Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute geht in Washington das Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow zu Ende. Dieses Treffen wird in die Geschichte eingehen, weil es das erste wirkliche Abrüstungsabkommen erbracht hat. Auf Grund des am 8. Dezember 1987 unterzeichneten INF-Abkommens werden weltweit alle amerikanischen und sowjetischen nuklearen, landgestützten Mittelstreckenflugkörper zwischen 500 und 5500 km Reichweite abgeschafft. Die Sicherheit von Millionen von Menschen — zumal in Europa — wird damit verbessert.
Der 8. Dezember 1987 markiert auch einen großen Erfolg für das Atlantische Bündnis, das seit dem NATO-Doppelbeschluß von 1979 auf dieses Abkommen hingewirkt hat.
Die Bedrohung Westeuropas durch die sowjetischen SS-20-Raketen wird beendet. Vom Boden der Bundesrepublik Deutschland werden 108 Pershing-II-
Flugkörper und 64 Marschflugkörper abgezogen. Das Bündnis wird außerdem ab sofort die noch laufende Stationierung von Marschflugkörpern aussetzen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, dieser Vertrag ist von grundlegender Bedeutung für den Abrüstungsprozeß, weil er eine ganze Kategorie von Waffen beseitigt, weil er stark asymmetrische Reduzierungen und weil er ein umfassendes Überprüfungssystem einschließlich Verdachtskontrollen vorsieht. Dieses Ergebnis — wir haben das oft besprochen hier im Hohen Haus — haben viele nicht für möglich gehalten. An diesem großartigen Erfolg haben viele mitgewirkt, allen voran der amerikanische Präsident Ronald Reagan.
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Er ist viel kritisiert worden, auch bei uns. Wir haben heute allen Grund, ihm herzlich zu danken. Auch Generalsekretär Gorbatschow gebührt Anerkennung dafür, daß er den Weg zu einem Kompromiß und einem guten Ergebnis freigemacht hat.
Die Solidarität des Bündnisses war eine grundlegende Voraussetzung für diesen Erfolg. Die Vereinigten Staaten haben ihre Partner laufend und in vertrauensvoller Weise zu allen wichtigen Verhandlungsfragen konsultiert. Die Bündnispartner ihrerseits haben den USA in entscheidenden Verhandlungsphasen den Rücken gestärkt und damit zu dem jetzt erreichten Ergebnis beigetragen.
Zur Geschichte dieses Erfolges gehört aber auch, daß das Bündnis erst Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper stationieren mußte, bevor es zu wirklich ernsthaften Verhandlungen in Genf kam. Dieser Schritt ist uns damals nicht leicht gefallen.
Die Opposition hat seinerzeit von uns die Aufkündigung des NATO-Doppelbeschlusses und damit den Bruch der Vereinbarung verlangt.
Sie war bereit, die einseitige Bedrohung unseres Landes durch die SS 20 hinzunehmen. Wir haben dies abgelehnt und den NATO-Doppelbeschluß durchgeführt.
Meine Damen und Herren, ich verstehe sehr wohl, daß Sie bei diesem Punkt unruhig sind; denn heute ist für Sie die Stunde der Wahrheit gekommen.
Dieses Ergebnis war nur möglich,
weil wir Ihren Diffamierungen und Ihren Fehlprognosen widerstanden haben.
Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik wenige Beispiele dafür, daß in einer so erbärmlichen Weise Geschäfte mit der Angst der Menschen gemacht wurden.
Ich erinnere daran — ich will darauf hinweisen, wie uns das getroffen hat — , daß uns als Union vom Podium des Deutschen Bundestags aus die Fähigkeit zum Frieden abgesprochen wurde.
— Ich bringe Ihnen noch Beispiele, Herr Apel, die nicht sehr lange zurückliegen. Gerade Sie sollten keinen Zwischenruf machen; denn Sie waren in diesem Zusammenhang einer von denen, die das Thema des Krieges und der Kriegshetze besonders betrieben haben.
Herr Bahr sagte am 22. Dezember 1983:
Wir werden diese Entscheidungen, die die Mehrheiten im Bundestag getroffen haben, zu bezahlen haben, auch in unserem Verhältnis zum Osten.
Die Bundesregierung hat sich geirrt.
— So sagte Herr Bahr weiter. —Die Verhandlungen sollten leichter werden nach der Stationierung, die Russen sollten nachgiebiger werden nach der Stationierung. Das Gegenteil ist eingetreten.
Ich finde, der Kollege Bahr sollte hierherkommen und sagen, er habe sich getäuscht. Das kann ja passieren, aber es ist wahr.
— Herr Abgeordneter Vogel, Sie,
der Sie zu diesem Thema gerne sprechen, sagten auf dem Essener Parteitag Ihrer Partei im Mai 1984:
Es ist absichtsvolle Irreführung, wenn die Bundesregierung auch jetzt noch behauptet, durch den Beginn der Stationierungen sei die Sicherheit gewachsen und die Verständigungsbereitschaft größer geworden,
während doch mit Händen zu greifen ist, wie sich der Rüstungswettlauf beschleunigt und wie die Spannungen zwischen den beiden Mächten seit dem November des vergangenen Jahres fast von Monat zu Monat zugenommen haben.
Herr Abgeordneter Vogel, Sie haben sich getäuscht.
Sie haben bewußt — ich sage das noch einmal — mit der Erzeugung von Kriegsangst die deutsche Öffentlichkeit irregeführt. Das ist die Erfahrung.
Als die Verhandlungen zwischen den Großmächten im März 1985 wieder aufgenommen wurden, hat die Bundesregierung sowohl innerhalb des westlichen Lagers wie auch gegenüber der Sowjetunion ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen, um die beiderseitige Abschaffung dieser nuklearen Mittelstreckensysteme auf dem Verhandlungswege zu erreichen. Der Weg und die Politik der Bun-
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desregierung waren folgerichtig und klar. Die Erfolge unserer Politik sind heute für jedermann erkennbar. Wir haben mit dieser Politik den Frieden für unser Volk sicherer gemacht.
Unsere Politik war immer berechenbar und deshalb auch erfolgreich.
Sie ist im übrigen eine glänzende Bestätigung
für das Harmel-Konzept des Bündnisses im Verhältnis zwischen West und Ost.
Herr Abgeordneter Vogel, an einem Tag wie dem heutigen sollten Sie schweigen;
denn Sie waren einer der falschen Propheten.
Um eines parteipolitischen Vorteils und Machtkalküls willen waren Sie bereit, die Sicherheit des Landes aufs Spiel zu setzen.
Ausgehend von gesicherter Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung haben wir uns intensiv um eine Verhandlungslösung bemüht. Wir waren immer überzeugt, daß Ergebnisse in Abrüstungsverhandlungen nur möglich sein können, wenn auch alle anderen Bereiche in die Zusammenarbeit zwischen West und Ost einbezogen werden.
Die Bundesregierung hat wesentliche Beiträge zum Gelingen dieses Abkommens geleistet, was weltweit anerkannt wird.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft haben bei ihrem Treffen in Kopenhagen das INF-Abkommen als einen „Meilenstein" in den West-Ost-Beziehungen bezeichnet. Mit dieser Würdigung wollten wir besonders zwei Gesichtspunkte zum Ausdruck bringen: einerseits die Genugtuung über dieses Ergebnis und andererseits die Erwartung, daß das Abkommen ein erster Schritt ist zu gesichertem Frieden mit weniger Waffen.
— Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe ja, daß Sie heute aufgeregt sind. Das ist ein Tag der Blamage für Sie.
Mit Ihrem unkontrollierten Dazwischenschreien wollen Sie ja nur von der Tatsache Ihres Fehlverhaltens ablenken.
Es ist unabdingbar, daß der Prozeß von Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa und weltweit Schritt für Schritt weitergeht. Die Bundesregierung tritt mit aller Kraft dafür ein, daß die jetzt ausgelöste Dynamik zur Kontrolle und zum weiteren Abbau der Rüstungen entschlossen genutzt wird.
Das INF-Abkommen kann das gesamte West-OstKlima verbessern und in einer entscheidenden Weise zur Vertrauensbildung zwischen den Weltmächten beitragen. Wir sollten nicht vergessen, daß dieses Abkommen die weitestgehenden und umfassendsten gegenseitigen Überprüfungen in Form der Verdachtskontrolle vorsieht, die es je gegeben hat.
Die Erwartungen der Bundesregierung richten sich jetzt auf den 50 %igen Abbau der strategischen Nuklearwaffen, auf ein weltweites Verbot chemischer Waffen, auf die Herstellung eines umfassenden und stabilen Kräfteverhältnisses konventioneller Streitkräfte durch die Beseitigung von Ungleichgewichten sowie auf Verhandlungen über deutliche und überprüfbare Reduzierungen amerikanischer und sowjetischer bodengestützter nuklearer Flugkörpersysteme kürzerer Reichweite, die zu gleichen Obergrenzen führen.
Diese vier Verhandlungsschwerpunkte entsprechen den von den NATO-Außenministern im Juni dieses Jahres in Reykjavik festgelegten Prioritäten des Bündnisses. Sie stellen zugleich das Gerüst für das Gesamtkonzept zur Rüstungskontrollpolitik unseres Bündnisses dar, das die NATO-Gremien gemäß Ministerbeschluß derzeit entwickeln.
Die Bundesregierung arbeitet selbstverständlich intensiv an der Ausgestaltung dieses Konzepts mit. Wir gehen dabei von folgenden grundlegenden Bewertungskriterien aus:
Erstens. Die enge Wechselwirkung zwischen Rüstungskontrolle und Verteidigungspolitik macht es erforderlich, einzelne rüstungskontrollpolitische Schritte auf ihre Auswirkung auf die eigene Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit zu prüfen. Die gesamte Sicherheitslage des Bündnisses muß einer ständigen Überprüfung unterzogen werden.
Zweitens. Die Strategie der Kriegsverhinderung durch Abschreckung muß glaubwürdig und durchsetzbar bleiben. Hierfür wird auf absehbare Zeit ein ausgewogenes Verhältnis konventioneller und nuklearer Streitkräfte erforderlich bleiben, wie dies die sieben Mitgliedstaaten der WEU jetzt erneut in ihrer gemeinsamen Plattform der europäischen Sicherheit unterstrichen haben. Der amerikanischen Truppenpräsenz in Europa kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu.
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Drittens. Kein Bereich der Rüstungskontrolle darf isoliert und aus dem gesamtstrategischen Zusammenhang herausgelöst betrachtet werden.
Viertens. Jeder Schritt zu Abrüstung und Rüstungskontrolle muß verläßlich überprüfbar sein. Nur so kann gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden.
Fünftens. Zielsetzung eines jeden rüstungskontrollpolitischen Schrittes muß es sein, ein stabiles Kräfteverhältnis auf niedrigerem Niveau zu erreichen.
Sechstens. Die Umgehung getroffener Rüstungskontrollvereinbarungen durch Ausnutzung von Grauzonen muß verhindert werden.
Siebtens. Abrüstung ist kein Selbstzweck. Sie muß dazu beitragen, die gemeinsame Sicherheit zu erhöhen. Am Ende eines Abrüstungsprozesses muß die Sicherheit größer und nicht geringer sein.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Bundesregierung hat das Gipfeltreffen von Washington auch wichtige Annäherungen bei den Verhandlungen über eine Halbierung der strategischen Offensivpotentiale der USA und der Sowjetunion erbracht. Dies betrifft vor allem die Obergrenzen für einzelne strategische Waffensysteme. Darüber hinaus gibt es eine Teileinigung über ein befristetes Festhalten am ABM-Vertrag.
Dies bringt uns einer langfristig tragfähigen Einigung der Großmächte über das Verhältnis von Offensiv- und Defensivsystemen näher, die die Bundesregierung als erste westliche Regierung hier im Bundestag immer wieder gefordert hat.
Damit ist ein START-Abkommen, d. h. die Verschrottung von mehr als 10 000 nuklearen Sprengköpfen beider Großmächte, ebenfalls in greifbare Nähe rückt. Wir werden nicht nachlassen, beide Seiten zu ermutigen, sich über ein solches Abkommen zu einigen.
Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben auch eine besondere Verantwortung für den Abschluß einer Konvention zum weltweiten Verbot chemischer Waffen. Wir Deutsche haben uns stets wegen unserer ganz besonderen Interessenlage für ein solches Verbot eingesetzt.
Die Verhandlungen in Genf zu diesen Fragen sind weit gediehen. Die noch zu lösenden Kontrollfragen sind kompliziert; wir sind der Überzeugung, sie sind lösbar. Ich rufe deshalb alle beteiligten Seiten dazu auf, einem umfassenden und praktikablen Überprüfungssystem zuzustimmen.
Ein wesentlicher Angelpunkt für die künftige Entwicklung des West-Ost-Verhältnisses insgesamt wird der Verlauf der künftigen Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa sein. Ich gehe davon aus, daß wir in den nächsten Monaten zu einem einvernehmlichen Mandat mit den Staaten des Warschauer Paktes über solche Verhandlungen kommen werden.
Ziel dieser Verhandlungen muß es sein, auch eine Stabilisierung des konventionellen Kräfteverhältnisses in ganz Europa zu erreichen. Hierzu müssen die zugunsten des Warschauer Pakts bestehenden Ungleichgewichte beseitigt werden. Generalsekretär Gorbatschow hat noch in der vergangenen Woche solche Asymmetrien eingeräumt.
Die Überlegenheit und Invasionsfähigkeit der Sowjetunion ergibt sich aus der Stärke, aus der Dislozierung, der Ausbildung und der Ausrüstung ihrer Truppen. Die Bundesregierung wird verständlicherweise gerade diesen Verhandlungen ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Sie werden sicherlich besonders schwierig und langwierig sein, insbesondere auch im Hinblick darauf, daß die Überprüfung besondere Probleme aufwerfen wird und eben asymmetrische Reduzierungen erforderlich sind.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Problem der Kurzstreckenraketen unter 500 km Reichweite ist für uns Deutsche, ist für unser Volk auf Grund von Stationierung, Reichweite und drastischer Überzahl der sowjetischen Raketen von einer ganz besonderen Bedeutung. Die uns bedrohende hohe Überzahl sowjetischer Raketen in diesem Reichweitenband ist durch Gesichtspunkte der Verteidigung nicht gerechtfertigt. Ein Verzicht auf einen Teil dieser Raketen würde deshalb nicht das Sicherheitsinteresse der Sowjetunion beeinträchtigen, es würde gleichzeitig die Glaubwürdigkeit des neuen Denkens erhöhen.
Wir müssen auch die Sowjetunion fragen, was sie mit ihren rund 600 SCUD-Systemen beabsichtigt. Auch diese Raketen veralten. Sollen sie, nachdem das Nachfolgemodell, die SS 23, bereits vom INF-Abkommen erfaßt wird, modernisiert werden?
Die Bundesregierung wird weiterhin darauf hinwirken, daß gemäß dem Kommunique der Außenminister von Reykjavik die sowjetischen und amerikanischen landgestützten nuklearen Kurzstreckenraketen operativ in das Rüstungskontrollkonzept der NATO einbezogen werden. Die Bundesregierung behält sich abschließende Entscheidungen vor. Wesentliche Kriterien werden dabei sein: die im Bündnis erarbeiteten Erfordernisse der gemeinsamen Sicherheit, der weitere Fortgang der Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen und die weitere Entwicklung des gesamten West-Ost-Dialogs.
Meine Damen und Herren, vorrangig geht es jetzt darum, das INF-Vertragswerk in Kraft zu setzen. Die Bundesregierung begrüßt es, daß der Senat der Vereinigten Staaten von Amerika den INF-Vertrag bereits Mitte Januar in seinen Ausschüssen beraten wird. Wir werden dabei jede sich bietende Gelegenheit nutzen, unsere guten Gründe für den Vertrag und unser Interesse an einer zügigen Ratifikation zu verdeutlichen. Eine Neueröffnung der Verhandlungen zwischen den Weltmächten wäre nicht in unserem Interesse.
Unsere eigene vertragliche Einbindung in das INF-Vertragswerk, das sogenannte Stationierungsländerabkommen, muß hier im Bundestag ratifiziert wer-
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den, weil es uns verpflichtet, 13 Jahre lang Inspektionen auf unserem Hoheitsgebiet hinzunehmen.
Bereits vorgestern hat das Bundeskabinett den Bundesminister des Auswärtigen ermächtigt, das Abkommen am Rande der Herbsttagung der NATO-Außenminister in Brüssel zu unterzeichnen. Die Bundesregierung wird danach unverzüglich das parlamentarische Verfahren einleiten.
Ebenfalls auf der Brüsseler Tagesordnung steht das Gesamtkonzept unseres Bündnisses für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Grundlage dieses Gesamtkonzepts muß eine gemeinsame Bewertung der Kräfteverhältnisse sein. Diese Aufgabe gewinnt erhöhte Bedeutung für die vor uns liegenden Gespräche und Verhandlungen im konventionellen Bereich.
Für uns und unsere Verbündeten geht es um die entscheidende Frage: Wie können wir auf Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit, auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen, begleitet von konkreten Maßnahmen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung, die gemeinsame Sicherheit auch in Zukunft verbürgen?
Der Washingtoner Gipfel bestätigt erneut grundlegende Erfahrungen: Begegnungen auf höchster Ebene sind besonders geeignet, bei entsprechender Vorbereitung den West-Ost-Beziehungen weiterführende Impulse zu geben. Ich habe seit meinem Amtsantritt immer wieder und konsequent eine solche Gipfeldiplomatie verlangt. Ich stelle mit Befriedigung fest: Wir sind jetzt ein gutes Stück weitergekommen.
Es ist ein besonders gutes Beispiel, daß Ort und Zeit der nächsten Begegnung bereits feststehen: 1988 wird eine vierte Begegnung stattfinden.
Es gilt, die Chancen für solche Begegnungen zu verbessern und sie als normale Form der West-Ost-Beziehungen zu verankern.
Die Bundesregierung hat im abgelaufenen Jahr konsequent derartige hochrangige Begegnungen genutzt, um das verbesserte Klima im West-Ost-Verhältnis im bilateralen Bereich zum Wohl der Menschen einzusetzen. Das war der Sinn der Begegnungen mit Generalsekretär Honecker, mit Generalsekretär Schiwkow sowie mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Grosz. Genauso erwarte ich dies für meine Begegnungen mit Generalsekretär Husak und mit Generalsekretär Gorbatschow.
Die West-Ost-Beziehungen dürfen nicht auf Abrüstung und Rüstungskontrolle verengt werden,
sondern müssen alle Felder der Zusammenarbeit erfassen und weiterentwickeln.
Ich begrüße nachdrücklich, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion Fortschritte nicht nur in Fragen der Sicherheit und Vertrauensbildung erzielt haben, sondern auch bei der friedlichen Lösung regionaler Konflikte, in ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und im kulturellen Austausch. Ein besonderes Anliegen des Präsidenten war es auch auf dem Gipfel, Fortschritte in humanitären Fragen zu erreichen und mehr Menschenrechte durchzusetzen. Sie sind und
bleiben in Wahrheit das entscheidende Fundament einer dauerhaften Friedensordnung.
Ein umfassender Dialog und die Entwicklung der Beziehungen in allen Bereichen sind ein Erfolgsrezept für eine dauerhafte Stabilisierung des West-Ost-Verhältnisses.
Wir sind dem amerikanischen Präsidenten zu besonderem Dank verpflichtet, daß er wie bei seinen früheren Gipfelbegegnungen gegenüber Generalsekretär Gorbatschow zwei wesentliche deutsche Anliegen zur Sprache gebracht hat: Er hat zusammen mit den Ausreisewünschen sowjetischer Juden das gleiche Anliegen der Sowjetbürger deutscher Nationalität vertreten, und er hat in Fortsetzung seiner BerlinInitiative vom Juni dieses Jahres darauf gedrungen, daß auch Berlin, unsere alte Hauptstadt, bei der Verbesserung von Anfang an voll einbezogen wird zum Nutzen der Lebensfähigkeit der Stadt und zum Zusammenhalt der dort lebenden Menschen.
Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß die Begegnung in Washington neue Bewegung in die Frage des Krieges in Afghanistan bringt. Nach fast acht Jahren Krieg mit weit mehr als 100 000 Toten und Millionen Flüchtlingen hoffen wir im Interesse des leidgeprüften Landes, daß dort endlich Frieden einkehrt.
Wir sind davon überzeugt, daß wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen West und Ost beiden Seiten nützt. Wir erwarten, daß die USA und die Sowjetunion ihren Wirtschaftsaustausch nunmehr auf eine breite Grundlage stellen.
Die Reformen, vor allem die wirtschaftlichen Reformen, die sich Generalsekretär Gorbatschow für sein Land und die sich die Mehrzahl der übrigen Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe vorgenommen haben, bieten eine Fülle von Ansätzen für neue, vernünftige Wege der Zusammenarbeit. Daher habe ich Generalsekretär Gorbatschow bereits im Sommer 1986 eine West-Ost-Wirtschaftskonferenz vorgeschlagen.
Diese Initiative, meine Damen und Herren, liegt nunmehr als gemeinsamer Vorschlag der EG-Staaten auf dem Verhandlungstisch des Wiener KSZE-Folgetreffens. Die Bundesregierung sieht es als eine der Schwerpunktaufgaben ihrer bevorstehenden EG-Präsidentschaft an, nicht nur diesen EG-Vorschlag der West-Ost-Wirtschaftskonferenz umzusetzen, sondern das Wiener Folgetreffen insgesamt zum Erfolg zu führen. Wir würden es begrüßen, wenn es während unserer EG-Präsidentschaft möglich wäre, die Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der EG und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zum Abschluß zu bringen.
Meine Damen und Herren, ein anderer Gipfel, der Europäische Rat in Kopenhagen, hat — verständlicherweise — für kritische Schlagzeilen gesorgt. Wir haben keine abschließenden Entscheidungen erreicht. Es ist uns aber in zwei Tagen intensiver Diskussion gelungen, in wesentlichen Fragen der künftigen Ausrichtung der Gemeinschaftspolitiken, des so-
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genannten Delors-Pakets, ein gutes Stück voranzukommen.
In einer Reihe wichtiger Punkte waren jedoch noch keine kompromißfähigen Lösungen möglich, um die notwendigen, in die Zukunft weisenden Grundsatzentscheidungen zu verabschieden. In dieser Lage habe ich meinen Kollegen den Vorschlag unterbreitet, den Europäischen Rat auf den 11. und 12. Februar 1988 nach Brüssel zu vertagen. Dieser Vorschlag wurde angenommen. Ich hätte in Kopenhagen natürlich lieber mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen, um die Arbeit der deutschen Präsidentschaft im nächsten halben Jahr auf andere Fragen, vor allem auf die Vollendung des Binnenmarktes, konzentrieren zu können, was natürlich auch geschehen muß.
Ich habe diesen frühestmöglichen Termin vorgeschlagen, um klarzumachen, daß wir als künftige Präsidentschaft entschlossen sind, die Entscheidungen möglichst rasch zu treffen und sie nicht auf den Europäischen Rat Ende Juni 1988 in Hannover zu verschieben. Die Gemeinschaft braucht die Entscheidungen über das Delors-Paket, um die notwendige Orientierung in der Agrar- und Strukturpolitik sowie die notwendige solide Finanzgrundlage zu erhalten.
Als Zwischenergebnis von Kopenhagen kann man festhalten: Erstens. Die Mittel der Strukturfonds werden deutlich erhöht. Sie sollen mehr als bisher auf die strukturschwachen Länder der Gemeinschaft konzentriert werden. Dies ist ein notwendiges Zeichen der Solidarität, insbesondere gegenüber Spanien und Portugal. Diese gezielte Strukturhilfe ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung eines funktionierenden Binnenmarkts. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir das Ziel auch der politischen Einigung nur erreichen werden, wenn wir den Binnenmarkt verwirklichen. Und wir werden den Binnenmarkt nur verwirklichen, wenn die unterschiedlichen Lebensverhältnisse und auch die verschiedene wirtschaftliche Situation in den einzelnen Staaten der EG einander angenähert werden, und zwar bald, in einer absehbaren Zukunft.
Zweitens. Das Finanzierungssystem der Gemeinschaft wird reformiert. Wir werden neben den bereits vorhandenen Gemeinschaftseinnahmen, den Zöllen, den Abschöpfungen und einem Teil der Mehrwertsteuer, eine vierte Finanzquelle schaffen.
Ihr Ziel ist es, die Gemeinschaftseinnahmen stärker am Wohlstand der einzelnen Mitgliedstaaten zu orientieren.
Drittens. Auch in dem sehr schwierigen Agrarbereich hat der Europäische Rat wesentliche Fortschritte gebracht, die vor allem für die deutsche Landwirtschaft von besonderer Bedeutung sind. Die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten haben anerkannt, daß angesichts der Überschüsse Flächenstillegungen ein wesentlicher Beitrag zur Markt- und Kostenentlastung sind. Für uns hat der Großversuch in Niedersachsen gezeigt, daß in der Flächenstillegung ein richtiger Ansatz zu finden ist. Bevor wir zu einer bloß einkommensorientierten Preispolitik zurückkehren können, müssen vor allem die Fehlentwicklungen der Vergangenheit korrigiert werden.
Bis dahin muß es in erster Linie darum gehen, die Einkommen in der Landwirtschaft zu stützen und den Strukturwandel auch sozial akzeptabel und erträglich zu machen. Dazu müssen innerhalb der EG und auch national die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen werden.
Viertens. Der Europäische Rat hat sich erneut auf eine strikte Haushaltsdisziplin verpflichtet. Die Gemeinschaft verwaltet immer mehr Mittel der einzelnen Länder. Für diese Ausgaben müssen selbstverständlich die gleichen strikten Regelungen gelten, wie das in den einzelnen Ländern — auch in der Bundesrepublik — der Fall ist.
Von Beginn der Präsidentschaft an werden wir uns gemeinsam mit der Kommission und unseren Partnern bemühen, die in Kopenhagen erzielten Fortschritte jetzt in konkrete Beschlußvorschläge umzusetzen. Auf Grund der geleisteten Vorarbeit sollte es uns gelingen, im Februar in Brüssel die notwendigen Beschlüsse zu fassen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Gemeinschaft muß sich jetzt stärker auf ein entscheidendes Anliegen der Einheitlichen Europäischen Akte, nämlich die Verwirklichung des Binnenmarktes, konzentrieren. Dieser „Raum ohne Binnengrenzen" umfaßt über 320 Millionen Menschen. Er soll den „freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleisten" , wie es in der Einheitlichen Europäischen Akte heißt. Ein solcher Binnenmarkt stellt für die Wirtschaft der Gemeinschaft und damit im übrigen auch für unsere Volkswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland eine unverzichtbare Basis dar, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Allerdings — ich sage dies mit Bedacht — müssen wir uns alle darüber im klaren sein, daß der Binnenmarkt von den Volkswirtschaften aller Staaten, auch der deutschen, erhebliche Anpassungen verlangt und daß hier mancherlei Schwierigkeiten überwunden werden müssen.
Europa muß sich den Aufgaben der Zukunft stellen. Das ist gleichermaßen Herausforderung und Chance. Die Bundesregierung will das Notwendige dazu beitragen, damit der Integrationsprozeß gerade im Binnenmarkt neuen Schwung erhält.
Weder der Ablauf dieses Europäischen Rates noch mancherlei Erfahrungen in der Vergangenheit noch die schwierigen Aufgaben, die uns gerade im Binnenmarkt bevorstehen, sind für mich ein Grund zu irgendeiner Resignation. Im Gegenteil, die europäische Einigung ist ein schwieriger und, wie wir wissen, ein langwieriger Prozeß. Er muß und wird weitergehen, denn jeder weiß: Es gibt zu dieser Entwicklung nach Europa keine Alternative.
Meine Damen und Herren, bei mancherlei Ärger über den Stand der aktuellen Diskussion dürfen wir nicht vergessen, was in diesen letzten 30 Jahren erreicht werden konnte. Viele, auch bei uns in der Bun-
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desrepublik Deutschland, vergessen zu leicht und zu schnell, daß heute mehr als 50 % unserer Exporte in die übrigen Länder der Gemeinschaft gehen, daß heute diese Exporte jeden fünften Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland sichern. Die Gemeinschaft ist für uns nicht nur der Markt vor der Haustür. Sie hat sich in den letzten Jahren auch zu einer Zone wirtschafts- und währungspolitischer Stabilität entwickelt. Diese Rahmenbedingungen sind für eine exportorientierte Wirtschaft wie die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland von entscheidender Bedeutung.
Europa — EG Europa — hat gerade angesichts der Ereignisse in den letzten Wochen an den internationalen Finanzmärkten durch enges und abgestimmtes Handeln gezeigt, daß es sich seiner Verantwortung nicht nur bewußt ist, sondern sie auch praktisch wahrnimmt. Es ist selbstverständlich, daß wir uns auch in Kopenhagen über die jüngsten Turbulenzen und deren eventuelle Rückwirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung in den kommenden Wochen ausgesprochen haben. Sowohl der Präsident der EG-Kommission wie auch die anderen Regierungschefs haben dabei die jüngsten Maßnahmen der Bundesregierung und der Bundesbank zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung positiv gewürdigt. Ich konnte in diesem Zusammenhang auf die Zinsentwicklung verweisen. Ich konnte darauf verweisen, daß sich das deutsche Zinsniveau bereits seit geraumer Zeit auch im internationalen Vergleich auf einem niedrigen Stand bewegt und daß die Deutsche Bundesbank die kurzfristigen Geldmarktzinssätze in den letzten Wochen wiederholt gesenkt und am 3. Dezember 1987 den Diskontsatz auf 2,5 % zurückgenommen hat, d. h. auf den niedrigsten Stand seit Kriegsende überhaupt.
Was die deutsche Finanzpolitik betrifft, konnte ich unterstreichen, daß wir in nur vier Jahren, von 1986 bis 1990, die Steuern netto um rund 50 Milliarden DM, d. h. um rund 2,5 % des Bruttosozialprodukts senken, daß wir die Steuersenkung 1988 auf Grund der internationalen Lage auf 14 Milliarden DM erweitert haben, daß wir steigende öffentliche Haushaltsdefizite aus konjunkturellen Gründen derzeit bewußt in Kauf nehmen und daß wir den Gemeinden und dem Mittelstand in den nächsten drei Jahren zusätzliche zinsgünstige Darlehen in einem Gesamtvolumen von 21 Milliarden DM zur Verfügung stellen werden.
Das positive Echo unserer Partner — das ist wichtiger als das, was Sie dazu sagen —
ist um so verständlicher, als ich in Kopenhagen auch darauf aufmerksam gemacht habe, daß die Bundesrepublik Deutschland bereits seit etwa zwei Jahren einen fühlbaren Beitrag zum Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte leistet. Denn seit Herbst 1985 geht der sogenannte Außenbeitrag zum Bruttosozialprodukt, also der Überschuß aus Exporten und Importen, in realer Rechnung kontinuierlich zurück. Damit fällt unser jährliches reales Wirtschaftswachstum derzeit spürbar schwächer aus,
weil dieser außenwirtschaftliche Anpassungsprozeß unverändert in vollem Gange ist — im übrigen zugunsten unserer Handelspartner und zu unseren eigenen Lasten. Anders ausgedrückt: Wenn man allein die dynamische Entwicklung unserer Inlandsnachfrage betrachtet, so sieht man, daß diese 1987 ein Wachstum von annähernd 3 % erreicht. Auf diese Erfolge, meine Damen und Herren, konnten wir in der europäischen Diskussion mit Recht verweisen.
Die internationalen Entwicklungen sind in den letzten Jahren in umfassender Weise in Gang gekommen. Ich glaube, bei aller berechtigten Skepsis in bezug auf dieses oder jenes Feld der Politik ist es zu verantworten, zu sagen, daß die Perspektiven auch im Blick auf das nächste Jahr hoffnungsvoll sind. Die Bundesregierung wird selbstverständlich im Sinne Ihres Auftrags ihre ganze Energie einsetzen, um den Frieden in Freiheit für unser Land zu sichern und zum Frieden in der Welt beizutragen.