Rede von
Dr.
Gerhard
Stoltenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Gut, ich bedanke mich für die Richtigstellung. Es gibt einen Entschließungsantrag, es gibt aber auch konkrete Anträge Ihrer Fraktion. Das sind wieder zwei Dinge, nicht wahr; darauf hatte ich mich bezogen.
Nun will ich, weil der Herr von Dohnanyi hier so als der große Anwalt von Norddeutschland aufgetreten ist, Sie darauf hinweisen, daß nach einer Berechnung meiner sachkundigen Mitarbeiter die zur Abstimmung gestellten Anträge folgendes bedeuten. Sie bedeuten eine Verschlechterung gegenüber der Vorlage des Finanzausschusses für Niedersachsen dauerhaft um 208 Millionen DM im Jahr, im Jahr 1987 einmalig um 608 Millionen DM, und sie bedeuten eine dauerhafte Verschlechterung für Schleswig-Holstein von 56 Millionen DM, woraus man erkennen kann, daß die Sozialdemokraten wirklich nicht die Anwälte Norddeutschlands sind, meine Damen und Herren.
Ich will es kurz und deutlich sagen: Die Strukturprobleme Hamburgs und Bremens haben sicherlich allgemeine Ursachen; sie sind aber auch das Ergebnis einer verfehlten Politik des sozialdemokratischen Se-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 3297
Bundesminister Dr. Stoltenberg
nats, insbesondere in Hamburg und auch in Bremen; das ist meine Überzeugung.
Es hat keinen Sinn, Herr Bürgermeister von Dohnanyi,
durch persönliche Attacken oder zugespitzten Verbalradikalismus diesen Sachverhalt Ihrer Verantwortung für schwere Fehlentwicklungen in Hamburg hier vertuschen zu wollen.
Auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen.
Im übrigen möchte ich unterstreichen, daß sich die Bundesregierung in allen ihren Gesprächen
vom vergangenen September bis in die letzten Wochen hinein bei der Beteiligung an der Suche nach Ausgleichs- und Kompromißlösungen immer an die Grenzen gehalten hat, die das Urteil des Bundesverfassunsgerichts gesetzt hat. Für uns war hier nach unserem Verfassungsverständnis und Rechtsverständnis in der Auslegung des Urteils die deutliche Grenze gegeben.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß einzelne Länder ankündigen, sie wollten bei einer entsprechenden Entscheidung im Bundestag und im Bundesrat erneut zum Bundesverfassungsgericht gehen. Das hat natürlich auch die Gespräche schon im letzten Jahr erschwert. Nach der ersten Erörterung, die ich im September des vergangenen Jahres in Braunschweig mit der Finanzministerkonferenz der Länder hatte, wurde anschließend auf der Pressekonferenz vor den Fernsehkameras von dem Repräsentanten eines Bundeslandes gesagt: Wenn die drei Forderungen nicht erfüllt werden, die wir gestellt haben, gehen wir zum Verfassungsgericht. Und die Antwort eines anderen Kollegen war: Wenn diese drei Forderungen erfüllt werden, gehen w i r zum Verfassungsgericht.
Ich gebe einmal zu bedenken, ob jetzt nicht doch der Zeitpunkt gekommen ist, in dem politische Entscheidungen, die, wie ich hier dargestellt habe, für alle Länder gegenüber geltendem Recht — mit Ausnahme der Sondersituation Bayerns — einen finanziellen Vorteil bringen, als befriedigend anerkannt werden könnten. Ich gebe zu bedenken, ob es nicht richtiger wäre, bestimmte Punkte, die man ändern möchte, nach einer gewissen Zeit als Novelle in die Gesetzgebung hier einzubringen,
weil es, Herr Kollege Apel, im Grunde doch ein erheblicher Pluspunkt war, daß die Länder und auch der Gesetzgeber über 40 Jahre lang die Fragen des Länderfinanzausgleichs im Kompromißwege regeln konnten, ohne das höchste Gericht zu bemühen. Es wäre gut, wenn diese Tradition in der Entwicklung der Länderbeziehungen oder des Bundesgesetzes über den Länderfinanzausgleich mit Zustimmung der Länder wieder entstehen könnte. Aber das ist eine
Erwägung, bei der ich selbstverständlich die verfassungsmäßigen Rechte eines jeden respektiere.
Ich möchte zum Schluß noch einmal auf Ihren Punkt, Herr Kollege Posser, die Kohlelasten, eingehen. Wir haben das im Bundesrat diskutiert, aber ich will hier noch einige Sätze dazu sagen.
Die sorgfältige Analyse des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ergibt zunächst einmal, daß bei den Bundesergänzungszuweisungen Sonderlasten über die hervorgehobene Berücksichtigung der Kosten politischer Führung hinaus nur dann geltend gemacht werden können, wenn alle vergleichbaren Sonderlasten einbezogen werden. Dies hat uns veranlaßt, mit Zustimmung des Deutschen Bundestages zu sagen: Eine objektive Bewertung aller regionalen Sonderlasten in zehn Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist praktisch nicht möglich. Wir haben dafür bei den meisten Ländern, auch bei sozialdemokratisch regierten Ländern, Verständnis gefunden. Deshalb wählen wir den Weg der Orientierung an der Finanzkraft als den anderen Weg, den das Verfassungsgericht vorgegeben hat.
Deswegen ist in diesem Zusammenhang das Thema der Sonderlasten Kohle für Nordrhein-Westfalen — aus Ihrer Sicht verständlicherweise leider — nicht zu entschieden. Der Versuch freilich, Herr Posser, erneut durch einen Entschließungsantrag, diesmal der sozialdemokratischen Fraktion, dem Bund — das ist die Tendenz, auch wenn es „verhandeln" heißt — weitere erhebliche Belastungen aus der Kohlepolitik zusprechen zu wollen und das Land zu entlasten, begegnet zwei grundsätzlichen Bedenken.
Das eine: Dies ist die Gefährdung der Kohlevorrangpolitik. Der Bund hat seine Ausgaben für die Kohle in den letzten Jahren um Milliarden gesteigert. Er geht an den äußersten Rand des Vertretbaren, auch im Hinblick auf andere regionale Belange, Sorgen und Probleme in vielen Teilen der Bundesrepublik. Wenn ernsthaft versucht wird, ein Ergebnis zu erzielen, bei dem vom Bund weitgehend oder ganz die Kohlelasten Nordrhein-Westfalens übernommen werden sollen, ist die Kohlepolitik in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr finanzierbar.
Das zweite: Der energie- und kohlepolitische Konsens, den wir erhalten und wieder festigen wollen, setzt voraus, daß die sozialdemokratische Partei eine Energiepolitik konzeptionell entwickelt und bejaht, die ein vertretbares Maß an friedlicher Nutzung der Kernenergie einbezieht,
weil wir sonst keine Preise mehr erreichen,
die den Standort Bundesrepublik Deutschland für Investitionen und Arbeitsplätze attraktiv erhalten. Wir können vor allem in Norddeutschland — das ist ein Punkt, Herr von Dohnanyi, wo Sie Ihre Haltung ändern müssen, wenn Sie norddeutsche Interessen vertreten wollen — nicht allein auf der Basis immer teurer werdender Kohle unsere Energie-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme lösen. Wir brauchen eine Kombination von Kohle und Kernenergie vor allem in
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den revierfernen Gebieten, wenn wir erträgliche Energiepreise und Standortentscheidungen für arbeitsplatzschaffenden Investitionen sichern sollen.
Herr Kollege Posser, wer den Bund — das gilt auch für viele andere Wünsche, auch außerhalb Nordrhein-Westfalens —
stärker in die Mitfinanzierung bestimmter Aufgaben hineinbringen will, wer die Ausgleichsfunktion des Bundes stärken will, muß dem auch bei Entscheidungen über die Finanzausstattung und die Steuerverteilung Rechnung tragen. Die Steueranteile des Bundes sind seit 1982 deutlich zurückgegangen, und zwar vor allem auf Drängen der Länder. Ich muß hier sagen: aller Länder, gerade auch der finanzschwachen Länder. Ob das eine kluge Politik war, weiß ich nicht. Aber es geht nicht an, daß der Bund heute noch einen Steueranteil von 45 % unseres gesamten Steueraufkommens hat und dann gleichzeitig alle regionalen Probleme entscheidend mitgestalten soll. Auch darauf möchte ich Sie aufmerksam machen.
Wer wie die Länder — wir haben Ihnen hier in dem einen oder anderen Punkt Konzessionen gemacht — mehr von den Gesamteinnahmen haben will, muß auch eine größere regionale Mitverantwortung bejahen. Wir leisten hier für das Zustandekommen eines Ergebnisses zum Länderfinanzausgleich über höhere Bundesergänzungszuweisungen noch einmal einen Beitrag eigentlich mehr im Interesse der Befriedung unter den Ländern. Ich glaube deshalb, daß man dem Deutschen Bundestag die Annahme dieses Gesetzes empfehlen kann.