Rede von
Bernd
Neumann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Das heute zu verabschiedende Archivgesetz des Bundes betrifft Akten, Schriftstücke, Karten, Pläne sowie Träger von Daten-, Bild-, Film- und Tonbandaufzeichnungen, die bei den Stellen des Bundes, des Deutschen Reiches oder des Deutschen Bundes erwachsen oder diesen zur Nutzung überlassen worden sind. Diese Unterlagen sollen vor Vernichtung, Zersplitterung, Veruntreuung gesichert werden, und es sollen befriedigende Möglichkeiten geschaffen werden, dieses Archivgut zu nutzen.
Das Gesetz soll sicherstellen, daß alle bei den Verfassungsorganen und Dienststellen des Bundes anfallenden Unterlagen von bleibendem Wert dem Bundesarchiv übergeben werden. Damit wird für jedermann erkennbar, daß der jetzige Tagesordnungspunkt für Wissenschaft und Forschung, ja für die gesamte deutsche Geschichte, von hoher Bedeutung ist.
Dieses Bundesarchivgesetz wird auch eine Pilotfunktion für die Bundesländer haben, die ebenfalls vor der Notwendigkeit stehen, Archivgesetze zu erlassen. Mit Ausnahme Baden-Württembergs sind das alle anderen.
Worin liegt die Notwendigkeit für dieses Gesetz? Nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 kann jeder Betroffene grundsätzlich selbst über die Weitergabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen. Eine Beschränkung des damit postulierten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, die eine archivische Verwahrung und Nutzung entsprechender Daten für Forschungszwecke ermöglicht, bedarf daher einer gesetzlichen Grundlage.
Der heute zu verabschiedende Gesetzestext geht auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. August 1984 zurück, der dann in dieser Legislaturperiode noch einmal in den Bundestag eingebracht wurde. Dieser Entwurf hatte damals hohe politische Wellen geschlagen. Im „Spiegel" 1984, Ausgabe 44, lautete dazu eine Überschrift „Datenschutz für die Nazis". In der „Frankfurter Rundschau", ebenfalls 1984, wird vom „Vertuschungsparagraphen" gesprochen.
Der Chefarchivar der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach im Hinblick auf den Gesetzentwurf sogar von der „neuen Form der Endlösung für unerwünschte Archivalien" . Die „Zeit" vom 1. November 1985 schreibt: „Anonymisierung ist eine Art Urkundenfälschung." Und der SPD-Abgeordnete Duve, der heute leider fehlt, formulierte damals:
Aktenklitterung und Geschichtsklitterung liegen dicht beieinander. Wir werden höllisch aufpassen müssen.
Auffällig, meine Damen und Herren, bei der damaligen Diskussion war, daß die Vertreter aus der linken Ecke, die sonst den Datenschutz immer sehr hoch hängen, bei diesem Gesetz den Datenschutz am liebsten völlig eliminiert hätten.
In der Zwischenzeit erfolgten zu dem Gesetzentwurf Stellungnahmen des Bundesrates, Beratungen im Bundestag, eine öffentliche Anhörung und viele Beratungen im Innenausschuß. Der Innenausschuß hat Ihnen zu dem Entwurf eine Reihe wichtiger Korrekturen vorgeschlagen. Wenn heute wie auch im Innenausschuß dieser geänderte Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP — wenn Herr Duve hier wäre, einschließlich des Kollegen Duve — verabschiedet wird, zeigt dies, daß solide Arbeit gelei-
3224 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987
Neumann
stet worden ist, wofür ich mich bei den Kollegen im Innenausschuß herzlich bedanke.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz wird erstmals in der deutschen Geschichte ein Recht des Bürgers auf Nutzung von Archivbeständen begründet. Es ist gelungen, den Konflikt zwischen den Grundrechten der Informations- und Wissenschaftsfreiheit einerseits und des Persönlichkeitsschutzes bzw. Datenschutzes andererseits austariert und abgewogen zu lösen. Der im ursprünglichen Entwurf enthaltene sehr vage Begriff der Anonymisierung bei Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, zu Recht in der Öffentlichkeit kritisiert, soll entfallen. Die Geschichtsforschung ist auf personenbezogenes Material angewiesen, um Ereignisse zu ordnen, Verknüpfungen herzustellen. Archivgut soll eben nicht kastriert, sondern als authentische Quelle im Archiv erhalten werden, d. h. nur das Archiv soll gegebenenfalls auf Kopien anonymisieren, keinesfalls die abgebenden Stellen.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß ist der Auffassung, daß sich nach Möglichkeit auch Privatarchive den Kriterien des Archivgesetzes unterwerfen. Hier konnten wir aus rechtlichen Gründen keine gesetzlich verbindliche, sondern nur eine empfehlende Regelung schaffen. Wen das mehr interessiert, der kann das im Bericht des Ausschusses weiter lesen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Ihnen heute vorliegende Entwurf eines Archivgesetzes mit den vorgeschlagenen Änderungen des Innenausschusses ist zweckmäßig, durchdacht und zukunftsweisend, und er hat deshalb, wie zu erwarten, eine breite Zustimmung verdient.
Nun zu dem zweiten Gesetz — wir haben das ja verbunden — , zu dem Lastenausgleichsarchiv. Hier ist es so, daß ein Teil der im Lastenausgleich anfallenden Akten und die Heimatortskarteien des kirchlichen Suchdienstes ein unersetzliches Material zur Dokumentation der gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse in den Ostgebieten des Deutschen Reiches und anderen ost- und südeuropäischen Siedlungsgebieten darstellen. Dieses Material soll erhalten bleiben und zentral archiviert werden, nicht alles, aber das, was von Bedeutung ist.
Mit dem Entwurf wird dem Bund die Zuständigkeit für zentrale Archivierung übertragen und unter dem Dach des Bundesarchivs ein Lastenausgleichsarchiv eingerichtet.
— Herr Kollege Gerster, ich komme gleich darauf.
Bei den Beratungen des Gesetzentwurfs im Innenausschuß ist eingehend erwogen worden, das Lastenausgleichsarchiv als selbständige Behörde neben dem Bundesarchiv zu errichten. Dies haben wir aus Gründen der Rechtssystematik und Einheitlichkeit nicht gemacht, aber wir sehen innerhalb dieses Bundesarchivs für das Lastenausgleichsarchiv eine besondere eigenständige Rolle vor — dies ist auch im Bericht des Innenausschusses dokumentiert — , so daß wir auch der besonderen Aufgabe dieses Archivs Rechnung tragen.
Das Gesetz, das heute verabschiedet wird, kann über den Standort keine besonderen Aussagen machen. Dies bleibt dem Innenminister vorbehalten, der jetzt sehr zügig und mit Sachverstand, Herr Kollege Waffenschmidt, entscheiden sollte. Es gibt mehrere brauchbare Alternativen, und es ist auch bekannt, wofür der eine oder andere Kollege ist. Ich wünsche eine alsbaldige Entscheidung und daß Sie, meine Damen und Herren, diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.