Rede von
Heike
Wilms-Kegel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Herrn Blüm und den anderen Vertretern der Regierungsparteien in den letzten Wochen, gestern und heute zugehört hat, wie sie diese sogenannte Strukturreform angepriesen haben, dann könnte man fast meinen, man hätte trotz aller Aufmerksamkeit eine kleine Revolution übersehen. Doch wird diese vielgepriesene Strukturreform nichts anderes werden als ein Kostendämpfungsgesetz, in dem vor allem die kranken, behinderten und alten Menschen benachteiligt sind. Es ist schon bemerkenswert, daß den Patienten und Patientinnen, die sich ihre Medikamente und ihr Heil- und Hilfsmittel ja nicht selbst verordnen, unausweichliche Belastungen drohen, während den Verordnern dieser Leistungen, den Ärzten und den Anbietern im Gesundheitswesen, nur unverbindliche Appelle ohne Folgewirkungen bevorstehen.
Eine wirkliche Reform hätten Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, zustande gebracht, wenn Sie den Mut gehabt hätten, eine völlige Neuordnung zu beschließen, und ein Gesundheitswesen geschaffen hätten, in dem sich alles an den Bedürfnissen der kranken Menschen orientiert, wie wir GRÜNEN das schon lange fordern.
Was jetzt durch Ihre sogenannte Strukturreform passiert, ist einfach anachronistisch. Eine der reichsten Nationen stellt ihren Bürgern zukünftig kein solidarisch finanziertes, kein in allen Bereichen der gesundheitlichen Versorgung kostenlos zugängliches, kein nur von Krankenkassenbeiträgen getragenes Gesundheitssystem zur Verfügung. Krankheit wird bestraft. Der glückliche Umstand, gesund zu sein, wird belohnt. In der Schrift des Arbeitsministeriums finde ich die Aussage, daß jeder Bürger selbst so viel für seine Gesundheit ausgeben kann, wie er möchte.
Wir sagen: Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse und die monatlich eingezahlten Pflichtbeiträge müssen das Recht auf gesundheitliche Versorgung ohne Einschränkung gewährleisten.
Die kranken, die chronisch kranken und die behinderten Menschen werden als Verfügungsmasse für Einsparungen mißbraucht. Ausgerechnet die Kranken sollen den Arzt zur Wirtschaftlichkeit ermuntern, sollen zum Sparen beitragen. Aber Gesundheit ist keine Ware, auf die ganz nach marktwirtschaftlichen Vorstellungen verzichtet werden kann. Beim Gesundwerden kann der kranke Mensch nicht auf günstigere Preise warten oder Sonderangebote vergleichen.
Den Widerspruch zwischen dem Solidarsystem der Krankenkassen, auf das wir Deutschen einstmals so stolz waren, und der marktwirtschaftlich und an Gewinn orientierten Branche der Heilberufe und der Gesundheitsindustrie wollen Sie jetzt einseitig zu Lasten der Krankenversicherten lösen. Ihre Überlegungen zur Steuerungswirkung der Selbstb eteiligungsregelung sind getragen von dem an unzähligen Ratten, Kaninchen und weißen Mäusen erprobten Konzept „Lernen durch Bestrafung". Das Schema lautet: Wenn Herr oder Frau X mehrfach beim Apotheker für ihr Medikament selbst draufgezahlt haben, werden sie ihrem Arzt schon sagen, daß er ihnen einmal etwas Billigeres aufschreiben solle, oder sie werden auf die Medikamente ganz verzichten. Sie wissen ja, daß man Tierexperimente nicht auf den Menschen übertragen kann.
Bevor sich die Regierungsparteien an eine sogenannte Reform des Gesundheitswesens setzten, hätten sie sich lieber an eine Reform ihres Menschenbildes machen sollen. Bei Ihrer Jammerei über die Unbezahlbarkeit des Gesundheitswesens und das Anspruchsdenken der Patienten und Patientinnen könnte man Ihnen glatt vorschlagen: Verzichten Sie in Ihrem System doch ganz auf die Patienten.
Wenn Sie die Anbieterseite im Gesundheitswesen zum Sparen animieren wollen — und gerade wir sind der Meinung, daß hier aus einer Vormachtstellung heraus . . .