochen hat,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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    denn wir können in diesem Zusammenhang keinen künstlichen Halt bei einer künstlichen Grenze einlegen.
    Grundlage für die weiteren Abrüstungsschritte muß ein geschlossenes, in sich flexibles und politisch überzeugendes westliches Gesamtkonzept sein. Dabei wird es darauf ankommen, die Notwendigkeit von nuklearer Abschreckung und ausreichender konventioneller Verteidigungsfähigkeit für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und damit auch akzeptabel zu halten. Das bedeutet, daß unser politisches Ziel nachvollziehbar sein muß, wie das westliche Bündnis künftig jede Art von Krieg, konventionell wie nuklear, verhüten und dabei zugleich — wie es der Bundeskanzler am 4. Juni dieses Jahres gesagt hat — die Rolle der Nuklearwaffen auf das qualitativ und quantitativ erforderlich absolute Mindestmaß beschränken und die konventionellen Potentiale in Europa auf ein stabiles Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau begrenzen will. Ich denke, daß diese Aussage des Bundeskanzlers über das absolute Mindestmaß von nuklearen Waffen in Europa noch zu wenig beachtet worden ist. Sie sollte eine wichtige Grundlage für die Erarbeitung des Gesamtkonzepts innerhalb des westlichen Bündnisses sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie könnte dieses Gesamtkonzept aussehen? Ich möchte dazu einen konkreten Diskussionsbeitrag leisten.
    Erstens. Zu diesem Konzept muß der Gesamtzusammenhang der Erfordernisse der westlichen Sicherheit, Strategie und Rüstungskontrolle und deren Rückwirkung auf das verbleibende konventionelle und nukleare Dispositiv gewahrt werden.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Mit oder ohne Frankreich?)

    Zweitens. In der Geschichte der Ost-West-Rüstungskontrolle hat das Schwergewicht bisher zu sehr auf der nuklearen Rüstungsbegrenzung gelegen. Alle Verträge, die es gibt, sind nukleare Verträge. Doch gerade die bestehende Invasionsfähigkeit des Warschauer Paktes stellt für die Westeuropäer, insbesondere für unser Land, die eigentliche Bedrohung dar. Deshalb liegt ein besonderes deutsches Interesse im Abbau dieser Invasionsfähigkeit.
    Drittens. Das kann allerdings nicht bedeuten, daß die Rüstungsbegrenzung bei den Atomwaffen unter 500 Kilometer Reichweite ans Ende des europäischen Abrüstungsprozesses geschoben und der augenblickliche Waffenbestand eingefroren oder gar erhöht werden kann.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sehr richtig!)

    Dies ist ebenso unakzeptabel, Herr Kollege Voigt, wie es Ihre Bestrebungen für eine Denuklearisierung Europas sind.
    Viertens. Ziel von Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle muß es sein, die östliche Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur großangelegten Offensive abzubauen, bestehende Ungleichgewichte zu beseitigen und konventionelle Stabilität in Europa zwischen Ural und Atlantik herzustellen. Hier sollten zunächst beim kampfentscheidenden Gerät
    wie Panzern und Artillerie gleiche Obergrenzen auf niedrigerem Niveau hergestellt werden. Die NATO wird dafür zu eigenen Reduzierungen bereit sein; doch wird der Warschauer Pakt während dieses Reduzierungsprozesses deutlich mehr, also asymmetrisch, abrüsten müssen.
    Fünftens. Die Herstellung konventioneller Stabilität sollte über die zahlenmäßigen Reduzierungen hinaus auch Maßnahmen vorsehen, die die für die Invasionsfähigkeit besonders kennzeichnenden Eigenschaften wie die Dislozierung der Streitkräfte, ihre Einsatzbereitschaft und ihre Verstärkungsmöglichkeiten begrenzen.
    Sechstens. Endlose Zahlendiskussionen über den Umfang der jeweiligen Potentiale, wie wir sie über 14 Jahre hinweg bei den Wiener MBFR-Verhandlungen erlebt haben, müssen vermieden werden.

    (Dr. Wulff [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

    Deshalb sollten nicht vor Beginn des Reduzierungsprozesses die Ausgangsdaten geklärt werden; vielmehr sollten absolute Zahlen für die jeweiligen Höchststärken vereinbart werden, auf die dann beide Seiten innerhalb einer festgelegten Frist hinunterzureduzieren haben. Das Ergebnis dieser Reduzierungen und die weitere Einhaltung dieser Höchststärken müssen dann allerdings sorgfältig überprüft werden.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch richtig!)

    — Ich sage viel Richtiges; aus unserer Sicht heraus ist das sogar fast alles richtig, Herr Kollege Voigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ob die Sowjetunion zur Beseitigung ihrer konventionellen Überlegenheit bereit ist, das wird nach unserer Auffassung der eigentliche Test dafür sein, ob es in der sowjetischen Außenpolitik nicht nur ein neues Denken, sondern auch ein neues Handeln gibt.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Lassen Sie mich das einmal mit aller Klarheit sagen: Herr Gorbatschow steht vor der Frage, ob er in Zukunft einmal sein Land modernisieren will, nachdem alle seine Vorgänger und auch er selbst zunächst immer nur die Waffen modernisiert haben.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Das ist die entscheidende Frage, vor der die Sowjetunion steht. In dem Moment, wo sich der sowjetische Generalsekretär im Sinne seines Volkes entscheidet, alle Mittel darauf zu konzentrieren, dieses Land zu modernisieren, bekommen wir auch Luft zum Atmen für Abrüstungsverhandlungen im konventionellen Bereich in Wien.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Siebtens. Mit der Unterzeichnung des Mittelstrekkenabkommens in Washington ist eine neue Situation gegeben. Selbstverständlich wird die NATO-Strategie der flexible response dadurch weder wirkungslos noch überholt sein. Doch sollten auch die politischpsychologischen Auswirkungen nicht unterschätzt werden, die die verbleibende Struktur der westlichen Nuklearwaffen in Europa hat. Es kommt nicht von ungefähr, daß die nukleare Abschreckung nicht nur wie gewohnt von links her kritisert wird, sondern daß
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    inzwischen wegen dieser Struktur — nicht im Grundsatz, sondern wegen dieser Struktur — auch Kritik aus dem Bereich der grundsätzlichen Befürworter der nuklearen Abschreckung kommt. Es stellt sich also die Frage nach der langfristigen Glaubwürdigkeit des künftigen Abschreckungspotentials der NATO und damit auch die Frage, wie weit in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland die Zustimmung zur westlichen Abschreckungsstrategie langfristig gewahrt werden kann.
    Achtens. Wegen der jetzt neu gegebenen Situation kann es jetzt nicht einfach zur Umsetzung der 1983 in Montebello ins Auge gefaßten Maßnahmen kommen. Deswegen steht die Frage der Modernisierung des in Europa verbleibenden Nuklearwaffenpotentials der NATO nicht auf der Tagesordnung der Politik.
    Neuntens. Vielmehr sollte jetzt wegen der neu gegebenen Situation in dem von der NATO zu erarbeitenden Gesamtkonzept definiert werden, durch welche Maßnahmen und Schritte unter Berücksichtigung des konventionellen Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West das in Europa verbleibende Nuklearwaffenpotential neuformiert und zugleich weiter reduziert werden kann.
    Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Das Ziel müßte entsprechend dem, was der Bundeskanzler im Juni formuliert hat, lauten: Deutlich weniger, aber politisch glaubwürdiger. Im Sinne der Glaubwürdigkeit der Abschreckung sollten drastische Reduzierungen insbesondere bei den kürzesten Reichweiten, also der nuklearen Artillerie, erfolgen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Dafür muß geprüft werden, ob Reduzierungen durch einseitige Maßnahmen oder durch bilaterale Verhandlungen oder auch durch eine Mischung von beiden Möglichkeiten erfolgen sollten. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland bei der Erarbeitung dieses Gesamtkonzepts, zu dem sich alle bekennen, das aber bisher inhaltlich noch wenig ausgefüllt ist, eine aktive und führende Rolle zu spielen hat, weil wir auf Grund unserer besonderen Lage den schwierigsten Part haben.
    Deswegen, Herr Dr. Vogel, und um den Kreis zu schließen, möchte ich auch noch einmal an Sie appellieren, hier wirklich die Chance zu echten Gemeinsamkeiten zu nutzen und es nicht — wie in der Frage der Nominierung des NATO-Generalsekretärs — an Solidarität missen zu lassen. Das hat uns alle sehr bestürzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wissen Sie, wenn so etwas in Frankreich passiert wäre und ein Gaullist — das ist ein schönes gegriffenes Beispiel — zum NATO-Generalsekretär vorgeschlagen worden wäre — das kann man sich ja einmal vorstellen — , dann bin ich sicher, daß auch die kommunistische Partei Frankreichs das mit unterstützt hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Meinen Sie, die hätten vielleicht miteinander geredet?)

    — Jetzt sagen Sie, man habe mit Ihnen nicht geredet. Sie kennen doch den Manfred Wörner und seine Fähigkeiten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wörner, darum! Den kennen wir! — Jahn [Marburg] [SPD]: Den kennen wir wohl, ja! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Es ist doch unglaublich, daß, nachdem seine Fähigkeiten in allen übrigen NATO-Ländern geschätzt werden, von Ihnen der Versuch gemacht wird, dies international zu hintertreiben, Herr Dr. Vogel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Seiters [CDU/CSU]: Ein unerhörter Vorgang! — Dr. Vogel [SPD]: Sie sind ein schöner Demokrat!)

    Prüfen Sie sich, Herr Dr. Vogel, und bitte nicht nur die Gemeinsamkeit des Jubels, wenn Verträge unterzeichnet werden. Nicht nur die Gemeinsamkeit des Feierns, sondern prüfen Sie,

    (Dr. Vogel [SPD]: Selbst bei schlechten Vorschlägen?)

    ob Sie wirklich eine Wende gegenüber Ihrem Versagen 1983 einleiten wollen. Für echte Gemeinsamkeit stehen wir immer zur Verfügung,

    (Dr. Vogel [SPD]: Aber nicht mit Wörner!)

    denn das wird uns allen in der Bundesrepublik Deutschland nutzen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Mechtersheimer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Das Washingtoner Abkommen ist ein Erfolg des Abrüstungswillens der Menschen über die Kräfte der Aufrüstung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Weil aber der Erfolg bekanntlich viele Väter und wohl auch Mütter hat, feiern Nachrüstungsgegner und Nachrüstungsbefürworter das Washingtoner Abkommen als ihren Sieg. Allerdings fällt auf, daß in beiden Lagern eine merkwürdige Tendenz besteht, dieses Abkommen herunterzuspielen. Man spricht von nur
    3 %, die abgerüstet werden sollen. Das ist eine wenig hilfreiche Interpretation dieses Abkommens,

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    denn weder die Friedensbewegung noch die Befürworter der Nachrüstung haben sich jemals über 3 oder
    4 % gestritten. Von beiden Seiten wurde immer darauf hingewiesen, daß das eine Frage der Qualität sei.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Kriseninstabilität dieser Waffen — natürlich ein Qualitätsbegriff — und auf der anderen Seite die permanenten Hinweise darauf, daß die Abschreckung glaubwürdig bleiben müsse: Das war die Begründung. Dann kann man nicht sagen: Es sind nur 3 % dieser Waffen abgerüstet worden.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3419
    Dr. Mechtersheimer
    Alleine die Vereinbarungen zur Verifikation sind die größten vertrauensbildenden Maßnahmen in der Ost-West-Geschichte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Schon allein deshalb ist es richtig, dieses Abkommen hoch einzuschätzen.
    Natürlich werden wir nicht hier, Herr Bundeskanzler und die anderen Vertreter der Regierungskoalition in der Regierung, zu entscheiden haben, wer nun wirklich Anteil am Zustandekommen dieses Vertrages hat und wie groß dieser Anteil ist. Aber mit Sicherheit werden sich die Historiker sehr wundern, wenn sie z. B. einmal Ihren Beitrag, Herr Genscher, in der letzten Ausgabe des „Stern" lesen. Dort steht der unvorstellbare Satz — ich zitiere — :
    Die Behauptung, die Nachrüstung sei zur Stärkung des Abschreckungsverbundes ohnehin notwendig gewesen, die sowjetische SS-20-Rüstung habe nur einen zusätzlichen Grund geliefert, ist eine von den Gegnern der doppelten Null-Lösung nachgeschobene Erfindung.
    Herr Genscher, das tut weh. Ich kann zu Ihren Gunsten nur annehmen, daß Sie das, was Sie geschrieben haben,

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Nicht verstanden haben!)

    nie lesen konnten; denn in Papieren, die Ihr Haus zu verantworten hat — „Argumente zum Doppelbeschluß des Nordatlantischen Bündnisses" — , finden Sie an mindestens vier Stellen Beschreibungen dieses Abschreckungsverbundes und die Begründung, die nämlich lautet: Wir brauchen den Abschreckungsverbund, und wir brauchen für diesen Abschreckungsverbund die Stationierung.
    Dazu nur ein Satz:
    Dieser Nachrüstungsbeschluß bedeutet für die Allianz politisch einen weiteren sichtbaren Beweis für die enge Koppelung gerade der USA an die Verteidigung Europas.
    Was ist das anderes als Abschreckungsverbund? Ich möchte also wirklich darum bitten, daß solche Entstellungen wie die in diesem Artikel von Ihnen hier korrigiert werden.
    1986 fand die „Frankfurter Allgemeine Zeitung"
    — wobei man ja „FAZ" zweckmäßigerweise mit „Frankfurter Aufrüstungszeitung" übersetzen
    sollte —

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    es geboten, ehrlich zu sein. Man ahnte nicht, was da auf diese Position zukam.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Unter Niveau!)

    — Nein, nein, da steht: Das Angebot einer Null-Lösung war für die Öffentlichkeit gedacht und im Vertrauen darauf ausgesprochen, daß Moskau nicht bereit wäre, seine Mittelstreckenraketen total zu beseitigen.

    (Hört! Hört! bei den GRÜNEN) Vergessen Sie das doch bitte nicht!

    Die Historiker werden hoffentlich Gelegenheit haben, auch in die Kabinettsprotokolle Einblick zu nehmen. Da hat beispielsweise der damalige Generalinspekteur Jürgen Brandt am 31. März 1982 gesagt: Es geht nicht darum, dem Waffensystem SS-20 entsprechende Waffensysteme des Westens entgegenzusetzen. Er hat das dann noch ausführlich begründet. Das alles sind Vorgänge, die in der Öffentlichkeit noch nicht klar sind, aber ich bin sicher, daß das in aller Deutlichkeit herausgestellt werden wird.
    Etwas verwundert bin ich darüber, daß Sie, Herr Bundeskanzler, zumindest am Anfang Ihrer Rede in einer sehr unfriedlichen Form über einen Abrüstungsvertrag gesprochen haben. Da stimmt irgend etwas nicht zusammen. Wer wirklich — auch inhaltlich und emotional — Abrüstung will, kann eigentlich nicht so um sich hauen. Deswegen möchte ich auch, obwohl das hier so ganz unüblich ist, durchaus einmal von Fehleinschätzungen unserer Seite sprechen. Das paßt vielleicht nicht in das Haus, aber ich möchte es trotzdem einmal machen.
    Zum einen haben wir nicht damit gerechnet, daß das Wettrüsten so schnell an seine wirtschaftlichen Grenzen stößt. Dadurch wurde eine tiefgreifende Neudefinition der Nuklearbeziehungen zwischen den beiden Supermächten in Gang gesetzt. Die Mittelstreckenraketen sind offenkundig auch für die Supermächte selbst sehr gefährlich geworden.
    Es war auch nicht zu erwarten, daß die Vorherrschaft der USA entgegen der bisherigen Praxis nicht dazu benutzt wurde, die Bundesrepublik zu Aufrüstung zu drängen, sondern dazu, sie zu Abrüstung zu veranlassen. Auch damit hatten wir nicht gerechnet.
    Es gibt eine zweite Fehleinschätzung unsererseits, die vielleicht gewichtiger ist: Wir haben den westlichen Demokratien mehr Abrüstungsbereitschaft abverlangt als einem kommunistischen Staat.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Das war ein Irrtum. Niemand konnte erwarten, daß die Sowjetunion einmal das Doppelte an Trägersystemen und — man höre — das Fünffache an Sprengköpfen in einen Vertrag einbringen wird. Als Gorbatschow tat, was unter Breschnew nicht möglich gewesen wäre, zeigte sich aber erst wirklich, wer Abrüstung will und wer nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das war die Stunde der Wahrheit. Da hat sich nämlich gezeigt, daß wir befürchtet hatten, daß die Sowjetunion die Null-Lösung nicht wird annehmen können. Die Bundesregierung und die NATO hingegen haben erwartet und gehofft, daß sie es nicht tun wird,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    und auf der Basis dieser Erwartung haben sie das Wettrüsten fortgesetzt. Wie ist es sonst zu erklären, daß Franz Josef Strauß als Anhänger des Vereins zur Förderung der klaren Sprache damals gesagt hat, wenn die Sowjets jemals diese Null-Lösung annehmen, werde er mit der Kerze in der Hand von Schongau nach Altötting pilgern? Das sagt man doch nur,
    3420 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Dr. Mechtersheimer
    wenn man ganz sicher ist, daß die Sowjetunion einem solchen Abkommen nie zustimmen wird.

    (Schily [GRÜNE]: Was ist denn nun mit der Pilgerfahrt?)

    Es wäre unvorstellbar, mit einem Herrn Breschnew ein solches Abkommen zu machen. Das ist versucht worden; es ist gescheitert. Deswegen ist der Schlüssel für die Veränderung nicht im Nachrüstungsbeschluß, sondern in den Änderungen in Moskau zu sehen. Alles andere mag irgendwo eine Rolle gespielt haben, aber der entscheidende Grund liegt nicht in der Denkweise, die Sie hier als Grund anführen. Die ist das Gegenteil dessen, was Gorbatschow praktiziert hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Opposition und die Friedensbewegung haben, seit sichtbar wurde, daß es eine einfache und eine doppelte Null-Lösung geben könnte, dies nachhaltig, voll und ohne Vorbehalt begrüßt.

    (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

    Dagegen haben Sie mit dem Boykott begonnen. Ich muß hier noch einmal Herrn Todenhöfer zitieren:
    Ich kann und werde einer Null-Lösung bei der Mittelstreckenraketenfrage nicht zustimmen.
    Herr Todenhöfer hat eine Konsequenz gezogen, die Respekt abnötigt. Herr Wörner hat am 30. Juni 1987 gesagt:
    Zur flexiblen Reaktion brauchen wir auch solche taktischen Nuklearwaffen, die das Territorium der Sowjetunion erreichen können.
    Herr Wörner, brauchen Sie nun die Waffen, oder brauchen Sie sie nicht? Das muß einmal gesagt werden. Ich kann verstehen, daß Zweifel laut werden, ob bei einer derartigen Wetterwendischkeit der Position die richtigen Voraussetzungen für ein so wichtiges Amt gegeben sind, das Sie anstreben. Deswegen verstehe ich die Diskussion auch über Ihre Person.
    Weshalb haben Sie Bauchschmerzen gegenüber einem Abkommen, das auch rein rechnerisch ein ausgezeichnetes Geschäft ist? Die Gründe liegen wohl im Politischen. Dieses Abkommen öffnet die Türen für eine neue politische Ordnung in Mitteleuropa.

    (Beifall des Abg. Schily [GRÜNEI)

    Nach dem Abzug der mehr als 4 000 Atomwaffen wird Europa nicht mehr wie bisher sein. Diese Raketen sind wie Nägel, mit denen man eine antiquierte politische Struktur in Europa vor dem Verfall geschützt hat. Werden diese Nägel herausgezogen, dann wird sich zeigen, daß das Bewußtsein der Menschen mit der heutigen militärischen Blockkonstellation immer weniger übereinstimmt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die militärischen Folgen sind ähnlich weitreichend. Denn nach dem Abzug von Pershing II, Cruise Missiles und Pershing I ändern die verbleibenden Nuklearsprengköpfe auf dem Territorium der Bundesrepublik natürlich ihre Qualität. Sie sind dann nicht mehr Bestand eines Abschreckungspakets, sondern sind, losgelöst von ihrer Klammer zu dem strategischen Potential der USA, nichts anderes als Gefechtsfeldwaffen. Dann können Sie in amerikanischen Vorschriften,
    in Air/Land-Battle und anderswo nachlesen, was mit denen geschehen soll. Sie sollen im Sinne herkömmlicher Kriegführung eingesetzt werden. Zum Glück haben auch Unionspolitiker begriffen, daß das mit Sicherheitspolitik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Nur sehe ich im Augenblick gar keine Chance, in der NATO für diese dritte Null-Lösung Unterstützung zu finden. Nur — das dürfen wir von seiten der GRÜNEN eindeutig sagen — : Wenn Sie hier wirklich Position gegen die NATO beziehen sollten, dann können Sie mit einer Allparteienunterstützung aus diesem Parlament rechnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nur habe ich meine Zweifel, ob Sie das machen werden.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Die Zweifel sind berechtigt!)

    Die Regierung brüstet sich heute mit einem Abkommen, das sie nicht verhindern konnte. Das ist die Wirklichkeit.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir von den GRÜNEN können damit sehr gut leben, weil die militärischen und politischen Folgen dieses Doppel-Null-Abkommens unseren Zielen der Blocküberwindung und Denuklearisierung sehr wohl dienen. Ihren Zielen, sofern sie klar bekannt sind, dienen sie sicherlich nicht. Sie bekommen nämlich jetzt die Quittung für Ihre maßlosen Bedrohungskampagnen, die Sie gemacht haben, um die Nachrüstung durchzupeitschen. Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie nicht übersehen sollten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Bevölkerung glaubt nämlich Ihrer Bedrohungspropaganda nicht mehr. Sie glaubt ihr immer weniger. Denn die Sowjetunion, die die Regeln des Wettrüstens über Bord wirft, eignet sich nicht zur Kultivierung von Feindbildern. Das hat weitreichende innenpolitisch-psychologische Konsequenzen. Wenn Sie die jüngste Umfrage über die Einstellung der 14- bis 18jährigen zur Bundeswehr gehört haben, werden Sie hoffentlich nachdenklich geworden sein, 41 % dieser jungen Leute beschreiben die Bundeswehr als „nicht so wichtig, überflüssig oder schädlich".

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das waren 1980 noch 24 %. Diese Veränderungen müssen Sie erkennen, wenn Sie auch im eigenen Interesse realistische Politik machen wollen. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer erhöht sich seit mehreren Jahren jährlich um rund 10 000. Es sieht so aus, als wenn sich dieser Prozeß fortsetzen würde.
    Insgesamt sind die Bedingungen für eine Fortsetzung des Entnuklearisierungsprozesses in Europa günstig, und zwar aus ganz klaren Gründen.
    Erstens wird die Sowjetunion Vorschläge machen, die wiederum so gut sein werden, daß Sie nicht in der Lage sind, nein zu sagen. Das Merkwürdige ist, daß hier Überlegenheit, die als Bedrohung dargestellt wird, plötzlich zum Schlüssel für erfolgreiche Abrüstungsprozesse wird.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3421
    Dr. Mechtersheimer
    Der zweite Grund. Keine Regierung in Westeuropa — da kann ich aufgreifen, was die FAZ realistischerweise feststellt — kann die Kraft aufbringen, eine erneute Nachrüstung auf ihrem Territorium innenpolitisch durchzusetzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Wieczorek-Zeul [SPD])

    Das ist eine große Leistung der Friedensbewegung für die Zukunft, die oft nicht begriffen wird, übrigens auch in der Friedensbewegung selbst nicht.
    Sie werden feststellen, das selbst bei einem Ungleichgewicht, Herr Rühe, von 88 : 1 368 bei den Kurzstreckenraketen keine Nachrüstung nötig ist, um mit der Sowjetunion Abrüstungsabkommen anzugehen. Die 10 Milliarden Dollar sind nicht zu rechtfertigen, die man ausgegeben hat für diese sogenannte Nachrüstung im Mittelstreckenbereich. Dieses Gesetz wird auch in der konventionellen Rüstung gelten. Die Sowjetunion ist bereit, ihre Überlegenheiten zum Instrument von Abrüstungschancen zu machen, und das ist eine historisch neue Situation, die viele erst noch begreifen müssen.
    Eine Regierung, die auch nur den Funken eines Abrüstungswillens hätte, müßte in der konkreten Situation den Verteidigungshaushalt kürzen und den Streitkräfteumfang reduzieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Was Herr Carlucci machen kann, warum kann das nicht auch Herr Wörner oder sein Nachfolger?

    (Rühe [CDU/CSU]: Ihr neues Idol!)

    — Ja, bitte. Fortschritte, Veränderungen begeistern mich immer, weil das ein Ausdruck von Positivem ist, das ich immer unterstütze. Weitere Fortschritte wird es allerdings in diesem Land nach der bisherigen Erfahrung immer nur in Verbindung mit Landtagswahlen geben. Erst wenn die CDU vor der Alternative steht „Abrüstung oder Machtverlust" — Herr Stoltenberg, das ist vielleicht auch für Schleswig-Holstein von Interesse —, erst dann wird sie sich in Richtung Abrüstung bewegen. Die Wähler müssen dieser Regierung die Waffen aus den Händen winden, sonst macht sie keine Abrüstungspolitik.
    Lassen Sie mich zum Schluß daran erinnern, daß wir heute den Tag der Menschenrechte feiern. Da gibt es einen engen Zusammenhang, den man sehr wohl auch anders darstellen kann, als Sie, Herr Rühe, das getan haben. Im Schatten von Kriegen ist immer Völkermord betrieben worden, und im Schatten von Rüstung werden die Menschenrechte besonders stark verletzt. Deshalb zeigt sich die Ernsthaftigkeit Ihrer Bekenntnisse zu den Menschenrechten auch daran, ob Sie wirklich Abrüstungspolitik betreiben oder nicht. Wer also von Menschenrechtsverletzungen spricht, der sollte aktive Abrüstungspolitik betreiben, dann ist er glaubwürdig. Vielen Dank.

    (Beifall bei den GRÜNEN)