Herr Kollege Scheer, wenn Sie aufgepaßt hätten, hätten Sie gemerkt, däß ich mich dazu schon geäußert und deutlich gemacht habe, daß es unser Anliegen war, die Kurzstreckensysteme unterhalb der künstlichen Grenze von 500 km einzubeziehen. Ich glaube, das war ein berechtigtes deutsches Anliegen.
Wer aber das Fundament dieses Abrüstungserfolgs verleugnet, nämlich westliche Standfestigkeit und Verhandlungsbereitschaft, der versucht nicht nur, sein eigenes Versagen in der Vergangenheit zu überdecken, sondern, Herr Dr. Vogel — und deswegen müssen wir darüber sprechen — , Sie bereiten schon die Irrtümer von morgen vor, wenn Sie nicht verste-
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hen, welches die notwendigen Schritte auf diesem Weg zu dem Abrüstungserfolg von Washington gewesen sind.
Echte Einsicht und echte Gemeinsamkeiten werden von niemandem von uns zurückgewiesen werden. Aber wir sind auch nicht zu bloßen Scheingemeinsamkeiten in der Stunde des Erfolgs bereit.
Wenn Sie jetzt wieder zu mehr Gemeinsamkeit in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zurückfinden wollen, dann werden wir das begrüßen. Aber Sie werden dafür nicht nur durch Ihre Worte, sondern vor allem durch neue Taten klare Antworten geben müssen.
Ich will einige Fragen stellen, Herr Dr. Vogel. Stehen Sie wieder zu beiden Teilen des Harmel-Berichts, nicht nur zu Gesprächen, sondern auch zu Verteidigungsanstrengungen?
Wieweit sind Sie bereit, wieder die Lasten der notwendigen Verteidigungsanstrengungen unseres Landes mitzutragen? Wie stehen Sie zur nuklearen Abschreckung? Sie haben heute wieder eine nebulose Formulierung verwendet.
Wie stehen Sie zum Beispiel zu dem, was Georg Leber, der große Verdienste um die Bundeswehr und die Sicherheit dieses Landes hat,
vor wenigen Tagen in Hamburg bei der Verleihung der Freiherr-vom-Stein-Medaille gesagt hat:
Solange wir Menschen uns in unserem Verhältnis zur Gewalt nicht geändert haben, heißt die Alternative zu der Angst vor Atomwaffen nicht Frieden ohne Angst, sondern vermutlich wieder Krieg ohne Atomwaffen. ... Wenn diese verdammungswürdigen Atomwaffen alle wirklich weggetan würden, dann würden wohl viele angesichts der Erkenntnis ratlos werden, daß es auch nicht annähernd einen Ersatz für sie gibt, der uns die Gewalt vom Halse hält.
Wie stehen Sie zu dieser Aussage von Georg Leber, Herr Vogel? Die Antwort darauf ist ein wirkliches Indiz für die Chancen zu Gemeinsamkeit. Sind Sie bereit, einen überzeugenden Beitrag zu leisten, um die Notwendigkeit atomarer Abschreckung und die Notwendigkeit ausreichender konventioneller Verteidigungsfähigkeit für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und damit akzeptabel zu halten? Teilen Sie unsere Auffassung, daß zur Friedenssicherung auf absehbare Zeit eine glaubwürdige nukleare Abschreckung, allerdings begrenzt auf das qualitative und quantitative Minimum, auch von Europa und für Europa notwendig sein wird? Oder gehen Sie weiter auf Ihrem Weg zu einer atomwaffenfreien Zone, wie es Ihr heutiger Antrag in diesem Hause wieder zeigt, auf Ihrem Weg in Richtung einer Denuklearisierung in Europa?
— Wenn es Ihnen mit der Gemeinsamkeit ernst ist, dann sollten Sie diesen Fragen zuhören und darauf präzise antworten: hier durch Worte und in den nächsten Monaten durch Taten draußen im Lande, Herr Dr. Vogel.
Deswegen werden Sie mich auch nicht davon abhalten können, Ihnen noch eine Frage zu stellen:
Werden Sie künftig westliche Verhandlungspositionen mittragen, z. B. bei den Chemiewaffen und den Nuklearwaffen, oder — und das ist eine Alternative — erarbeiten Sie zusammen mit der SED weiterhin Sonderpositionen, die vom Bündnis nicht mitgetragen werden?
— Herr Dr. Vogel, entweder wollen Sie Gemeinsamkeit mit uns oder mit der SED.
Die Positionen, die Sie in der Sicherheitspolitik mit der SED vereinbart haben, sind Positionen, bei denen es nicht nur keine Gemeinsamkeiten mit uns, sondern auch keine Gemeinsamkeit mit auch nur einem einzigen Land im westlichen Bündnis gibt.
Deswegen können Sie sich um die Beantwortung dieser Fragen nicht herumdrücken.
Nun, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich glaube, es ist wichtig, daß wir an dieser Stelle, wo der Washingtoner Gipfel scheinbar ein Raketengipfel ist, gerade hier von Deutschland aus mit aller Klarheit deutlich machen, daß wir ein zu verengtes Vorstellungsvermögen von Sicherheit hätten,
wenn wir nur über Raketen, nur über Waffen sprechen
würden. Wer Spannungen abbauen will, muß tiefge-
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hendes Vertrauen zwischen den Menschen schaffen.
Da ist es wichtig, wenn gestandene Generäle auf dem Manöverfeld auf Grund der Vereinbarung jetzt mehr Vertrauen haben, daß die Zahlen bei den Manövern stimmen, daß man sich da nicht beschummelt. Aber viel wichtiger ist es, wenn der Austausch zwischen jungen Leuten, Schülern, Studenten, Praktikanten, nicht nur von West nach Ost, sondern auch von Ost nach West erfolgt.
Das schafft das Vertrauen, das wir alle brauchen.
Offenheit, Freizügigkeit, Einhaltung der Menschenrechte — das ist keine Girlande, das ist kein aufgepfropftes Thema, sondern das ist der Kern der Sicherheitsdiskussion. Denn ohne tieferes Vertrauen ist das nicht möglich. Deswegen müssen weitere Fortschritte in diese Richtung gemacht werden. Ich würde mir wünschen, daß der Gipfel von Washington nicht nur ein Gipfel der Raketen ist, sondern auf ihm auch über Stipendien gesprochen wird. Ich frage noch einmal: Warum bieten wir Herrn Gorbatschow nicht an, einige tausend junge russische Studenten ins westliche Ausland zu schicken? Da können sie etwas lernen, und das schafft wirklich Vertrauen. Warum ist es immer noch unmöglich, das sowjetische Schulklassen hierherkommen, in unseren Familien leben können? Warum wird ihnen das von den sowjetischen Führern untersagt?
So schafft man das Vertrauen, das die Grundlage dafür ist, daß dann Abrüstung auch wirklich tiefgehend und berechenbar weiter betrieben werden kann.
Menschliche Erleichterungen, Menschenrechte sind wichtig, und darüber müssen wir mit den Sowjets sprechen. Ich hoffe, daß auch das auf dem Gipfel geschieht, auf dem über die Ausreise von Juden, auch von Deutschen, aus der Sowjetunion gesprochen werden soll. Es ist erfreulich, wenn die Zahlen angestiegen sind. Aber im Grunde genommen ist es willkürlich, in dem Fall positiv.
Wer über Menschenrechte spricht — und Herr Gorbatschow tut das —, wer für sich in Anspruch nimmt, eine Konferenz über Menschenrechte in Moskau veranstalten zu wollen, muß wissen, daß man Menschenrechte nicht zuteilen kann, sondern das sind Rechte, die auch rechtlich, verfassungsrechtlich fixiert werden müssen. Das sind keine Rechte, die der Staat seinen Bürgern zuteilen kann: mal mehr, mal weniger. Darüber sollte der Westen im Zusammenhang mit der Menschenrechtskonferenz in Moskau reden.
Offenheit, Öffentlichkeit bei dieser Veranstaltung muß gewährleistet werden. Und natürlich müssen wir erwarten, daß die deutlichen Fortschritte, die z. B. in Bern vereinbart waren, bestätigt werden, daß man darüber hinausgeht, konkrete Aufträge für weitere
Verbesserungen im humanitären Bereich vergibt. Dann kann man über eine solche Menschenrechtskonferenz durchaus sprechen.
Was wir brauchen — ich denke, da gibt es Übereinstimmung — , ist eine neue Dimension der Vertrauensbildung. Das geht nicht allein durch den Abbau von Waffen. Der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow hat im September in einem Prawda-Artikel erklärt, daß die Welt nicht sicher sein könne, solange es Verletzungen der Menschenrechte gebe. Ich teile diese Auffassung von Generalsekretär Gorbatschow ausdrücklich. Wir sollten versuchen, diese Maxime in die Wirklichkeit umzusetzen.
Wie ein Land Menschenrechte berücksichtigt, wie ein Land, etwa auch die Sowjetunion, mit seinen eigenen Bürgern umgeht, das sagt sehr viel über die Friedfertigkeit dieses Landes. Hören wir auf, die Friedfertigkeit eines Landes nur quantitativ, an der Zahl der Panzer, über die es verfügt, zu messen! Wie friedfertig, wie wenig aggressiv ein Land ist, kann man sehr gut daran erkennen, wie es mit seinen eigenen Leuten umgeht, wie Menschenrechte in diesem Land gesichert und garantiert sind.
Sie wissen, daß in Wien über dieses Thema gesprochen wird. Leider gibt es dort im Augenblick noch eine Stagnation. Wer dort hingeht und Gespräche führt, der spürt den Unterschied zwischen den Reden über Glasnost und Perestroika in Moskau und dem, was auf dem Verhandlungstisch in Wien bisher möglich gewesen ist, gerade auch im Korb III. Ich denke, es kann nicht angehen, daß in Moskau offener gesprochen wird, mehr Erwartungen geweckt werden, als dann die sowjetischen Verhandlungsführer bereit sind in Wien auf den Verhandlungstisch zu legen. Nein, die Glasnost-Reden von Moskau müssen sich am Verhandlungstisch in Wien bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa niederschlagen.
Das Abrüstungsabkommen von Washington kann eine Trendwende zu einem Prozeß einer umfassenden Abrüstung für mehr Sicherheit in Ost und West sein, wenn diesem ersten Schritt weitere Schritte folgen, wenn dieses Abkommen also nicht isoliert stehenbleibt. Es muß deshalb darum gehen, daß dieser Vertrag durch eine Vereinbarung über die Reduzierung der strategischen Systeme nach oben hin abgesichert wird. Es muß uns darum gehen, möglichst schon im nächsten Jahr endlich die weltweite Beseitigung aller Chemiewaffen zu vereinbaren. Weiterhin muß es darum gehen, daß endlich die eigentliche Bedrohung für uns in Europa, die Invasionsfähigkeit des Warschauer Pakts auf Grund seiner konventionellen Waffen abgebaut wird. Auch müssen Reduzierungen bei den Kurzstreckensystemen der Reichweiten bis 500 Kilometer möglich sein. Ich bin dankbar, daß der Bundeskanzler diese Position in seiner Regierungserklärung ausdrücklich noch einmal angesprochen hat,
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denn wir können in diesem Zusammenhang keinen künstlichen Halt bei einer künstlichen Grenze einlegen.
Grundlage für die weiteren Abrüstungsschritte muß ein geschlossenes, in sich flexibles und politisch überzeugendes westliches Gesamtkonzept sein. Dabei wird es darauf ankommen, die Notwendigkeit von nuklearer Abschreckung und ausreichender konventioneller Verteidigungsfähigkeit für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und damit auch akzeptabel zu halten. Das bedeutet, daß unser politisches Ziel nachvollziehbar sein muß, wie das westliche Bündnis künftig jede Art von Krieg, konventionell wie nuklear, verhüten und dabei zugleich — wie es der Bundeskanzler am 4. Juni dieses Jahres gesagt hat — die Rolle der Nuklearwaffen auf das qualitativ und quantitativ erforderlich absolute Mindestmaß beschränken und die konventionellen Potentiale in Europa auf ein stabiles Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau begrenzen will. Ich denke, daß diese Aussage des Bundeskanzlers über das absolute Mindestmaß von nuklearen Waffen in Europa noch zu wenig beachtet worden ist. Sie sollte eine wichtige Grundlage für die Erarbeitung des Gesamtkonzepts innerhalb des westlichen Bündnisses sein.
Wie könnte dieses Gesamtkonzept aussehen? Ich möchte dazu einen konkreten Diskussionsbeitrag leisten.
Erstens. Zu diesem Konzept muß der Gesamtzusammenhang der Erfordernisse der westlichen Sicherheit, Strategie und Rüstungskontrolle und deren Rückwirkung auf das verbleibende konventionelle und nukleare Dispositiv gewahrt werden.
Zweitens. In der Geschichte der Ost-West-Rüstungskontrolle hat das Schwergewicht bisher zu sehr auf der nuklearen Rüstungsbegrenzung gelegen. Alle Verträge, die es gibt, sind nukleare Verträge. Doch gerade die bestehende Invasionsfähigkeit des Warschauer Paktes stellt für die Westeuropäer, insbesondere für unser Land, die eigentliche Bedrohung dar. Deshalb liegt ein besonderes deutsches Interesse im Abbau dieser Invasionsfähigkeit.
Drittens. Das kann allerdings nicht bedeuten, daß die Rüstungsbegrenzung bei den Atomwaffen unter 500 Kilometer Reichweite ans Ende des europäischen Abrüstungsprozesses geschoben und der augenblickliche Waffenbestand eingefroren oder gar erhöht werden kann.
Dies ist ebenso unakzeptabel, Herr Kollege Voigt, wie es Ihre Bestrebungen für eine Denuklearisierung Europas sind.
Viertens. Ziel von Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle muß es sein, die östliche Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur großangelegten Offensive abzubauen, bestehende Ungleichgewichte zu beseitigen und konventionelle Stabilität in Europa zwischen Ural und Atlantik herzustellen. Hier sollten zunächst beim kampfentscheidenden Gerät
wie Panzern und Artillerie gleiche Obergrenzen auf niedrigerem Niveau hergestellt werden. Die NATO wird dafür zu eigenen Reduzierungen bereit sein; doch wird der Warschauer Pakt während dieses Reduzierungsprozesses deutlich mehr, also asymmetrisch, abrüsten müssen.
Fünftens. Die Herstellung konventioneller Stabilität sollte über die zahlenmäßigen Reduzierungen hinaus auch Maßnahmen vorsehen, die die für die Invasionsfähigkeit besonders kennzeichnenden Eigenschaften wie die Dislozierung der Streitkräfte, ihre Einsatzbereitschaft und ihre Verstärkungsmöglichkeiten begrenzen.
Sechstens. Endlose Zahlendiskussionen über den Umfang der jeweiligen Potentiale, wie wir sie über 14 Jahre hinweg bei den Wiener MBFR-Verhandlungen erlebt haben, müssen vermieden werden.
Deshalb sollten nicht vor Beginn des Reduzierungsprozesses die Ausgangsdaten geklärt werden; vielmehr sollten absolute Zahlen für die jeweiligen Höchststärken vereinbart werden, auf die dann beide Seiten innerhalb einer festgelegten Frist hinunterzureduzieren haben. Das Ergebnis dieser Reduzierungen und die weitere Einhaltung dieser Höchststärken müssen dann allerdings sorgfältig überprüft werden.
— Ich sage viel Richtiges; aus unserer Sicht heraus ist das sogar fast alles richtig, Herr Kollege Voigt.
Ob die Sowjetunion zur Beseitigung ihrer konventionellen Überlegenheit bereit ist, das wird nach unserer Auffassung der eigentliche Test dafür sein, ob es in der sowjetischen Außenpolitik nicht nur ein neues Denken, sondern auch ein neues Handeln gibt.
Lassen Sie mich das einmal mit aller Klarheit sagen: Herr Gorbatschow steht vor der Frage, ob er in Zukunft einmal sein Land modernisieren will, nachdem alle seine Vorgänger und auch er selbst zunächst immer nur die Waffen modernisiert haben.
Das ist die entscheidende Frage, vor der die Sowjetunion steht. In dem Moment, wo sich der sowjetische Generalsekretär im Sinne seines Volkes entscheidet, alle Mittel darauf zu konzentrieren, dieses Land zu modernisieren, bekommen wir auch Luft zum Atmen für Abrüstungsverhandlungen im konventionellen Bereich in Wien.
Siebtens. Mit der Unterzeichnung des Mittelstrekkenabkommens in Washington ist eine neue Situation gegeben. Selbstverständlich wird die NATO-Strategie der flexible response dadurch weder wirkungslos noch überholt sein. Doch sollten auch die politischpsychologischen Auswirkungen nicht unterschätzt werden, die die verbleibende Struktur der westlichen Nuklearwaffen in Europa hat. Es kommt nicht von ungefähr, daß die nukleare Abschreckung nicht nur wie gewohnt von links her kritisert wird, sondern daß
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inzwischen wegen dieser Struktur — nicht im Grundsatz, sondern wegen dieser Struktur — auch Kritik aus dem Bereich der grundsätzlichen Befürworter der nuklearen Abschreckung kommt. Es stellt sich also die Frage nach der langfristigen Glaubwürdigkeit des künftigen Abschreckungspotentials der NATO und damit auch die Frage, wie weit in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland die Zustimmung zur westlichen Abschreckungsstrategie langfristig gewahrt werden kann.
Achtens. Wegen der jetzt neu gegebenen Situation kann es jetzt nicht einfach zur Umsetzung der 1983 in Montebello ins Auge gefaßten Maßnahmen kommen. Deswegen steht die Frage der Modernisierung des in Europa verbleibenden Nuklearwaffenpotentials der NATO nicht auf der Tagesordnung der Politik.
Neuntens. Vielmehr sollte jetzt wegen der neu gegebenen Situation in dem von der NATO zu erarbeitenden Gesamtkonzept definiert werden, durch welche Maßnahmen und Schritte unter Berücksichtigung des konventionellen Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West das in Europa verbleibende Nuklearwaffenpotential neuformiert und zugleich weiter reduziert werden kann.
Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Das Ziel müßte entsprechend dem, was der Bundeskanzler im Juni formuliert hat, lauten: Deutlich weniger, aber politisch glaubwürdiger. Im Sinne der Glaubwürdigkeit der Abschreckung sollten drastische Reduzierungen insbesondere bei den kürzesten Reichweiten, also der nuklearen Artillerie, erfolgen.
Dafür muß geprüft werden, ob Reduzierungen durch einseitige Maßnahmen oder durch bilaterale Verhandlungen oder auch durch eine Mischung von beiden Möglichkeiten erfolgen sollten. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland bei der Erarbeitung dieses Gesamtkonzepts, zu dem sich alle bekennen, das aber bisher inhaltlich noch wenig ausgefüllt ist, eine aktive und führende Rolle zu spielen hat, weil wir auf Grund unserer besonderen Lage den schwierigsten Part haben.
Deswegen, Herr Dr. Vogel, und um den Kreis zu schließen, möchte ich auch noch einmal an Sie appellieren, hier wirklich die Chance zu echten Gemeinsamkeiten zu nutzen und es nicht — wie in der Frage der Nominierung des NATO-Generalsekretärs — an Solidarität missen zu lassen. Das hat uns alle sehr bestürzt.
Wissen Sie, wenn so etwas in Frankreich passiert wäre und ein Gaullist — das ist ein schönes gegriffenes Beispiel — zum NATO-Generalsekretär vorgeschlagen worden wäre — das kann man sich ja einmal vorstellen — , dann bin ich sicher, daß auch die kommunistische Partei Frankreichs das mit unterstützt hätte.
— Jetzt sagen Sie, man habe mit Ihnen nicht geredet. Sie kennen doch den Manfred Wörner und seine Fähigkeiten.
Es ist doch unglaublich, daß, nachdem seine Fähigkeiten in allen übrigen NATO-Ländern geschätzt werden, von Ihnen der Versuch gemacht wird, dies international zu hintertreiben, Herr Dr. Vogel.
Prüfen Sie sich, Herr Dr. Vogel, und bitte nicht nur die Gemeinsamkeit des Jubels, wenn Verträge unterzeichnet werden. Nicht nur die Gemeinsamkeit des Feierns, sondern prüfen Sie,
ob Sie wirklich eine Wende gegenüber Ihrem Versagen 1983 einleiten wollen. Für echte Gemeinsamkeit stehen wir immer zur Verfügung,
denn das wird uns allen in der Bundesrepublik Deutschland nutzen.