Rede von
Dr.
Hermann
Scheer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen uns an der teilweise unsachlichen Polemik, die in manchen Bemerkungen zum Ausdruck kam, nicht beteiligen. Es geht um den Versuch der Herstellung eines neuen energiepolitischen Konsenses. Denn niemand wird doch wohl im Ernst unterstellen, daß in bezug auf die Kernenergie je wieder ein energiepolitischer Konsens wie in den 50er, 60er und frühen 70er Jahren hergestellt werden könnte. Und die tatsächlichen Gefahren der Verbrennung fossiler Energien sind so dramatisch, daß wir uns alle keinen Gefallen tun, dies herunterzuspielen. Es gilt, Alternativen frühzeitig, so früh wie möglich zu entwickeln.
Es geht bei diesem Solar-Wasserstoff-Konzept nicht allein um die Nutzung der solaren Strahlungsenergie, also um Sonnenkraftwerke, Sonnenstrom, sondern es geht, wie es auch im Antrag zum Ausdruck kommt, auch um die breitere Ausschöpfung der vorhandenen Wasserkraft
und der Windkraft. Dies ist von großer Bedeutung, wenn man bedenkt, daß mehr als 95 % der verfügbaren Wasserkraft noch nicht ausgeschöpft sind
und wahrscheinlich nur auf diesem Wege ausschöpfbar gemacht werden können, nämlich indem dieser Wasserstrom gespeichert und damit transportiert werden kann. Das heißt: Es geht um die Nutzung sämtlicher regenerativen, unerschöpflichen Energiequellen für die Herstellung eines umweltneutralen Energieträgers — das ist das Grundkonzept — , eines Energieträgers, der universell zur Verfügung stehen würde und uns auf diesem Wege — mit der Koppelung der Erzeugung von regenerativem Strom mit Wasserstoffproduktion — die Möglichkeit vermittelt, alle diese regenerativen Energiepotentiale voll auszuschöpfen — einschließlich der ganzen Schwankungsbreiten; das alles kann berücksichtigt werden — und dabei gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit dieser regenerativen Energiequellen zu verbessern.
An der Stelle ist es notwendig, einige Maßstäbe zurechtzurücken. Denn die Aufgabe, um die es hier geht, wird in einer Weise heruntergespielt, daß dies den Problemen, denen wir politisch gegenüberstehen, ökologisch nicht mehr gerecht wird. Ich nenne die Wirtschaftlichkeit: Da werden Kernenergiekosten den jetzigen Wasserstoffkosten gegenübergestellt. Bei den Kernenergiekosten wird dabei geflissentlich verschwiegen, daß hier allein in der Bundesrepublik mehr als 30 Milliarden DM öffentliche Vorinvestitionen getätigt worden sind; die Entsorgungskosten sind noch nicht in Rechnung gestellt. Dies alles, was an Vorinvestitionen bzw. noch nicht vorhandenen, noch nicht aufzurechnenden Kosten gegeben ist, wird einem Energieträger gegenübergestellt, in den bisher verhältnismäßig sehr geringe Mittel hineingesteckt worden sind. Das ist unverhältnismäßig.
Wie unverhältnismäßig das ist, kann man auch an einem anderen Beispiel sehen. Die Fusionsenergie ist genannt worden, Herr Kollege Lenzer. Für die Fusionsenergie — bei uns liegen schon Mittel in Höhe von 2 Milliarden DM drin — ist die Frage des Ob bis heute nicht geklärt. Das wissen wir alle. Als frühester Termin wird das Jahr 2050 unterstellt. Die Frage, ob es geht, ist beim solaren Wasserstoff schon geklärt. Bei der Fusionsenergie spielen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen überhaupt keine Rolle. Bei der solaren Wasserstoffenergie wird ständig mit mangelnder Wirtschaftlichkeit operiert. Das ist angesichts der Probleme, die wir haben, nicht verhältnismäßig.
Sie sagten, Herr Kollege Lenzer, das könne vielleicht einmal in ferner Zukunft sein. Angesichts der dramatischen CO2-Probleme in der Welt können wir ein längeres Warten nicht verantworten. Keiner unterstellt, wir könnten von heute auf morgen die gesamte Energieversorgung auf Wasserstoff umstellen. Aber je länger wir mit großen politischen Anstrengungen warten, desto länger, mehr und gravierender haben wir es mit dem CO2-Klimaproblem zu tun.
Ich wage vorauszusagen, daß angesichts dessen, was es an wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, in den nächsten anderthalb bis zwei Jahren die Frage ganz anders diskutiert wird, als es gegenwärtig noch der Fall ist.
Ich gehe auf die Argumente der GRÜNEN nicht ein. Sie waren zu unsachlich. Hätten Sie den Antrag besser durchgelesen, dann wäre manche Ihrer Fragen erledigt gewesen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987 3185
Dr. Scheer
Aber ich gehe noch einmal auf die Maßstäbe ein. Völlig selbstverständlich weiß bei der Kernenergie jeder: Wären nicht 30 Milliarden Forschungsmittel hineingesteckt worden, dann wäre sie nie zu dem Preis gekommen, zu dem man sie heute hat.
Genau das gleiche gilt natürlich für einen Energieträger, der unglaubliche und geradezu phantastische ökologische Chancen verspricht. Wie selbstverständlich — ich will doch gar nicht polemisieren — diskutieren wir über 7 Milliarden Entwicklungskosten für ein neues Jagdflugzeug — und knausern um 10, 15, 20 Milliarden, wenn es um die Solarenergie geht. Was sind das für politische Maßstäbe? Das frage ich.
Das ist eine Frage nicht nur an die deutsche Politik. Es ist eine Frage an die europäische Politik. Wir haben in Europa eine gemeinsame Grundlage, nämlich die Montanunion, für den Kohlebereich. Wir haben eine gemeinsame Grundlage für den EURATOM-Bereich. Wo ist die gemeinsame Grundlage — oder der Versuch dazu — für ein Euro-Solarprogramm angesichts der Möglichkeiten, die sich hier ergeben, angesichts auch der wirtschaftlichen Effekte, die das mit sich bringt? Ich nenne ein paar Beispiele: neben den Umweltchancen, die das Luftverschmutzungsproblem für uns lösbar machen könnten — 48 Milliarden DM volkswirtschaftliche Schäden im Jahr allein durch Luftverschmutzung! — , gleichzeitig wirtschaftliche Effekte, Automobilbau, Motorenbau für wasserstoffgetriebene Antriebsaggregate, Stahlindustrie, Röhrenbau, Solarzellen, Halbleiterindustrie, Kraftwerksbau für Solar-, Wind- und Wasserkraftwerke, elektronische Industrie für die Halbleiter, chemischer Anlagen- und Apparatebau und nicht zuletzt der Schiffbau, was Wasserstofftanker betrifft — dies vielleicht vor allem im Zusammenhang mit dem, was an Wasserstoff vielleicht bereits Anfang des nächsten Jahrtausends zur Verfügung steht, aus Kanada geliefert, mit Hilfe der dortigen Wasserkraft erzeugt. Das sind doch alles Dinge, vor denen wir nicht die Augen verschließen können.
Da wird dann immer gesagt — heute ist das Argument nicht gekommen — , unsere Energieabhängigkeit würde erhöht werden. Ich halte das für falsch. Wenn man es mit Wasserkraft, Windkraft und Sonnenkraft koppelt, würde sich unsere Energieabhängigkeit mittelfristig reduzieren. Es gibt doch gar keinen Zweifel, daß die erste Generation einer Wasserstoffnutzung zunächst dazu führen würde, daß man das Öl ersetzt, weil der Treibstoff- und der Wärmemarkt die erste große Nutzungsmöglichkeit des Wasserstoffs ist. Das heißt, es ist in erster Linie eine AntiÖl-Strategie. Da muß man unsere jetzige Energieabhängigkeit zu dem ins Verhältnis setzen, was es dann an Verbindungen im Zusammenhang mit einer Wasserstoffnutzung gäbe.
Das heißt, es geht im Grunde und im wesentlichen darum, die Hürden der Wirtschaftlichkeit nicht zuletzt durch staatliche Vorinvestitionen und durch enge Zusammenarbeit mit der hier schon engagierten Industrie zu überwinden. Diese Hürden der Wirtschaftlichkeit will ich kurz benennen. Wir haben einen zu kleinen Markt für Wasserstoff, und dieser zu kleine Markt verhindert die Senkung der Herstellungskosten. Das ist ein einfacher ökonomischer Zusammenhang.
Wir haben eine noch zu teure Speicherung, weil die bisherigen Speichertechniken noch nicht wirtschaftlich sind. Hier setzen unsere Entwicklungsaufgaben auch in der Forschungs- und Entwicklungspolitik an.
Wir haben bisher keine ausreichende und gezielte Materialforschung für die Entwicklung von neuen Solarzellen. Die bisherigen Solarzellen sind Abfallprodukte der Computerwirtschaft und der elektronischen Industrie. Diese ausreichende und gezielte Materialforschung ist eine Aufgabe der Forschungspolitik.
Wir haben zu kleine Leistungseinheiten für den Verbrauch von Wasserstoff, weil die Anlagekosten auf Grund zu geringer Nachfrage noch zu hoch sind. Das heißt, es geht um Forschungspolitik, Entwicklungspolitik und selbstverständlich um Markteinführungshilf en.
Hier ist zunächst einmal von uns der Versuch gemacht worden, einen Antrag einzubringen, der dem Forschungs- und Technologieausschuß und dann dem Bundestag die Chance bieten soll, alles, was hier getan werden kann — es ist sehr, sehr viel mehr, als viele denken — , auf den Weg zu bringen. Das wollen wir möglichst gemeinsam tun, denn die Probleme — ich wiederhole es noch einmal — , die in ökologischer Hinsicht und in energiepolitischer Hinsicht auf uns zukommen, sind zu groß, als daß wir uns hier Halbherzigkeit leisten könnten.
Vielen Dank.