Rede von
Lisa
Seuster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir entscheiden hier heute über die Beschwerde eines Petenten, der sich wegen seines Geschlechts benachteiligt fühlt und sich deswegen an den Deutschen Bundestag gewandt hat.
Der Sachverhalt ist wie folgt: Aus der Heimatzeitung erfährt der Petent, daß eine Hilfsorganisation einen Kursus für Schwesternhelferinnen durchführt. Er meldet sich bei der Organisation als Teilnehmer an und wird mit der Begründung abgewiesen, die Ausbildung zur Schwesternhelferin sei allein weiblichen Bewerbern vorbehalten. Der Petent wundert sich über die Abweisung und fühlt sich als Mann diskriminiert. Trotzdem ist die Auskunft des Verbandes absolut korrekt.
Die vom Bund finanzierte Ausbildung zur Schwesternhelferin erfolgt im Rahmen des erweiterten Katastrophenschutzes und schließt männliche Teilnehmer ausdrücklich aus. Die Ausbildung dauert etwa vier Wochen und umfaßt eine 14tägige theoretische und eine 14tägige praktische Unterweisung im Krankenhaus. Im Kriegsfall sind die so ausgebildeten Hilfskräfte verpflichtet, in den Krankenhäusern, Hilfskrankenhäusern und Reservelazaretten der Bundeswehr Dienst zu tun.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin nicht sicher, ob sich alle Frauen, die diese Ausbildung mitgemacht haben, der Tragweite der Verpflichtung bewußt sind, die sie da eingegangen sind. Zwar sind die Hilfsorganisationen verpflichtet, die Kursusteilnehmer auf die Konsequenzen hinzuweisen. Ob dies allerdings überall mit der nötigen Sorgfalt geschieht, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch das ist ein Aspekt, auf den ich unbedingt hinweisen wollte, wenn er auch nicht Gegenstand der Petition ist. Hier geht es um die Frage: Warum werden Männer von diesen Kursen ausgeschlossen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein die Tatsache, daß sich der abgewiesene Mann an den Deutschen Bundestag, an den Petitionsausschuß wendet, zeigt, wie selten und damit für den Betroffenen unverständlich die Ablehnung eines männlichen Bewerbers allein auf Grund seines Geschlechts ist. Junge Frauen wenden sich in solchen Situationen wesentlich häufiger an uns, an den Petitionsausschuß.
Die jungen Frauen haben es in der Regel aber auch viel schwerer, diese Diskriminierung nachzuweisen. Hier ist das anders. Den männlichen Schwesternhelferaspiranten lehnte man nicht mit fadenscheinigen Begründungen ab, sondern mit der direkten Begründung, sein Geschlecht sei bei dieser Ausbildung nicht gefragt.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit begründet das folgendermaßen: Männer unterliegen im überwiegenden Teil der Wehr- und Zivildienstpflicht und stehen somit im Verteidigungsfall für den Dienst in den Krankenhäusern nicht zur Verfügung. Weiter heißt es wörtlich:
Da der Ernstfalleinsatz der Schwesternhelferinnen als Hilfskräfte in der Krankenpflege, im Krankenhaus, Hilfskrankenhaus, Reservelazarett schwerste körperliche Arbeit bedeutet , ist davon auszugehen, daß Männer, die aus Alters- oder Krankheitsgründen vom Wehroder Zivildienst befreit sind, diese schwere körperliche Tätigkeit nicht leisten können.
Meine Damen und Herren, vergessen wird dabei wohl, daß es auch noch eine Gruppe von Männern gibt, die weder Zivildienst noch Wehrdienst ableisten, die also körperlich sicherlich genauso fähig wären wie weibliche Teilnehmer.
3220 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987
Frau Seuster
Auch meine Fraktion will den Wehr- oder Zivildienst natürlich nicht durch eine Schwesternhelferinnenausbildung ersetzen. Wir sehen darin aber eine sinnvolle Ergänzung, möglicherweise sinnvoller als manche Reserveübung.
Wir möchten den Männern zumindest die Möglichkeit einer Schwesternhelferausbildung im Rahmen des Katastrophenschutzes eröffnen. Schließlich sollten überkommene Rollenvorstellungen weder Männern noch Frauen von Amts wegen verordnet werden.
Huldigt die Bundesregierung noch immer dem Grundsatz, der Mann müsse hinaus ins feindliche Leben, und überläßt es den Frauen, hinterher den Dreck wegzuräumen? Meine Fraktion und ich können und wollen das nicht glauben. Ebenso können und wollen wir nicht glauben, daß der Teil der männlichen Bevölkerung, der im Verteidigungsfall nicht der Wehr- oder Zivildienstpflicht unterliegt, also die älteren und körperlich nicht ganz einsatzfähigen Männer, nur — Sie verzeihen mir den Ausdruck — Tattergreise sind, die sich kaum selbst helfen können. Wir sind der Meinung, daß auch ein großer Teil der nicht im Wehr- und Zivildienst eingesetzten Männer durchaus in der Lage wäre, den Anforderungen, die an die kleine, zierliche Krankenschwester gestellt werden, zu genügen.
Sicher erfordern Krankenpflegeberufe hohen körperlichen Einsatz. Aber erstens gibt es den von der Bundesregierung so gerne beschworenen technischen Fortschritt, und zweitens ist mir nicht bekannt, daß Schwesternhelferinnenkurse, die mit Bundesmitteln gefördert werden, nur jungen Frauen mit Gardemaß offenstehen. Ich lasse mich da aber gerne belehren.
Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir gehen doch sicher alle davon aus — ich schließe hier ausdrücklich alle Fraktionen ein — , daß der Ernstfall Gott sei Dank eine sehr weit entfernte und abstrakte Drohung ist. Wir alle werden mit allen Kräften dafür kämpfen, daß er nie eintritt.
Aber jede Fähigkeit, die eine Person — Mann oder Frau — erworben hat, sei es auch für den Ernstfall, kann in der täglichen Arbeit, im täglichen Leben, im privaten wie im gesellschaftlichen, miteinander vielfältig genutzt werden. Gerade im pflegerischen Bereich sehe ich da für die Männer einen großen Nachholbedarf.
Die Mithilfe und das Verständnis der Männer für die Probleme bei der Pflege kranker, insbesondere älterer pflegebedürftiger Familienangehöriger wäre für viele Familien eine große Entlastung. Wenn ich „Familien" sage, so müßte es eigentlich „Frauen" heißen; denn 95 % der Pflegenden sind Frauen.
Die Bundesregierung kennt diese Sachverhalte. Der Vierte Familienbericht zeigt all diese Tatbestände auf. Die Bundesregierung kennt auch — so liest man — die allmähliche Abkehr der jungen Mitbürger von den tradierten Rollen der Geschlechter. Im Vierten Familienbericht ist zu lesen:
Für die meisten jungen Frauen ist der Beruf ein selbstverständlicher Bestandteil ihrer Lebensplanung. Diese jungen Frauen wollen Familie und Beruf miteinander in Einklang bringen. Das Streben der Frau nach stärkerer Teilhabe im Berufsleben trifft auf eine größer werdende Bereitschaft der jungen Männer, sich ihrerseits an Familienaufgaben zu beteiligen, vor allem an der Erziehung der Kinder. Vereinzelt
— und ich meine, das könnten mehr werden —
übernehmen heute Männer auch die Pflege ihrer alten Eltern, wenn dies erforderlich ist. In der überwiegenden Zahl der Fälle jedoch bleibt die Pflege der Eltern die Aufgabe der Töchter beziehungsweise der Schwiegertöchter.
— So der Familienbericht.
Warum tut die Bundesregierung angesichts dieser Erkenntnisse nicht einen ersten Schritt und eröffnet den jungen Männern die Möglichkeit, sich auf Staatskosten zum Krankenschwesternhelfer ausbilden zu lassen? Sie hätte damit den pflegerischen Berufen auch das Stigma der Frauenarbeit genommen; denn immer noch wird ja in unserer Gesellschaft das, was Frauen tun, eben für ein bißchen weniger wichtig gehalten und meistens auch geringer bezahlt.
Gleichzeitig wäre ein Anfang zur Entlastung der überlasteten Familienmitglieder gemacht, die häufig auf Kosten der eigenen Gesundheit versuchen — und hier sind es die Mütter — , allen Anforderungen, die die Familie an sie stellt, gerecht zu werden, häufig genug, weil kein anderes Familienmitglied in der Lage ist, das Richtige zu tun, nicht aus Mangel an gutem Willen, sondern aus Mangel an erworbenen Fähigkeiten.
Meines Erachtens wäre mit dieser kleinen Maßnahme der Öffnung der Schwesternhelferinnenkurse für Männer, die zudem billig zu haben ist — es werden keine Ströme kommen; das versichere ich — , mehr für die Situation der Frauen getan als durch manche Forschungsaufgabe.
Die SPD-Fraktion schließt sich deshalb dem Anliegen des Petenten an. Sie stellt den Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen,
die Petition der Bundesregierung als Material zu überweisen.