Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera hat in seinem Buch „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins " einen Gedanken formuliert, der mich schon lange sehr beunruhigt hat und der mir zur Rede von Herrn Gerster zu passen scheint, obwohl ich nicht weiß, ob Herr Gerster ein Mensch ist, den man überhaupt beunruhigen kann. Er spricht da über den Gegensatz von Kulturen, die an die ewige Wiederkehr glauben, zu den westlichen Kulturen, die davon ausgehen, daß Vergangenes sich nie wiederholen wird. Er schreibt — und ich bitte Sie jetzt, bei dem, was er da über die Zeit der Französischen Revolution sagt, immer in Klammern die Zeit des Nationalsozialismus zu ergänzen — :
Wenn sich die Französische Revolution ewig wiederholen müßte, wäre die französische Geschichtsschreibung nicht so stolz auf Robbespierre. Da sie aber von einem Ereignis spricht, das nicht wiederkehren wird, haben sich die blutigen Jahre in Worte verwandelt, in Theorien und Diskussionen; sie sind leichter geworden als Federn und flößen niemandem mehr Angst ein. Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen einem Robbespierre,
— und, so wollen wir ergänzen, einem Hitler —
der in der Geschichte nur ein einziges Mal aufgetreten ist, und einem Robbespierre,
— und einem Hitler —
der ewig wiederkehrt, um den Franzosen den Kopf abzuhacken.
Sagen wir also, daß der Gedanke der ewigen Wiederkehr eine Perspektive bezeichnet, aus der die Dinge uns anders erscheinen, als wir sie kennen: sie erscheinen ohne den mildernden Umstand ihrer Vergänglichkeit. Dieser mildernde Umstand hindert uns nämlich daran, ein Urteil zu fällen. Wie kann man etwas verurteilen, das vergänglich ist? Im Abendrot leuchtet alles im verführerischen Licht der Nostalgie, sogar die Guillotine.
— Ich merke, daß Sie da wegen des Vergleichs unruhig sind.
— Es gibt keinen Vergleich in diesem Fall. Ich wollte den Gedanken als Bezug aufnehmen, daß betont wird, daß etwas, was auf jeden Fall vergänglich ist, eine merkwürdige Art von Versöhnung mit dem Vergänglichen ermöglicht.
Nur der Gedanke, daß wir nicht an die Wiederkehr glauben, hilft uns, uns mit unerträglichen Ereignissen in der Vergangenheit auf merkwürdige Art und Weise zu versöhnen. Auf diesen Gedanken kam es mir an, und ich bitte Sie, ihn zu verfolgen.
„Diese Aussöhnung mit Hitler" — das schreibt Milan Kundera; der hat nämlich selber den Vergleich gemacht — „verrät die tiefliegende moralische Perversion einer Welt, die wesentlich auf dem Nichtvorhandensein der Wiederkehr begründet ist, weil in einer solchen Welt alles von vornherein verziehen ist und folglich alles auf zynische Weise erlaubt. "
Wie anders müßten wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen, wenn sie uns gleichzeitig als mögliche Zukunft bevorstünde!
Eine schreckliche Vorstellung. In der Welt der ,Ewigen Wiederkehr' lastet auf jeder Geste der Gegenwart die Schwere einer unerträglichen Verantwortung.
Was haben diese Gedanken mit unserem Thema zu tun? Ich komme damit auf unsere Ausschußberatungen und auf einen Satz in der Beschlußempfehlung der Mehrheit des Ausschusses, der heißt — so hat es Herr Gerster wiederholt —, daß der vorliegende Entwurf „eine endgültige Abschlußregelung " jener Wiedergutmachungsleistungen beinhaltet. Nur „in Einzelfällen" seien in der Vergangenheit „Härten verblieben", die „nicht vermieden werden konnten".
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Frau Dr. Vollmer
Die Absicht dieser Passage ist auch nach Ihrer Rede, Herr Gerster, eindeutig. Sie soll besagen: Im wesentlichen ist dieser Punkt der Vergangenheit einigermaßen befriedigend abgeschlossen worden. Sogar die Betroffenen hätten das anerkannt. Es ginge nur um eine letzte endgültige Reparatur der verbliebenen unvermeidlichen Härtefälle.
In eben dieser Formulierung steckt jene Absicht,
die wir von Anfang an in den drei Jahren, die wir darüber verhandelt haben, immer so heftig und so leidenschaftlich, und, wie ich weiß, auch mit gegenseitigen Verletzungen attackiert haben. Es gilt eben das nicht, was diese Entschließung vortäuscht: einen endgültigen Abschluß der Frage, wie mit den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft umzugehen sei und welcher Platz ihnen in unserer Gesellschaft zukommt.
Wenn wir irgend etwas eben nicht in jenem „verführerischen Licht der Nostalgie", durch historischen Abstand gemildert, betrachten dürfen, so ist es gerade diese Zeit des Nationalsozialismus. Es stimmt auch nicht, daß alles, was damals getan und gedacht wurde, nicht wiederkehrt. Es stimmt nicht für die Opfer. Es stimmt auch nicht für die Täter. Es stimmt auch nicht für die, die nichts getan haben, um dem zu widerstehen.
Mit dem Abstand einer Generation — genau das merken wir zur Zeit — brechen alle diese Fragen vehement mitten in dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft teilweise gespenstisch auf. Und es ist unsere Verantwortung, uns ihnen zu stellen, als wären die damaligen Gefahren noch immer heutige oder noch immer zukünftige.
Gegen uns ist eingewandt worden: Es ist aber doch viel geschehen; es hat ernsthafte Versuche zu einer — sogenannten — Wiedergutmachung gegeben. Auch Zahlen sind genannt worden, auch heute wieder: 80 Milliarden DM, die bisher dafür ausgegeben worden sind, 100 Milliarden DM, die es bis zum Jahre 2020 sein werden. Und dann sind da diese 300 Millionen DM, mit denen auch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen tatsächlich ihr Wort wahrgemacht haben, das sie gegeben haben, nämlich daß in diesem Jahr, in diesem Haushalt noch etwas vorgesehen wäre. Ich erkenne das an. Tatsächlich: Sie haben Ihr Wort gehalten. Aber Sie haben es auf dem niedrigsten Level gehalten, der denkbar war, wenn man etwas mehr als nichts tun wollte.
In den letzten Tagen stand eine Notiz in der Zeitung, die mir wegen der Zahlengleichheit auffiel. Da heißt es: Zur Rettung des Projektes des Schnellen Brüters in Kalkar werde Minister Riesenhuber 300 Millionen DM zur Verfügung stellen. — Da haben wir sie also wieder, diese „unerträgliche Leichtigkeit des Seins " : daß für ein Projekt, das mit uns nicht nur die SPD und die nordrhein-westfälische Landesregierung, sondern auch gewichtige Mitglieder der FDP ablehnen, ebensoviel Geld zur Verfügung gestellt wird wie für die sogenannte Wiedergutmachung für die Menschen, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern gewesen sind und deren Leben heute oft von schlichter materieller Not, ganz abgesehen von den psychischen Schäden, gequält wird.
Natürlich bin auch ich — wie Sie — der Meinung, daß sich nicht entschädigen läßt, was damals gelitten worden ist. Wie soll man überhaupt Leiden messen können? Trotzdem müssen wir uns den elenden Maßstab des Geldes vor Augen halten, der in der bisherigen Wiedergutmachungspraxis angelegt worden ist. Für einen Tag, der im Konzentrationslager verbracht worden ist, hat die bisherige Wiedergutmachungspraxis 5 DM Entschädigung zugestanden. Das gilt übrigens nur für voll abgeleistete Monate und nur bei Beweisen, daß diese Tage und Monate auch tatsächlich dort verbracht worden sind.
Auch ich möchte dazu einen Zeugen zitieren — da sind wir uns ganz ähnlich, Renate Schmidt — , der im Wiedergutmachungs-Hearing gesprochen hat. Auch ich meine, daß das Privileg, in diesem Parlament reden zu dürfen, dazu benutzt werden sollte, diesen Zeugen unsere Stimme zu leihen. Auch ich zitiere aus der Rede des ungarischen Juden Dr. Garai. Sie war für mich bei diesem Hearing etwas vom Intensivsten, vielleicht auch wegen der Bitterkeit, mit der er dieses Messen in Geldkategorien aufgegriffen hat. Er hat dort gesagt:
Unsere Familie hatte eine Lederfabrik mit zweieinhalbtausend Arbeitern. Die wurde weggenommen, und nach dem 19. März 1944, als die deutsche Armee Ungarn besetzt hat, wurden wir ins Getto und nachher, am 7. Juli, nach Auschwitz eingerollt.
Als das geschah, war ich 16 Jahre alt, wurde mit der Familie — mehrere zehn Leute — in Auschwitz selektiert, blieb allein, und nachher, als ich gelernt hatte, was es bedeutet, tagsüber der Rauch und nachts die Flammenzeichen, hatten wir alle einen Schock. Wenn es
— nach der Wiedergutmachung —
einen Tag fünf Mark kostet, einen solchen Juden zu erhalten, sollten wir sagen, das soll eine Deutsche Mark wert sein.
Nachher gingen wir über eine Selektion bei Dr. Mengele, der eben gesagt hat: links oder rechts. Wir sind nach dem bewußten System in die Baracken gelangt . . ., 2 000 in einer Baracke, wo wir keine Pritschen hatten, sondern am Boden gelegen sind, und unsere Kleider — es waren keine Kleider, sondern ein Hemd, eine Hose und Holzschuhe — waren naß vom Regen, als wir dort gelegen haben. Der Dampf von unseren Kleidern hat uns geheizt. Um vier Uhr früh wurden wir unter die Sterne der polnischen Nacht hinausgejagt, es war gefroren, und wir haben so gestanden, einer sehr eng zu dem anderen, daß der eine den anderen erwärmen kann . . ., dann hieß es: los, los! Es gab einen Appell mit 2 000 Leuten von halb fünf bis sieben oder acht Uhr. Wir haben keine Zeit und keine Möglichkeit gehabt, unsere Sachen zu erledigen; viele haben sich angenäßt oder angeschmutzt. Sagen wir also: noch eine halbe Deutsche Mark.
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Nachher kam wieder eine Selektion mit Dr. Mengele. Zwei oder drei von den fünf wurden weggenommen — zum Gas. Da können wir anderthalb Mark nehmen.
— Für das Gas!
Dann haben wir etwas Essen bekommen: Dörrgemüse hauptsächlich mit Wasser, aus großen Fässern ausgeteilt, um die herum zehn oder fünfzehn Leute gestanden haben und zwei oder drei Schluck getrunken haben, bis es wiederkommt und bis das Lavor leer ist. Sagen wir, wir sollen eine halbe Mark zahlen, weil wir Essen bekommen haben.
— Die ziehen wir davon ab!
Nachher kommt eine kleine Arbeit. Man schlägt herum, und zwei, drei Leute werden in die RoteKreuz-Baracke geschleppt. Sagen wir, auch eine halbe Mark .. .
Das war so bis Oktober. Im Oktober wurde ein Zaun, ein Brett angenagelt und alle mußten darunter herlaufen. Alle, die klein waren, wurden vergast. Das Brett wurde immer höher gezogen, denn es mußten 600 oder 700 Leute herauskommen. Solange diese 700 Leute nicht herausgekommen waren,
— zum Verbrennen — wurde das Brett immer weiter heraufgezogen.
Und dann erzählt er die Szene, die Frau Schmidt schon erwähnt hat: daß sie die Nachrichten ihrer Freunde an den Wänden abwaschen mußten und daß er am Ende bei der Firma Holzmann & Moll als Sklave gearbeitet hat.
... und bin dann von den Amerikanern befreit worden. Da wog ich 23 kg. Ich war 17 Jahre alt.
... vorher, damit wir nicht befreit werden sollten, beschossen worden und (ich bin) von zwei Kugeln getroffen worden ... Dort hat man mich also operiert.
Als ich nach Hause gekommen bin — nicht nach Hause, sondern nach Palästina — , habe ich um Wiedergutmachung gebeten.
Man hat mich einige Male abgelehnt, bis ich an die Alliierten geschrieben habe. Dort habe ich dann einen Ausweis vom Lazarett Holzhausen bekommen .. .
Dort ist bestätigt, daß ich dort operiert worden bin. Die Nummer, mit der ich aus Auschwitz kam, war angegeben. Nur weil ich dieses Glück hatte, ... habe ich eine Mindestrente bekommen, nachdem ich fünfmal zurückgeschoben wurde, weil etwas nicht in Ordnung war. Hätte ich diese Bestätigung nicht gehabt, hätte ich diese andere Karte als „displaced person" nicht gehabt, hätte ich auch keine Wiedergutmachung bekommen ... Für den richtigen Weg
— um Wiedergutmachung zu bekommen — gab es nämlich nicht genug Beweise. So weit dieser Zeuge.
Ich habe ihn bis hierher zitiert, um zu einem Satz Stellung zu nehmen, der in der Ausschußdebatte so viel böses Blut verursacht hat, auch gegen mich. Wir hatten nämlich gesagt: Für viele der Verfolgten war der Prozeß der Beglaubigung ihrer Leiden, der Prozeß der Anerkennung als Wiedergutmachungsberechtigter, so etwas wie eine zweite Phase der Verfolgung. — Ich möchte auch hier noch mal klarstellen: Ich wollte damit niemanden angreifen, der sich nach Kräften bemüht hat, diese Frage der Wiedergutmachung in einer Gesellschaft zu diskutieren, die alles andere — das weiß ich — im Kopf hatte als die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Ich möchte auch ausdrücklich betonen, daß sich einige gerade gegen den allgemeinen Trend des Vergessens — weil es ja Vergangenheit sei, die nicht wiederkommt — , um diese Frage bemüht hatten. Das heißt aber nicht, daß dieser Prozeß für die Betroffenen so gewesen wäre, daß sie sich als Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft wertgeachtet und anerkannt gefühlt hätten. Nein, dieser und viele andere Berichte zeigen: Die Prozesse der Wiedergutmachung — um sie zu bekommen — waren oft demütigend, langwierig, die Bürokratien waren unverständlich, und das ganze Verfahren war für sie von Grund auf unbegreiflich. Viele waren auch zu stolz, Geld anzunehmen, das sie als Blutgeld betrachteten. Viele empfanden auch diese merkwürdige Scham, zu den Überlebenden zu gehören, wo so viele, die sie geliebt und gekannt hatten, in Auschwitz verbrannt waren.
Das eben war der Anlaß, warum wir eine ganz neue, eine andere Gesetzgebung wollten. Wir wollten damit erstens, daß alle Verfolgten, ohne Ausnahme, einen Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung haben. Wir wollten zweitens, daß sie diesen Anspruch nicht mehr durch unauffindbare Dokumente oder durch Beweise belegen mußten. Wir wollten eine Umkehr der Beweislast. Wir wollten drittens, daß keine Gruppe mehr ausgeschlossen wird, nicht die Kommunisten, nicht die Homosexuellen, nicht die Sinti und Roma, nicht die Kriegsdienstverweigerer, die sogenannten Asozialen, die Zwangssterilisierten, die Zwangsarbeiter, die Mitglieder des Jugendwiderstandes und alle, an die wir nicht mal gedacht hatten. Wir wollten viertens, daß gerade alle diese Verfolgtengruppen wesentlich an der Vergabe der Gelder beteiligt werden, durch ihre Interessenvertretungen, und daß die Verteilung der Gelder endlich von einem Finanzministerium wegkommt, das natürlich ganz anderen Gesetzmäßigkeiten folgt, nämlich denen der Sparsamkeit, und gerade die durfte in diesem Fall nicht angewandt werden.
Wir wollten fünftens, daß auch die nicht mehr ausgeschlossen werden, die aus guten Gründen nicht Bürger der Bundesrepublik Deutschland geblieben oder geworden sind und trotzdem Opfer deutscher Politik waren. Und wir wollten sechstens, daß auch die ganz große Gruppe der Zwangsarbeiter als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wird und daß dafür auch die Firmen mit zur Kasse gebeten werden, die heute noch weltweit große Profite machen und deren Welt-
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größe nicht zuletzt mit ihren damaligen Gewinnen zusammenhängt.
Meine Damen und Herren, weil wir nicht wollen, daß diese Frage zur Ruhe kommt, legen wir Ihnen heute gleichzeitig einen Antrag vor, die Kommunen zu bitten, ihrerseits Ehrenbürgerschaften an die Verfolgten zu verleihen, die in den Orten, den Dörfern und Städten der Bundesrepublik verfolgt wurden. Wir wenden uns damit an den Ort, von dem aus das nationalsozialistische Unrecht im Alltagsleben seinen Ausgang nahm. Weil es in jeder Kommune Kommunisten und Zwangsarbeiter gab, weil überall Homosexuelle, Sinti und Roma und wer immer gelebt haben, kann keiner sagen: Wir haben von allem nichts gewußt.
Wir wollen diese Frage nicht zur Ruhe kommen lassen, und zwar auch aus dem Grund, daß sie auch für die Verfolgten nicht zur Ruhe kommt. Auch da möchte ich wieder aus den Erklärungen von Dr. Garai zitieren. Er sagte: Für uns hört die Verfolgung nie auf. Er hat das beschrieben; Sie, Frau Schmidt, haben das schon erzählt. Er ist jetzt 59 Jahre alt und sagt, allmählich brechen die Schutzgrenzen in einer Persönlichkeit, die diese Erinnerung abhält, daß ihm das früher nie passiert ist, daß er aber seit fünf Jahren Nacht für Nacht seine Familie zusammengebunden auf Eisenbahnstränge legen und drüberfahren muß, daß das Nacht für Nacht kommt und für ihn zwanghaft und unausweichlich ist.
Dann sagt er:
Vor zwei Wochen habe ich ein Lastauto mit Käfigen voller Hühner, die man zum Schlachten fährt, gesehen. Das erste, was mir in den Sinn gekommen ist, war, daß dieses Lastauto die jüdischen Hühner zum Abschlachten fährt. So waren wir auch — wie in diesem Lastauto! Alles, was eingesperrt ist, geht in diese Zeit zurück; alle Assoziationen, alle Gedanken gehen ... zu dieser Zeit zurück, als diese Dinge geschahen. Ich war nur zehn Monate im Lager. Was kann mit den Leuten sein, die fünf Jahre dort waren? Nach zehn Monaten wog ich 23 Kilo. Ich war 17 Jahre alt. Was wäre geschehen, wenn ich noch drei Wochen hätte dort sein müssen? Das hätte ich bestimmt nicht überlebt, und dann hätte keiner das erzählen können. Noch etwas: Die Firmen Moll und Holzmann existieren, und ich weiß bestimmt, daß man sie finden könnte und vielleicht dort etwas erledigen könnte.
Weil wir es nicht den Opfern überlassen können, diese Verfolgung immer wieder durchzumachen, muß es auch für uns so etwas wie eine Konfrontation auch mit dieser zweiten Phase der Verfolgung geben, weil es auch mit uns zu tun hat. Deswegen werden wir in dieser Frage immer weitermachen müssen, ob wir es wollen oder nicht, vielleicht so, wie die Bremer Bürger weitergemacht haben, die heute hier auf dem Platz vor dem Langen Eugen ein Denkmal enthüllt haben. Für dieses Denkmal hat der Deutsche Bundestag noch keinen Platz gefunden. Aber vielleicht ist es möglich, daß wir in Absprache mit dem Präsidenten diesen Platz noch finden.
Ich danke Ihnen.