Rede von
Jürgen W.
Möllemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedarfssätze werden nach dem vorgelegten Gesetzentwurf um durchschnittlich 2 %, die Freibeträge zweimal, also pro Jahr jeweils um 3 %, erhöht. Das Auswahlverfahren beim leistungsabhängigen Darlehensteilerlaß wird leistungsgerechter und einfacher gestaltet. Der studienzeitabhängige Darlehensteilerlaß wird durch einen zweiten Stichtag modifiziert. Kinder von Staatsangehörigen aus den EG-Mitgliedstaaten, denen nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG Freizügigkeit gewährt wird, werden bei der Auslandsförderung nach dem BAföG grundsätzlich gleichgestellt. Das sind die nüchternen Fakten, und diese entsprechen dem gesetzlichen Tatbestand, an den ich mich zu halten habe und an den sich jeder andere auch zu halten hat. Sie kennen die Kriterien und Parameter.
Wenn man das ändern will, muß man das Gesetz ändern, und zwar in einer Weise, die in der Tat nicht mit der getroffenen Koalitionsvereinbarung vereinbar ist; da gibt es nichts drumherum zu reden. Wir haben festgelegt, daß wir zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung in den beiden ersten Jahren der Legislatur periode kostenwirksame neue Leistungsgesetze nicht verabschieden. Ich halte mich daran.
— Wir versuchen jedenfalls, das in den Griff zu bekommen. Ich komme darauf gleich zurück.
— Die Frage war im Blick auf Sie, Herr Kuhlwein, eher ironisch gemeint. Denn darin sind Sie ja Weltmeister.
— Ja, leider zu lange.
Ich will hier sagen: Der Höchstfördersatz für Studenten wird nach dieser Entscheidung, wenn sie denn so getroffen wird, auf 845 DM monatlich erhöht. Ich halte das für angemessen und vertretbar.
Ich halte es auch für angemessen und vertretbar, daß jemand, dem durch die Mittel von Steuerzahlern ein akademisches Studium ermöglicht wird, mindestens Teile davon und dann, wenn es ihm finanziell gut geht, auch einen beachtlichen Teil davon zurückzahlt.
Nun kommen wir zu der Art und Weise, wie Sie mit Zahlen umgehen. Ich habe wirklich das Gefühl, daß Sie da ein bißchen das Zahlenzerrsyndrom, das der Popper-Schüler Blieshaimer ja eindrucksvoll beschrieben hat, wieder zeigen.
Sie reden von 11,4 Milliarden DM Schulden, die die Studenten auf sich genommen hätten. Es handelt sich um 1,5 Millionen Darlehensnehmer, die die Schulden haben. Das sind 7 000 DM pro Kopf. Wenn Sie diese Zahl von 11,4 Milliarden DM so erwähnen, dann hat man fast das Gefühl, als ob jeder von denen 11 Milliarden DM Schulden hätte. Es sind aber umgerechnet nur 7 000 DM. Ich kann Ihnen sagen: Das halte ich für zumutbar, für wirklich zumutbar.
— Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfragen zu.
Ich will noch einmal sagen: Die Bestimmungen besagen: Man zahlt das, was man an Darlehen bekommen hat, in 20 Jahren zurück.
Man zahlt es zinsfrei zurück. Man zahlt mit Nachlässen zurück, von denen ich hier gesprochen habe. Man zahlt nur zurück, wenn man in Arbeit ist — sonst wird die Rückzahlung ausgesetzt —, und nur, wenn man mehr als 2 400 DM brutto pro Monat verdient. Ja, ich würde einen solchen Kredit auch aufnehmen, selbst
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987 3241
Bundesminister Möllemann
wenn ich ihn nicht bräuchte. Zu solchen Konditionen können Sie eine Anlage machen.
Mir kann wirklich keiner einreden, Frau Timm, daß das unzumutbare Konditionen seien.
Ein weiterer Punkt, den ich erwähnen wollte: Ich finde, der Umgang mit Zahlen wird bei uns mittlerweile manchmal zu einer fast schon belustigenden Disziplin.
Da hat — aufgerufen durch manche auch von Ihnen — am letzten Wochenende hier eine Veranstaltung stattgefunden, von der die Veranstalter vorher sagten, es kämen wohl 100 000 Teilnehmer. Anwesend waren bestenfalls 15 000. Das ist eindrucksvoll bei einer Stadt, in der schon 40 000 studieren. Herr Kuhlwein, Ihr Koalitionspartner im Sinne des gemeinsamen Aufrufs, der Spartakusbund, spricht von 80 000.
Wenn ich so mit Zahlen umgehe, dann kann ich natürlich mit dem Problem, um das es hier geht, auch nicht fertigwerden.
Der nächste Punkt, den ich ansprechen will, meine Damen und Herren, ist folgender: Wenn es so wäre, wie Sie sagen, daß diese BAföG-Regelung ach so inhuman und fatal wäre — ich sage Ihnen hier, und ich habe das nun schon fünfmal nacheinander erklärt, daß ich Ihre Einwände insgesamt für nicht stichhaltig halte; es gibt eine Menge Schwachstellen im System der individuellen Ausbildungsförderung; aber ich kann sie nicht so negativ beurteilen wie Sie — , wenn die BAföG-Regelung also so fatal wäre, dann erklären Sie mir doch einmal, weshalb wir nicht nur mit 1,37 Millionen Studenten derzeit die höchste Studentenzahl haben, die es je gab, sondern warum wir mit Beginn dieses Semesters entgegen all unseren Annahmen wahrscheinlich eine Steigerungsrate bei den Studierenden von noch einmal 10 % haben werden.
— Sehen Sie, das sind offenbar Leute, die ganz nüchtern abwägen und sagen: Es ist eine Investition, die sich lohnen kann.
Ich will Ihnen zum guten Schluß hier folgendes sagen.
Ich habe mir einmal den Ablauf dieser Woche angeschaut. Es gibt hier keine Sitzung, in der Sie nicht Ausgaben in Milliardenhöhe verlangen,
heute morgen mit Stahl: Wir sollen Herrn Rau aus seiner kaputten Situation retten und die Arbeitnehmer dort unterstützen. Sie kommen jeden Tag mit Millionen- und Milliardenausgaben. Wie wollen Sie das eigentlich machen?
Liebe Freunde, glauben Sie mir: Sie können den Menschen mit einer solchen Politik nicht die Überzeugung vermitteln, daß das seriös sein könnte.
Ich kann auf Dauer nicht mehr ausgeben — das wissen Sie sehr genau — , als ich einnehme. Schon die derzeit in Kauf genommene Verschuldungsrate ist hoch — sehr hoch! Daher versuchen wir, mit Augenmaß das zu tun, was wir vertreten können, aber nicht mehr. Leere Versprechungen können wir nicht eingehen.
Vielen Dank.