Rede von
Volker
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weltenergieverbrauch wird weiter wachsen. Daran kann es kaum einen Zweifel geben. Die Brundtland-Kommission, die Weltkommission für Umwelt und Energie, hat kürzlich darauf hingewiesen, daß sich der Energieverbrauch auf der Welt bis zum Jahr 2030 mehr als verdreifachen kann, wenn man die bekannten Wachstumsraten der Weltbevölkerung unterstellt, wenn man außerdem davon ausgeht, daß das Pro-Kopf-Einkommen in den Ländern der Dritten Welt mindestens so viel wächst, daß die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden, und wenn man schließlich unterstellt, daß die Art und Weise, wie wir mit Energie umgehen, sich nicht wesentlich ändern wird.
In diesem Fall müßten wir davon ausgehen, daß 1,6mal so viel Öl, 3,4mal so viel Erdgas und fast 5mal so viel Kohle wie im Jahre 1980 produziert werden. Die Kapazitäten der Atomenergie müßten 30mal so groß sein. Dies entspricht der Errichtung eines neuen Atomkraftwerkes mit einer Kapazität von 1 Gigawatt elektrischer Leistung alle drei Tage, so die Brundtland-Kommission.
Dabei wissen wir, daß die Vorräte an fossilen Energieträgern begrenzt sind, am stärksten beim Öl und Gas, weniger stark bei der Kohle, und daß ihre Preise in dem Maße steigen werden, wie sie knapper werden.
Wir wissen auch, daß das Verbrennen der fossilen Energieträger Gefahren heraufbeschwört. Es ist völlig unbestritten: Bei der umweltfreundlichen Nutzung dieser Energieträger haben wir gerade in unserem Land beträchtliche Fortschritte erzielt. Aber die globale Gefahr, daß durch eine unbedachte Verbrennung dieser Energieträger der Treibhauseffekt verstärkt wird und eine Klimakatastrophe droht, wird täglich offenkundiger.
Aber ich betone hier den globalen Effekt. Jedem, der meint, daraus einen Widerspruch zu unserer Kohlevorrangpolitik konstruieren zu können, muß man sagen: Die Nutzung der heimischen Steinkohle, die wir zur Sicherung unserer Energieversorgung noch für lange Zeit brauchen werden, macht nur einen Bruchteil hinter dem Komma dieses Problems aus.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987 3177
Jung
Aber allgemein gilt: Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um diese Energieträger — solange wir nicht über alternative Energiequellen verfügen — so umweltfreundlich und so sparsam wie nur möglich zu nutzen, um sie langfristig als wertvollen Rohstoff der Veredelung vorzubehalten.
Sie, meine Damen und Herren, von der Regierungskoalition, argumentieren doch immer, aus eben diesem Grund müßte die Kernenergie ausgebaut werden. Wir halten dies für einen verhängnisvollen Weg. Die Kernenergie ist keine Alternative, sie bietet keine Perspektive — nicht in unserem Land und schon gar nicht in der Dritten Welt.
Das räumlich und zeitlich nicht eingrenzbare Restrisiko, das trotz der anerkannt hohen Sicherheitsstandards unserer Kernkraftwerke ja im Grunde überhaupt nicht geleugnet wird, macht diese Technik nur noch für eine Übergangszeit verantwortbar. Ich meine, diesem Konsensus waren wir schon einmal ein wesentliches Stück näher, nämlich kurz nach Tschernobyl.
Wenn Sie auf die langfristige Nutzung der Kernenergie setzen, meine Damen und Herren, dann ist es nur konsequent, daß Sie die Projekte des Schnellen Brüters und der Wiederaufarbeitungsanlage betreiben. Wenn Sie sie allerdings als Übergangstechnologie betrachten, wie ja einige führende Repräsentanten von Ihnen schon zum Ausdruck gebracht haben, dann machen weder Kalkar noch Wackersdorf einen Sinn.
Es gibt überhaupt keinen einsehbaren Grund, auf die Nutzung und Weiterentwicklung einer hochkomplizierten, extrem gefährlichen umwelt- und sozialunverträglichen Technologie zu setzen, die im übrigen ja immer teurer wird, wenn sich eine einfach zu handhabende, umwelt- und sozialfreundliche, universell anwendbare Alternative bietet, nämlich die solare Wasserstofftechnologie.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Energiepolitik, die Umweltbelastungen verringert, die alle Möglichkeiten der Energieeinsparung und rationeller Energienutzung ausschöpft sowie regenerative Energieträger erforscht, entwickelt und in den Markt einführt. Experten sagen uns, daß bis zum Jahr 2000 zwischen 5 und 10 % des Energiebedarfs durch regenerative Energien gedeckt werden können. Das sind im günstigsten Fall rund 40 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten — so viel, wie die Kernenergie heute zu unserer Energieversorgung beiträgt.
Daß der Bundesforschungsminister in diesem Punkt dazugelernt hat, meine ich, belegen seine offiziellen Äußerungen. Vor einem Jahr sprach er in seinem Bericht „Erneuerbare Energien" noch von einem Potential von höchstens 2 bis 4 % im Jahr 2000, und in einer kürzlichen Antwort auf eine schriftliche Frage hat er sich offensichtlich die Annahme des DIW und des Fraunhofer-Instituts zu eigen gemacht, die von einem Potential von immerhin schon 4 bis 7 % regenerativer Energien im Jahre 2000 ausgehen.
Konsequenzen zieht er allerdings daraus nicht. Herr Riesenhuber hat zwar erklärt, jedes vernünftige Projekt regenerativer Energien fördern zu wollen, die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Während die Aufwendungen für die Kernenergie mit jährlich 1,5 Milliarden im Forschungsetat fortgeschrieben werden, nachdem sie insgesamt schon rund 30 Milliarden DM betragen, sollen die Aufwendungen für regenerative Energien, die im nächsten Jahr bei knapp 230 Millionen DM liegen, nach der mittelfristigen Finanzplanung abgesenkt werden. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur phantasielos, das ist vor allem kurzsichtig.
Einer der Gründe liegt offenbar darin, daß die Bundesregierung als energiepolitische Zukunftsperspektiven den Fusionsreaktor favorisiert, von dem heute niemand weiß, ob er überhaupt jemals technisch funktionieren wird, ganz zu schweigen von der Frage, zu welchen Kosten.
Meine Damen und Herren, einen hervorragenden Beitrag für die zukünftige weltweite Energieversorgung verspricht nach unserer Auffassung die Nutzung von Solarenergie und Wasserstoff zu werden. Die Attraktivität einer Kombination dieser beiden Technologien liegt darin, daß sie nach unserem heutigen Wissensstand sehr umweltverträglich ist. Die Beeinflussung natürlicher Kreisläufe ist gering, Schädigungen der Natur sind nicht zu erwarten, Sonnenenergie und Wasserstoff bergen keine außergewöhnlichen Risiken für Mensch und Natur.
Wir wissen natürlich: Die Solarenergie ist heute noch nicht wettbewerbsfähig. Wenn man sich aber die technologischen Fortschritte und die mit ihnen verbundenen Kostendegressionen anschaut, die in den letzten Jahren erreicht wurden, dann ist die Hoffnung keineswegs abwegig, daß wir mit einer gezielten Forschungsförderung, mit Entwicklungshilfen und Demonstrationsanlagen die solare Wasserstofftechnologie bis zur Jahrhundertwende konkurrenzfähig machen können. Die technischen Probleme sind ja im Grunde gelöst. Die Technologie ist auch im wesentlichen erprobt; sie muß nicht erst entwickelt werden. Was wir brauchen, sind erhebliche Fortschritte bei der kostengünstigen Herstellung von Solarzellen und bei den Anwendungsmöglichkeiten des Wasserstoffs. Wir wollen die zahlreichen Projekte in der Photovoltaik, bei Solarkraftwerken, in der Wasserstofftechnologie unterstützen. Solche Projekte müssen nach unserer Auffassung schnell umgesetzt werden, um die vorhandenen Marktchancen zu nutzen, um sie vor allem nicht allein den Amerikanern und den Japanern zu überlassen.
Die Industrie hat sich ja inzwischen zu einem erheblichen Teil engagiert; aber im Grundsatz wartet sie ab. Alle haben das Ohr auf der Schiene; so hat das der „Spiegel" kürzlich beschrieben. Die Industrie will wissen: Was macht Bonn? Und Bonn will wissen: Was macht die Industrie? Deswegen ist es notwendig, jetzt ein deutliches Signal zu setzen, das für die Zukunft Orientierung gibt.
Wir wollen mit unserem Antrag, ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm Solarenergie und Wasserstoff aufzulegen, diese Initiative ergreifen. Mit einem verhältnismäßig geringen Finanzvolumen kön-
3178 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1987
Jung
nen wir uns in der Energiepolitik eine Perspektive eröffnen, die uns nicht nur eine umweltfreundliche und sozialverträgliche, eine tatsächlich regenerative Energieversorgung zur Verfügung stellt, sondern uns außerdem ein industriepolitisch sinnvolles Betätigungsfeld eröffnet, das nicht zuletzt zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet.
Schönen Dank.